Frühlingserwachen am Urmiberg (Bützi, Stockflue, Zünggelenflue)


Publiziert von Fico , 16. April 2013 um 00:25.

Region: Welt » Schweiz » Schwyz
Tour Datum:14 April 2013
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Rigigebiet   CH-SZ 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 957 m
Abstieg: 940 m
Strecke:Brunnen SBB-Bützi-Stockflue-P.1198-Brunnersgrätli-Ränggen-Zünggelenflue-Schwyz SBB
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Brunnen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Schwyz
Kartennummer:1151 (Rigi), 1152 (Ibergeregg)

Höhepunkt der Tour war für mich zweifellos die Zünggelenflue. Bützi und Stockflue kannte ich bereits vom letzten Sommer - einzig der direkte Aufstieg vom Hüttli zum Gipfel hatte noch den abenteuerlichen Reiz des Unbekannten. Die Zünggelenflue ist vermutlich die wildeste und einsamste Gegend im ganzen Rigi-Gebiet. Unverfälschte Natur vom Anfang bis fast ans Ende, wenn man sie von Westen nach Osten durchquert. Eine Art Naturschutzgebiet, dessen Grenzen die Natur selbst geschaffen hat und womit sie den Menschen fernhält: der tiefe Grateinschnitt gegen Westen (an dem auch ich fast gescheitert wäre), das endlos anmutende, unwegsame Gelände gegen Osten.

Wer möglichst schnell vom Ausgangspunkt zum Ziel will, ist hier am falschen Ort. Dem Wanderer jedoch, der Zeit und Musse hat, öffnet sich die Natur in ihrer mystischen Schönheit. Oben auf der Zünggelenflue scheint die Zeit stillzustehen. Die toten Bäume modern friedlich vor sich hin, die jungen und kräftigen bieten dem Gast einen sicheren Halt. Die grossen, bemoosten Steine strahlen die Energie der Erde aus. Ein Ort der Kraft im esoterischen Sinne. Nach dem besinnlichen Verweilen auf dem Gipfel der Zünggelenflue war meine Müdigkeit wie weggeblasen. Zugegeben, gleichzeitig hatte ich auch meinen Durst gelöscht.


Der Zeitpunkt für die Tour ist geradezu ideal: noch vor der Vegetationsperiode, aber wenn die Hänge bereits schneefrei sind. Da noch nicht vom Blätterwerk behindert, ist vermutlich auch die Aussicht deutlich besser als im Sommer.

Der Weg vom Bahnhof Brunnen aufs Bützi (917 m) ist so gut beschildert, dass man ihn fast nicht verfehlen kann. Ausser man geht - wie ich - nach dem Beginn der weiss-blau-weissen Markierungen aufwärts, ohne weiter auf diese zu achten, und landet dann irgendwo auf der oberen Strasse, so dass man zuerst nach dem Anschlusswegweiser Ausschau halten muss. Auf dem Gipfel des Bützi suche ich - ich traue mich kaum, nach dem langen Winter, es zu schreiben - bereits den Schatten. Die so lange vermisste Sonne brennt mit fast frühsommerlicher Kraft vom wolkenlosen Himmel.

Vor dem Weiterweg ziehe ich das Klettersteigset an. Keine zwingende Notwendigkeit, aber es vermittelt ein Gefühl von Sicherheit beim fast senkrechten Abstieg. Nach einem Stück im Wald folgt die leichte Genusskletterei den weiss-blau-weissen Markierungen entlang und in bestem Fels. Für den Schlussaufstieg  weiss ich inzwischen, aufgrund der Hikr-Berichte, um die unmarkierte Alternative hinter dem Hüttli. Zwar ist es dort ein wenig steiler und luftiger als zuvor, doch wer die erste Stufe nach dem Felsen, der mit einem Drahtseil festgebunden ist, hinter sich hat, schafft problemlos auch den Rest bis zum Gipfel. Schwindelfreiheit ist jedoch Voraussetzung. Um die Mittagszeit hat es auf der Stockflue (1137 m) mehr als ein halbes Dutzend Leute. Eigentlich nicht viel, angesichts des traumhaften Wetters an diesem ersten, wirklichen Frühlingstag.

Die Fortsetzung der Tour auf die Zünggelenflue führt über P. 1198 und den Brunniberg (1253 m). Dort begegne ich einem Ehepaar. Sie seien "von Ibach her übers Brunnisgrätli, wie wir hier sagen, gekommen", erzählt die Frau. Nun weiss ich, wie die Einheimischen den wunderschönen Grat nennen, der - teilweise schmal und ausgesetzt - nach Ränggen (930 m) hinab führt. Es ist fast wie auf der Lägern oder im Tösstal, nur viel einsamer. Die beiden auf dem Brunniberg und noch ein Wanderer, später auf dem Weg zur Zünggelenflue, sind die einzigen Menschen, denen ich begegne, bevor ich bei Seewen den Wald verlasse.

Für die Vorbereitung der Tour leisteten mir die verschiedenen Hikr-Berichte eine wertvolle Hilfe. So wusste ich rechtzeitig, was mich auf dem Zünggelen-Grat erwarten würde. Beim bekannten Einschnitt ohne jede Sicherung hinabzuklettern, schien mir zu riskant. Also holte ich am Vortag ein altes Bergseil vom Estrich herunter, schnitt es in der Hälfte entzwei und packte die 20 Meter Seil in den Rucksack. Während der Tour, kaum bin ich nach dem Wegweiser bei Ränggen auf dem Grat angelangt, befestige ich das Seil mit einem Achterknoten, wie ich es erst kürzlich in einem Tageskletterkurs gelernt habe, am Klettergurt. Dann mache ich mich auf die Suche nach dem Bäumchen, das ich zum Abseilen benötigen würde.

Von oben herab ist die Perspektive bekanntlich eine andere als von unten und Bäumchen hat es hier deutlich mehr als eines. So gehe ich bis dorthin, wo der Grat jäh abbricht und nehme halt das erstbeste Bäumchen, um das ich das Seil schlinge, mit dem nun mein Schicksal verknüpft ist. Weiter unten entdecke ich ein weiteres Bäumchen, an dem ein Stück Seil befestigt ist. Aha, denke ich mir, das ist jetzt wohl das richtige Bäumchen. Ausserdem ist mein Seil bereits festgeklemmt, so dass ich wieder hochklettern muss. Das Seil wieder eingezogen, steige ich - nun zwangsläufig ungesichert - zum zweiten Bäumchen hinab. Dort wiederhole ich das Ganze, bis ich beim besten Willen keine Tritte mehr finden kann. Ausserdem schätze ich, dass die Luftlinie zwischen meinen Füssen und dem festen Boden bedeutend länger ist als die Distanz, die ich gemäss Foto im Kopf habe.

"Da komme ich ja gar nicht mehr weiter!", höre ich jemanden rufen. Ein Wanderer schaut verduzt auf den Grat, der sich hier im Nichts verliert, dann verschwindet er wieder. Auch ich bin im Begriff aufzugeben, als ich bemerke, dass ich mich ein Stück weit vom höchsten Punkt des Einschnittes weg befinde. Mühsam klettere ich wieder auf den Grat und mache mich nochmals auf die Suche nach dem rettenden Bäumchen. Nun entdecke ich plötzlich die kaum sichtbare Wegspur, die schnurstracks zum gesuchten Objekt führt. Hier scheint es machbar, also wage ich einen letzten Versuch, der dann tatsächlich gelingt. Dass ich für die ganze Übung eine gute Stunde gebraucht habe, sei nur am Rande bemerkt. Ebenso, dass im Klettergarten alles viel einfacher war...

Glücklich, dass es doch noch geklappt hat, klettere ich auf der gegenüberliegenden Seite wieder auf den Grat. An den Felsen ist eine dicke Packschnur (!) befestigt, die mehr hinderlich als nützlich und als Aufstiegshilfe kaum zu gebrauchen  ist. Die Schwierigkeiten bewegen sich im geschätzten II. Grad. Im weiteren Verlauf hat es noch einige kleinere Aufschwünge, die überklettert werden könnten. Doch allmählich bin ich des Kraxelns überdrüssig, so dass ich fast alle auslasse. Aufgrund des angrenzenden, südwestlichen Abbruchs ist der Gipfel der Zünggelenflue gut zu erkennen. Am (vermuteten) höchsten Punkt befinden sich drei Bäume als Ersatz für das übliche Gipfelkreuz. Herumliegende Steine, um ein Gipfelmannli zu bauen, finde ich keine. Diejenigen, die ich antreffe, sind bemoost und scheinen mit dem Berg fest verwachsen. Ein paar Schritte südwärts, gegen die Abbruchkante hin, öffnet sich ein bilderbuchhaftes Panorama, möglicherweise sogar eine der schönsten Aussichten auf den Urnersee überhaupt, da sich dieser nun in direkter, südlicher Linie befindet.

Eine Weile noch bleibe ich an diesem Ort der bemoosten Steine und der zeitlosen Bäume, die nach ihrem Ableben zahlreichen andern Wesen als Lebensraum dienen, während gleich daneben die jungen Bäume heranwachsen. Hier herrscht eine harmonische Stimmung tiefsten Friedens. Ich fühle mich als Gast in einer fremden Welt und wenn ich beim Abstieg immer wieder dürre Äste abbrechen muss, die mich am Vorankommen hindern, komme ich mir vor wie ein Eindringling - der Mensch, der eindringt und zerstört. Ein eindeutiger Wegverlauf ist selten auszumachen. Eher sind es Tierspuren, denen man folgt, bis sie sich wieder verlieren. Immer wieder hat es auch kleinere, aber harmlose Kraxelstellen, die zu bewältigen sind. Das Gelände ist steil und unwegsam. Irgendwo, schätzungsweise auf halber Höhe befindet sich ein Unterstand. Das erste Zeichen menschlicher Zivilisation und kurz darauf das nächste: ein Gemetzel, das die Motorsäge angerichtet hat. Kein schönes Bild! Warum muss der Mensch die Totenruhe der Bäume stören, wenn er sie dann doch liegenlässt?

Je weiter ich dem Gratverlauf folgend hinabkomme, desto lauter dringt der Lärm der nahen Autobahn herauf. Es hört sich an wie ein Autorennen! Einige hundert Höhenmeter sind noch zu bewältigen, bis ich den Wald verlasse und auf dem Fahrweg ankomme. Dann folge ich den gelben Wegweisern, die direkt zum Bahnhof Schwyz führen. Dort endet diese lohnende, aber nicht zu unterschätzende Tour.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (1)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 11. Oktober 2013 um 08:50
und wieder so ein persönlicher, überaus ansprechender Bericht!

lg, Felix


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