Wie aus 6 4000er 2 wurden oder meine erste Hoch-und Infektionstour


Publiziert von tschiin76 , 18. Februar 2012 um 16:59. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum: 7 August 2004
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 4 Tage
Aufstieg: 3200 m
Abstieg: 3950 m

 Schon lange in den Bergen unterwegs, immer wieder an Gletscher herangelaufen aber nie darüber, immer wieder den Alpinisten fasziniert zugeschaut, wie sie ihren ganzen Plunder sortierten und ihnen immer wieder sehnsüchtig nachgeschaut, wenn sie Richtung Hochgebirge losmarschierten...Und dabei immer wieder gedacht: das will ich auch einmal machen.


Schlussendlich fasse ich mir ein Herz und melde mich für die Spaghettitour an: die Kondition stimmt, das Material ist schnell ausgelehnt und ich voller Tatendrang.
Um mich an die Höhe zu gewöhnen reise ich zwei Tage vor dem Treffpunkt nach Zermatt, quartiere mich in der Jugi ein und unternehme zwei kleinere Touren rund um Zermatt, unter anderem fahre ich mit der Bahn bis aufs Kleine Matterhorn und verbringe dort den Tag. Ich beobachte den Tatzelwurm aufs Breithorn und freue mich innerlich auf die nächsten Tage.

Dann das erste Beschnuppern in der Jugi am Abend vor dem Aufbruch, jetzt bekommen die anderen Teilnehmer und der Bergführer endlich ein Gesicht, nachdem ich mich zwei Tage lang beim Zmorge in der Unterkunft immer wieder gefragt habe, ob dieser oder jene wohl mit dabei sein wird...
Materialcheck, Besprechung, wer hat welche Vorkenntnisse?

Am nächsten Morgen: mal wieder dieses Kribbeln im Bauch, ich bin aufgeregt wie vor dem ersten Schultag (nehme ich mal an..), ich beruhige mich erst, als wir uns zum Abmarsch bereit machen. Ich sauge alles auf, was ich neues lerne, die Anseiltechnik, den ganzen restlichen Gerümpel.
Und ich staune, wer sich ausser uns noch auf den Weg aufs Breithorn macht. Seilschaften mit Turnschuhen(!) und andere mit einer Ausrüstung, als würden sie auf eine Antarktisexpedition gehen. Die Gegensätze könnten nicht grösser sein.

In zügigem Tempo queren wir den Gletscher und sind schon bald im Aufstief zu meinem allerersten 4000er, auf meiner allerersten Hochtour. Wir überholen einen Bergführer mit knallgelbem Japaner am Seil, der sichtlich mit der Höhe kämpft. Ich bin topfit und als wir oben ankommen einfach nur happy!

Endlich einmal das machen, was ich schon länger wollte! Da spielt es auch keine Rolle, dass das Wetter eher bescheiden ist, es stürmt und ist bedeckt, wenigstens ist die Aussicht trotzdem nicht allzu schlecht, eigentlich sogar noch mystisch.
Wir steigen schon bald wieder ab, das "Gläuf" auf dem Gipfel und die Temperatur laden nicht zum verweilen ein und wir haben noch einen Abstieg von 2000hm vor uns.
Wir queren den Grande Ghiacciaio die Verra und ich bin stark beindruckt von den teilweise doch recht tiefen Spalten. Wunderschön ist es, über die Furchen des Gletschers zu laufen, fliessend Wasser unter den Füssen, angebunden an ein Seil, rundherum nur Eis und Fels.

Im Rif. d'Ayas gibts einen wärmenden Kaffe und weiter gehts den Grand Glacier de Veraz bis zu dessen Ende,  auf dem Moränenweg das Val de Veraz bis Pian de Veraz und dann in einem kurzen Anstieg hoch zum Rifugio Resy. Hier gibts ein Festessen, so riesige Portionen habe ich noch selten gesehen, das Schnitzel ist hervorragend wie der Rest ebenfalls.
Ich bin ziemlich ko aber sonst in erstaunlich guter Verfassung, angesichts dessen, dass ich noch nie so viele Höhenmeter runter an einem Tag gemacht habe. Ich bin stolz und entgegen meinen Befürchtungen zuversichtlich, dass ich den Rest auch noch schaffe - dessen war ich mir vor der Tour nicht immer so sicher...

Tag 1: Klein Matterhorn 3883 -  Breithornpass 3824 - Breithorn 4164 -  Rif d'Ayas 3990 - Pian de Veraz 2040 - Rif. Resy 2072

 +372m
 -2183m


Der nächste Tag beginnt auch eher verhangen, so wie der vergangene aufgehört hat.
Auf einer breiten Alpstrasse steigen wir durch Comba de Fourcare zum Pass bei Bättforko hoch. Nicht besonders schön, im Winter ist hier Skipiste.
Es bleibt trocken und angenehm zum laufen.
Hinunter nach Stafal nehmen wir die Sesselbahn, was mit noch so recht ist. Es geht mir gut, aber ich merke den vergangenen Tag noch in den Knochen.
Meine neuen Hochtourenschuhe sind zwar eingelaufen, aber längst nicht so bequem wie die normalen Wanderschuhe. Ich habe Druckstellen aber noch keine Blasen, im Gegensatz zu einem anderen Teilnehmer, welcher im Tal unten die Tour abbricht. Die Blasen an seinen Fersen sind tief und sehen übel aus.
Nocheinmal nehmen wir ein Bähnli zu Hilfe und fahren bis zum Rif. del Lys, ab hier steigen wir wieder zu Fuss auf.
Nach Wiesen und einbisschen Zivilisation durchqueren wir nun wieder eine wilde Steinlandschaft, hinter mir quatschen zwei ununterbrochen, ich höre zu, zum mitdiskutieren reicht aber die Puste nicht aus.
Und nun machen sich auch meine Füsse bemerkbar. Jeder Schritt schmerzt, ich beisse auf die Zähne und gehe weiter.
Da -  wieder die weissen Riesen, schlagartig sind die Blasen an den Füssen vergessen -  zumindest eine kurze Weile.
Immer wieder umspielen Wolken die Berge um uns herum, kurz unter dem Rif. Citta di Mantova kommt es mir fast wie eine Apokalypse vor. Ich kämpfe. Aber ich komme an, es wartet eine sensationelle Terrasse und heisser Tee. Wunderbar!
Schuhe weg, und das Verarzten beginnt. Blasen werden aufgestochen und mit Desinfektionsmittel gefüllt, die medizinische Ausrüstung vom Chef lässt fast keine Wünsche offen. In der Hütte die Stimmung, die ich unbedingt erleben wollte. Alles Bergsteiger mit Grümpel...! Es fühlt sich einfach anders an als in einer Hütte mit Wandervolk.
Das Essen wieder super und riesen Portionen, wir haben einen gemütlichen Abend.

Tag 2: Rif. Resy 2072 - Bättforko 2672 - Stafal 1825 - Rif. del Lys 2350 - Rif. Citta di Mantova 3400

+1650m
mit Bähnli (-847/+525)

Der nächste Tag beginnt schitter. Ich habe kaum geschlafen und alles ist mir zuwider, dazu kommen Kopfschmerzen. Die Höhe.
Mit grosser Überwindung würge ich Brot und ein paar Trockenfrüchte runter. Das kann ja heiter werden. Zu allem Elend hin zieht auch noch ein Gewitter über die Gegend, und das am Morgen um 6. Wir warten und ich hoffe, dass es mir besser geht. Es geht mir aber nicht besser. Trotzdem entscheide ich mich, weiter zu gehen, schliesslich will ich da hoch.
Ich bekomme den "Ehrenplatz" gleich hinter dem Bergführer. Den Aufstieg habe ich kaum noch in Erinnerung, jeder Schritt kostet unendlich viel Kraft, ich konzentriere mich auf den Boden und das Seil, der Aufstieg will nicht enden. Ich versuche, die Übelkeit zu vergessen, dann und wann schweift mein Blick auf die Berge um uns herum, ich kaue auf einer trockenen Aprikose. Wieder sind viele Berggänger unterwegs, das Gewitter hat sich aufgelöst.
Hinter mir wird wieder munter geplaudert, ich wünschte, es würde mir besser gehen. Im Kopf pocht und brummt es. Weiter, nur weiter.
Wir sind deutlich langsamer als geplant, ich bin nicht die einzige, der die Höhe zu schaffen macht.
Steil gehts bergauf, bis sich auf 4000m das Gelände langsam neigt und sich eine Art Ebene auftut. Wir sind meist in Wolken gehüllt.
Angesichts der Zeit und null Aussicht beschliesst der Chef, dass wir nicht wie geplant die Vincentpiramide, die Ludwigshöhe, die Parrotspitze, die Signalkuppe sowie die Zumsteinspitze besteigen sondern uns lediglich mit der Ludwigshöhe begnügen (müssen). Mit letzten Reserven stapfe ich auf meinen zweiten 4000er, einbisschen geniessen kann ich es.
Dann gehts runter und mit jedem Meter geht es mir besser.
Inzwischen hat es aufgerissen und die ganze wunderbare Szenerie präsentiert sich in gleissendem Sonnenlicht. Herrlich!
Die folgenden Spalten im Abstieg machen mir enorm Eindruck, zielsicher lotst uns der Chef durch das Labyrinth, staunend stolpern wir hintendrein. Ich kann mich kaum satt sehen. Zu schnell sind wir bei der Monte Rose Hütte, wo wir unsere nassen Kleider zum trocknen ausbreiten und Röschti sowie Hüttenkaffi geniessen.
Den Nachmittag verbringen wir mit erzählen und das Erlebte Revue passieren lassen.

Tag 3: Rif. Citta di Mantova 3400 - Lisjoch Ost 4280 - Monte Rosa Hütte 2795

+880
-1485

Der letzte Tag bringt uns noch etwas Gletschertraining, wir nutzen die Zeit, uns noch abzuseilen und uns gegenseitig wieder zu "retten", mit den Steigeisen auf dem Gletscher herumzu hopsen und uns zu wundern, wie unausgerüstet uns wieder einige Berggänger entgegen kommen.

Nach dem Rumgeturne steigen wir hoch zur Station Rotenboden, ich bin Seilträgerin. Eine grosse Gruppe Japaner mit weissen Hanschuhen, Sonnenhüten und Kameras bewaffnet kommt uns entgegen und beobachtet uns fasziniert. Da ich zwecks fotografieren etwas zurückgeblieben bin, komme ich für ein Interview gerade recht. Der Touristenguide fragt mich auf englisch, woher wir denn kämen, ich deute auf die weissen Riesen und sage Monte Rosa, worauf er sich zu seiner Gruppe umdreht und in mir unverständlichem Japanisch der Gruppe vermutlich dies sagt, ich verstehe nur Monte Rosa und sehe nach der wortreichen Erklärung dutzende lachende und anerkennende Gesichter. Ich grinse und ziehe mit meinem Gerümpel von dannen...Was für ein Abschluss!

Tag 4: Monte Rosahütte 2795 - Grenzgletscher 2520 - Rotenboden 2815

+295
-275

Fazit: trotz Mühe mit der Höhe: ich bin angesteckt und will mehr...!

Tourengänger: tschiin76


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Kommentare (8)


Kommentar hinzufügen

CarpeDiem hat gesagt:
Gesendet am 18. Februar 2012 um 17:29
Ein sehr schöner Bericht....

Grüsse, Anne-Catherine


tschiin76 hat gesagt: RE:
Gesendet am 18. Februar 2012 um 18:10
Danke für das Lob!
LG

Henrik hat gesagt: ...a wild woman
Gesendet am 18. Februar 2012 um 17:39
on wild mountains....BRAVO tschiin76.

Ein literarischer Wurf!

Gruess

Henrik

tschiin76 hat gesagt: RE:...a wild woman
Gesendet am 18. Februar 2012 um 18:10
wild war einmal...:)
Danke für die Blumen!:)))

LG

eugen hat gesagt: Infektionstour
Gesendet am 19. Februar 2012 um 08:12
Hallo - ganz schöner Bericht - bist Du dann schlussendlich von den Bergen infiziert worden und immer wieder hingegangen - in dem Sinne war es vielleicht eher eine Inspektionstour - auch die schwarz-weiss Bilder gefallen mir sehr gut - es ist schon eine eindrückliche Gegend - mit den besten Grüssen aus dem Wallis - Eugen (= U-tschin (auf Englisch)

tschiin76 hat gesagt: RE:Infektionstour
Gesendet am 19. Februar 2012 um 09:52
Hallo U-tschiin!:)
diese sprachliche Gemeinsamkeit ist mir gar nicht aufgefallen!:)
Infektions-oder Inspektionstour: ich denke, es war beides. Wobei ich wahrscheinlich schon früher angesteckt worden bin und dies nun noch die Bestätigung dafür war, dass ich mehr vom Hochgebirge sehen und erleben will...
Ja, würde gerne noch mehr entdecken in den Walliser Bergen, die Zeit dafür kommt sicher irgendwann.
LG aus dem Zürcher Oberland ins Wallis!

stefan87 hat gesagt: Ganz mein Geschmack ...
Gesendet am 20. Februar 2012 um 13:41
... wie du schreibst. Wärend des lesens, kann man kaum erwarten wie es weitergeht. Speziell ab der Stelle wo du mit Kopfschmerzen weitersteigst. Alle Achtung!
Man kann sich richtig in deine Lage hineinversetzen.

"Nur die Harten kommen in Garten." :)


Gruss Stefan

tschiin76 hat gesagt: RE:Ganz mein Geschmack ...
Gesendet am 20. Februar 2012 um 16:34
Schön, dass dir mein Schriebstil gefällt! Manchmal brauche ich für einen Bericht etwas länger, Stimmung und Motivation müssen stimmen, sonst wirds nichts.

Heb Sorg und weiterhin unfallfreie, unvergessliche Touren wünsch ich DIr!:)

LG

(Deinen Schneeschuhbericht habe ich übrigens mit einigem Schmunzeln gelesen...;)



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