'Sonntagsspaziergang' durchs unwegsame Chräzeretobel (3)


Publiziert von Fico , 20. Februar 2011 um 17:08.

Region: Welt » Schweiz » Thurgau
Tour Datum:19 Februar 2011
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TG 
Zeitbedarf: 3:15
Aufstieg: 255 m
Abstieg: 255 m
Strecke:Hüttlingen-Chirchtobel-Chräzeretobel-Pt.658-Mettendorf
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Hüttlingen-Mettendorf
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Hüttlingen-Mettendorf
Kartennummer:1053 (Frauenfeld)

Aller guten Dinge sind drei. Würde wenigstens beim dritten Anlauf das unwegsame Chräzeretobel sein Geheimnis preisgeben? Die Idee, wie es gelüftet werden könnte, ging mir die ganze Woche nicht mehr aus dem Kopf. Ich konnte es kaum erwarten, wieder durch dieses mysteriöse Tobel zu streifen, so dass ich meinen 'Sonntagsspaziergang' gar auf den Samstag vorverlegt habe. Wird sich meine Vermutung, auf welchem Weg die "bis zu einem Meter mächtige Schicht von Wetterkalk" erkundet werden könnte, diesmal als richtig erweisen?

Wie beim zweiten Versuch steige ich vom Chirchtobel die Stufen des verfallenen Weges bis ungefähr zur 500-Meter-Höhenkurve hinauf und gehe dann rechts auf dem Band zum Seitentobel, das von Osten her einmündet. Diesmal verlasse ich jedoch das Seitentobel gleich wieder, um den Chräzerebach zu durchqueren und auf dem 'Wildschweinpfad' (Klauenspuren am Boden deuten eher auf diese Spezies hin als auf Zweibeiner) nicht allzu steil aufzusteigen, bis ich eine kleine Felsstufe erreiche, die an ihrem rechten (nördlichen) Rand gut überklettert werden kann (T3). Ein Stück weiter oben wird die Forststrasse im Gebiet von Burketsriet sichtbar. Nun befinde ich mich wieder auf dem gleichen Wegstück wie beim ersten Mal. Meine Absicht besteht darin, diesmal nur einige hundert Meter weit auf der Höhe der Tobelkante zu bleiben, um dann - in meiner Vorstellung - auf einem Band einer Wegspur zu folgen, die mich bis zu jener Metallleiter führen würde, die ich eine Woche vorher von der gegenüberliegenden Seite aus entdeckt habe. Nachher, bin ich fest überzeugt, bräuchte ich nur noch die Leiter hinunterzuklettern und wäre schon fast bei der gesuchten Gesteinsformation von "kantonaler Bedeutung". So würde sich die ganze Tour  - abgesehen von der beschriebenen T3-Stelle - durchwegs im T2-Bereich bewegen.

Mein Plan scheint aufzugehen. Schon bald finde ich eine Wegspur, die ins Tobel hineinführt. Der Bach fliesst ungefähr 20 m weiter unten. Es dauert jedoch nicht lange, bis die ersten umgestürzten Bäume - wie die Zugangspforte zu einer anderen Welt - den Weg versperren. Je nach deren Lage klettere ich darüber hinweg oder krieche untendurch. Auf dem weiteren Weg begegne ich moosbewachsenen Bäumen, die sich wie riesige ausgestorbene Tiere erheben und dem Tobel ein geheimnisvolles Aussehen verleihen. Einzelne umgeknickte Bäume beflügeln die Fantasie und erinnern an seltsame Fabelwesen. Das Tobel wird zunehmend enger, und die Hindernisse mehren sich, so dass ich mich entschliesse, direkt im Bachbett weiterzugehen, was durch den niedrigen Wasserstand problemlos möglich ist. Allerdings liegt auch hier immer wieder Sturmholz, das überklettert werden muss. Wenn auch mühsam, so komme ich doch allmählich voran und dringe immer tiefer in das abgeschiedene Tobel ein. Dies geht solange gut, bis eine umgestürzte Tanne unweigerlich den Weg versperrt. Als ich das Bachbett verlasse und mich einige Meter oberhalb fortbewege, entdecke ich tobelaufwärts eine Felsstufe mit einem Wasserfall und weiter hinten gleich noch eine zweite. Das Ziel scheint in greifbarer Nähe zu sein.

Zuerst einmal staune ich über die mächtige, schätzungsweise 10 Meter hohe Stufe. Dann schaue ich mir die Gesteinsformation an. Sie ist auch für den Laien gut erkennbar, und so vermute ich, endlich die geologische Besonderheit, die "bis zu einem Meter mächtige Schicht von Wetterkalk", entdeckt zu haben. Haben die Geologen vielleicht massiv übertrieben? Denn diese Schicht hier ist höchstens 30 cm mächtig. Und wo ist die Metallleiter? Weit und breit ist keine Metallleiter zu sehen. Undenkbar, dass sie jemand ausgerechnet in dieser Woche entfernt hat. Ein Blick auf den Höhenmesser belehrt mich, dass ich mich auf ungefähr 580 m Höhe befinde. Gemäss der gelogischen Skizze befindet sich die Wetterkalkschicht jedoch auf 605 m Höhe. Ich betrachte noch ein paar herumliegende Geröllstücke, die für mich kalkartig aussehen, und mache mich dann auf den Weg zur weiter oben liegenden Felsstufe.

Beim Aufsteigen in der inzwischen ziemlich steilen Tobelflanke betrachte ich immer wieder die Felsstufe, die von hier aus noch imposanter aussieht. Unglaublich, dass dieses kleine Rinnsal da unten im Laufe der Jahre nicht nur die ganze Erdschicht abgetragen, sondern auch den Fels derart ausgewaschen hat. Beim Durchqueren des rutschigen Hanges bin ich dankbar für jede Baumwurzel, an der ich mich festhalten kann. Bald befinde ich mich auf der Höhe der zweiten Felsstufe und entdecke auf der rechten Seite tatsächlich die mysteriöse Metallleiter. Auch die auffallende Gesteinsschicht ist hier zwar nicht mehr so schön hell, aber ohne Übertreibung etwa einen Meter mächtig. Offenbar handelt es sich diesmal wirklich um die seltene Gesteinsformation aus Wetterkalk. Endlich bin ich am Ziel! Abgesehen von der geologischen Besonderheit ist auch die Landschaft hier von bezaubernder Schönheit. Und um den Rückweg aus dieser abgeschiedenen Welt bräuchte mich nicht zu sorgen: Die Metallleiter verleiht mir ein Gefühl von Sicherheit, da noch immer überzeugt, dass oberhalb eine Wegspur bequem aus dem Tobel hinausführen würde. 

Am Fuss eines Nagelfluhfelsens entlang gelangt man zur Metallleiter, die über den Felsen hinweg führt. Dann befindet man sich in einer steilen und rutschigen Grasrinne, die alles andere als Zuversicht ausstrahlt. Ich verlasse sie auf dem schnellsten Weg nach rechts und erreiche einen nicht minder steilen Sporn, auf dem ich emporkraxle. Zum Glück bieten Bäume und Wurzeln Halt. Wenigstens jene, die nicht derart morsch sind, dass sie allein schon beim ersten Anfassen abbrechen. Aufgrund der starken Steigung bewegt man sich hier im oberen Bereich von T3 oder sogar T4. Gespannt bin ich, an welcher Stelle ich nun die Tobelkante erreiche. Oben angekommen, zeigt der Höhenmesser 660 m, was bedeutet, dass ich mich oberhalb der Forststrasse befinde, die zum Pt. 658 führt.

Das Geheimnis des Zugangs zum Chräzerentobel ist damit für mich gelüftet. Rätselhaft bleibt die Metallleiter. Wer hat sie dorthin gestellt? Die Geologen? Unwahrscheinlich, dass sie sie auf den Schultern über den steilen und abschüssigen Sporn hinuntergetragen haben. Während der Rast auf der flachen Anhöhe beschäftigt mich dieser Gedanke so stark, dass ich es nicht lassen kann, den Abstieg über den Sporn zu versuchen. Kein Zweifel, um nicht auszurutschen oder das Gleichgewicht zu verlieren, braucht man die Hände. Mich an den Wurzeln festhaltend, klettere ich soweit hinunter, bis ich feststelle, dass sich die Metalleiter weiter rechts befindet. Es wäre vermutlich sogar möglich, auf diesem Weg auch ganz hinunterzukommen, ohne die rutschige Rinne zu durchqueren. Wozu also die Leiter? Vielleicht haben sie die Geologen durch das Tobel hinaufgetragen, um die Gesteinsformationen genauer zu erforschen, und sie dann zurückgelassen, um den direkten Rückweg über den Nagelfluhfelsen und den Sporn zu nehmen. Dafür sprechen würde die Tatsache, dass die Leiter nur angelehnt und nicht wie sonst im Gebirge fest verankert ist. Ausserdem stammt der Bericht aus dem Jahre 2003. Es ist gut möglich, dass das Tobel sich seither verändert hat und der Zugang inzwischen schwieriger und mühsamer geworden ist.

Das Chräzeretobel kann somit auf zwei verschiedenen Routen begangen werden. Wer sich im T4-Bereich auch abwärts sicher bewegt, kann auf der beschriebenen Abstiegsroute von Mettendorf aus den Wald hinauf direkt zum Pt. 658 aufsteigen und nachher ungefähr der punktierten Gemeindegrenze entlang über den Sporn hinunterklettern. Auf diesem Weg würde man in einer knappen Stunde vom Ausgangspunkt aus vor dem kleinen Naturwunder stehen. Andernfalls sollte mindestens die doppelte Zeit zur Verfügung stehen. Der Zugang durchs Chirchtobel und fast das ganze Chräzeretobel hinauf ist zwar länger und wegen der zahlreichen Hindernisse auf dem Weg mühsamer, persönlich finde ich ihn dennoch lohnender und weniger halsbrecherisch. Beide Routen bewegen sich überwiegend im Bereich von T1 und T2. Einzelne Stellen gehen allerdings deutlich darüber hinaus und verlangen daher gutes Schuhwerk und Trittsicherheit. Würde die Tour öfters begangen, könnte allmählich eine gut erkennbare Wegspur entstehen. Die Gefahr, dass deswegen die abgeschiedene und naturbelassene Gegend an schönen Tagen überlaufen sein könnte, halte ich jedoch für gering. ;-)


Tourengänger: Fico


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Kommentare (1)


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Marsalforn hat gesagt: Nachtrag
Gesendet am 12. April 2024 um 06:51
Salut Fico. Danke vielmals für die Nachträge, respektive die zusätzlichen Fotos. Ich habe den Verlauf deiner Tour auf dem SwissALTI3D Bodenscan nachgezeichnet, kennst du die Funktion auf der Swisstopo Homepage? Falls nicht, kann ich sie dir nur empfehlen. Einfach in der Suchtfunktion oben ALTI3D eingeben und die Karte dann hinzufügen:-) Macht Spass wenn man jede Unebenheit erkennt. Der Gratabstieg von Chääzere her wie bei Konschtanz beschrieben, ist mein nächstes Projekt. Er schreibt du würdest den Gratweg "pflegen"? Bin gespannt! Gruss Christian


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