Die Monti di Biasca sind von der A2 vom Gotthard herkommend als eine beinahe senkrecht sich aufbäumende, bewaldete Flanke mit Kuppen wahrzunehmen. Hervorstechend ist der Wasserfall des Ri di Froda, welcher aus dem Valle Santa Petronilla in die Tiefe brescht. Doch dieses Gebiet war nicht immer so bewaldet. Jeder Quadratmeter wurde kultiviert. Du musst Dir einmal dieses Gebiet vor hundert Jahren vorstellen: Hektaren von Weideland für Kühe und Ziegen!
Umfassend werden in der Beschreibung von Moritz Vögeli die Wege beschrieben. Und zwar sehr speziell: Er beschreibt in seiner Logik alle Wege von und zur Capanna Cava UTOE. Somit auch die Wege von Biasca dorthin. Eine „Kleinigkeit“ von einigen tausend Höhenmetern. Ebenfalls sehr instruktiv ist sein Panorama der Monti di Biasca, welches er von der Gegenseite her aufgenommen hat.
Frank Seeger gibt in seiner Beschreibung von Alpi Ticinesi sehr detailliert und umfassend das umfassende Wegenetz oberhalb Biasca wieder.
Nach dem HIKR-Bericht von
lucama und
jimmy stand es für mich klar: Ich plante seit letzten Dezember den Aufstieg über Nadro, nachdem ich den von Santa Petronilla schon vor Jahren besucht habe. Nur eben dieser Höhenunterschied: 1300hm auf und ab. Ob ich dies wohl schaffe?
Start in Biasca 303m. Bitter kalt bei Nordföhn. Ich flaniere durch das geschichtsträchtige Städtchen (Bergsturz und Überschwemmung des Kulturlandes. Abtretung der Hauptstadt an Osogna. Armut, Bevölkerungsrückgang. Langsame Erholung auch dank SBB) und hinauf zur allerorts sichtbaren romanischen Biasca Alte Kirche Pt. 345 oberhalb der neueren, achteckigen.
Direkt auf der gleichen Rippe des Friedhofes führt ein nicht markiertes Weglein in den Wald hinein zur Schutzmauer des Flüsschens hinauf. Ich quere diese auf die Nordseite desselben und folge dem gut unterhaltenen Pfad über ehemaliges Weidegelände bis zur 1. Brücke auf etwa 480m. Auf der Südseite des Flusses wieder in Kehren weiter. Nach etwa 50hm auf der 2. Brücke zurück auf die Nordseite und zu einem etwas speziellen Haus im untersten Teil von Pizzigüd. Direkt dahinter beginnt die erste Treppe, welche einen gletschergeschliffenen Felsen überwindet. Zuerst steil, dann ohne wesentliche Steigung in den Graben des Flüsschens hinein zur 3. Brücke auf 640m. Hinüber zur Südseite des Flüsschens.
Was nun beginnt ist absolutes Highlight. In gekonnt erstellten Treppenanlagen windet sich der Weg beinahe senkrecht in den Wald hinauf. Eine Rippe ausnützend erreicht der Pfad Bedra del Vent 852m, welche tatsächlich auf einem kleinen Plateau seine Existenz gefunden hat. „För es Hämpfeli Heu“ kommt mir unweigerlich in den Sinn. Das Haus ist statthaft und sehr gut imstande. Den Anbindemöglichkeiten zu entnehmen konnten hier etwa 40 Ziegen gestallt werden. Riesengrosser Heustock. Offen und wegen der Kälte willkommener Unterstand.
Nach einer Verschnauf- (Pfeifen-) Pause ziehe ich weiter. Über riesige Treppenanlagen erreiche ich schliesslich Nadro 1180m. Erlösender Sonnenschein. Bei den Seilbahn-Masten blicke ich beinahe 900m in die Tiefe nach Biasca. Darüber die mir bekannten Täler Val Moleno – Val di Lodrino – Val d’Iragna – Val d’Ambra. Mittagessen Menü 1, zum Dessert Nussringli und feine Birne, im Windschatten des neu ausgebauten Hauses auf dem Balkon (Grazie per la sedia).
Hangwärts sehe ich eine imposante Felswand von etwa 100m Höhe. Darauf ein Steinhüttchen. Da hinauf soll mein Weg gehen? Das unterste Haus von Piansgèra 1409m ! Die Kuppe von Nadro – welche man auch sehr gut von Biasca her erkennen kann – ist eine etwa 2 ha grosse teils horizontale Weide mit gut erhaltenen Häusern. Über diese erreiche ich einen kleinen Pass, welcher auf 1280m ins Valle Santa Petronilla hinein führt. In leichtem Auf und Ab – quasi horizontal – werde ich bequem bis beinahe an den Ri Froda geführt. Alles Weideland und immer noch bestossen (Ziegen?). Unübersehbar schwenkt der jetzt sehr gute Weg bei einem gelben „T“ nach links hoch ab. Man glaubt sich in einer andern Welt hier oben. Von „unten“ würde man diese grosszügigen nicht allzu steilen Weiden nie erwarten! So erreiche ich mit einem „T2-Weg“ den Top der Felswand und die schön ausgebauten „Villen“ in Balkon-Lage. Brunnen mit fliessend Wasser. Ich ersteige über die mit Krokussen übersäten Wiesen die Fahrstrasse der Alpe di Compiett, welche unter 50cm Schnee liegt. Der VW ist immer noch dort. Ein Markenzeichen? Ein Mahnmal? Wie es auch sei: Den ganzen Anlagen soll das Val Pontirone zur Sömmerung des Vieh Vorrang gegeben worden sein. Ein Politikum ersten Ranges. Oder praktische Erwägungen?
Die Schneedecke auf der Strasse ist hart. So gleite ich angenehm nach Canvasgia 1246m zur Bergstation der Materialtransportbahn hinunter. Rot/weiss-markierter Wanderweg. Gleich unterhalb verpasse ich den Wanderweg und mache eine sehr lohnenswerte Schlaufe (siehe Karte). Zurück auf dem Wanderweg hinunter nach Monte del Trèdas 1020m (Brunnen mit fliessend Wasser).
Welch ein schöner Frühlingstag. Welch kräftige Sonnenstrahlen auf den Krokuswiesen und den blühenden Kirschbäumen! Hinunter über Pianezza 869m nach Fracion 588m über nicht enden wollende Steintreppen gigantischen Ausmasses.
Das Schlimmste ist nun überstanden. Der markierte Wanderweg über Palai 400m zu Biasca Alte Kirche Pt. 345m schlängelt sich dem Hand entlang. Durch die Gassen von Biasca 303m zurück zum Parkplatz.
Ich habe es tatsächlich geschafft und bin etwas angeschlagen: Meine Knie haben zwar einige Stunden nicht mehr mit mir gesprochen und der Muskelkater ist am nächsten Tag wohl spürbar. Alles geht vorüber. Doch die Erinnerungen an diese Welt oberhalb Biasca wird bleiben. Es hat sich gelohnt.
Etwas Schwindelfreiheit ist sicher Voraussetzung für diese einmalige Tour in ein aussergewöhnliches Gebiet.
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