Val Bavona/Val Calnegia – Der „Kuh-Weg“ zur Alpe Crosa


Publiziert von Seeger , 28. Mai 2013 um 10:30.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum:27 Mai 2013
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Pizzo Biela   Gruppo Pizzo Solögna 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1383 m
Abstieg: 1383 m
Strecke:14.1km: Foroglio 684m – Puntid 890m – Gerra 1045 – Calnegia 1108m – Runsgia 1508m – Gradisc 1703m – Crosa, Corte Grande 1903m – gleicher Weg zurück (ohne Rungia)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Ö.V.: FART von Locarno nach Bignasco – Im Sommer Busverbindungen ins Bavonatal. Auto: Locarno – Vallemaggia bis Bignasco – nach der Brücke direkt nach links Richtung Val Bavona – Foroglio (genügend gebührenfreie Parkplätze)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:item
Unterkunftmöglichkeiten:Hotel La Posta und Turisti in Bignasco. Einkehr: Restaurant Baloi, Fontana (neue einheimische Bewirtung) mit hübscher Pergola und typischen Tessiner Spezialitäten. Im Sommer 7 Tage offen. In Foroglio: La Froda.
Kartennummer:1271 Basodino, Alpi di Val Bavona (Giuseppe Brenna)

Das Val Bavona und somit dessen Seitental, das Val Calnegia, ist sehr gut dokumentiert. Einesteils durch das vergriffene Buch von Aldo und Nora Cattaneo „Storie e sentieri di Val Bavona“ (Texte grob übersetzt kursiv, fett) , andernteils durch das ausserordentliche Werk von Giuseppe Brenna „Alpi di Val Bavona“.
Ziel meiner heutigen Wanderung ist das Nachvollziehen der Beschreibung einer betagten Frau, welche als Kind beim Alpauf- und -rückzug (Transhumanza) mitarbeitete.
„Meine Familie bewirtschaftete die Alpe Crosa und ich habe als 5- bis 16-Jährige den Sommer da oben verbracht. In groben Zügen war der Ablauf wie folgt: Am 1. Juli stieg man von Gerra nach Runsgia (erste Alp) auf und blieb dort bis zum 16-17 Juli.“
Ich starte in Foroglio 684m nach einem ausgedehnten Schwatz und steige den interessanten rot/weiss-markierten Weg an der Kapelle vorbei rechts des Wasserfalles über diesen hinaus nach Puntid 890m. Warm und schön. Einer der wenigen Frühlingstage. Über die jahrhundertalte Bogenbrücke hinüber auf die orographisch rechte Seite des Fiume, begleitet vom mächtigen Rauschen nach Gerra 1045m. Weiter nach Calnegia 1108m. Neu sind hier Ammenkühe mit Stier (gutmütig) und Kälber am Weiden. Riesen Dinger, wenn man bedenkt, wie klein die Kühe in den 1920iger Jahren waren.
Es braucht keine grosse Vorstellungskraft, sich die Überschreitung des Flusses zwischen Calnegia und der Aufstieg auf dem steilen und exponierten Weg nach Runsgia 1508m(Runtscha) mit Kühen vorzustellen. In vier Wochen wäre der Termin! Lawinenschnee-Reste und hoher Wasserstand. Nun ja – es ging ohne nasse Socken, aber dennoch einer rechten Beule am linken Schienbein. Dieser verflixte Bach….
Auf hunderten von (teils übergrossen) Tritten (Gradisc = Stufenanlage) steige ich zügig bis auf etwa 1530m, wo die Abzweigung nach rechts mit einem Holzpfeil „Rongia“ markiert ist. Der horizontale Weg ist chaotisch, aber die Hütte unterhalten und abgeschlossen, mit einem fremdländischen Touch und fliessend Wasser. Und da verbrachte man also zwei bis drei Wochen: 3 – 4 Personen in diesem 3x3m Innenraum. Käsekessi, Tisch, Hocker, Bettstatt…
"Die zweite Verschiebung führte nach Corte Grande, welches alles andere wie „grandig“ war. Die Hütte ist an eine Geröllhalde angelehnt am Fusse der Gegend Val e Rì. "
Zurück zum markierten Weg und wieder mühsames Hinaufschnauben nach Gradisc 1703m. Ich habe diesen Weg gewählt, da der Originalweg auf der andern Seite des Grabens unauffindbar war.
Auf dem Wanderweg steige ich bis auf 1830m (Höhenmesser nicht vergessen). Dort beschreibt Giuseppe Brenna exakt den Eintritt in den Crosa-Graben, welcher auf dieser Höhe dank Schutt und Geröll auch bei Hochwasser überschritten (-klettert) werden kann. Der Fluss läuft zur Hauptsache unterirdisch. Auf der Gegenseite ist eine an den Felsriegel handgezimmerte Holzleiter (Schwalbenschwanz-Verbindungen!) angelehnt, welche leider den Winter nicht überstanden hat. Trotzdem kann diese Stelle rechts herum leicht umgangen werden. Den weissen Bändel und wenigen Zeugen vom alten Weg entlang über polierte Felsbuckel nach Crosa, Corte Grande 1903m.
Diese beiden rund 50m übereinander liegenden winzig kleinen Steinhüttchen, deren Eingang gut 150cm hoch ist, sind identisch und an die mächtige Fels- und Geröllhalde angelehnt. Im unteren Häuschen wurde ein Felsbrocken gleich miteinbezogen. Unvorstellbar, zu viert 14 Tage hier zu hausen, käsen….
Für mich ist hier Ende Transhumanza. Ich kehre auf dem gleichen Weg zurück. Für die Erzählerin geht der Sommer weiter:
"Ende Juli verschoben wir uns auf Mött und da oben wurde die Gegend lieblicher. Die Weiden waren weniger steil und um die Ziegen für das Melken zusammen zu treiben genügte es, wenig über die Hütte aufzusteigen bis man den See sah. Mit wenigen Rufen, welche vom Echo stark unterstützt wurden, versammelte man die Herde weniger mühsam wie unten. (…). Alles in Allem hatte der Corte die Mött eine spezielle Faszination, da er dem Wind und Gewitter ausgesetzt war. Ich erinnere mich noch an die Zerstörungen durch die Blitze, welche vom Madone di Formazöö herab donnerten. Die Hütte machte nicht den Eindruck sehr solid zu sein und öfters hörte jemand Zeichen von bevorstehendem Einsturz. Und dennoch vergingen 50 Jahre nach der Weissagung und die Hütte ist immer noch da und trotzt bestens den grossen Schneestürmen von dort oben.
Gegen den 10-12. August folgte der letzte Exodus gegen Piènsgia, eine ruhige Alp unterhalb der Bocchetta di Nassa. Man ging an den See um die Wäsche zu machen, weil jeweils das Wasser der kleinen Quelle versiegt war. Hier war eine den Kühen sehr bekömmliche Weide und man bekam eine spezielle Butter.
Nach dem 20. August stieg man nach Corte Grande und nach Rungia ab. Am 1. September erreichte man Gerra."
Nach einem eindrücklichen Tag kehre ich nach Foroglio zurück.
Gedankenversunken. Ich sehe dieses „Tal der Touris“ nochmals in einem andern Licht. Für mich sind die Älpler von damals tapfere Helden!
Ohne Glanz und Gloria. 

Tourengänger: Seeger
Communities: Ticino Selvaggio


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Kommentare (8)


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Speleoalp hat gesagt:
Gesendet am 28. Mai 2013 um 10:40
Fantastiche foto, bellissime. E meravigliosi luoghi ;-)) Complimenti

Seeger hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Mai 2013 um 11:33
Grazie. Era un piacere :-))
Saluti
Andreas

hilti hat gesagt: Merci
Gesendet am 28. Mai 2013 um 22:18
Besten Dank für Deinen interessanten Bericht und die schönen Bilder. Ich war letztes Jahr im Tal, und zwar von Piano delle Creste - B. della Crosa - Laghetti di Crosa herkommend. Auch ich war hingerissen von der Ursprünglichkeit und Schönheit des Tales, war voller Bewunderung für die Leistungen der Altvorderen beim Bau der Steintreppen. Wie die das schaffen konnten ist mir ein Rätsel bei ihrer kümmerlichen Nahrung. Gruss René

PS Ich bin ein eifriger Leser Deiner stets aufschlussreichen Tourenbeschriebe.

Seeger hat gesagt: RE:Merci
Gesendet am 28. Mai 2013 um 23:10
Ciao René
Danke für Dein Interesse.
Was ich nicht erwähnte ist, dass ein grosser Teil der Steintreppen (die mit den hohen Tritten) von einem Adhoc-Trupp von Arbeitslosen erstellt wurde, welche im Splüi von Gradisc hausten!
Auch diese Leistung Ende 20. Jahrhundert ist ausserordentlich und bemerkenswert.
Gruss
Andreas

Barna10 hat gesagt: Danke
Gesendet am 29. Mai 2013 um 15:39
Toll Deine kursiven "Übersetzungen". Mit viel Gefühl.

Bis bald

Seeger hat gesagt: RE:Danke
Gesendet am 29. Mai 2013 um 17:02
Ciao Barna10
Danke.
Machte auch Spass, an diesen Regentagen sich in die Materie einzulesen.
Hoffe, dass ich morgen im Val Calnegia eine weitere Alp besuchen kann.
Gruss
Andreas

mountain hat gesagt:
Gesendet am 31. Mai 2013 um 21:38
Vielen Dank für deine Berichte aus dem Val Calnegia und Val Bavona. Es weckt bei mir Erinnerungen fast 20 Jahre zurück. Ich war mit der Familie im Tessin von Hütte zu Hütte unterwegs. Wir kamen von der Piana della Creste und sind dann runter ins Val Bavona. Es war vorallem für die Kinder faszinierend. Wir sind dann im Tal geblieben und haben dann die noch bestehenden Alpen besucht, sowie einen ganzen Tag im Val Calnegia rumgeturnt. Es war grandios. Dein Bericht erinnert an solche Tage und sagt mir, geh wieder hin und staune.
Liebe Gruess Franz

Seeger hat gesagt: RE:
Gesendet am 31. Mai 2013 um 22:01
Ciao Franz
Dein Kommentar hat mich sehr gefreut. Ich kann mir vorstellen, was Kinder alles entdecken können in diesem Tal :-))
Und eben auch wir grosse Kinder.
Gruss
Andreas


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