1. Gotthardleiden: Abgewiesen von Sant’Antonio
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Bei meiner Winterbegehung des Gotthardpasses habe ich mir vorgenommen, statt wie das letzte Mal über die Via Tremola zu gehen – die mir unten doch noch einladend zugewinkt hat! – mich hinaufzuschwingen über die neue Passstrasse, hinauf zur grossen Haarnadelkurve weit oberhalb von Fontana, das mit dem grossen Bogen im Leeren ein berühmtes Fotomotiv ergeben hat. Der Verlockung, doch vom Plan abzuweichen und einfach über die Via Tremola zu gehen, gebe ich nicht statt; ich marschiere immer weiter geradeaus, auch wenn das die Strecke etliche Kilometer weiter macht. Der Bogen ins Leere, er ist wirklich sehr beeindruckend, wenn man ihn bei gesperrtem Pass als Fussgänger ganz für sich alleine hat. Ich bewundere den tapferen Einzelbaum in dem gewaltigen Bogen. Ihm wird so schnell keiner zu nahe treten, wo er sich so klug hingestellt hat.
Gibt es denn Schnee bei der Winterwanderung? – Noch nicht, noch nicht! Dann und wann ein paar Kegel, wo man etwas winterlicher gestimmt wird. Aber sonst? – Nein. Nach dem langen Hatsch zurück Richtung Pass meine ich, der Tunnel würde sich jetzt gleich öffnen. Tut er nicht, erst wird’s noch panoramisch. Ich schaue in die Runde, schneelos unter 1900 Metern, nur das Dorf Fontana, im ewigen Schatten im Winter, es ist ganz weiss, ganz weit unten auf 1280 Metern Höhe. Nun, den letzten Kilometer tapfer erwandert, auf, zum Eingang der Galleria.
Die Galleria Sant’Antonio durchquert eine gefährliche Felswand, die ich die letzten Jahre nie anders als schneestarrend und lawinendurchzogen gesehen habe. Darum denkt sich der kluge rojosuiza, allen Gefahren eine lange Nase zu machen und in der Galleria schneefrei durch diese Wand zu ziehen. Die Karte zeigt, dass vor der halboffenen Galleria ein Stück geschlossener Tunnel ist. Macht mir solches etwa Angst? – Gewiss nicht, hat mir gegen die Dunkelheit doch Sant’Antonio die Stirnlampe mitgegeben. Der Erfolg ist mir sicher!
Heulen, heulen, heulen! Mein gewaltiges Heulen, es steigt zum Himmel. Doch rührt sich etwas? Beten, Hadern, Herumdrücken, alles, alles hilft es nichts. Wer konnte das denn ahnen? – Die Galleria ist zu, verschlossen! Die Götter haben den Tunnel böswillig mit Metalltüren verschlossen!
Eine geraume Weile kraxelt rojosuiza auf der Schneewulst herum. Wozu weiss er selber nicht so recht, die Tore werden sich dadurch nicht aufmachen. Er geht zum Eingang mit der Nottüre, um auch daran zu rüttelt: vergeblich natürlich. Er rüttelt am Gefüge der grossen Torflügel, es tut sich nichts, rein gar nichts. Er blickt dem Kraftstrom unter der Schutzkappe ins trübe Auge: nichts öffnet sich. Es gibt keinen Zugang. – Man ist tatsächlich abgewiesen von Tür und Tor, und von dem Heiligen Sant’Antonio. – Ja, klar, man will ja keine Schneeverwehungen im Tunnel. Versteht man doch. Aber wenigstens eine klitzekleine Tür, eine Fussgängertür nur, für den einsamen Winterwanderer, für rojosuiza?
Nach dem Heulen und Weinen ist es offensichtlich: Die Wanderung muss abgebrochen werden. – Oder kann sie noch umgebaut werden, damit sie doch ein erspriessliches Ende finden kann? Also steigt der müde Wanderer noch etwas weiter hinauf, in einem Gelände, das jetzt doch langsam winterliche Züge anzunehmen beginnt. Er folgt der kleinen Kiesstrasse hinauf zu den Hütten auf 2040m. Hier gilt es schon oft gut aufzupassen, die Strasse ist schräg mit Schnee gefüllt. Man will ja nicht zu allem Elend auch noch hinunterfallen, weil die blöde Galleria zu ist. Wenn man erst vorn bei den Hütten ist, kann man wenigenstens auf die Via Tremola hinabschauen, und vielleicht sieht man dort weiter.
rojosuiza findet einen Wegweiser, über die Galleria zum Gotthardpass – doch so leicht er sich manchmal verlocken lässt, auf dieses unsinnige Wagnis lässt er sich denn doch nicht ein. Es ist wahr, dass in diesem Jahr so wenig Schnee liegt wie selten, ebenso wahr ist, dass das Gelände fürchterlich abschüssig ist. Sogar ein gewöhnlicher Wanderweg wird lebensgefährlich, wenn er sich in eine schneegefüllte Schräge verwandelt hat. Die Strasse wäre auch mit Schneeauflage, auch mit Schräge, gut zu machen gewesen, doch ein schmaler Weg?
So zottelt rojosuiza bergab, auf steilem Pfad wieder hinab zum Panorama mit dem grossen Parkplatz, den man einzig für ihn angelegt hat, wie ganz offensichtlich ist. Mitten auf dem Asphalt- und Schneeplatz ist eine Aussparung – für ein kleines Schwimmbad, ohne Zweifel…Jetzt ist es zugedeckt, damit die Wärme nicht verloren geht. Das Kristallmuseum ist zu, leider, die Cappuccino-Quellen, sie sind ebenfalls versiegt. Gerade dann, wenn rojosuiza für seinen Trunk nicht anstehen müsste, ist wieder einmal alles zu. Zu oben, zu unten, überall alles zu.
Gerade habe ich geredet von Wanderwegen, die sich in eine schneegefüllte Schräge verwandeln? – Nun denn, jetzt kommen sie. Schön in den Hang eingebettet sind sie, im Sommer die reinste Freude, jetzt schräg gefüllt und zum Teil hartgefroren, denn hier weicht der Schatten nicht. So ist zum Schluss der ungefährlichste Teil am gefährlichsten.
rojosuiza rutscht nie weit. Die Stöcke wirken hier Wunder. Er fällt nicht. Zum Schluss findet er sich unter dem Eingang zur Tremola auf dem Standard-Wanderweg zum San Gottardo wieder. Den hat er in all den Jahren immer verpasst, weil er immer quer durch die alte Passstrasse hinaufgestiegen ist. Jetzt wandelt er glücklich hinab. Er läuft zwischen dichten Bäumchen und Bäumen, die hier schon den Frühling geben mit ihren dicken Kätzchen.
Nach der misslungenen Passüberquerung und dem enttäuschenden Heiligen ist es in rojosuizas Inneren am Schluss ganz still und er ist tief zufrieden. So nimmt die Allmacht mit einer Hand, und sie gibt mit der anderen…
Tourengänger:
rojosuiza

Communities: Alleingänge/Solo, Passwanderungen
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