Vom Weisstannen- ins Mülibachtal: Spitzmeilen (2501 m) mit langem Anlauf


Publiziert von marmotta , 27. Mai 2012 um 21:46.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:26 Mai 2012
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GL   CH-SG   Spitzmeilengruppe 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1500 m
Abstieg: 1850 m
Strecke:Weisstannen, Vorsiez - Obersiez - Chammhüttli - Fansfurggla - Schönbüelfurggel - Spitzmeilen - Wissmilen - Chämm - Oberseeloch - Chammwand - Geislaui - Plättlihütte - Mülibachtal - Engi, Weberei
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Weisstannen, Vorsiez
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Engi, Weberei

Der Spitzmeilen (2501 m) ist sicher einer der auffälligsten und markantesten Gipfel im St. Galler Oberland. Aufgrund seiner an einen Vulkankegel erinnernden Gestalt ist dieser einzigartige Felsturm von überall leicht auszumachen. Lange hatte ich eine Besteigung dieses Wunschgipfels vor mir hergeschoben, was einen simplen Grund hat: Will man keine Bergbahnen benutzen, ist der Spitzmeilen für öV-Reisende ziemlich abgelegen und eher mühsam zu erreichen. Zudem scheute ich den Massenauftrieb rund um die Spitzmeilenhütte im Sommer und das nahegelegene Skigebiet "Flumserberge" im Winter. Es kam also nur eine Besteigung "zwischen den Saisons" in Betracht. Dies wirft einige logistische Fragen auf: Die auf Hikr.org dokumentierten Besteigungen erfolgten ausnahmslos vom Schilstal (Lärchenbödeli) bzw. aus dem Skigebiet Flumserberge (Maschgenkamm). Eigentlich auch der logische Zustieg. Eigentlich…Seit geraumer Zeit verfolge ich aber die Idee, vom wunderschönen, wildromantischen Weisstannental (das bekanntlich jüngst in der Reihe "Wunderland" bei SF bi de Lüt zu seinen verdienten Ehren kam…) ins Spitzmeilen-Gebiet vorzudringen. Ursprünglich als Skitour geplant, setzte ich die Idee nun im (Früh-)Sommer in die Tat um…
 
Lange mussten die Wanderer dieses Frühjahr auf optimale Verhältnisse warten. Noch vor gut einer Woche hatte Frau Holle ihre Betten nochmals so kräftig ausgeschüttelt, dass die weisse Pracht vorübergehend gar bis hinunter auf 900 m fiel. Bis sich der noch in grossen Mengen vorhandene Schnee in tragfähigen Firn umgewandelt hat, dauert es erfahrungsgemäss immer einige Zeit. Es braucht eine Reihe von sonnigen Tagen und kalten Nächten. Nun ist es aber endlich soweit: Es ist die Zeit der einsamen Aufstiege über bereits bis in grosse Höhen apere Flanken und Grate und der langen Abfahrten auf Bergschuhen auf zusammenhängenden Firnfeldern, die im günstigsten Fall -bei entsprechender Exposition- den Wanderer schnell und genussreich bis hinunter in den Talboden gleiten lassen.
 
Mein Ausgangsort, die Alp Vorsiez  (1175 m) im hintersten Weisstannental wird nur von wenigen Postautokursen während des Sommers bedient. Ab diesem Wochenende verkehrt der Bus wieder an Sa/So jeweils um 8.24 Uhr ab Sargans. Da ich der einzige Fahrgast bin, der dort hin will, kutschiert mich der Chauffeur ab Weisstannen, Oberdorf, wo er den grossen Bus in einer Scheune versorgt, mit seinem privaten Allrad-Jeep das schmale Strässchen hinauf zur Alp. Auf der Fahrt ergibt sich ein interessanter Schwatz. Der Chauffeur, der bereits 64 Jahre alt ist, ist im Weisstannental aufgewachsen und kennt natürlich alle Berge ringsum - in seiner Freizeit kümmere er sich noch immer um die Erneuerung der Wanderwegmarkierungen u.ä.
 
An der Alp Vorsiez empfängt mich eine gelbe (Löwenzahn-)Blütenpracht - von Schnee ist weit und breit nichts (mehr) zu sehen. Auf der sanft ansteigenden Fahrstrasse zur Alp Obersiez (1660 m) erreiche ich die Hochebene unter dem Kessel von Risetenhoren, Fulen, Wissgandstöckli und Rotrüfner nach ca. 1 h. Hier hat es zwar in Muldenlagen noch einige Schneereste, jedoch blühen auch auf dieser Höhe längst die Blumen, der Sommer steht vor der Türe.
 
Nun dem markierten Wanderweg folgend das Hochtal hinein und über die Steilstufe zum kleinen Hochplateau bei P. 2018. Von hier an liegt noch viel Schnee, so dass ich mir meine eigene Route suche. Der perfekte Firn erlaubt ein gleichmässiges, effizientes Steigen ohne nennenswertes Einsinken, ich ziehe daher von der Kuppe bei P. 2018 nach Westen in direkter Linie die Flanke hinauf zu einer weiteren Hochebene, an deren Ende sich das idyllisch gelegene Chammhüttli (2109 m) befindet. An diesem herrlichen Ort "muss" ich einfach eine Pause einlegen und mir ein zweites Frühstück genehmigen. :-)
 
Die Fansfurggla (2275 m) ist danach schnell erreicht. Von dort erblicke ich erstmals mein Gipfelziel, den kühn aufragenden, dunklen Felsturm des Spitzmeilen - Vorfreude kommt auf!
 
Wiederum erlaubt mir der perfekt tragende Firn in der Querung östlich der Rinderhörner ein äusserst effizientes und angenehmes Vorwärtskommen, so dass ich bereits knapp 30 min später die Schönbüelfurggel (2206 m) erreiche. Hier blühen überall Küchenschellen - ein Anblick, der mich derart erfreut, dass ich hier einige Zeit verweile - obwohl die Wetterküche seit geraumer Zeit ziemlich aktiv ist und meinen schönen Gipfel in dicke Quellwolken einzuhüllen droht!
 
Doch der Wettergott hat ein Einsehen mit mir und hält genau über dem Spitzmeilen ein Fenster mit blauem Himmel offen, während ringsum die Gipfel bereits in den Wolken stecken. Dem Gipfelsturm steht somit nichts im Wege!
 
Über den aperen Grasausläufer bzw. Südostgrat des Spitzmeilen (weiss-rot-weisse Markierungen Richtung Wissmilen) gelange ich zum Bergfuss. Dort deponiere ich meinen Rucksack und schnappe mir meine Handschuhe und den zur Sicherheit mitgeführten Pickel. Spuren sind weit und breit keine auszumachen, nur eine alte Skispur ist noch zu erkennen. Ich liebäugle kurz mit dem Südgrat, verwerfe den Gedanken angesichts des brüchigen Felses jedoch schnell wieder. Also doch der "Normalweg": Vorsichtig quere ich den steilen Firnhang zum Einstieg in die markante Rinne, welche die Ostseite des Berges durchreisst. Der Firn ist oberflächlich weich, darunter befindet sich jedoch eine harte, durchgefrorene Altschneeschicht. Nicht ganz optimal, zumal ich nicht mal Steigeisen dabei habe - ich will es dennoch versuchen.
 
Mit dem Pickel in der Hand ist es halb so wild, die Steilheit überrascht mich aber dann doch ein wenig. 45 Grad sind das gut und gerne. Von den verschiedentlich erwähnten Ketten ist nichts zu sehen, die schlummern wohl tief unter den Schneemassen. Ich setze die Tritte sehr sorgfältig, auch im Hinblick auf den Abstieg, in dem ich vielleicht über die Trittstufen noch froh sein werde. Bald halte ich auf den rechten Rand der Schneerinne zu, um mich hier allenfalls über die Randfelsen zu mogeln. Dies funktioniert dann auch ganz gut, nur der Bergschrund stört etwas. Der oberste, mit einem Fixseil ausgestattete Teil der Felsrinne ist aper, die hübsche Kraxelei geht kaum über den 1. Schwierigkeitsgrad hinaus. Wer sich dennoch gerne in das Fixseil reinhängt, kann dies tuen, sollte aber unbedingt den aktuellen Zustand des Seils überprüfen: An einer Stelle war das stark gespannte Seil schon ziemlich durchgescheuert…  Doch auch die Felsen wollen auf ihre Festigkeit überprüft werden, insbesondere jetzt nach dem Winter, wo sich wieder einiges gelöst bzw. gelockert hat.
 
Der Ausstieg aus der Fels-/Firnrinne erfolgt in der Scharte zwischen dem westlichen Vorgipfel mit Gipfelbuch und dem Hauptgipfel mit grossem Gipfelkreuz. Die wenigen Meter zum Gipfelkreuz sind zwar einfache Kraxelei, allerdings sollte man angesichts des exponierten Geländes hier keinen Blödsinn machen.
 
Gemäss Gipfelbuch wurde die letzte dort dokumentierte Besteigung vor einer Woche noch als Skitour durchgeführt. Offenbar bin ich der erste "Wanderer" auf dem Spitzmeilen in dieser Saison.
 
Nachdem ich einige Zeit auf dem Gipfel verweilt hatte, mache ich mich gespannt auf den Abstieg. Wie würde sich die Steilheit der Rinne im Abstieg anfühlen? Ich war überrascht: dank des (oberflächlich) weichen Firns, wegen dem ich mir noch im Aufstieg Sorgen gemacht hatte, war der Abstieg wesentlich angenehmer als erwartet. Bei diesen Verhältnissen könnte die Rinne auch (vorsichtig) abgerutscht werden, wegen der Steilheit gehört dabei aber unbedingt ein Pickel in die Hand! Trotz der unten auslaufenden Firnflanke könnte ein unkontrollierter Sturz angesichts der Felsen rechts und links böse enden.
 
Die Schwierigkeitsbewertung dieser Passage (und damit der gesamten Tour) fiel mir nicht leicht: Zunächst mal sollte eine derart steile Firnrinne, die u.U. Alpinausrüstung voraussetzt, nicht unbedingt mit der T-Wanderskala bewertet werden. Die Anwendung der Hochtourenskala erschien mir andererseits dann doch auch ein wenig übertrieben.
 
Da ich die Rinne bis auf den obersten Teil ohne die installierten Kettensicherungen bewältigen musste, habe ich mal grosszügig ein T5 vergeben. Mit den Ketten und Fixseilen dürfte die Schwierigkeit im Sommer m.E. jedoch kaum ein T4 übersteigen.
 
Von meinem Rucksackdepot am Fusse des Spitzmeilen-Südgrats quere ich auf Schutt bzw. Geröll südlich unter dem Felsturm des Spitzmeilen hindurch und stosse auch bald auf den hier zum Wissmilen traversierenden Wanderweg. Wenige Minuten später kassiere ich mit dem Wissmilen (2483 m) den zweiten Gipfel des Tages ein. Dieser erweckt von Osten kaum den Eindruck eines eigenständigen Gipfels und wird dem vom Spitzmeilen kommenden Wanderer quasi "geschenkt". Inzwischen liegt so viel Feuchtigkeit in der Luft, dass die Fernsicht leider deutlich eingeschränkt ist, der faszinierende Anblick des nahen Spitzmeilen-Felsturms entschädigt jedoch einigermassen.
 
Nun sollte noch das "Zückerli" der Tour folgen - der Abstieg ins Mülibachtal. Was im Sommer angesichts der durch Mark und Bein gehenden Höhenmetervernichtung kaum Begeisterungsstürme auslösen dürfte, ist im gut tragenden, von der Sonne leicht aufgesulzten Firn schlicht die Belohnung und garantiert eine schnelle Rückführung ins grüne Tal. Praktisch vom Gipfel des Wissmilen weg steche ich zunächst durch eine steile Rinne (bei Ausaperung wohl kaum zu empfehlen) in die Oberen Chämm, um von dort -immer leicht absteigend bzw. -fahrend-  in südwestliche Richtung zu queren, bis ich an geeigneter Stelle über die Mittleren und Unteren Chämm zu den erlenbestockten Hängen unter der Chammwand gelange. Die letzten zusammenhängenden Firnfelder und -runsen ausnutzend, rutsche ich schliesslich über die Geisslaui hinunter zum rauschenden Mülibach auf knapp 1600 m, wo mich blühende Blumenwiesen und pfeifende Murmeltiere empfangen. Dann werde ich mit der harten (schneefreien) Realität konfrontiert, die da heisst: 1-1,5 h Ausmarsch auf der eher langweiligen Alpstrasse bis hinunter zur Bushaltestelle an der Weberei in Engi (812 m)   

Tourengänger: marmotta
Communities: ÖV Touren


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Kommentare (1)


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WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 28. Mai 2012 um 22:24
schönes Toürchen haste da wiede mal zelebriert, Herr Marmotta... und ungefähr 100000 Höhenmeter besser in Form als die alte Flachlandnase im hohen Norden... naja, dafür päppeln wir Meisenbabys auf.. gibt zwar keine Hochtourenform... aber jede Menge Karmapunkte. Vielleicht helfen die mir dann in ein paar Wochen im Wallis???????
bis näxte Woche Freitag!!!!
freu mich
WoPo


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