Glaziale Perlen des Nordschwarzwalds, oder: Im dichtn Fichtnunterholz sollte man ...


Publiziert von Schubi , 21. Juni 2021 um 13:44.

Region: Welt » Deutschland » Südwestliche Mittelgebirge » Schwarzwald
Tour Datum:29 Mai 2021
Wandern Schwierigkeit: T4- - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Aufstieg: 230 m
Abstieg: 230 m
Strecke:6,6 + 6,0 + 8,6 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Schwarzwaldhochstraße, Wanderparkplatz Zollstockloipe oder Wanderparkplatz Ellbachstraße in Baiersbronn-Mitteltal
Zufahrt zum Ankunftspunkt:s.o.

... Obacht geben, beim Durchwurschtln seine Ohrmuschln nicht an Fichtnästn aufzuspiessen. So jedenfalls erging es mir neulich beinahe während meiner zweiten Erkundung im Rotengießen-Kar oberhalb von Baiersbronn. Zum Glück kam es jedoch zu keinem roten Blutvergießen im Rotengießen ...

Wie ja schon in einigen meiner anderen Berichte erwähnt, interessiere ich mich für die Relikte der Eizeiten hier im Schwarzwald, zB in Form von Karen. Der Rotengießen liegt wie so viele
Schwarzwald-Kare nach Osten ausgerichtet, und zwar zwischen zwei Ausläufern (Rappenberg und Hechlisberg) des Kniebis-Rückens. Er hat eine typische halbrunde Form mit steiler Rückwand, resultierend aus einer Vergletscherung, die zu Abtragung und Verlagerung von recht beträchtlichen Gesteinsmengen führte. Der Name "Rotengießen" ist schnell erklärt: "Gießen" hat man früher Gegenden benannt, die reich an Quellen sind. Und rot schimmert (spez. im Sonnenlicht) der Buntsandstein in den dortigen Bächen, eine Folge des im Sandstein enthaltenen, oxidierenden Eisens. Anlass für die Erkundungen war mal wieder die Topo-Karte, denn sie deutet auch auf Felsen in der Karwand hin (alle namenlos, bis auf die "Bärenfelsen" in der Nordhälfte) sowie auf tobelige Bachläufe.

Die Geologen Fritz Fezer und Adolf Zienert haben in den sechziger Jahren einen interessanten Aufsatz (S. 53-75) zu den eiszeitlichen Formenbildungen im Schwarzwald verfasst und über den  Rotengießen findet man darin Folgendes: "Die Seitenmoränen sind dreifach entwickelt auf mächtiger Füllung. Rechts vom Bach liegen die Wälle treppenstufenartig übereinander, der innerste ist der höchste ... Die Hintereinanderstaffelung von zusammen sieben Wällen (zwei mal drei Seiten-, eine Endmoräne) auf so kurze Entferung ist einmalig für unser Gebiet". Nix im Aufsatz zu finden (auch nicht in Fezers Vorgänger-Werk) war leider zu den zahlreich in der Karwand anstehenden Felsen, da ich diese natürlich spannender als die Moränenwälle unten fand. Und "Rechts vom Bach" ist etwas unglücklich formuliert, denn im Rotengießen sind insg. 15 Quellen mit ihren Bachläufen zu finden (wobei nicht alle ganzjährig Wasser führen). Im Karboden vereinigen sich die meisten aber zu einem einzigen, namenlosen Bach, der kurz danach in den von Süden kommenden "Bösen Ellbach" mündet. In direkter Nachbarschaft liegen noch weitere spannende Eiszeiten-Relikte, die ich *hier, *da *und dort besuchte.

Weitere drei Touren (Dezember, Mai und Juni) im Sinne von Erkundungen, weniger als Rundtour, führten mich als in den Rotengießen, die ich im Folgenden zusammenfasse. Für schöne Orte wie diesen haben die Jungs von Tortoise übrigens offenbar ihr Ten-Day Interval eingespielt und ich empfehle es deswegen hier mal als Soundtrack.


Der erste Besuch erfolgte Ende Dezember nach frischem Schneefall. Hier startete ich vom Baiersbronner Ortsteil Mitteltal aus in Richtung Rotengießen. Ein Stück am Ellbach entlang, dann über Forstwege und Rückegassen einmal links und einmal rechts in den unteren (recht symmetrischen) Bereich des Kars gestiegen, die letzten Meter immer weglos und mit zwei Tobeln als groben Zielen. Dabei konnte ich, spez. von einer südlichen, aufgelösten Rückegasse aus, auch Blicke auf zwei offenbar (unterm Schnee nicht ganz erkennbar) glatt geschliffene Felspartien erhaschen. Aufgrund des Schnees bin ich die steilen Tobelwände nicht runtergestiegen, aber für ein erstes Neugierig-Machen war diese Exkursion grad recht: denn ich stiess noch auf kleine Wasserfälle und Zusammenflüsse von Bächen, schön gerahmt von Buntsandstein.

Zeitsprung in den späten Mai und eine erneute Exkursion, diesmal von der Schwarzwaldhochstraße aus. Relativ eben nach Osten bis nahe der oberen Südostkante der Karwand und da ab ins Unterholz. Ich peile das obere Ende eines Tobels an und finde den Beginn einer sehr steilen, tief eingeschnittenen Rinne, weiter unten wird sie von senkrechten Felspartien begrenzt, Wasser höre ich keines. Spannend. Nun weiter nach Norden auf der Suche nach dem nächsten Tobel. Der beginnt im Walddunkel etwas sanfter, gräbt sich aber bald ebenfalls urig durch den Buntsandstein. Hier passiert mir auch das Beinahe-Ohrmuschel-Aufspiessen an einer der dicht stehenden Fichten :-/  Hoch zum Forstweg und nur ein kurzes Stück nördlich, dann wiede rechts ins Unterholz eingetaucht. Bald fällt das Terrain steil ab. Zwischen den Bäumen schimmern unten die Silhouetten von Felsen durch. Ich hangele mich herab um zu ihrer Vorder- Unterseite zu kommen. Die Buntsandstein-Felsen stehen oft etwas aus der Karwand heraus und haben mitunter schöne Überhänge. Gut erkennt man auch immer die stufige Schichtung der Felsen, denn es handelt sich ja um verwitterndes Sedimentgestein. Ihre Unterseiten verwittern offenbar schneller und so bilden sich talseitig oft kleine Höhlen. Ab hier wurschtle ich mich auf dem schmalen Band am Fuß der Felsen-Talseite weiter. Mitunter ist es trotz Baumbestands sogar mittelprächtig ausgesetzt. Unmengen von Fallholz liegen in der Karwand und erschweren oft das Weiterkommen. Ein Ausweichen nach oben oder unten ist im durchgehend abschüssigen, teils felsigen Gelände nicht immer einfach. Aber so kann ich Wegfindung gut üben, v.a. bei Unterholz-Sichtweiten, die nur 5-10 Meter betragen. Ich möchte noch den/die kartenverzeichneten Bärenfelsen finden. Dafür bin ich aber laut GPS vermutlich zu weit oben und ich schaffe nach einigem Suchen lediglich, einen Blick durchs Unterholz von oberhalb zu etwas hell in der Sonne Aufschimmernden zu erhaschen. Das wird er dann wohl sein der Bärenfelsen ... Weil ich diesmal keine Zeit mehr habe, um aussenrum tiefer in die Karwand zu kommen, halte ich es spannend bis zum nächsten Besuch ...

... Anfang Juno: hier ebenfalls Start von der Schwarzwaldhochstraße aus und ähnlich wie beim zweiten Besuch erstmal ins obere Drittel der Südost-Karwand gestiegen. Diesmal weiter rechts umgeschaut und nochmal neue, schöne Felsnasen gefunden. Auch heute wieder lustige Hangelei auf Bändern an den Fels-Sockeln. Nun hoch zum aufgelassenen Forstweg und über weitere Wege erst nordöstlich, dann südlich, um seitlich in ca. die halbe Höhe der Karwand zu gelangen. Dabei komme ich auch am nördlichen Karboden vorbei (eine Lichtung mit Salzlecke und Borkenkäfer-Zählstation). Denn strenggenommen ist der Rotengießen sogar ein Doppel-Kar. Im ersten Augenschein endet der Forstweg hier, im zweiten geht es dahinter zugewuchert weiter: eine Trassierung ist erkennbar und offenbar handelt es sich um einen aufgelassenen Pfad. Bald treffe ich wieder auf einen Tobel, und was für einen schönen: er beherbergt zwei Felsstufen, die nach Niederschlägen bestimmt nette Fallstufen bilden für den heute nur müde dahin-tröpfelnden Bachlauf. Natürlich steige ich mal hoch und mach ein paar Wasser-Fels-Studien. Zurück und weiter südlich auf besagtem Pfad-Rest und vorbei an weiteren Rinnen und Tobeln, teils trockengefallen. Nach ca. 300 m höre ich lautes Wasserrauschen und bald stosse ich auf einen Tobel ... nein, zwei? ... ich entdecke den Zusammenfluss von drei (!) Wasserläufen in einer kleinen Schlucht mit ausgewaschenen Felstrümmern, eingebettet in dschungeligen Bewuchs. Was für ein schöner Fund ... ich bin hier dann wohl auf das Herzstück des Rotengießens gestossen, und so sagt es mir auch die Karte :-) Große Freude über diesen wilden, schönen Ort. Hier in der Nähe war ich im Dezember vermutlich auch, wohl nur etwas oberhalb und halt von Süden kommend.

Noch fehlt mir aber der/die mysteriöse Bärenfelsen. Dafür auf dem verwilderten Pfad fast ganz zurück und dann steil weglos hoch in die Karwand, nochmals mit reichlich Unterholz/Fallholz/Geröll-Gewurschtel. Eine erste Felsgruppe zeichnet sich zwischen den Bäumen halbrechts ab, links oben steht eine noch höhere in der Wand. Also gibt es offenbar mehrere Felsen unter diesem Namen. Auch sie bestehen aus Buntsandstein mit der charkaterischen horizontal-Schichtung aus frostgesprengten Platten und haben teils schon Turm-Dimensionen. In die halbrechte Felsgruppe kraxle ich mal bis zur Hälfte und entdecke seitlich oben wirklich schöne Verwitterungsfomen. Und unten am Fuß wieder Höhlen. Dorthin werden sich damals die Bären wohl gemütlich zurückgezogen haben. Nun  der Versuch, näher an den erwähnten höheren Turm oberhalb zu gelangen. Dabei entdecke ich sogar noch zwei weiteren Felsgruppen ... steil, feucht und nur wenig gestuft. Mit Kraxeln ist hier deswegen leider nix mehr. Auf schmalem Band ausgesetzt entlang eines Felssockels dann noch näher an den Chef-Bärenfelsen heran, bis es wegen Fallholz nimmer weiter geht.

Aber wo ich schonmal im oberen Drittel der Karwand bin beschliesse ich, mich für den Rückweg diretissima weiter hoch durchs Gehülz zu schlagen und nicht die große Schleife erst runter und dann wieder hoch übers Wegenetz nehmen. Nach letztem, steilen Unterholz-Kampf dann also oben den aufgelassenen Forstweg gefunden, weiter westlich noch auf der höchsten Stelle des Rappenbergs geveschpert und schliesslich forstwegig zurück zum Wagen.

Fazit: die Vor-Erkundungen für eine spätere große Tour haben viel Freude gemacht. Der Rotengießen ist eine echte Perle unter den Karen im Nordschwarzwald, nur leider etwas unzugänglich. Ich staunte, welch massive Arbeit die Gletscher während der Eiszeiten hier geleistet und dabei wunderschöne Buntsandstein-Felsen aus der Karwand herausgehobelt haben. Nicht zu vergessen die vielen kleinen Tobel, in denen wilde Bächle ihre Arbeit verrichten. Für eine Tour mit noch mehr Kraxelei durch Tobel, Schliffe und Felsen komme ich gerne wieder. Nur nehm' ich das nächste Mal die Machete mit ;-)

Eine Tour aus der Rubrik Unterholz-Preziosen

Tourengänger: Schubi
Communities: Photographie


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Kommentare (4)


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Nyn hat gesagt:
Gesendet am 21. Juni 2021 um 16:21
Danke für's Mitnehmen. Bärigstarke Bilder!
und Was ein Glück, dass dir nix passiert ist.

Schubi hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2021 um 16:56
Danke dir, Markus.
Ja, seitdem geb' ich auf meine Ohren besonders acht :o)

Frankman hat gesagt:
Gesendet am 21. Juni 2021 um 18:01
- Man sieht nur, was man weiß -
Es lebe der glaziale Formenschatz, Jupilihee
Grüße und Take Care
Frankman


Schubi hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2021 um 19:19
Diesen Sinnspruch mag ich ebenfalls sehr.
Danke für deinen gutgelaunten Kommentar!


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