Ritzlihorn (3282m) - oder ämel fascht...


Publiziert von mde , 17. April 2010 um 22:41.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Oberhasli
Tour Datum:17 April 2010
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Ski Schwierigkeit: SS+
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 2100 m

Viel bestaunt, selten bestiegen: auch uns hat es nicht ganz gereicht... Schon auf meiner Tour von Guttannen aufs Mährenhorn sind mir vis-à-vis die verlockenden Couloirs aufgefallen. Nähere Recherchen haben dann gezeigt, dass das Ritzlihorn dann und wann auch als Extrem-Skitour begangen wird. Informationen darüber sind aber nur spärlich vorhanden. Dies der Grund, weshalb hier trotz unserem Scheitern ein Tourenbericht erscheint.

Um die derzeit sehr günstigen Verhältnisse voll auszunützen, die tolle Tour auf den Hausstock noch zu toppen und eine richtige Skialpinismus-Herauforderung anzunehmen, entscheiden wir uns für einen Versuch am Ritzlihorn. Es wird im Winter nur sehr selten bestiegen, dies dafür auf allen möglichen Routen, wohl weil keine wirklich optimal ist. Hier eine Übersicht, die auf der verdankenswerten Mithilfe von lorenzo, den Hinweisen eines einheimischen Bauern sowie eigenen Recherchen beruht:


1) Westflanke aus dem Gaulikessel
Diese Option bietet sich allenfalls an, wenn man sich im Gauligebiet aufhält. Als Tagestour aus dem Urbachtal (ab Mürvorsess) sind viele Höhenmeter zu bewältigen, und der untere Teil führt durch ruppiges und lawinentechnisch heikles Gelände. Die Westflanke ist zudem skitechnisch anspruchsvoll und wohl (wie aktuell) häufig auch nicht allzu üppig eingeschneit.

2) NE-Grat
Der NE-Grat kann westlich von P.2820 auf verschiedenen Routen erreicht werden. Einerseits von Guttannen via Spreitlaui - Mittelbärgli - Lychbritter, andererseits von der Schwarzbrunnenbrigg P.1220 via Loiblamm-Couloir - Wyssenbachgletscher und selbst ein Zustieg von der Handegg via Wyssenbachlimeli ist durchführbar. Der NE-Grat soll alpintechnisch sehr anspruchsvoll sein - nichtsdestotrotz soll er sogar schon mit Ski befahren worden sein.

3) NE-Rippe zum NW-Grat
Wie unter 2) gelangt man westlich von P.2820 auf den NE-Grat. Von dort quert man die N-Flanke horizontal nach Westen bis zu einem Couloir, das bei 2900m ansetzt und auf eine NE-Rippe führt, die im NW-Grat endet. Der Ansatzpunkt dieses Couloirs kann auch in sehr steilem Gelände von Guttannen via Spreitlaui - Mittelbärgli - Lychbritter erreicht werden. Dieser Aufstieg soll alpintechnisch einfacher als der NE-Grat 2) sein, und er vermeidet den langen Aufstieg über den NW-Grat von 4)

4) NW-Grat
Von Guttannen via Spreitlaui - Mittelbärgli - Lychbritter in ein auffälliges und ausgeprägtes Couloir, das auf ca. 2850m im NW-Grat endet. Von dort muss der alpintechnisch anspruchsvolle NW-Grat über rund 1km Distanz und netto über 450m Höhengewinn verfolgt werden. Wir haben unseren Aufstieg über diese Route versucht, ich werde sie in meinem Tourenbericht genauer schildern.

Tourenbericht

Unsere Tour startet um 5 Uhr morgens in Guttannen. Die Landwirte sind bereits an der Arbeit und erst noch gerne bereit, auswärtige Tourengänger mit guten Tipps zu versorgen! In Guttannen sind die Wiesen bereits grün, doch wir müssen die Ski nur rund 15 Minuten tragen, bis wir in der Nähe von P.1184 auf Schneeresten losfellen können. Das Spreitlaui-Couloir ist aktuell nur wenig von Lawinen in Mitleidenschaft gezogen, bzw. der Lawinenschnee ist überschneit und ziemlich glatt.

Wir haben unsere Tour so geplant, dass wir den Einstieg in den Mittelbärgli-Sporn bei Tageslicht erreichen und tatsächlich ist es genügend hell, als wir zu P.1592 gelangen. Dort zweigen wir ins (im Sinne des Aufstiegs) linke Couloir ab, steigen in diesem ca. 40hm hoch und verfolgen rechts ein steiles Couloir (50 Grad), das auf den Sporn leitet. Wir müssen die Skis an den Rucksack binden und dummerweise trägt die Kruste beim Fussaufstieg nicht. Mühsames Firnkicken/Durchbrechen und erste Schweisstropfen sind die Folge.

[Hinweis: Anstelle der von uns gewählten Variante kann der Mittelbärgli-Sporn auch gewonnen werden, indem man dem Spreitlaui-Couloir bis auf ca. 1800m folgt und den Sporn dann linkerhand gewinnt. Hier sollte man durchgehend mit Ski aufsteigen können. Wir haben diese Variante in der Abfahrt gewählt, sie schien uns im Nachhinein auch für den Aufstieg günstiger.]

Auf dem Mittelbärgli-Sporn ist es nun etwas breiter, aber weiterhin sehr steil (Stellen 50 Grad). Immerhin ist der Schnee gut (mit Ski tragfähig und griffig), so dass wir mit Extrem-Spitzkehren (nicht die letzten heute...) an Höhe gewinnen. Das Gelände legt sich aber bald etwas zurück und erlaubt einen problemlosen Aufstieg, bis auf einer Höhe von 1900m die nächste Entscheidung ansteht.

Den Mittelbärgli-Sporn ab hier weiter hochzusteigen, scheint in eine Sackgasse zu führen. Wir queren deshalb nach links in das Couloir, das erst breit und ca. 40-45 Grad steil ist, und somit gut mit Ski begangen werden kann. Es wird jedoch immer schmaler und steiler (45-50 Grad), so dass wir bald zur nächsten Portage gezwungen werden. Erneut sehr anstrengend mühen wir uns ca. 150hm hoch, bis wir auf ca. 2200m über eine kleine 10m hohe Steilstufe (war in der Abfahrt sogar mit Ski fahrbar) nach links auf die Lychbritter gelangen können.

Hier wähnt man sich wie in einer anderen Welt! Vorerst keine Couloirs und Sporne mehr, sondern ein grosszügiges, ca. 40 Grad steiles Schneefeld. Hier liegt nun auch sehr schöner Pulverschnee und wir steigen für kurze Zeit beinahe mühelos zur Mündung des sehr offensichtlichen Couloirs auf knapp 2400m.

Dieses Couloir hat uns ziemlich die Zähne gezogen. Es ist sehr homogen ca. 45 Grad steil und stets etwa 20-30m breit. In wirklich unzähligen Spitzkehren mühen wir uns die fast 500hm hoch. Der Schnee ist unangenehm wechselhaft (Plattenpulver, harte Stellen, Bruchharst) und ständig rutscht einem der Ski weg. Etwa 150hm bevor wir den Grat erreichen, scheint uns ein Fussaufstieg günstiger, obwohl auch der äusserst anstrengend ist.

Schliesslich erreichen wir kurz nach 10 Uhr, d.h. nach über 5 Stunden Aufstieg für die ziemlich genau 1800hm, durchaus ein bisschen angebrutzelt, den NW-Grat. Ein flacher Platz lädt zur ersten ausgiebigen Pause und wir rüsten uns für den Fussaufstieg aus (Steigeisen, Pickel, Klettergurt, 35m Seil, Schlingen und sogar einige Klemmgeräte: letztere sind unnötig bzw. nicht einsetzbar, der Rest ist empfehlenswert).

Wie für einen NW-Grat in dieser Höhe und um diese Jahreszeit nicht sonderlich erstaunlich, liegt viel unverfestigter Pulverschnee, der die ausnahmslos sehr losen Felsen bedeckt. Immer wieder haben wir bis zu brusttiefe Wühlerei zu vergegenwärtigen, die uns das letzte abverlangt. Der Grat ist zur NE-Seite hin häufig stark überwächtet und zwingt uns oft in die exponierte W-Flanke.

Wir kämpfen uns bis zum P.3110. Es ist bereits fast 12.00 Uhr, rund 1.5 Stunden haben wir bisher auf dem Grat verbracht. Auf einem Flachstück erörtern wir die Lage: rein tageszeitlich ist es allerhöchste Zeit, umzukehren. Zudem sind ab hier immer noch rund 500m Horizontaldistanz und netto fast 200hm Grat zurückzulegen. Selbst optimistisch gerechnet würden wir unseren aktuellen Standort bei einem Gipfelgang in frühestens 2.5 Stunden wieder erreichen, zumal die Schwierigkeiten auf dem Grat soweit überblickbar eher noch zuzunehmen scheinen.

Obwohl wir kräftemässig schon etwas angezählt sind, wären noch Power und Wille für den Gipfel vorhanden. Wir sind hin-und-her gerissen, beschliessen aber schliesslich zu akzeptieren, dass wir heute dem Berg nicht überlegen sind und treten deshalb den Rückzug an. Es scheint uns definitiv ratsamer, unsere Reserven für den nicht zu unterschätzenden Abstieg über den Grat und die Abfahrt in anspruchsvollem Steilgelände aufzusparen.

Der Abstieg über den Grat nimmt uns erneut 1 Stunde in Anspruch, wir sind kaum schneller als im Aufstieg. Viele exponierte Stellen müssen konzentriert abgeklettert werden. In der Crux können wir das Seil an einem Zacken als Geländer fixieren. Beide sind wir froh drum, es hat sich gelohnt, die 3kg Zusatzgewicht über 2100hm hochzutragen.

Zurück beim Skidepot zögern wir nicht lange und machen uns für die Abfahrt bereit. Das Couloir ist mit einer über 500hm anhaltenden Steilheit von 45 Grad sehr eindrücklich zu befahren. Leider vermag vorerst die Schneequalität mit dem jüngsten Erlebnis am Hausstock nicht ganz mitzuhalten, so dass es ziemlich Kraft braucht und die Beine arg beansprucht werden.

Der untere Teil des Couloirs und die Lychbritter bieten dann aber doch noch tollen Pulvergenuss. Im Couloir zum Mittelbärgli-Sporn und unterhalb davon ist der Schnee angefeuchtet, doch noch nicht grundlos tief, die Bedingungen sind noch sicher. Sogar die Spreitlaui ist noch genussvoll zu befahren, bevor wir von den grünen Wiesen mit vielen violett-weissen Krokussen gestoppt werden. Mit 10 Minuten Skitragen erreichen wir Guttannen um 14.00 Uhr.

Vergleichstouren und Fazit

Es handelt sich mit Sicherheit um die anspruchsvollste Skitour, an der ich mich je versucht habe. Als Vergleichstouren möchte ich a) den Bristen und b) die Hausstock NE-Flanke erwähnen.

a) am Bristen müssen vom Dorf aus zwar ebenfalls ca. 2300hm bewältigt werden, die Tour ist aber um einiges weniger anstrengend und insbesondere skitechnisch deutlich weniger anspruchsvoll wie das Ritzlihorn auf unserer Route. Der Fussaufstieg am Bristen umfasst zwar ähnlich viele Höhenmeter, doch ist die dortige Horizontaldistanz kleiner. Der NE-Grat am Bristen ist auch deutlich einfacher und weniger exponiert. Und wenn auch ebenfalls lose, so doch klar weniger heikel.

b) die Hausstock NE-Wand ist konditionell deutlich weniger anstrengend als das Ritzlihorn, auch sind die alpintechnischen Schwierigkeiten viel geringer. Jedoch ist die Abfahrt durch die Hausstock NE-Flanke um einen Tick anspruchsvoller, und an den steilen Stellen vor allem auch deutlich exponierter.

Es war eine fantastische Tour heute, die trotz viel Anstrengung und fehlendem Gipfelerfolg sehr viel Spass gemacht hat. Dennoch verbleibt auch etwas der Eindruck, heute den Anforderungen nicht zu 100% genügt zu haben - eine Scharte, die es auszuwetzen gilt. Auf noch bessere Verhältnisse (Schnee bis unten, lawinensicher, guter Trittschnee in allen Fusspartien, aperer oder gut mit Schnee verfestigter Grat) zu hoffen ist sicher utopisch. Es war zwar nicht überall ganz optimal, die Bedingungen hätten aber schon gepasst heute.

Somit kann ich allfälligen Anwärtern nur empfehlen, bärenstark anzutreten, so dass der anstrengende Aufstieg zum Skidepot und kraftraubende Wühlereien auf dem Grat locker weggesteckt werden. Ebenso sollte man alpintechnisch sehr versiert sein, damit die lange, exponierte Steigeisenkletterei am NW-Grat zügig und sicher bewältigt werden kann.

Mich lässt das Ritzlihorn sicher nicht los und der Tag wird kommen, an welchem ich einen weiteren Versuch starte. Vielleicht über Route 3), die mir gemäss meinen aktuellen Eindrücken eher günstiger scheint. Aber auch die heutige Route 4) zu komplettieren hat ganz sicher seinen Reiz...

Weitere Bilder und Infos im Tourenbericht auf www.chmoser.ch.


Tourengänger: mde


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Kommentare (4)


Kommentar hinzufügen

Zaza hat gesagt:
Gesendet am 18. April 2010 um 06:11
Bravo, toller Bericht!!!

lorenzo hat gesagt: Bärenstark!
Gesendet am 18. April 2010 um 09:22
Grosszügig und vernünftig: ohne Erfolgsgarantie etwas Neues versuchen und rechtzeitig umkehren, wenn die Verhältnisse es erfordern.

Gratuliere zur Tour und zum sehr informativen Bericht!

lorenzo

Alpin_Rise hat gesagt: Parforce...
Gesendet am 18. April 2010 um 18:57
... ist hier das richtige Wort, Respekt!
Beobachtet: aus dem Gauli den ganzen lieben Nachmittag über die Westflanke meditiert - während ihr am Grat oben geackert habt, leider fehlt die Zoom-Aufnahme. Die W-Flanke und das grosse Couli sehen verwegen aus, bei üppiger Schneelage durchaus deine Kragenweite?
Heute war unser Gipfel auch ausser Reichweite, trotz guter Prognosen auf 3500m am Rosenhorn eingenebelt und vom Winde verweht... die Brüche im mehr oder minder dichten grau waren eindrucksvoll genug; Bericht folgt.
Lieber Gruess, Rise

3614adrian hat gesagt:
Gesendet am 24. April 2010 um 09:30
Gratulation auch ohne Gipfelerfolg!
Ein Bergsteigerabenteuer par excellence!

Gruss Adrian


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