Ein Gipfelbuch für den Nadlenspitz (2030m) - Aufstieg durch die "Rinne des Schreckens"


Publiziert von marmotta , 30. August 2012 um 00:59.

Region: Welt » Schweiz » Appenzell
Tour Datum:29 August 2012
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-AI   Alpstein 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1400 m
Abstieg: 1450 m
Strecke:Brülisau - Plattenbödeli - Sämtis - Stiefel - Fählensee - Fählenalp - "Mörderwegli" bis ca. 1700 m - Rinne zw. Nadlenspitz und Fählenschafbergkamm - Nadlenspitz - P. 2094 - Schafbergsattel - Borsthalden - Spitzigstein - Meglisalp - Seealpsee - Wasserauen
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Brülisau, Kastenbahn
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Wasserauen
Kartennummer:LK 1115 Säntis (1:25.000)

Aus dem wilden Kamm des Fählenschafbergs ragen gegen die Fählenalp zwei besonders eindrückliche Türme mit senkrechten, plattigen Südwänden heraus, namentlich der Rot und der Wiss Turm, für letzteren hat sich der Name Nadlenspitz durchgesetzt. Im Gegensatz zum Rot Turm ist der Nadlenspitz (2030 m) auch für den Alpinwanderer erreichbar - Grund genug, diesem schönen Spitz endlich auch einmal ein Gipfelbuch zu spendieren!
 
Ich bin zwar schon 2 mal auf dem Nadlenspitz gewesen, dennoch war ich heute besonders motiviert, gab es doch 2 Aufgaben zu "erledigen": Erstens wollte ich das schon lange bei mir zuhause parat liegende Gipfelbuch für den Nadlenspitz im letztes Jahr gebauten Steinmann deponieren und Zweitens wollte ich endlich einmal die auch auf Hikr bereits diskutierte mögliche Direktaufstiegsvariante erkunden. Bereits von der Bollenwees aus sieht man zwischen Nadlenspitz und den Grasflanken des Fählenschafbergs eine auffällige, tief eingefressene Rinne, die meist bis in den Sommer hinein mit Altschnee gefüllt ist. Da sich die Rinne bis hinauf zum Absatz am Beginn des Westgrats des Nadlenspitz zieht, scheint sie eine veritable Abkürzung darzustellen, wenn man von der Fählenalp via Mörderwegli auf den Nadlenspitz will. So müsste man nicht erst zum Schafbergsattel (2070 m) aufsteigen und um den ganzen Berg herumlaufen, sondern könnte direkt zur Scharte nördlich des Nadlenspitz gelangen. Allerdings ist die latente Steinschlaggefahr (Helm!) zu beachten, insbesondere da sich das Steinwild regelmässig hierhin zurückzieht!
 
Auf bekannten (Wander-)Wegen geht es von Brülisau via Plattenbödeli und Alp Sämtis zum Fählensee. Dem Nordufer entlang weiter zur Fählenalp, von wo ich noch ein Stück dem Wanderweg Richtung Zwinglipass folge, bis ich auf Höhe der markanten Schlucht zwischen Nadlenspitz und Rot Turm über den geröllbesäten Ausläufer zum Einstieg des "Mörderwegli" aufsteige. Von den Weideflächen unterhalb des Nadlenspitz kommt mir die Sennerin der Alp Häderen entgegen, welche durch den Doku-Film "Die Schönheiten des Alpsteins" eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Es ergibt sich ein interessanter Schwatz, bei der Gelegenheit "verrate" ich ihr auch mein Ansinnen, ein Gipfelbuch auf dem Nadlenspitz deponieren zu wollen.
 
Die ersten Meter bis zum Beginn der Schlucht lege ich im (ausgetrockneten) Bachbett der Runse zurück, die von der Schlucht herunterführt. Es kann aber auch auf dem (stark bewachsenen) Grassporn links daneben aufgestiegen werden. Die ersten Meter durch die Schlucht bis zu dem Absatz darüber sind sehr steil und weisen praktisch keine Wegspuren auf (T4). Danach setzt eine gute und ausgeprägte Wegspur ein, die steil auf (teilweise eingesprengten) Bändern die Felswände unterhalb des Rot Turm überwindet (T3+). Wie mir die Sennerin der Alp Häderern bestätigte, wurde der Weg früher für Zwecke der Alpwirtschaft angelegt und noch bis vor 13 Jahren regelmässig von Älplern begangen.
 
Auf einer Höhe von ca. 1700 m verlasse ich das "Mörderwegli", um über die noch nassen Grasplanggen zur markanten Rinne entlang der Nadlenspitz-Nordwand hinüberzuqueren, die hier unten ausläuft bzw. über die Felswände hinunter zur Fählenalp abbricht. Da sich der Einstieg der mit viel Geröll und Blockwerk gefüllten Hauptrinne etwas weiter unten befindet und ich nicht so weit absteigen will, steige ich erstmal in die rechts davon verlaufende und durch ein breites Grasband getrennte Sekundärrinne ein, in der Hoffnung weiter oben nach links über den Felsriegel auf eben dieses Grasband bzw. die Hauptrinne wechseln zu können. Dies ist leider nicht möglich, also alles zurück, bis ganz unten ein Übergang leicht möglich ist. Nachdem der Aufstieg auf dem Grasband wegen des starken Bewuchses nicht sonderlich komfortabel erscheint und dessen Fortsetzung weiter oben nicht eingesehen werden kann, steige ich trotz anfänglicher Bedenken wegen der Steinschlaggefahr in die Hauptrinne ein. Sonderlich angenehm ist der Aufstieg wegen des Gerölls und des schmierigen Untergrunds auch hier nicht, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Bald einmal stellen sich grössere Felsblöcke in den Weg, die teils auf nassen, rutschigen Platten umgangen, teils überklettert werden müssen. Etwa in der Mitte der Rinne versperren haushohe Felsblöcke den Weiterweg, ein Überklettern wäre nicht einfach (Überhang bzw. Verschneidung) und zudem wegen der allgegenwärtigen Nässe sehr heikel. Ich könnte das Hindernis zwar über die begrenzende Fels- und Schrofenwand rechts umgehen, doch auch dieses Manöver erscheint mir zu heikel, insbesondere da ich nicht weiss, wie es oben weitergeht und ob ein dann allenfalls gebotener Rückzug hier überhaupt noch möglich wäre. Also steige ich wieder ein paar Meter in der Rinne ab, bis ich auf Schrofenbändern zu dem breiten Grasband aufsteigen kann. Zwischenzeitlich hat ohnehin eine Gruppe Steingeissen angefangen, Rabatz zu machen - im Minutentakt krachen Gesteinsbrocken die Rinne hinunter. Insofern fühle ich mich auf dem Grasband sowieso sicherer. Der starke Bewuchs, die Nässe und die Steilheit machen den Aufstieg jedoch nicht gerade zum Genuss. Zeitweise arbeite ich mich wie ein Käfer nach oben, es gibt aber durchaus auch Stellen, an denen man gemütlich stehen kann… :-)
 
Bald wird das Grasband immer schmaler und steiler. Da ich fast keine andere Wahl habe, ergreife ich dennoch weiter die Flucht nach oben. Bis zu dem Abschnitt, wo sich das Band zwischen zwei Felsriegeln derart aufsteilt, dass ein Weiterkommen nur noch durch Hinaufziehen an den leicht überhängenden Felsen linkerhand möglich ist. Spätestens hier hätte ich eigentlich umkehren sollen, denn nun folgte das schier Unfassbare: Beim Griff in den eigentlich kompakt wirkenden Felsriegel neben mir breche ich einen Felsblock in der Grösse eines Bierkastens heraus, der sofort auf mich zukommt. Er trifft mich am Schienbein, streift mich dann noch am Oberschenkel, bevor er mit lautem Getöse Richtung Fählenalp hinunterkracht. Mit Glück kann ich einen Absturz verhindern. Der nächste Griff in die Felsen ist aber noch fataler: Ein kühlschrankgrosser Block bricht ebenfalls heraus und droht, auf mich drauf zu fallen. Also, einen solch morschen Fels habe ich wirklich noch nie erlebt! Geistesgegenwärtig stemme ich mich dem Block entgegen und kann ihn wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückdrücken. Der hätte mich definitiv mitgerissen bzw. zermalmt!
 
Vorsichtig trete ich nun den Rückzug an, steige auf dem Grasband wieder ca.10 m ab, bis ich eine Chance sehe, über die Felswand nach links hinunter in die Rinne zu klettern. Wegen des extrem brüchigen, schmierigen Felses gleicht dies eher einem Überlebenskampf, T6 in seiner reinsten Form! mit Konzentration und Vorsicht gelingt der Abstieg jedoch. Da die Hauptschwierigkeiten der Rinne hier bereits unter mir liegen, ist der Weg nach oben nun frei. Dies heisst aber nicht, dass der Rest ein Spaziergang wäre: Stellenweise ist die tief eingefressene Rinne durch das Wasser und den abgeschliffenen Fels so rutschig, dass die Füsse keinerlei Halt finden und man sich nur stemmend an seitlichen Felsgriffen hinaufhangeln kann. Einer der mühsamsten und anstrengensten Aufstiege, die ich je gemacht habe!
 
Am Ausstieg auf ca. 2000 m bin ich nervlich und körperlich so angegriffen, dass ich erst mal eine längere Pause einlege und nach der schattigen und feuchten "Rinne des Schreckens" die Sonne geniesse.
 
Der Aufstieg von hier auf den Nadlenspitz ist dann vergleichsweise harmlos: Mit dem neuen Gipfelbuch im Gepäck umgehe ich den Vorgipfel südseitig und steige ohne Schwierigkeiten auf offensichtlicher Route über den Westgrat auf den kleinen, exponierten Gipfel. Hier baue ich den in Fragmenten vorhandenen Steinmann noch ein wenig aus (entsprechende Steine liegen genügend herum, ich habe das Gefühl, die ganze Nordseite des Berges besteht aus losen Felsen) und eröffne feierlich das Gipfelbuch. Gehet hin und traget Euch ein! :-)
 
Der Westgrat ist auch im Abstieg gut zu gehen. Er ist zwar sehr exponiert, jedoch ist der Aufschwung kurz und gut gestuft. Unterhalb des kurzen Felskamins am Gipfel weicht man mit Vorteil südwestlich in die Grasflanke aus (Trittspuren), anschliessend kehrt man zum exponierten Felsgrat zurück und folgt diesem bis zur Scharte zwischen Haupt- und Vorgipfel. Auf dem Grat blühte übrigens noch ein einsames Edelweiss, weitere Exemplare dieser schönen Alpenblume finden sich auf dem Fählenschafbergkamm kurz vor dem Schafbergsattel. Schön, breitet sich das Edelweiss nun wieder überall im Alpstein aus!
 
Die Schwierigkeiten des Nadlenspitz-Westgrats übersteigen m.E. ein T5 nicht. Eine erhöhte Schwierigkeit gegenüber anderen, klassischen T5-Touren wie z.B. Moor, Chammhalden, Hundstein via Schlucht usw. sehe ich nicht.
 
Über den wunderschönen, luftigen Grat des Fählenschafbergs geht es anschliessend über P. 2094 zum Schafbergsattel (ca. 2070 m) und von dort über die zerissene Flanke der Borsthalden hinunter zu den Geröllfeldern oberhalb von Spitzigstein. Mit guten Bergschuhen ist der Abstieg auf der "Borsthaldenroute" von jedem trittsicheren Berggänger gut zu meistern. Im oberen Bereich finden sich noch alte, verblassende Markierungen und eine teils ausgeprägte Wegspur, Diese endet endgültig an der grossen Runse, welche die Borsthalden durchzieht. Ich stieg diesmal (im Abstiegssinn) rechts dieser Runse auf dem gut gestuften Rasensporn ab, bis die Runse in einer senkrechten Felsstufe abbricht. An dieser Stelle muss die Runse (spätetens) überquert werden, um jenseits auf abermals steilem Grassporn (an einer kurzen, senkrechten Stelle muss man sich etwas herunterlassen) bis zu den Geröllausläufern der Borsthalden abzusteigen (T4-T5).
 
Ausmarsch über die "Wanderautobahn" via Seealpsee nach Wasserauen, wo das Appenzellerbähnli schon zur Abfahrt bereit steht.
 
Fazit:
 
Endlich hat auch der Nadlenspitz (s) ein Gipfelbuch. Der Zustieg auf der Normalroute (Fählenschafberg - Nadlenspitz-Westgrat) ist weder schwierig noch heikel und für den geübten Alpinwanderer gut machbar. Die hier beschriebene Aufstiegsvariante über die Rinne jedoch kann schon wegen der objektiven Gefahr des Steinschlags nicht empfohlen werden. Zudem lassen sich so weder Zeit noch Kraft sparen, im Gegenteil: Der Aufstieg ist sehr mühsam und anstrengend. Zwar sind die Schwierigkeiten in der Rinne moderat (T5), jedoch müssen mindestens an zwei Stellen Felsblöcke in nicht einfacher und heikler Kletterei überwunden werden oder (wie ich dies gemacht habe) umständlich und an einer Stelle ebenfalls heikel (T6) über das Grasband rechts der Rinne umgangen werden. Ich weiss nicht, ob sich schon mal jemand die Mühe gemacht hat, hier hochzusteigen. Möglicherweise war es ja sogar eine Erstbegehung? Wie auch immer, eine Wiederholung wird es (zumindest durch mich) nicht geben…   

Tourengänger: marmotta
Communities: T6, ÖV Touren


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Kommentare (7)


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countryboy hat gesagt: Sapperlott!
Gesendet am 30. August 2012 um 02:35
Der Schreck überträgt sich auch auf den Leser; wirklich spannender Bericht und mit guten Bildern untermalt! Die Oberliga-Alpinwanderer werden deine Gipfelbuchspende zu schätzen wissen. :-)

marmotta hat gesagt: Abschreckend
Gesendet am 30. August 2012 um 19:30
Mit der ausführlichen und drastischen Schilderung meiner Erlebnisse in und um diese Rinne wollte ich bezwecken, dass niemand diesen Blödsinn nachmacht. In dem Fall ist die gewollte Wirkung eingetreten... :-)

Auf dem Normalweg ist der Nadlenspitz aber einfach und (objekiv) gefahrlos zu erreichen - insofern hoffe ich, dass das Gipfelbuch ein paar Einträge erhält. Über einen grösseren Besucheransturm würden allerdings zumindest einmal die Steinböcke nicht sonderlich erfreut sein.

tricky hat gesagt: ups
Gesendet am 30. August 2012 um 08:20
Oha, aber alles nochmal gut gegangen. Danke für das Gipfelbuch. Sehe aber den Nadlenspitz-Westgrat-Aufstieg schon als kurze T6-. Wenn auch nicht schwierig, dafür Ausgesetzt und zum Teil mit losem Gestein. Die Chammhaldenroute (waren wir gestern) ist im verglichen dazu einfacher (T5)

marmotta hat gesagt: Schwierigkeitsbewertung
Gesendet am 30. August 2012 um 19:43
Nun, die Wahrnehmung der jeweiligen Schwierigkeit ist natürlich immer subjektiv. Aber, verglichen mit anderen Touren und deren überwiegender Bewertung geht das T5 aus meiner Sicht in Ordnung. Bist Du in dem felsigen Abschnitt des Grats konsequent auf der Schneide geblieben? In der Südwestflanke hat es dort nämlich (zwischenzeitlich) ganz passable Trittspuren, welche die Überwindung dieses exponierten Gratabschnitts deutlich vereinfachen.

Ich persönlich finde in der Chammhaldenroute die "luftige Querung" und die Felsrinne danach deutlich anspruchsvoller als den Westgrat des Nadlenspitz! Dieser hat mich vom Gelände und der Schwierigkeit eher an den Aufschwung am Moor-Hauptgipfel erinnert. Und der wird allgemein mit T5 bewertet...

Alpin_Rise hat gesagt: RE:ups
Gesendet am 21. Oktober 2012 um 12:04
Für mich ist der Nadlenspitz auch eher T6 als T5, allenfalls ein deftiges T5+.
Besonders ca. 20 Meter unter dem Gipfel, vor der kurzen Querung weg vom Grat nach SW, sind die Tritte nicht allzu gut und etwas brüchig - dafür fand ich den Schlusskamin viel einfacher als erwartet.

Jedenfalls einer der schönsten Gipfel im Alpstein, dazu mit einem neckischen Gipfelbuch, nun mit drei Einträgen - danke Marmotta!

G, Rise

Runner hat gesagt: ...!
Gesendet am 31. August 2012 um 22:38
He Marmotta! Kein Seich! Zum Glück ist alles gut gegangen, Du alte "Grabensau" ;-)) Möchte am nächsten Gamperney Berglauf keine Gedenkminute einlegen müssen! Letztes Jahr ist leider bereits ein Kollege tödlich verunglückt! Aber definitiv schöne Tour mit super Bildern. Wenn ich schwindelfrei wäre würde ich wohl auch... ;-)

Grüss Dich

Runner

marmotta hat gesagt: RE:...!
Gesendet am 2. September 2012 um 19:05
Danke Richi, ich gelobe Besserung! :-)

Am nächsten Gamperney-Berglauf wirst Du wegen mir keine Gedenkminute, dafür aber (mindestens) eine Rastminute am Ziel einlegen, bis ich dann auch oben bin. In der Zeit kannst Du dann schon mal das Bier und die Bratwurst organisieren...

LG
marmotta


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