Zünggelenflue - Rigi Hochflue: Sturmwind, Zeckenduell und die liebe Zeit


Publiziert von Maisander , 28. Oktober 2013 um 21:33.

Region: Welt » Schweiz » Schwyz
Tour Datum:25 Oktober 2013
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Rigigebiet   CH-SZ 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1600 m
Strecke:Bahnhof Schwyz - Zünggelenflue - Brunniberg - Gottertli - Rigi Hochflue - Bärfallen - Brunnen
Zufahrt zum Ausgangspunkt:SBB - Bahnhof Schwyz
Zufahrt zum Ankunftspunkt:SBB - Bahnhof Brunnen
Kartennummer:1151 / 1152

Mein Beruf erlaubt mir ja ein komfortables (also spätes) Aufstehen, was ich regelmässig genüsslich ausnutze. Heute beispielsweise habe ich erst am frühen Nachmittag einen Termin. Weil das Wetter aber so prächtig mitspielt, will ich seit langem wieder mal früh raus für eine Wanderung. Ich plane alles minutiös, insbesondere was die Zeiteinteilung angeht; lege Proviant und Ausrüstung schön zurecht, damit ich - selbsternannter Morgenmuffel - dann im Halbschlaf nur noch meine Sachen schnappen und raus kann.
 
Der Wecker klingelt um sechs Uhr morgens, erstaunlich leicht fällt mir für einmal das Aufstehen. Als ich zum Fenster raus schaue, bin ich schon etwas verdutzt, dass es noch stockdunkel ist. Doch bis zum Start meiner Wanderung kurz nach sieben wird es dann wohl hell sein, denke ich selbstsicher. Doch nix da! Als ich in Schwyz aus dem Zug steige, hat gerade erst die Morgendämmerung eingesetzt. Na toll! Der Einstieg in den Wald der Zünggelenflue sei ja sowieso nicht ganz einfach zu finden; das kann unter diesen Umständen ziemlich heiter werden...
 
Ich muss über mich selbst lachen, ist doch die unerwartete Dunkelheit ein untrüglicher Hinweis darauf, dass ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr zur goldenen Morgenstunde aufgestanden bin. Jeder halbwegs normale Mensch dürfte wissen, dass zu dieser fortgeschrittenen Jahreszeit auch der Tagesanbruch später stattfindet, doch meine ansonsten umsichtige Planung hat diesen Umstand elegant vernachlässigt.
 
Item, das Lachen sollte mir bald vergehen: Ich wandere zunächst in nordwestlicher Richtung durch Seewen, bis ich an einer gediegenen Fussgängerunterführung stehe. Da ich aber keinen entsprechenden Hinweis auf den Wanderwegtafeln ausmachen kann, benutze ich diese nicht und gehe weiter der Strasse entlang, in der Hoffnung, die „richtige“ Unterführung werde dann noch kommen. Zuletzt lande ich in einem Industriequartier und das untrügliche Gefühl überkommt mich, nun doch etwas weit von meiner geplanten Route abgekommen zu sein. Also alles wieder zurück und durch die besagte Unterführung. Immerhin ist jetzt schon so was wie Tageslicht auszumachen.
Jenseits der Bahnlinie dann die ersehnte Wegtafel mit der Aufschrift Husmatt. Unter der Autobahn durch bis zu einer Abzweigung, wo ein Wegweiser den „Rundweg“ ankündigt. Da rechts auf einem Forstweg in den Wald hinein, aber nach wenigen Metern, beim Strommasten, gleich wieder links hoch, wo ich das Aufforstungsgebiet betrete. Aus einigen Berichten weiss ich, dass man dieses durchqueren muss. Das tue ich schön brav, finde aber beim besten Willen keinen Ausgang über den mannshohen Zaun. Eine gefühlte Ewigkeit irre ich in diesem Gehege herum, Schuhe und Hosen mittlerweile durchnässt vom Morgentau. Der Verzweiflung nahe, sehe ich am Ende nur noch einen Ausweg, nämlich den Zaun an der Stelle zu übersteigen, wo er ein klein wenig niedergedrückt ist. Das ist ausserordentlich mühsam und führt als Belohnung in dichtes Gestrüpp hinein. Doch siehe da: ein paar Äste weggedrückt, und schon taucht eine Art Tunnel auf, welcher durch das Gewächs in lichteren Wald leitet. Die Odyssee bis hierher kostet mich viel Zeit, und da ich mir doch einen strengen Zeitplan zurecht gelegt habe, sehe ich mich arg in Bedrängnis. Wenigstens ist es jetzt definitiv hell geworden!
 
Ziemlich zügig steige ich den Wald empor, was wegen Jungwuchs und glitschigem Boden nicht immer einfach ist. Tritt man zudem ungünstig auf am Boden herumliegende Äste, kann dies den einen oder anderen schmerzhaften Nippelzwicker zur Folge haben. Während des Aufstiegs erhasche ich zahlreiche Wildtiere, neben Rehen meine ich, einen Hirsch mit stattlichem Geweih gesehen zu haben. Auch sonst treibt sich im Geäst spezielles Getier herum: Plötzlich landet eine Art Flugzecke auf meinem Arm, krabbelt wild herum, und ehe ich sie lässig fortspicken will, beisst sie sich in der Haut fest! Weh tut das zwar keineswegs, doch weg bringe ich sie nun nicht mehr! Am Ende muss ich das arme Tier zerdrücken und mit präzisem Zangengriff herausziehen. So was hab ich auch noch nie erlebt! Nebst der Flugversion gibt es hier selbstverständlich auch die angestammte flügellose Ausführung der Zecke, die es ebenfalls ein paar Mal auf mein Revier schafft. In diesem Wald ist also Vorsicht geboten!
 
Mit zunehmender Höhe wird das Gelände zum Glück flacher und wohlwollender, ganz selten sind Wegspuren auszumachen. Hält man sich an den Grat, kann eigentlich nichts schief gehen. Einmal gehts dann nicht mehr weiter, was heisst, dass ich mich auf der Zünggelenflue befinden muss. Die Aussicht durch den Wald hinaus auf den See ist schon ganz reizvoll. Nun ein paar Schritte nach rechts, dann wieder durchwegs dem Grat folgen. Eine knifflige Stufe lässt sich fantasievoll an einem Baum abklettern. Die letzte Erhebung vor dem Ränggen wird durch eine Scharte markiert. Ein verwittertes Schnüerli hilft da kaum beim Abstieg, und besonders der Wiederaufstieg ist nicht ganz ohne: für mich kratzt die Überwindung dieser kleinen Wand an der T6-Marke mit II-er Stelle. Müsste ich hier abklettern, dann kaum ohne Seil. Anscheinend könnte man das Felsband südlich umgehen, ich meine, eine Wegspur führt von der Scharte links hinab.
 
Mit dem steten Auf und Ab hinke ich dem Zeitplan natürlich immer noch weit hinterher. Auf einer angenehmen Wegspur, einst weiss-rot-weiss markiert, gehts auf das Brunnisgrätli. Der Wind nimmt merklich zu, wahrscheinlich ist es Föhn, doch wirklich wohlig warm ist der keineswegs. Ab dem Sättelchen P. 1198m bewege ich mich heute erstmals auf offiziellen Pfaden; zügig marschiere ich weiter übers Gottertli, wo eine Schulklasse die Aussichtsplattform in Beschlag genommen hat. 10.10h zeigt die Uhr auf der Egg, eine Stunde und zehn Minuten sind es gemäss Wegweiser auf die Hochflue, um 12.08h fährt mein Zug in Brunnen. Ich beginne zu rechnen: der Aufstieg müsste in der Hälfte der veranschlagten Zeit zu schaffen sein, dann eine kleine Pause oben und eine gute Stunde für den Abstieg. Jetzt gemütlich zu Tale oder sportliche Challenge über die Fluh?
 
Der Berg packt mich, auf gehts! Die Route auf die Hochflue ist spannend und anscheinend oft begangen. An allen potenziell heiklen Stellen sind Sicherungen angebracht. Gerade der Ausstieg auf den Gipfelgrat ist aber sehr steil und ausgesetzt und verlangt nochmals volle Konzentration. Zudem bläst mich der Wind fast vom Grat weg.
 
Erleichtert stelle ich dann mit Blick auf die Uhr beim Gipfelkreuz fest, dass es sogar noch einige Minuten schneller ging als erwartet. Das gestattet mir eine für heutige Verhältnisse schon fast grosszügige Pause mit vollumfänglichen Panoramagenuss, Gipfelschwatz mit einem anderen Wanderer und köstlicher Verpflegung. Als ich mir ein Stück Käse abschneiden will, gibts eine weitere Überraschung: Auf meiner Hand sehe ich eine Zecke rumkrabbeln! Während ich mich schon längst ausserhalb der Gefahrenzone wähne, hat es sich dieses heimlifeisse Sauviech wohl irgendwo auf meinem Shirt gemütlich gemacht, eine günstige Gelegenheit abgewartet und startet nun zum Angriff. Das folgende Duell verläuft glücklicherweise zu meinen Gunsten, vermutlich war der Grössenunterschied matchentscheidend.
 
Im ganzen Trubel rückt natürlich die Zeit in den Hintergrund. Als ich auf die Uhr schaue, bleibt mir genau eine Stunde bis zur Abfahrt des Zuges in Brunnen. Gerade zu Beginn des Abstiegs verbiete ich mir aber jede Eile, der Weg verlangt Vorsicht. Sobald sich das Gelände mässigt, ist ein bisschen Sau-Rauslassen erlaubt. Ironischerweise weiss die Natur mir gleich wieder ein Schnippchen zu schlagen: Der Wind hat eine Unmenge an Laub in die Ausbuchtungen des Weges befördert und somit das Profil geglättet. In den steilen Waldpartien hätte dies heimtückische Ausrutscher zur Folge; ich sehe mich gezwungen, das Tempo zu drosseln. Vom angepeilten Zug verabschiede ich mich schon mal innerlich, doch ehe ich die Hoffnung aufgebe, wird der Weg ab Bärfallen breiter und besser begehbar. Jetzt noch einmal alles geben bis Brunnen, zuletzt auf nicht gerade gelenkschonender Teerstrasse zum Dorfeingang runterpoltern. Bei der Holzbrücke ein erlösender Blick auf die Uhr: fünfzig Minuten benötigte ich von der Hochflue bis hierher; es wird auf den Zug reichen, die letzten Meter lassen sich sogar noch in Spaziermanier zurücklegen. Zufrieden betätige ich den Türöffnungs-Knopf der Bahn, lasse mich in den Sessel sinken und denke darüber nach, was ich soeben vollbracht habe. Kann ich darauf stolz sein? Irgendwie nicht wirklich, hat doch Eile in den Bergen rein gar nichts verloren. Wo bleibt der genüssliche Aspekt und der Sinn für all die Schönheiten der Natur?
 
Ich hätte alles gegeben dafür, mich für ein Weilchen auf der sonnenbeschienenen Wiese bei Bärfallen hinzulegen und innezuhalten. Das wäre so ein friedvolles Plätzchen gewesen, eine Lichtung erfüllt mit tiefer Ruhe und Besinnlichkeit. Nur hatte ich heute keine Zeit dafür, und das bereue ich ungemein.
 
Natürlich hat das Speed-Wandern auch eine überaus sportliche und somit wieder genussvolle Seite, v.a. was das körperliche Erleben angeht. Hie und da mal eine knackige Challenge, ein bisschen Nervenkitzel, obs denn zum Termin reicht oder nicht, kann durchaus spassig sein. Und dennoch ist es nicht meine bevorzugte Art, in den Bergen unterwegs zu sein. Ist man gewissermassen süchtig nach der Höhe, gibt es halt manchmal nichts anderes, als auf diese Weise Beruf und Bergerlebnis unter einen Hut zu bringen.

Tourengänger: Maisander


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen

T5- II
T4
20 Sep 13
Zünggelenflue "light" · kopfsalat
T5 II
7 Apr 17
Rigi Hochflue via Hochflueplatten · carpintero
T5 II
T5 II K3-
17 Jun 12
Rigi-Hochflue 1698m · Bergmuzz
T5- II
T5-
21 Mai 11
Rigi-Gesamtüberschreitung · Bergamotte

Kommentar hinzufügen»