Val Bavona: Rundtour Sabbione – Mater – Launc - Ritorto


Publiziert von Seeger , 20. August 2009 um 18:33.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum:20 August 2009
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Pizzo Castello 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:Sabbione 647m – Mater 1456m - Madrasc 1630m – Laùnc 1860m – Chient 1503m – Ritorto 650m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Ö.V: Mit FART von Locarno nach Bignasco, Postauto nach Sabbione (Sommerbetrieb, wenige Verbindungen) Auto: Locarno-Ponte Brolla-Cevio-Bignasco-nach der Brücke scharf nach links Richtung Val Bavona- zum Parkplatz von Sabbione, gebührenfrei
Zufahrt zum Ankunftspunkt: Ö.V: Postautohaltestelle in Ritorto (letzter Bus etwa 17.25 Uhr) via Bignasco nach Locarno Auto: zu Fuss entlang der Strasse von Ritorto nach Sabbione zum Parkplatz
Unterkunftmöglichkeiten:Einkehr: Restaurant La Froda in Foroglio und Restaurant Grotto di Baloi in Fontana Hotel: Albergo Posta, Cavergno und Albergo Turisti, Bignasco
Kartennummer:1271 Basodino

Plinio Martini hat in der Gazette «Pro Valle Maggia» Erinnerungen von Augusto Dadò aufgezeichnet, welche ich bei dieser Rundtour wieder aufleben lassen will (kursiv,fett) .Ich frage mich, wie die Kühe diese Wege geschafft haben – denn Kuhstrassen (Strada delle vacche) wurden sie genannt! Heute soll es sehr heiss werden. So schlendere ich um sechs Uhr früh durch Sabbione in die oberen Häuser, wo der Weg nach Mater auf einem Geländerücken Richtung Einschnitt des Ri di Magnasca beginnt.
Die Kuhstrasse verbindet diejenigen vom Tal des Val Bavona mit den steilen Anhöhen von Fontana, durchstreift Pianone und überquert den Fluss das erste Mal unter den Bergweiden; beim Eingang ins Valle Magnasca überschreitet man den Fluss ein zweites Mal, dann trifft man die erste Steintreppe und das erste Gatter. Weiter oben geht man wieder über den Fluss und steigt links im Tal auf. Die Steintreppe geht unter einem Flüsschen, welches senkrecht von oben herunter plätschert und in Regenzeiten die Vorbeigehenden mit Wasser bespritzt. Deshalb heisst der Ort „Sprota“. Man erreicht dann die kleine Kapelle, welche S. Giuseppe und S. Antonio da Padua - links und rechts des Kruzifix - gewidmet ist. Oberhalb befindet sich die Steintreppe der „Seranina”, steil und gefährlich, zwischen zwei glatten Wänden. Dann folgt das obere Gatter, in der Nähe einer Naturhöhle und einer riesigen Mauer, welche die Treppenanlage stützt; ohne diese ein Durchkommen in der vertikalen Wand unmöglich wäre. Man erreicht Pioderöö, hier breiten sich die Bergwiesen aus und die „Strasse“ ist nicht mehr so gefährlich. Darüber erhebt sich die Corona d’la Seranna, mit dem Heiligen Wald zum Schutz der darunterliegenden Strasse. Nach rechts aufsteigend erreicht man Tecign und dann die Siedlung von Sachet, wo man noch vier Gebäude und einige Ruinen sieht. Nach einem steilen Aufstieg kommt man schliesslich in Mater an.(T3)
Unverhofft breitet sich ein ebener Rasenteppich mit allesamt herausgeputzten Häusern aus. Eine Transportseilbahn verbindet diese Anhöhe mit dem Tal. Nach einem Rundgang gehe ich weiter Richtung Launc, dessen Weg links am obersten Haus vorbei beginnt. Dieser ist gut sichtbar und führt auf einem Geländerücken steil entlang den Plastikrohren zum Reservoir. Dann horizontal links ins Tal hinein. Verschiedene Felsplatten und Couloirs müssen traversiert werden. Diese können bei Restschnee Probleme bereiten. Eingemeisselte Tritte und Eisenverstärkungen sind hilfreich. Einige Bohrkhaken versprechen schon einige Jahre Seilsicherung. Ein gemähter Weg führt links um die Ruinen von Madrasc, 1630m, herum. Saftige Wiesen! (T4)
Mein Vater hat kurz nach Beginn dieses Jahrhunderts (anno 1900) begonnen, Magnasca mit Mast–Schafen und -Geissen zu nutzen, Handel, der immer mehr aufkam. Die Strasse war nicht mehr machbar mit den Kühen, und die Alp war im Besitz der Bürgergemeinde von Cavergno. Mein Vater kaufte zwischen 1920–22 das Heurecht für Fr. 5‘000.–, dann erstellte er mithilfe meiner Brüder die Strasse vom Tal bis nach Laùnc; baute dann die nötigen Hütten für weitere Fr. 5‘000.–, um nicht der andern Spesen zu erinnern, die da und dort ausgegeben wurden, wie für Zäune, Wege, Mauern, etc. Der längste Grenz–Zaun zwischen der Alp und Mater ist ein 220 Meter langes Metallnetz. Auf diese Weise wurden die Siedlungen von Madrasc und von Laùnc bis Ende 1928 noch mit Kühen und Milch–Geissen bestossen. Auf Madrasc gehen in einigen Wintern auch Lawinen nieder, und die neue Hütte wurde zwei Mal zerstört; das Wellblech des Daches flog bis Ritorto hinunter. In der Folge machte mein Vater mit Mastgeissen und –Schafen und mit Heuen der Alpen von Madrasc weiter, Airei, Malüra und Laùnc. Das Heu wurde mittels Transportdraht hinuntersausen gelassen (filo a sbalzo= Draht mit Schuss). Es waren 4 Drahtstrecken von Laùnc und fünf von Malüra und Airei, in allem funktionierten neun Drahtstrecken. So wurde vom Mai bis November Magnasca mit Geissen und Schafen bevölkert, und überall hörte man die Glocken läuten wie eine fröhliche Melodie.
Ich höre Geissengebimmel nur im Geissenhimmel! Über eine heikle Passage quert man den Ri di Ritorto (Ri torto = krummer Fluss) und steigt steil auf einem breiten Weg zur neu renovierten Hütte von Laùnc, 1860m, empor (T4). Das helle Dach ist weitherum gut sichtbar. Zum Ärgernis. Ein Missverständnis bei der Lieferung. Che balla!
Von hier ist der Abstieg (T4) nur dann leicht zu finden, wenn er gemäht ist. Und er ist es! Grazie mille. Von Launc führt der Weg vorerst horizontal gegen Westen bis zum Rand des Oglie-Grabens. Dann gegen SW auf dem Rücken bequemer Abstieg. Abgestorbene Lärchen erinnern an die Feuersbrunst von 1991. Immer schön rechts gegen die Kante des Oglie-Graben halten! Dann führt der Weg, diverse Felsabbrüche umgehend, über Treppenanlagen und hohen Stufen steil hinunter . Ein grosser Steinmann mitten im Tälchen weist den Weg diagonal nach links, wo er in einer Waldschneise zwischen Steinen zu suchen ist. Ich folge weiter in gleicher Richtung gegen eine Felswand zur Linken, entlang deren Tritte den Abstieg erleichtern. Eine weitere Stufe wird mit einer Treppenanlage und Seilsicherung überwunden. Verwirrend führt von der rechten Seite her auch eine Treppe von oben herab auf den gleichen Boden: Dies ist die Fortsetzung des Weges! Diesem entlang kurz ansteigen und durch einen Erlenwald in Kehren steil hinunter in der Flanke des Oglie-Grabens bis auf die Höhe von etwa 1560m. Nach links um einen Felssporn herum. Die malerischen Hütten von Chiènt werden von oben her erreicht. Damit kein Weideboden verloren ging, wurde dieses Maiensäss auf Fels und Geröll gebaut. Die Kargheit des Ortes wird mit der grandiosen Sicht ins Val Bavona, Val Calneggia, Alpe Solögna, Alpe Nassa bis zum Basodino mehr als wettgemacht. Neuerdings Wasser. Steineinfriedung.
Eine Frau liess ihre Kinder in Chiènt alleine, um dringend nach Ritorto hinunterzugehen um die Lebensmittel zu ergänzen. Als sie zum Berg zurückkehrte, kam sie zu einem gewissen Orte am Fusse eines Felsens, wo sie vor sich den zerschmetterten Kopf eines ihrer Kinder entdeckte. Mit religiöser Beherztheit sammelte sie die Reste dieses Kopfes in ihr Schosstuch und trug es bis zum Corte.
Der Abstieg nach Madaröö beginnt unterhalb den Häusern gut sichtbar zuerst über eine Treppe, dann rechts ausholend. Ein rechtes Stück steil hinunter und welch eine Überraschung! Swimming-Pool, Englischer Rasen, der Himmel auf Erden…und dies in einer gottverlassenen Wildnis! Doch kein Wasser…
Weiter im Abstieg etwas SE haltend, dann steil durch den Wald nach Piano della Corona. Hier ist man versucht, den Weg ebenfalls im SE zu suchen. Falsch!!! Er beginnt im Westen, um dann nach Süden abzudrehen.
Der Weg nach Chiènt ist extrem gefährlich, weil er sich alles entlang des Randes der Abstürze schlängelt. Genügt zu wissen,dass einmal im Juni während der Alp–Auffahrt zwei Rinder verloren gingen. Einige schäbige Resten von einem dieser Tiere wurde für häuslichen Gebrauch zusammengefischt, unter dem Gipfel in Ghana d’Chiöll, Geröllfeld welches vor dem Gebiet von Foroglio liegt. (In diesen Zeiten assen unsere Leute nur Fleisch, wenn es irgendeinem Tier nicht gut ging …)
Nach einigem Hin und Her auf Gras- und Waldbändern über Felsabstürze und unter Felsen hindurch steige ich abenteuerlich nach Ritorto hinunter. Es ist mir nicht gelungen, den Weg auf die Karte zu übertragen: Zu komplex ist das Auf und Ab und Hin und Her. Schwindelerregend! Einmal ist man auf der Seite von Foroglio, dann über Ritorto, dann wieder über Foroglio, usw. Der Weg wurde in den letzten Jahren von den Forestieri erheblich ausgebessert und mit Treppenanlagen versehen. Schliesslich hab ich’s geschafft. Der Blick auf die Dächer und den Kirchturm von Ritorto lassen mich aufatmen. Bei 30°C marschiere ich tapfer auf der Teerstrasse nach Sabbione zu meinem Auto. Wasserbilanz: 2 L kalter Tee und 2 L Quellwasser!
 
Hungeralpen werden sie genannt. Aber trotz der Armseligkeit: Deren Besitzer und Pächter waren stolze Unternehmer. Dank Plinio Martini ist dieses Wissen von Augusto Dadò der Nachwelt erhalten geblieben.

Tourengänger: Seeger
Communities: Ticino Selvaggio


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Kommentare (6)


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Henrik hat gesagt: Wie wurden denn früher diese
Gesendet am 20. August 2009 um 20:16
Drahtstrecken über die Kanten und Fluchten gebracht? Chient hat mich von der Gegenseite immer wieder erstaunt - diese Ausgesetztheit!

Dein und Plinio Martini's Bericht schmelzen zusammen - Bravo Andreas.

silberquäki

Seeger hat gesagt: RE:Wie wurden denn früher diese
Gesendet am 27. August 2009 um 20:58
Ciao Silberquäki
Habe mir das Ganze überlegt und komme auf folgende Montage-Anleitung:
Der Draht wurde in der Talsohle ausgerollt. Dann wurde er mit Seilwinden und Flaschenzug - immer gesichert, damit er nicht zurückgleitet - Meter um Meter hinaufgezogen. Und zwar in der vorbereiteten Schneise. Mitunter wurden auch Umlenkrollen eingesetzt: Mit Steinen als Gegengewicht, manchmal an verschiedenen Orten zugleich.
Auf dem ersten montierten Draht wurden die weiteren hochgezogen.
Sollte ein HIKR fundiertes Wissen haben, bin ich sehr froh um Rückmeldungen.
Saluti
Andreas

psteins hat gesagt: Am gleichen Tag
Gesendet am 5. September 2009 um 13:32
Hallo Andreas, schöner Bericht!
Ich war am gleichen Tag an die andere Seite des Oglie-Grabens unterwegs: Piano di Peccia - Bocchetta di Sovenat - Alpe d'Oglié - Roseto, Bericht folgt noch. Und ich hatte mir schon vorgenommen nächstes Jahr die Wege nach Launc, Mater, Bocch. di Magnasca zu erkunden. Jetzt habe ich eine gute beschreibung.
Ciao, Paul

Seeger hat gesagt: RE:Am gleichen Tag
Gesendet am 13. September 2009 um 22:15
Ciao Paul
Das ist interessant. Und ich habe mir vorgenommen, vom Rif Poncione di Braga die Bavonese-Täler von oben her zu besuchen :-))
Danke für das Kompliment. Bin auch bereit, Fragen zu beantworten.
Gruss
Andreas

psteins hat gesagt: RE:Am gleichen Tag
Gesendet am 16. September 2009 um 20:54
In das Rifugio habe ich am 18e August (aleine) übernachtet. Ich war überrascht so eine grosse, saubere, moderne, gut ausgerüstete Hütte hier vor zu finden. Der Nordwestgratroute des Pizzo Castello fand ich zu gefährlich.
Frage: hast du bei Madrasc noch eine route/pfadspuren in Richtung Bocchetta di Magnasca vorgefunden?
Gruss, Paul

Seeger hat gesagt: RE:Am gleichen Tag
Gesendet am 17. September 2009 um 00:24
Ciao Paul
Keine Wegspuren gesehen. Jedoch sind jetzt sicher Jäger von Madrasc zum Pt.2409 hochgestiegen :-)
Das Gelände ist relativ übersichtlich. Im Couloir hat es eventuell Neuschnee auf Eisresten. Pickel nicht vergessen. Brenna schreibt von westlich Umgehen im Fels.
Bin gespannt auf Deinen Bericht.
Saluti
Andreas


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