Mera (X) - taube Gliedmaßen & 5x 8000 - Mera Peak Central (6461m)


Publiziert von Kris , 30. Januar 2023 um 20:03.

Region: Welt » Nepal » Khumbu
Tour Datum: 4 November 2022
Hochtouren Schwierigkeit: WS-
Wegpunkte:
Geo-Tags: NEP 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 660 m
Abstieg: 1600 m

Immer wieder werde ich wach, im Schein der Stirnlampen, die ihren Weg zur Toilette suchen und dabei aber auch die Zelte an- und ausleuchten. Immer wieder rutsche ich auf den beiden übereinander gestapelten Isomatten hin und her. Immer wieder versuche ich, alle Gegenstände beieinander zu halten, damit nichts gefriert. Summa Summarum - es ist nicht unbedingt eine erholsame Nacht. Ich bin dennoch froh, das mir zwischendrin doch Schlafphasen vergönnt sind. 

So oder so - um 1:15 Uhr klingelt der Wecker. Schnell schalte ich ihn aus und beginne schon direkt meine letzten Dinge für den Abmarsch zusammenzusuchen. Dieser verflixte Handschuh will sich erst nicht finden lassen, bis er - erleichternd - doch auftaucht. Ich gehe nochmal alles durch - es sollte alles da sein. Da kann das reichhaltige Frühstück doch kommen zu dieser appetitreichen Uhrzeit. Ich werfe mich in die schweren Bergschuhe und stapfe mit Stirnlampe zum Plastikplanen-Zelt. Hier erwartet mich etwas Porridge und viele, leere Gesichter. Während die Glasflasche unaufhörlich laute Geräusche von sich gibt, schwelgt wohl jeder in seinem eigenen Leid, oder in der Konzentration? Gerade kann man es nicht unterscheiden. Ich versuche mir so viel wie möglich in den Mund zu stopfen, doch so richtig munden will es nicht. Außerdem möglichst viel heißer Tee, der weiteren Akklimatisation zu liebe. Ich lasse mir außerdem noch heißen Tee in meine ramponierte Thermoskanne abfüllen.

Die Zeit verschwimmt hier, aber irgendwann ist Aufbruch. Also ab ans Zelt, Rucksack heraus. Steigeisen an, was allein immer eine Schweißaufgabe ist hier oben. Es sind diesmal nur knapp 700hm bis zum Gipfel, doch ich werde diesmal "dopen". Dopen meint hier - Kopfhörer rein um der Monotonie des nächtlichen Aufstiegs zu trotzen. Ein Podcast wird hier durchlaufen und mich begleiten. Hauptsache ich muss keine Songs weiterschalten, lauter, leiser machen. Es soll einfach funktionieren. Ganz bei Trost ist man nicht, so entscheide ich mich - folgenschwer? - dazu, mein mittleres Handschuhpaar (insg. 3 an der Zahl) erstmal als "Reserve" zurückzuhalten. Denn, man weiß ja - um ca. 4 Uhr ist es des Nachts am kältesten. Dafür will ich die Reserve aufsparen, wie bereits in Ecuador erfolgreich durchgeführt. 

So stehe ich also bereit. Mit Mütze, Sturmmaske, 2x Merino-Thermounterwäschen, Softshell und Hardshell Hose, 2 Paar Socken in den Bergschuhen, Langarmshirt, Softshell, Hardshell und dicker Daunenjacke. Und eben 2 Paar Handschuhen. Bereit stehen neben mir 8 von 9 aus der Truppe. Leider hat ein Mitstreiter bereits die weiße Flagge geschwenkt, nachdem bereits in Khare der Magen verdorben und der Aufstieg ins High Camp arg mühevoll war. Wir gehen in 2 Gruppen a 4 Personen, plus Guide respektive Assistant Guide. Wir gehen am Seil und so setzt sich unsere Karawane langsam in Bewegung. Wir sind nicht die einzigen, neben uns starten zwei weitere Gruppen an die ich mich erinnern kann. Weitere Deutsche, die wir immer wieder in den letzten Tagen gesehen haben, müssen dagegen direkt absteigen. 

Ich habe mich durch die Kopfhörer der Umgebungsgeräusche beraubt, daher bekomme ich zuerst nicht mit, warum wir so unrund starten. Wir bleiben öfter stehen, die vordere Gruppe entfernt sich immer weiter von uns. Bei jedem Stopp dringt direkt die Kälte in alle Glieder. Laut Wetterbericht sind gefühlte -25 Grad. Zumindest ist es aber - fast - windstill. Genau deswegen haben wir ja den Gipfeltag um einen Tag nach vorne geschoben. Nach circa 20 Minuten erschließt sich mir, warum wir bisher gestoppt sind. Ein Mitstreiter aus unserer Gruppe kann nicht weitergehen. Er fühlt direkt nach Start das er es heute nicht schaffen wird, sich viel zu schwach fühlt. Unser Hauptguide Nima geht mit ihm zurück zum High Camp, wo er weiterschlafen kann bis zum Morgen. Jetzt darf nichts mehr schief gehen, da wir nun in beiden Gruppen keinen Ersatz-Guide mehr haben. Bisher bin ich einigermaßen im Rhythmus, daher hoffe ich, das es allen so geht .. doch werde ich bald eines besseren belehrt.. 


Ich bin mittlerweile in der "Sandwich"-Position - also Guide ganz vorn, einer der anderen Gäste vorn und hinter mir. Doch sehr bald ruckt es öfter hinter mir. Wir müssen stehen bleiben. Bald alle 20, dann alle 10 Meter. Ein böses Gefühl beschleicht mich. Da wir keinen Ersatzguide mehr bei uns haben, bedeutet ein weiterer Ausfall das sichere Rückkehren ins Camp und das Aus für den Gipfelerfolg. Dabei haben wir gerade erst begonnen.. Hinter mir werden alle Zähne zusammengebissen. Wir sollen weitergehen. Die Pausen, die wir nach wenigen Minuten einlegen müssen, bleiben aber. Und diese eröffnen ein neues Problem: die Kälte. Vor mir werden wild beide Beine geschwungen um nicht einzufrieren. Ich versuche Hände und Füße zu bewegen. Die mittleren Handschuhe wären jetzt ein Segen. Mir ist aber zu kalt, als das ich es übers Herz bringe sie aus dem Rucksack zu holen und anzuziehen.. 

Bald spüre ich weder Füße, noch Hände wirklich. Ich kann die Füße im Schuh nicht mehr vor- und zurückbewegen. Gut , dass sie so fest sitzen dass ich weiterlaufen kann.. Der Rhythmus ist natürlich dahin. Und so schleppen wir uns dahin und der eigentlich angedachte Gletscherspaziergang fällt aus. Zwischenzeitlich zieht die Gradzahl merklich an und es ist steiler als ich dachte. Schritt um Schritt bewegen wir uns voran und von der Sonne noch lange keine Spur.. Ich bin froh über die auditive Ablenkung. Wahrscheinlich ermöglicht mir nur dies, so oft wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Trotzdem erwarte ich jeden Moment die Umkehr, nach jedem erneuten Stehenbleiben und über die Stöcke lehnen. 

Die weiteren Stirnlampen sind bereits weit über uns. Zumindest besteht aber kein großer Zeitdruck bspw. durch Eisschlag im Sonnenschein. Mittlerweile frage ich mich, ob unser Hauptguide eigentlich nach dem Abliefern im High Camp uns eigentlich hinterherschreitet? Daran klammert sich meine Hoffnung. Sobald Nima wieder da ist, kann zur Not wiederum einer aufgeben und wir können weitergehen. Aber er kommt und kommt nicht. Und wir gehen weiter und weiter. Es sind bereits Stunden vergangen, als ich mich - mal wieder - umdrehe und die ersten hellen Strahlen am Horizont sehe, die einen Sonnenaufgang zumindest ankündigen. Meine - zum Glück! - noch schmerzenden Hände und Füße warten sehnsüchtig darauf.. 

Trotz der häufigen Pausen trinke ich bisher keinen Schluck Tee, nehme auch kein Gel zu mir. Die Erschöpfung ist mittlerweile groß, die Trägheit mindestens genauso. Es sind doch nur 660 Höhenmeter, wieso zieht sich das so? Das was sich da oben im Dunkel abzeichnet, wo die Stirnlampen gerade darauf zu laufen, das muss doch dann endlich der Gipfelaufschwung sein? Er ist es nicht. Die Höhenmeter ziehen sich wie Kaugummi und so begrüßen wir dann noch mitten im Aufstieg begriffen endlich den Sonnenaufgang. Der Sonnenaufgang ist schön, sehr schön sogar und das Panorama öffnet sich zu unsagbarer Prominenz. Allein genießen kann ich es gerade nicht und erinnere mich auch nur sehr verschwommen daran. Ich funktioniere. Nun in einer erhellten, längeren Pause stärke ich mich doch etwas und sehe die Prominenz. Everest. Lhotse. Makalu. Wow. Doch wir sind nicht oben..

Vor und hinter uns laufen die beiden anderen, externen Gruppen. Hinter uns ein Amerikaner. Der Einzige, der aus seiner Gruppe übrig geblieben ist. Vor uns zwei Inder. Von unseren Mitstreitern dagegen keine Spur. Sicher sind sie bereits oben. Doch da oben wartet wieder so eine Kante, dahinter ist sicher direkt der Gipfelaufschwung. Pustekuchen. Wir kämpfen um jeden Höhenmeter und doch keine Spur vom Gipfel. Nun ziehen wir flacher über ein Plateau, dann wieder um ein Eck und über eine Kante, weiter nach rechts. Der Podcast begleitet mich weiterhin. Die Sonne ist zwar da, nur wärmt sie irgendwie bisher nicht, mir ist immer noch so kalt. Das Gefühl in die Gliedmaßen will einfach nicht wiederkehren. Dort vorn? Wer ist da? Dort steilt es auf! Das ist ja der Gipfel..


Nun müssen wir es schaffen, trotz der unzähligen Pausen hält mein Hintermann durch. Unser Hauptguide ist auch wieder zu uns gestoßen. Nichts kann uns mehr aufhalten. Während die zweite Truppe den Gipfelerfolg feiert und bald wieder absteigt, kommen wir der kleinen Gipfelpyramide näher. Diese steilt vor uns liegend immer weiter auf. Ich muss schlucken. Das wird nochmal heftig. Ein Fixseil, wie es manchmal der Fall ist, wird diesmal aber nicht gebraucht. Wir kommen auch sicher gut ohne Pickel aus, diese hatten wir ja bereits in Kathmandu gelassen. Unsere Zweittruppe kommt den Steilaufschwung herunter. Setzt sich in den Schnee und macht eine langgedehnte Pause und bejubelt uns als wir vorbeischreiten. Nun steilt es auf 40° auf und wir bewegen uns wie in Zeitlupe. Videos belegen das, es ist nicht nur ein verklärter Sinneseindruck. Aber schneller können wir nicht, pausieren nach ein paar Schritten auch hier. Aber wir schaffen es. Ganz oben kommen uns die beiden Inder entgegen. Wir beglückwünschen uns und dann sind wir da, an den zwei ins Eis gelegten Gipfelfahnen. Staunen. Über 5x 8000er. Everest, Lhotse, Makalu, Cho Oyu und entfernt der Kangchendzönga. Und staunen über uns, dass wir uns durchgebissen haben. Wir klatschen uns mit den gefühllosen Händen ab. Machen Fotos, Videos und genießen diese - und das behaupte ich nun einfach - unvergleichliche Aussicht.

Dem Abstieg sehen wir erwartungsgemäß freundlicher entgegen. Denn runter geht es immer - wesentlich - einfacher. So stellt auch der Steilaufschwung am Gipfel abwärts kein Problem dar. Unsere Zweittruppe hat genug gefroren und ist bereits Richtung High Camp entschwunden. Wir lassen uns an die selbe Stelle fallen und kräftigen uns abermals. Bemerkenswert: der alpendohlenartige Vogel der uns hier beobachtet. Beobachtet, ob etwas für ihn abfällt. Auf fast sechseinhalbtausend Metern! Der Abstieg in Richtung High Camp verläuft ereignisarm. Wir können nun auch perspektivisch die Aussicht weiter genießen, da wir direkt auf den Everest zuzulaufen scheinen. Ganz unten warten die kleinen Punkte der Zelte auf uns. Hier freue ich mich auf eine lange Pause. Mit vermeintlich letzten Kräften schleppen wir uns in das High Camp. Während wir am Kilimanjaro nun eine zweistündige Schlafpause zugestanden bekamen, heißt es hier: kurze Erholung, kurzer Snack und dann Sachen packen und abwärts gen Khare! Die Laune ist entsprechend im Keller, da wir fast ohne Ruhepause die weiteren 1000 Höhenmeter abwärts angehen. Auch das Zusammenpacken der Isomatte und Schlafsack ist keine Freude.

Die Gletscherhatsch läuft natürlich, sobald man einmal gestartet ist. Bald verschwindet der Everest, nun in anderer Perspektive hinter den  niedrigeren, vorgelagerten Bergen. Aber wir haben ihn stundenlang in uns aufsaugen können. Nach dem Mera-La erwartet uns der steile Part hinunter zum Base Camp. Hier nochmal alle Konzentration sammeln und auch an den vereisten Stellen aufpassen. Dann können wir uns der Steigeisen entledigen. Ich wechsle auf die mittleren Bergschuhe. Eine wahre Genugtuung. Der weitere Weg nach Khare ist dann dennoch ein Kraftakt. Die Konzentration ist nicht mehr da. So stolpern wir mehr schlecht als recht über das Geröll, froh das wir uns nicht die Haxen brechen. Kurz bevor wir in Khare ankommen, geht nun auch noch immer wieder mein Schnürsenkel auf. Provisorisch gefixt, das muss für die letzten Meter reichen, die wir in leichtem Nebel und leichtem Regentröpfeln absolvieren. Es sind die einzigen Tropfen einer sonst wetterseitig tadellosen Reise. Erschöpft und glücklich kommen wir in Khare an. Gönnen uns ein teures Gipfelbier und sind froh, mit der sehr guten Quote von 7/9 auf dem Mera gestanden zu haben der nun wieder über uns thront.. doch die Gliedmaßen bleiben vorerst taub.


KONDITION 4.5/5
ORIENTIERUNG 3.5/5
TECHNIK 3/5
EXPONIERTHEIT 3/5

Tourengänger: Kris


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Kommentare (7)


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basodino hat gesagt: Sehr eindrücklich
Gesendet am 30. Januar 2023 um 21:45
Hallo Kris,

jetzt hast Du uns ja lange auf die Folter gespannt, bis Du die Gipfeletappe geschrieben hast. Wenn ich Deine Zeilen lese, denke ich, wow, will ich das wirklich erleben: der Kampf, die Kälte, die Taubheit auch im Geiste? Aber wenn ich die Bilder sehe, dann muss ich schon sagen, supergeil!

Danke, dass Du uns auf Deine Reise innen und außen so schön mitnimmst.

Weiterhin schöne Touren
Marcel

Kris hat gesagt: RE:Sehr eindrücklich
Gesendet am 1. Februar 2023 um 12:54
Hey Marcel,
freut mich, dass ich die Eindrücke lebhaft vermitteln konnte! Am Ende ist es wie so oft beim Bergsteigen - die Einschränkungen & Strapazen sind schnell vergessen, die Erlebnisse bleiben.. ich kann durchaus zur Nachahmung anregen ;-)
VG
Kris

Linard03 hat gesagt:
Gesendet am 31. Januar 2023 um 09:04
da kann ich mich basodino nur anschliessen: tolle Bilder!
Und natürlich Gratulation zum Mera Peak.

Kris hat gesagt: RE:
Gesendet am 1. Februar 2023 um 12:54
Vielen Dank!
BG
Kris

Nyn hat gesagt:
Gesendet am 31. Januar 2023 um 18:26
Herzlichen Glückwunsch zur gelungen Besteigung.
Wenn ich an so manche eigene Erlebnisse an 4000ern der Alpen denke, dann ist das ne ganz andere Hausnmmmer - sowohl physisch als auch psychsich. Respekt!

Kris hat gesagt: RE:
Gesendet am 1. Februar 2023 um 12:55
Danke dir! Ja, die Anforderungen unterscheiden sich. Dafür ist die technische Schwierigkeit des Aufstiegs kaum mit einem 4000er zu vergleichen. Ich möchte mir daher nicht vorstellen, wie strapaziös ein hoher und technischer schwieriger Berg ist.. bspw. Ama Dablam.
VG
Kris

rhenus hat gesagt:
Gesendet am 4. Februar 2023 um 15:06
Wunderschöne Bilder von grossartigen Bergen, die mir etwas vertraut vorkommen. Herzliche Gratulation zu deiner Gipfelbesteigung bei diesem Traumwetter. Gut hast du durchgehalten. Gruäss rhenus


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