Piz Palü 3901m Überschreitung


Publiziert von tschiin76 , 18. Juli 2010 um 23:51.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum: 8 Juli 2007
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Palü-Gruppe   Bernina-Gruppe   I 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 927 m
Abstieg: 1405 m

Meine erste grosse Überschreitung und nach dem Unfalljahr 06 mit Kreubandriss die erste Hochtour in diesem Rahmen (mit SAC und nicht mit einer Alpinschule).
Ich bin etwas unsicher, ob ich das technisch schon auf die Reihe kriege, der Tourenleiter meint, dies sei kein Problem.
Ok, ganz aufgeregt treffe ich mich mit der SAC - Gruppe bei der Diavolezza Talstation, wir fahren hoch und quartieren uns im proppenvollen Diavolezza Berghaus ein.
Der Blick zum morgigen Ziel ist einfach eindrücklich und nimmt mir fast den Atem.
Da genügend Zeit ist machen wir abends noch einen Abstecher auf den Munt Pers.
Danach gibts Znacht, da nicht alle gleichzeitig essen können gibts 2 Runden.
Das OpenAirSprudelbad wäre eigentlich reserviert, da aber stundenlang niemand auftaucht, fragen wir, ob wir rein dürfen. Wir dürfen und vor grandioser Kulisse und zur Belustigung der ganzen Terrasse plantschen wir im heissen Wasser.
Die zahlreichen Italiener bechern ausgiebig und als wir uns Richtung Schlafsaal aufmachen, müssen wir schon das erste Mal aufpassen, dass wir uns nicht ein Bein brechen, als wir über die leergetrunkenen Weinflaschen stürcheln...

An Schlaf ist kaum zu denken, das Italiener Fest geht weiter, es wir von einem Saal zum nächsten telefoniert (!) und ausgiebig die Route diskutiert...
Bin ich froh, als endlich 03:30 ist und wir zum Zmorge können. Wie immer muss ich mich zwingen und würge ein paar Confibrote hinunter.
Im Dunkeln tappen wir los, rasch erreichen wir den Vadret Pers bei der Fuorcla Trovat.
Und hier beginnt das Malheur: ich habe die falschen (und zwar aivla's) Steigeisen dabei. Da wir keinen Materialcheck gemacht haben, ist mir dies entgangen...

Lektion 1: gehe nie auf eine Tour, ohne vorher dein Material kontrolliert zu haben.

Leider habe ich auch keine Ahnung, wie diese zu montieren sind, da ich solche mit Schnellverschluss habe und seine eben nicht. Wir rätseln und irgendwie gehen sie dann an meine Schuhe. Die Länge stimmt natürlich auch nicht und wir verlieren Zeit.

Wir sind die zweite Seilschaft mit 3 Berggängern und die Fotocrew, dementsprechend etwas langsamer.

Die Spaltenzone ist dieses Jahr gut zu durchqueren, das Eis eindrücklich und ich einfach nur happy. Wie auf Drogen steige ich höher und höher, rundherum beginnt der Tag, erst rosa dann hellgelb, dann orange, ich staune und geniesse.
Unser Tempo verlangsamt sich etwas wegen der Seilkollegin, sie ist die Älteste und braucht etwas mehr Zeit.
Es spielt nicht so eine Rolle, wir bewegen uns sowieso in einem riesigen Tatzelwurm, Seilschaft an Seilschaft zieht Richtung Ostgipfel.

So langsam macht sich die Höhe bemerkbar und nach dem Silbersattel wirds ordentlich steil, aber der Schnee ist gut. Nach knapp 4.5h, ca. 15min nach unserer ersten Seilschaft erreichen wir den Ostgipfel. 
Die Pause fällt kurz aus, der Spinasgrat wartet. Hier heisst es für mich das erste Mal klettern im Fels mit Steigeisen. Es geht gut und hält tiptop, unsere Seilpartnerin jedoch fühlt sich unsicher und möchte stets gesichert sein. Dies kostet uns enorm Zeit, die erste Gruppe ist schon 1h auf der Fuorcla Bellavista und wartet ungeduldig. Durchgeschlagen haben wir uns alleine...
Dementsprechend angespannt ist die Stimmung.

Spätestens jetzt hätten wir die Aufteilung der beiden Gruppen überdenken müssen. Nichts passiert.

Lektion 2: die Schwachen und Unerfahrenen (dazu zähle ich mich auch) gehören zum Chef ans Seil.

Im gestreckten Galopp gehts bergab Richtung Fortezza. Hier das nächste Problem.
Ich und meine Seilpartnerin haben keinen Achter dabei, obwohl ich vorgängig gefragt hatte, was wir brauchen, stand der nicht auf der Liste. Der Chef behauptet das Gegenteil.

Lektion 3: ich schwöre mir, nun einen Kurs zu besuchen, damit ich nicht mehr so stark auf andere angewiesen bin und weiss, was es braucht und was nicht. Und ich schwöre mir, dass ich zukünftig immer einen Achter dabei haben werde, egal, welche Art von Hochtour ich mache.

Zum Glück haben wir Kletterer dabei, die aus zwei Karabinern eine Abseilvorrichtung basteln, so können sich alle abseilen.

Da das Wetter kippt muss es nun schnell gehen. Im Eifer des Gefechts vergessen wir einen Mann bei der Abseilstelle, welcher noch auf das Seil wartet, welches die nachfolgende Gruppe hinunterwirft. 
Ich realisiere dies erst gar nicht, da ich damit beschäftigt bin, mich um meine andere Seilpartnerin zu kümmern und bei ihr zu bleiben.
Die erste Gruppe ist schnell über alle Berge.

Lektion 4: nie den Überblick verlieren und Kameraden zurücklassen! Schon gar nicht als Chef.

Auf dem Vadret da la Fortezza seilen wir nochmals an, der Schnee ist weich, in der ersten Gruppe bleibt eine in einer Spalte stecken währenddessen unsere Seilpartnerin ausrutscht und wir sie halten müssen (es wäre zum Glück nicht allzu weit hinunter gegangen), es ist ein Gerenne, nur runter vom Berg.

Auf der Isla Persa trennen sich unsere Wege, ich bleibe noch eine Nacht in der Bovalhütte, meine Seilpartnerin begleitet mich.

Nach 12 Stunden kommen wir total erschöpft in der Hütte an und leeren innert Sekunden ein 5 dl Schorle.
Ich geniesse es, nach so einem langen Tag nicht noch nach Hause fahren zu müssen, sondern den Abend noch in der Hütte ausklingen lassen zu können.
Die Gedanken schweifen und ich lasse den Tag nochmals Revue passieren. Ich komme innerlich zur Ruhe.

Die Nacht wird stürmisch, ein gewaltiges Gewitter setzt sich an den hohen Gipfeln fest, es wettert taghell, ich liege im Bett und fühle mich aufgehoben.

Fazit:
Die Tour hinterlässt in mir zwiespältige Gefühle.
Einerseits war es genial, dass ich dabei sein durfte, es ist eine Hammertour in einer unglaublich eindrücklichen Umgebung.
Andererseit ist sehr viel schief gelaufen und ich bin froh, dass wir alle heil unten angekommen sind.
Rückblickend muss ich sagen, dass ich wohl technisch noch zu unerfahren war für diese Tour und es eigentlich fahrlässig war, dass ich überhaupt mitgegangen bin. Ich habe Fehler gemacht, auf die mich niemand aufmerksam gemacht hat und die ich mit voller Härte selber ausbaden musste.

Der Tourenleiter mag technisch ein guter Bergsteiger sein aber ihm fehlten (noch) die Führungsqualitäten, um solche Anfänger wie mich bei so einer Tour mitnehmen zu können.
Ich habe erkannt, dass ich mir das Knowhow nicht auf SAC Touren, sondern in SAC Kursen aneignen muss, was ich dann auch im folgenden Sommer getan habe.
Nach dieser Erfahrung habe ich im selben Jahr keine Tour mehr gemacht, ich musste erst alles aufarbeiten, meine und Versäumnisse von anderen verdauen und richtig einordnen.

So gesehen habe ich sehr viel gelernt und werde die gemachten Fehler sicher nicht mehr wiederholen.

 

Tourengänger: tschiin76


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