Wolken und ihr Stockwerkeigentum


Publiziert von Henrik , 6. Februar 2010 um 21:00.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum: 6 Februar 2010
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI 
Strecke:Bahnerkundigungsreise
Zufahrt zum Ausgangspunkt:ÖV
Zufahrt zum Ankunftspunkt:ÖV

...an das Knarzen meiner Wanderschuhe hat sich eine kleine Wanderumgebung gewöhnen können, mir fällt es nur noch frühmorgens auf! Die Schuhe sind nun in verschiedenem Terrain eingesetzt worden, auch Schnee und Kälte, doch hier zeigten sich dann Verarbeitungsmängel: das Schutzband begann sich zu lösen. Innerhalb der Garantie also ein Grund, diese heute (endlich) nach Kriens zu bringen und zu hoffen, dass hinterher nur noch Positives darüber zu berichten sei...
 
....etwas Wegzehrung für die Bahnfahrt eingekauft, schlendere ich zum Gleis 7, noch ist der IC nicht bereitgestellt, der mich nach Luzern bringen soll. Vor mir auf der Rolltreppe ein grossgewachsener, schlanker Vater mit zusammenklappbarem Schlitten und Kind auf dem Rücken, der einen sichtlich nagelneuen Scarpa mit der gelben Zwischensohle an den Füssen trägt...oder die Reisende mit den kniehohen, schwarzen Stiefeln, die diesen Winter modisch macht oder der Bähnler, der wie entrückt und fern noch an einer Zigarette verweilt. Auf der Passarelle emsiges Reisetreiben, Geleiseänderungen sollen beachtet werden, Spatzen fliegen durch die Halle und „Sprüngli-Säckli“ geben nicht preis, was für Geschenke in ihnen zu erwarten sind, oder doch?
 
Ich nehme Platz im Panorama-Wagen des Zuges nach Locarno, der kurz nach acht wie geführt aus dem Bahnhof gleitet, in den Glasfronten des Peter-Merian-Bürokomplexes spiegeln sich die Geleise und die grossstadtähnlichen, angegrauten Häuserzeilen von gegenüber – irgendwie sehen sich diese weltweit ähnlich! Kurz nach Liestal hellt es auf, nach Sissach blinzelt die Sonne hervor und kurz bevor der Zug in den Tunnel verschwindet, zeigt sich ein blauer Himmel. Nicht so nach knapp 5 Kilometern...die Oltener „Nebelsuppe“ – Kolleginnen und Freunde, die dort arbeiten, kennen diesen Knotenpunkt vor allem durch seinen unerreichbaren „Rekord“, nämlich den Mangel an Sonnentagen im Winter!
 
Die weitere halbe Stunde nach Luzern bietet viel Landschaft, Destinationen, die auf hikr. m. W. noch selten beschrieben wurden – ich kenne lediglich die Strecke per Bahn. Nachdem ich in Kriens schon erwartet wurde und meine Schuhe in Obhut gegeben hatte, fuhr ich ins Zentrum zurück, bemerkte zu spät, als ich am Schwanenplatz stand, dass ich auch eine Schiffsfahrt hätte machen können, um 10.12 fährt im Winter ein Motorschiff nach Flüelen. Ich disponierte um und nahm den Voralpenexpress nach Arth-Goldau – dieser fährt nicht auf dem üblichen SBB-Trassee dorthin, sondern via Verkehrshaus nach Küssnacht und weiter. Die Sonne liess sich nach wie vor nicht blicken – auch die Rigi und der ganze sichtbare Seeteil des Vierwaldstädtersees lagen unter Wolken und Nebel.
 
Ich war überrascht, als sich der Cisalpino aus Zürich kommend auf Gleis 4 hereinschob – im Fahrplan las ich EC. Kaum fuhr dieser an, rumpelte und knarzte es...Spülgeräusche und undefinierbare Gerüche weckten unangenehme Erinnerungen, zudem, die Sitze auch in der 1. Klasse verdienen keinen Preis. Obwohl gähnend leer, das Sardinengefühl beschlich mich auch so – lesen war bis Bellinzona keine Erholung, denn im Gegensatz zum ICN begann der Kopf zu surren. Die mitgeführten Kekse und ein halber Liter Mineralwasser aber blieben dort wo sie hingehörten und nach 1 ½ Stunden war die kleine „Tortur“ beendet – ich stand auf Gleis zwei - in Bellinzona.

Die Rückfahrt folgte auf dem Fuss. Noch blieb mir ein wenig Zeit, den Bahnhof kurz zu inspizieren – seit dem Fahrplanwechsel im Dezember gibt es ein löbliches Plus zu verzeichnen: die S-Bahn nach Locarno steht wieder wie seit Jahren auf Gleis 3! Das Bahnhofsbuffet bleibt geschlossen und das blaue Licht in den Toiletten scheint Bestand zu haben. Der Löschzug am Nordausgang neben Gleis 1 sieht ungebraucht aus – zum Glück. Die umliegenden Bergspitzen lassen Pläne angedacht für den kommenden Frühling und dann steht er da, der ICN nach Basel, auf den ich mich so freue. Im Ruheabteil genügend Beinfreiheit, Platz, um sich ausbreiten zu können – mal bleibe ich links eine Weile sitzen und lasse den Blick auf die unzähligen Valli gleiten, die vorbeiziehen oder dann rechts sehe ich die Strasse und zwei Poschti vorbeifahren. Auf dem weitläufigen Gelände von Monteforno stehen ausrangierte SBB-Loks, die wahrscheinlich auf ihre Schrott-Endzeit warten, in Giornico bleibt mein Blick haften an der Steilwand, wo ein enger Weg hinunterführte, den ich im verg. Herbst genau mit diesen Hanwag-Knarz-Schuhe über 800 HM Gefälle schaffte, blasenfrei, (siehe Bericht auf hikr)! An der Biaschina kommen mir die Schilderungen von Seeger und Zaza in Erinnerung, in Lavorgo streiten sich die Wolken um die besten Plätze, jede Stufe scheint wie ein Stockwerkeigentum verteidigt werden zu wollen – auch ennet des Gotthards das gleiche Bild – graue und weisse Wolken üben sich auch im „Lifteln“. Noch ist Airolo nicht erreicht, doch hier liegt dann wirklich erstaunlich viel Schnee, mehr als in Göschenen. Auf der Autobahn seltene Leere. Kurz vor Erstfeld ein verloren wirkender Sonnenstrahl, doch bis in die Regio Basel bleibt es neblig und trüb. Zwischenzeitlich habe ich meine wochenlang gesammelten Zeitungen an wertvollen Stoffen durchgeblättert und wieder ein vernichtendes Urteil fällen müssen: die Basler Zeitung kaum mehr lesenswert, ein Glück, dass ich nicht das Abo bezahlen muss – mein Nachbar entsorgt diese über mich, das danke ich ihm.

Tecknau im Sonnenschein, Kondensstreifen an einem satten blauen Himmel und frühlingslichtdurchflutetes Baselbiet. Um sechs Uhr bin ich wieder zuhause in Basel. Im Glaskomplex am Bahnhof steht das Logo der ÖKK „Sympany“ – ich lese Sympathie! Dann weiss ich auch, dass ich über die Basler Zeitung hinaus, angekommen bin.

Tourengänger: Henrik


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»