Wissgrätli (2866m)


Publiziert von أجنبي , 29. Januar 2013 um 23:02.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Valsertal
Tour Datum:25 Januar 2013
Ski Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR 
Aufstieg: 1370 m
Abstieg: 1920 m
Strecke:317a und 317b nach SAC-Führer “Skitouren Nordbünden”: Zervreila – P. 1864 – P. 1984 – Finsterbachstafel – P. 2261 – P. 2365 – Wissgrätli – P. 2565 – P. 2469 – P. 2383 – P. 2469 – P. 2565 – P. 2705 – retour auf 317a, dann Abfahrt auf Strasse bis Valé
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Zervreila
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Auto ab Zervreila bzw. Valé
Kartennummer:LK 1:50.000: 257 S Safiental, 267 S San Bernardino / LK 1:25.000: 1234 Vals, 1254 Hinterrhein

Für unseren ersten Tourentag im Bündnerland hatten wir uns das Fanellhorn vorgenommen. Als Plan B eignete sich das benachbarte Wissgrätli. Es war bitterkalt, als wir morgens um 8 Uhr als Einzige beim Berggasthaus Zervreila starteten. Anstatt blauen Himmels trafen wir auf Nebel mit Untergrenze auf ca. 2000m.

Bis zur Kapelle bei P. 1984 ging's zunächst einfach über das Strässchen. Kurz vor der Kapelle und somit am Ende der Wildruhezone bogen wir auf einer alten Aufstiegsspur Richtung Finsterbachstafel ab. Nach einer Weile erreichten wir den Steinmann bei P. 2261, die Sicht war nun auf einige Meter beschränkt. Nun gut, für etwas hatten wir ja Kompass und Karte dabei und die Aussicht auf baldiges Blau motivierte.

Nach einigen Schritten in die falsche Richtung bogen wir nach Südwesten ab und fanden den Bergrücken, welcher uns zu P. 2365 führen sollte. Und dort fanden wir dann auch den wolkenlosen Himmel. Die Berge rundherum schienen in einem Meer zu schwimmen und zum ersten Mal in einem Leben bekam ich das beeindruckende Zervreilahorn zu Gesicht. Was für eine Kante...!

Nächstes Ziel war die Lücke zwischen Bleschaturra und Wissgrätli. Unterhalb des Sattels wurde das Gelände steiler und das Spuren anstrengender. Wir stiegen mit grossen Abständen zum Grat auf, da wir dem Triebschnee nicht so recht trauten. Oben angekommen und endlich an der Sonne entdeckten wir Windfahnen in der Westflanke des Fanellhorns. Angesichts dessen und der Kälte beschlossen wir, Plan A aufzugeben und Plan B in Angriff zu nehmen: das Wissgrätli.

Zunächst über den Bergrücken und am Schluss durch dessen SO-Flanke gelang der Aufstieg problemlos. Nach drei Stunden erreichten wir den Gipfel. Das Panorama war an sich schon atemberaubend, doch mit dem Nebelmeer schaute die Sache noch exzellenter aus. Zudem: Weit und breit kein Mensch zu sehen ausser einem Snowboarder, der eine halbe Stunde nach uns auf dem Gipfel eintraf.

Für die Abfahrt hatten wir die traumhaften Pulverhänge zum Guraletschsee ins Auge gefasst, von wo wir auf Route 317b zurück nach Zervreila gelangen wollten. Obwohl der Nebel langsam stieg, lag die Schlüsselstelle nach P. 2383 noch darüber. Der Snowboarder kannte die Route bereits und so schlossen wir uns für die Abfahrt zusammen.

Der SO-Hang des Wissgrätli war schlicht perfekt: Luftigster Powder in rauhen Mengen, dazu die (für mich) optimale Steilheit. Bis P. 2383 folgten etwas kleinere, doch immer wieder genussvolle Hänge. Wir genossen es, die ersten Spuren in den Schnee zu legen und blickten der Tatsache, bald wieder in den Nebel abzutauchen wehmütig entgegen. Doch dazu sollte es noch lange nicht kommen...

Bei P. 2383 folgten wir zunächst der Nase unseres Begleiters, jedoch war sich dieser nun auch nicht mehr ganz sicher, wo genau es weiter ging. Ein Blick auf die Skitourenkarte zeigte: nach Westen und dann den steilen Hang der Seegruoba hinunter. Doch wo genau befand sich die Einfahrt? Wir hielten uns noch über den Felsbändern auf, also musste es westlich davon sein. Unter uns war nur noch Nebel zu sehen.

Wir traversierten in westlicher Richtung und ich fuhr vorsichtig in eine sanft geneigte Mulde ab, weil der Snowboarder dort den Einstieg in die Abfahrtsroute vermutete. Mal schauen gehen also. Irgendwas zwischen fünf und zehn Meter oberhalb eines Abgrundes stoppte ich. Weiter getraute ich mich nicht, unten sah ich keinen Boden. Dann kam meine Kollegin auch noch runter, um sich die Sache anzuschauen. Da war nix zu machen, also wieder hoch und noch weiter westlich weiter suchen.

Ich traversierte rückwärtsfahrend ein paar Meter und dann passierte es... Ein Riss quer durch den Hang und in grossen Blöcken glitt unter mir eine rund 40cm hohe und vielleicht 15m breite Schneeschicht ab. Ich realisierte sofort, was sich da ereignete und schrie meiner Kollegin zu: „Schneebrett!!! Weg hier!“. Der kleine Hang war wohl nur wenig mehr als 30° steil und das Abgleiten daher relativ langsam. Zum Glück, denn so gelang es mir, mich an Ort und Stelle zu halten. Ich wies meine Kollegin an, vorsichtig aufzusteigen und den Hang zu verlassen. Von ihr schien weniger Gefahr für mich auszugehen als umgekehrt. So blieb ich wohl rund zehn Minuten direkt an der Abrisskante liegen und wartete, bis sie aus dem Gefahrenbereich heraus war. Meine Skikanten drückte ich auf die Gleitfläche und hatte dadurch sehr guten Halt.

Wirklich gemütlich waren diese zehn Minuten nicht, denn ich fürchtete, dass oberhalb von mir der Hang auch noch abgleiten und mich über die Felskante in die Tiefe reissen könnte. Unterhalb von mir war die Bahn nun ja frei. Das wäre allenfalls überlebbar gewesen, denn extrem hoch sind die Felswände dort nicht. Gerade eine schöne Vorstellung war's trotzdem nicht. Weiter oben sah ich meine Freundin und den Snowboarder, welche in der Situation recht hilflos aussahen. Ausser zuschauen konnten sie soweit nichts tun.

Positiv war, dass ich (nicht zuletzt dank einiger Erfahrung mit tendenziell fatalen Situationen in Kriegsgebieten) in der ganzen Situation sehr, sehr ruhig und rational blieb. Ebenso meine Kollegin, die mittlerweile in Sicherheit war. Ich richtete mich auf und stieg Schritt um Schritt vorsichtig den Hang hoch. Es schien ewig zu dauern, ehe auch ich aus dem Gefahrenbereich heraus war. Uff, das war gerade noch gut gegangen...!

Nun, wie weiter? So sicher wir uns nach dem Schneebrett nun waren, wo die Route lang führen musste, so unsicher waren wir in der Beurteilung des steilen Seegruoba-Hangs. Der Abgang des Schneebretts war sicherlich durch die Lage direkt oberhalb einer Felskante begünstigt. Wir hatten uns zwar in leicht muldenförmigem Gelände befunden, doch nach neuem Triebschnee sah es nicht aus. Vielleicht eine eingeschneite Triebschneeschicht?

Der Snowboarder und ich traversierten nach Westen zur Einfahrt in den Hang, um uns die Sache aus der Nähe anzuschauen. Es galt, oberhalb von zwei nicht allzu grossen Felsköpfen weiter zu traversieren. Wir befürchteten, dass auch dort Gefahr lauerte und beschlossen den Rückzug. Der Hang war recht beeindruckend: mehrere hundert Meter hoch und ebenso breit. Dass wir nochmals anfellen und rund eine Stunde zum Sattel zwischen Wissgrätli und Bleschaturra aufsteigen mussten, spielte keine Rolle. Durfte es auch nicht, denn wenn wir uns der Sache nicht sicher waren, gab's schlicht keine Alternative zum Rückzug.

Einmal mehr bewährte es sich, früh gestartet zu sein, denn es blieb noch viel, viel Zeit. Das perfekte Wetter oberhalb der Nebelgrenze und die Aussicht auf ein paar weitere schöne Pulverhänge beflügelten mich, bis zum Sattel hoch zu spuren. Kurz nachdem ich diesen erreichte, schlich sich die Sonne hinter dem Wissgrätli aus dem Staub. Erst etwas weiter unten in der Abfahrt auf der Aufstiegsroute erhaschten wir noch ein paar letzte Sonnenstrahlen.

Im Nebel folgten wir unseren Aufstiegsspuren, denn viel gab's da nicht gerade zu sehen. Auf etwa 2200m erreichten wir die Nebeluntergrenze und fuhren über viele Geländebuckel hinunter zur Kapelle. Im Berggasthaus gab's zum ersten Mal seit vielen Stunden etwas Rundum-Wärme, was gut tat. Meine Freundin opferte sich, mit dem Auto ins Tal zu fahren, während meine Kollegin und ich die Strasse abfahren durften. Diese war im oberen Teil etwas flach, wurde aber nach der Umfahrung des Tunnels etwas steiler. Und ähm...: Auch auf der Tunnel-Umfahrung gibt's einen langen Tunnel – unbeleuchtet und ziemlich dunkel, doch als Schlittelpiste präpariert!

Nun, natürlich besprachen wir die Tour bzw. unser Malheur im Anschluss eingehend. Es gibt zumindest drei „Fehler“, aus welchen wir gelernt haben:

1. Ausser auf dieser Tour habe ich IMMER eine 25.000er-Karte zusätzlich zur Skitourenkarte bei mir. Diesmal glaubten wir auf den Kauf verzichten zu können und druckten auch keine aus. Ein Blick auf die 25.000er-Karte bei P. 2383 hätte uns wohl geholfen, die richtige Einfahrt in den Seegruoba-Hang zu finden.

2. Die Schlüsselstelle war zwar knapp oberhalb der Nebelgrenze, doch da wir nicht weiter hinunter sahen, nützte das nur begrenzt. Wir erkannten zwar problemlos, dass wir uns über den Felsbändern befanden, sahen aber nicht viel vom Seegruoba-Hang. Nächstes mal werden wir bei drohenden problematischen Sichtverhältnissen wohl grundsätzlich entlang der Aufstiegsroute abfahren und keine alternative Abfahrtsvariante verfolgen, insbesondere wenn wir das Gebiet nicht kennen.

3. Steiles Gelände oder gar Mulden oberhalb von Felsabbrüchen auch bei mässiger Lawinengefahr meiden so gut es geht. Wir sind uns bis heute nicht sicher, ob schlicht der ganze Hang unsicher war oder wirklich nur diese eine Stelle aufgrund ihrer Topografie.

Neben den Fehlern nehme ich auch ein paar positive Erkenntnisse mit:

1. Da ich meist mit ein, zwei oder höchstens drei weiteren Personen unterwegs bin und es uns so kaum Zeit kostet, machen wir oft Abstände, auch wenn's streng genommen nicht wirklich nötig wäre. Dies nicht nur, um den jeweiligen Hang weniger zu belasten, sondern v.a. um allfälligen Schaden in Grenzen zu halten. Hätten wir uns nun alle zur selben Zeit im Gefahrenbereich aufgehalten, hätte dies gravierende Folgen haben können.

2. Als das Schneebrett abging und wir uns zu zweit im unmittelbaren Gefahrenbereich befanden, verhielten wir uns sehr ruhig und rational. Alles andere hätte fatal enden können.

3. Der Entscheid, nochmals anzufellen war der einzig Richtige. Sich nochmals eine Stunde Aufstieg anzutun braucht manchmal vielleicht etwas Überwindung, darf aber bei der Beurteilung eines Hangs als zweifelhaft keine Rolle spielen. Von Sommertouren habe ich zudem gelernt, dass mir nach jedem Tour-Abbruch die Umkehr beim nächsten Mal leichter gefallen ist.

SLF: mässig (Alt- und Triebschnee oberhalb 2200m)


Tourengänger: أجنبي


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Kommentare (5)


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fuemm63 hat gesagt:
Gesendet am 30. Januar 2013 um 15:20
Wunderbare Tour in "meinem" Laufrevier, mir kommen die Tränen!!
LG Fümm

أجنبي hat gesagt: RE:
Gesendet am 30. Januar 2013 um 19:36
War wohl nicht zum letzten Mal in dieser schönen Gegend... :-)

Sputnik Pro hat gesagt: Wunderbare Fotos.
Gesendet am 30. Januar 2013 um 16:38
Da möchte man doch gerade wieder auf den Ski stehen. Die Bilder sprechen für sich!

Und schön zu lesen dass die Lawine glimpflich ausging. Aber wie du schreibst, man kernt nie aus. Ich brauche auf jeden Fall immer die 1:25000er Karten - noch lieber hätte ich natürlich 1:10000 :-)

LG, Sputnik

Seeger hat gesagt: Zauberhaft
Gesendet am 30. Januar 2013 um 19:33
Hallo أجنبي
Einfach toll
- Fotos
- Bericht
- Reaktion auf Schneebrett
- Umkehr
Da verzeihe ich Dir das Vergessen der LK. Ging mir auf den Corte Antico genau gleich.
Gruss
Andreas

أجنبي hat gesagt: RE:Zauberhaft
Gesendet am 30. Januar 2013 um 19:37
Danke. Mal abgesehen vom Schneebrett war die Tour erste Sahne...


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