Cima Brenta durch die Südwand


Publiziert von rele , 23. Juli 2022 um 10:08.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum: 9 Juli 2022
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 

Die majestätische Cima Brenta, mittlerweile (nach dem Abschmelzen der Cima Tosa-Eiskappe) wohl der höchste Gipfel der Brenta-Gruppe, kann über mehrere Wege bestiegen werden, die heutzutage allesamt herausfordernder werden. Vor 16 Jahren erstieg ich sie noch vom Bocchette-Weg aus — heute ist das offenbar nicht mehr so gängig, wie sich noch herausstellen soll. Eine andere Route führt von Norden über den (stets schwindenden) Gletscher hinauf. Der heutige Normalweg führt offenbar von Süden durch ein langes System von Bändern, ist jedoch ebenfalls kaum begangen. Der alte AV-Führer aus dem Jahre 1988 legt noch eine Variante nahe, die mich sehr interessiert: Eine Überschreitung des Gesamtmassivs von der westlichen Punte di Campigilio über die Cima Mandron und die Cima Brenta bis zum Bocchette-Weg! Diesem Monster möchte ich mich gerne zuerst widmen, mal schauen...
 
Ich habe einen Tag Zeit auf der Alimonta-Hütte geschenkt bekommen, und diesen Tag möchte ich nutzen. Frühmorgens starte ich von der Hütte auf dem SOSAT-Weg wie im Führer beschrieben bis auf die Westseite der Punte di Campiglio, bis dort, wo ein langes horizontales Wegstück das Ende der Seilsicherungen darstellt. Man befindet sich vor einem begrasten Rücken. Darauf hält man sich ostw. ohne Schwierigkeiten, bis man auf einen Felsrücken stößt, der eine markante Schluchtrinne begrenzt. Auf dem Rücken, leicht links haltend, empor (I). ... Na, klingt doch toll! Auf besagtem horizontalen Wegstück glaube ich tatsächlich so etwas wie einen kurzen begrasten Rücken zu erkennen. Schluchtrinnen gibt es zuhauf, auch einen begrenzenden Felsrücken könnte ich in der verwirrenden Wand ausmachen... Na, ich versuche mein Glück, steige den grasig-felsigen Hang empor und suche in den Felsen darüber nach verschiedenen Möglichkeiten, im ersten Schwierigkeitsgrad (oder was man früher dafür hielt) in die Nähe einer der Rinnen zu kommen. Das Gelände ist aber schon verdammt steil! Kurz gesagt, nach knapp zwei Stunden Probierens gebe ich auf, hier seilfrei noch irgendwie weiter zu kommen -- und widme mich stattdessen Alternativplänen: Zurück auf dem SOSAT-Weg und bis zu dem Punkt, wo der Anstieg von der Brentei-Hütte zur Alimonta-Hütte am Grunde der Schlucht eine starke Rechtskurve macht. Die Stelle ist mit einem Steinmann markiert: Hier startet der Weg durch die Südwand.
 
Ich weiche also links (nördlich) vom Weg ab und steige Spuren nach, auf dem Geröll nach oben unter den linken von zwei Einschnitten. Hier kommt nun sogleich eine der Schlüsselstellen: Eine 30m-Wand soll im II. Grad überwunden werden -- eine gute psychische Teststrecke für alle, die auf diesem Weg ohne Seil unterwegs sein wollen! Oben befindet sich ein gebohrter Standplatz mit großem Steinmann. Im Anschluss geht es über Gehgelände in einen moderaten Anstieg und schließlich auf einem schmaler werdenden Band in eine längere Querung nach rechts, wo bald eine von oben herabziehende, markante Schluchtrinne überwunden wird. Hier tropft selbst in dieser Trockenperiode ein wenig Wasser die Felsen hinunter: offenbar also eine recht verlässliche Wasserquelle für genügsame Gemüter! Direkt an die Rinne schließt sich die zweite, bzw. eigentliche Schlüsselstelle an: Eine 150m hohe Felsrampe, die auf das nächsthöhere Band leitet. Die höchsten Schwierigkeiten finden sich im mittleren Teil (II), ausgesetzte Kletterstellen können nicht immer umgangen werden. Am besten sucht man konsequent den Weg entlang der Steinmandln und Bohrhaken, die (einschließlich einiger kurzer Querungen auf Bändern) den leichtesten Weg durch den Aufschwung anzeigen. Ist diese Rampe erst mal bewältigt, hat man die Hauptschwierigkeiten hinter sich. Es folgt wieder eine entspannte Querung auf einem Band entlang der weiterhin verlässlichen Steinmandln. Nach einem kurzem Abstieg ist das Band bald zu Ende, und ein Steinmann weist den Einstieg in eine 10m-Wand, die im unteren II. Grad keine große psychische oder technische Hürde mehr darstellt. Im Anschluss daran befinde ich mich am Grunde eines großen Kessels, der sich trichterförmig nach oben zum Grat der Cima Brenta öffnet. Die Kletterschwierigkeiten bleiben von nun an innerhalb des 1. Grades. Dafür ist die Wegführung etwas beliebiger, und ich muss manche Steinmandln ein wenig suchen. Zunächst führen sie mich in einer weißen Rinne schräg nach rechts oben bis zu deren Ende. Nun auf einen kleinen Turm zu, der in der Mitte des Trichters aufragt, und, kurz etwas steiler, links in einem Riss daran vorbei. Oben wird es wieder etwas unübersichtlicher, bis ich auf eine schneegefüllte Querrinne treffe: Hier geht es rechts entlang sanft ansteigend weiter, bis ich am unteren Ende einer aus der Gipfelnähe herabführenden Geröllrinne stehe (Steinmann). An ihrem linken Rand geht es weiter nach oben, schließlich teilt sich die Rinne, und ich bleibe am linken Rand der linken Rinnenteilung. Oben gelange ich problemlos auf den breiten Grat und in wenigen Metern zum bekreuzten Gipfel.

Ich bleibe weit über eine Stunde und genieße das fantastische Wetter, die weiten Blicke und -- die absolute Stille. Selbst an diesem Prachtwetter-Samstag verirrt sich niemand Weiteres mehr hier hinauf! Fast bin ich ein bisschen traurig darüber, denn nach einer solchen Bergfahrt mit solchem Panorama allein zu sein, mutet beinah ein wenig verschwenderisch an :)

Schließlich mache ich mich an den Abstieg, den ich entlang meiner früheren Route von vor 16 Jahren zu tun gedenke: Damals kam ich auf dem Bocchette-Weg entlang, sah an den Felsen den (heute fehlenden) Schriftzug "Cima Brenta" und folgte Steinmandln mit leichter Kletterei bis zum Gipfel. Also los, den deutlichen Steinmandln und Spuren folgend den Grat nach Nordosten hinunter. Vor der Scharte zum nächsten Gratturm (Vorgipfel) werden allerdings die Spuren undeutlicher, und plötzlich stehe ich in sehr unangenehmem Gelände an einer Abseilstelle, wenige Meter über der Scharte (T6). Fast könnte man springen! Kurz überlege ich, an meiner 10m-Reepschnur abzuseilen, um die Scharte weiter begutachten zu können -- aber das brüchige Gelände ist einfach zu unangenehm! Auf dem Rückweg zum Gipfel suche ich, ob ich einen Abzweig in die Ostseite verpasst habe, doch überall ist das Gelände abweisend. Ist meine Erinnerung so schlecht? Später sollte mir der Alimonta-Hüttenwirt die Auskunft erteilen, dass die Route zwar noch die gleiche sei wie vor 16 Jahren, aber die Felsqualität durch mangelnde Schnee- und Eisauflage sehr gelitten habe.

Also zur nächsten Alternative: Ein ganzes Stück folge ich der Aufstiegsroute zurück in den Trichter und beinahe bis zu dessen Ende hinunter, bis sich links (östlich) ein horizontales Schotterband öffnet. Auf diesem zu einem gut sichtbaren Steinmandl und weiter Mandln folgend bis zu einer Rinne. Hier hinein über ein kurzes, schmales und ausgesetztes Stück (T5), dann weiter einfach dem nun wieder breiten Band entlang, bis man auf den Bocchette-Weg stößt (Klettersteigset & Helm angeraten). Diesem folge ich nach rechts (Süden) in munterem Auf und Ab, bis ich schließlich vor der Bocca dei Armi wieder hinunter zur Alimonta-Hütte absteigen kann.

Fazit: Großartige, einsame, hochalpine, sehr lohnende Tour!
Stabiles Wetter ist Grundbedingung, da nirgendwo ein schneller Notabstieg möglich ist. Allein für den Abstieg am Bocchette-Weg sollte man -- je nach Frequentation und eigener Sicherungsphilosophie -- gute zwei Stunden einplanen. Das Zurückklettern auf der Aufstiegsroute würde ich
ohne Seil schon ab der Einstiegswand, viel mehr noch von oberhalb der Rampe nur äußerst ungern versuchen!

Anmerkung zur Schwierigkeitsbewertung: Beschränkt man sich auf den Weg durch die Südwand inkl. der beschriebenen Abstiegsversion (nicht des Abstiegs zum Garbariband!) und bewertet allein das Gehgelände, kommt man wohl mit T5 aus. Ich bewerte die Tour dennoch vorerst mit T6, um keine falschen Vorstellungen bzgl. der Seriosität der Unternehmung aufkommen zu lassen. Die Kletterei ist free solo anspruchsvoll genug... mögen mich zukünftige Begeher korrigieren.

Tourengänger: rele


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Kommentare (4)


Kommentar hinzufügen

Nyn hat gesagt:
Gesendet am 23. Juli 2022 um 16:08
Gratulation
Die Brenta Gruppe bietet mit den Wandstufen und Bändern ein sehr eindrückliches Szenario und eine Fülle bei uns weniger oder kaum bekannter Routen und Kraxeleien (außer dem Bochette-Weg).
Dort "Klassisches" 2er-Gelände seilfrei anzugehn wird -wie du schon selbst sagst- ziemlich spannend sein!

VG, Nyn

rele hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. Juli 2022 um 02:25
Danke Dir Nyn, da gibt's wirklich noch Einiges zu entdecken! Und beim abschließenden Topo-Foto hab ich doch tatsächlich rinks und lechz verwechselt :) Hab's jetzt gleich korrigiert... Danke fürs aufmerksam machen!

Cubemaster hat gesagt: Super Bericht!
Gesendet am 16. August 2022 um 11:35
Gratulation zur tollen Tour und vielen Dank für den ausführlichen Bericht! Da hast du einige weiße Flecken in der hikr-Landkarte (bzw. sogar im ganzen deutschsprachigen Internet) gefüllt. Die Südwand-Route hatte ich mir damals seilfrei nicht zugetraut, weil ich da im Zweifel ja auch wieder hätte absteigen müssen. Mit deinen zusätzlichen Infos, dass man da Haken bzw. Abseilmöglichkeiten hat, wird es schon etwas entspannter.

Sehr cool auch dein Abstiegsweg "außen herum", von der Möglichkeit hatte ich bis jetzt noch gar nichts gewusst.

Weiterhin schöne Touren!

rele hat gesagt: RE:Super Bericht!
Gesendet am 16. August 2022 um 12:44
Lieben Dank für die lobenden Worte! Ich wundere mich auch, dass gerade diese beliebte Region außer den Standard-Klettersteigen noch so wenig Aufmerksamkeit von Gipfelfreunden bekommen hat. Dein Brenta-Bericht war da lange auf einsamer Flur... Aber das scheint sich ja grade zu ändern, s. z.B. auch den heutigen Bericht von Andy84.
Über den Abstiegsweg "außen herum" hatte ich in einem italienischen Bericht gelesen und war dann tatsächlich sehr dankbar darum, nachdem der geplante Abstieg zum Garbariband nicht klappte ;)


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