Auf spitzem Grat

Rechtzeitig treffe ich in Dallenwil ein. Mit der Luftseil-Bahn von 0820 will ich auf das Wirzweli. Als ich ins Bähnli einsteige, hat sich bereits ein munteres, kleines Mädchen häuslich zum Zmorge niedergelassen: Teller und Tasse, Ankebrot und Ovi! Kurz bevor die Bahn abfährt, stösst auch noch die Mutter dazu, und ich kann mich schon bald am urchigen Nidwaldnerdialekt erfreuen.
Über grüne Matten mit vielen Krokussen steige ich auf zum Ächerlipass. Kurz nach dem Pass scheuche ich einen grossen schwarzen Vogel auf, der schwerfällig von einer Tanne über den Grat davon"segelt". Ich vermute, es wahr ein Auerhahn. Vom Ächerlipass geht es Richtung Süden, immer dem Grat entlang. Es gilt einige Altschneefelder zu passieren, die, da der Schnee durchfeuchtet uind entsprechend tief ist, besser umgangen werden. Auf dem Grat gibt es keine schwierigen Stellen, ab und zu nehme ich die Hände zu Hilfe, aber meistens bin ich wohl mit den Stöcken.  Erika und Soldanellen blühen. Nach dem letzten Aufschwung zum Arvigrat wird das Gelände offener und es bieten sich verschiedenene Möglichkeiten für das weitere Fortkommen. Auf der einen Seite des Gratrückens sieht man ins Engelbergertal, auf der anderenseite ins Sarnertal. Ich bleibe immer nahe am Abbruch, weil ich die Tiefblicke schätze. Die einzige schwierige Passage ist momentan noch die Traversierung nördlich des Gräfimattnollen. Man könnte ihn auch überqueren, ich ziehe es wegen der Steilheit aber vor, ihn von Süden, weg- und problemlos zu besteigen. Bei der Traversierung entdecke ich ein Schneehuhnpärchen, das bereits daran ist, das Wintergefieder zu verlieren. So scheckig sind sie keine wirklichen Schönheiten!  Den Gipfel teile ich mit einigen Dohlen und einem ruhig dahingleitenden Deltasegler. Ansonsten begegne ich auf der ganzen siebenstündigen Tour keiner Menschenseele. Beim Gräfimattnollen blühen auch viele wunderschöne Küchenschellen. Sie bezaubern mich mir ihren pelzigen Blütenkelchen.

Am Horizont entwickeln sich die ersten Quellwolkentürme und aus der Region Fürstein ist Donnergrollen zu vernehmen. Dies veranlasst mich, den warmen Gipfel zu verlassen und Richtung Gräfimattstand weiter zu wandern. Endlich kann ich auch noch die Schneeschuhe montieren! Ich bin wirklich froh, dass ich sie mitgetragen habe, da sie mir auf dem nächsten Kilometer viel Kraft sparen.

Die zweite Schlüsselstelle dieser Tour ist westlich von Pt. 1945 der Übergang vom Gräfimattstand auf den Verbindungsgrat zum Hochgrat. Nachdem diese Stelle passiert ist, ist der weitere Weg hinunter nach St. Niklaus nur noch Formsache, im doppelten Sinn des Wortes. 1300 Höhenmeter sind auf abwechslungsreichem Weg zu absolvieren, manchmal im Wald, manchmal auf dem Grat mit schönen Ausblicken. Die Stöcke helfen, die Gelenke zu schonen. Auf der Alp Linderen starten zwei Gleitschirmflieger zu einem Tandemflug:  jetzt würde ich gerne tauschen! Aber eben, so zieht sich der Weg noch ein Stück. Ich passiere die Kapelle St. Niklausen, die sicher ein begehrter Hochzeitstummelplatz ist und komme zu Unzeit ins Dorf. Leider ist mein Handy-Akku leer und die Telefonzelle in der alten Post nimmt nur Kreditkarten. so suche ich per SMS eine Fahrgelegenheit. Es klappt! In der Frühsommersonne warte ich in St. Niklausen auf das Taxi Jeannette, das verdankenswerter Weise den Rücktransport nach Dallenwil übernimmt. Merci vielmal!

Einsame Tour im Alleingang.