Elfer-Ostgipfel, Angererkopf, Sechszinkenspitze


Publiziert von Ben77 , 15. Januar 2020 um 12:10.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum:16 Juli 2019
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   D 
Zeitbedarf: 11:30
Aufstieg: 1700 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem Walserbus bis Mittelberg/Bödmen.

Tour durchgeführt am 16. & 25. Juli 2019
 
Es wäre mir beinahe gelungen, die gesamte Tour an einem Tag zu gehen, und das ist auch machbar. Am ersten Tag, dem 16. Juli, schaffte ich es dann allerdings nur bis auf zwei der sechs Zinken der Sechszinkenspitze und brach die Gratkraxelei an einer Abstiegs-IIer-Stelle wegen Verunsicherung und auch Zeitknappheit ab. Der Grat ist kein Spaziergelände. Es ist dort stellenweise sehr ausgesetzt und einige zu überkraxelnde Felsen sind wackelig. Beim Abstieg sah ich dann noch das von quacamozza in seinem Bericht zur Sechszinkenspitze erwähnte Gelbe Band. Dieses zieht sich quer durch die Südostflanke und leitet beinahe direkt zum Hauptgipfel, wodurch man die Überschreitung des prekären Grats umgehen kann.
 
Glücklicherweise fand ich für diesen spannenden Abschnitt auch eine Beschreibung im Netz, und zwar von Kauk auf alpic.net. Mit diesen Infos ausgestattet, vollendete ich die Tour dann mit Verve am 25. Juli.
 
Auch alle anderen Abschnitte dieser Bergfahrt sind bereits gut dokumentiert. Mein Vorhaben, diese etwas seltener erwähnten Gipfelziele in einer schlüssigen Runde zu vereinen, stand daher auf einer guten Grundlage. Informationen diverser folgender Quellen zog ich heran (Reihenfolge gemäß dem Routenverlauf):
 
Etappe 1: Elfer-Ostgipfel, Aufstieg via Ostgrat, Abstieg via Südgrat
hikr.org / Nik Brückner: „Auf Traumgraten zum Winterelfer”[1]
hikr.org / quacamozza: „Über steile Grasgrate auf den Winterelfer”[2]
Etappe 2: Angererkopf, Aufstieg via Nordostrinne, Abstieg via Südrinne
hikr.org / Bene69: „Durch die Elferrinne zur Mindelheimer Hütte”[3]
hikr.org / Nik Brückner: „Zwölfer, Elfer, Liechelkopf – und als Bonus der Angererkopf”[4]
Etappe 3: Sechszinkenspitze, Aufstieg via Südostflanke, Abstieg via Südwestgrat
hikr.org / quacamozza: „Sechszinkenspitze und Kemptner Köpfl”[5]
festivaltour.de / Thom: „Hüttenkopf (2.208m), Sechszinkenspitze (2.213m) und Überschreitung Angererkopf (2.263m)”[6]
alpic.net / Kauk: „Kemptner Köpfle, Sechszinkenspitze, Hüttenkopf, Angererkopf”[7]
 
Ganz am Anfang stand mein Versuch, mit Schneeschuhen auf den Winterelfer zu gehen. Das war im April 2019. Ich kam dabei jedoch nur bis ins Oberloch, ein vor den großen und steilen Felswänden der Schafalpenköpfe gelegenes, welliges und zu diesem Zeitpunkt schneebedecktes Kar. Hier packte mich der Mulm, denn der Schnee war vielerorts schon gut am Tauen, und auf dem Hinweg war ich in einigen Passagen trotz Schneeschuhen tief in das nasse und schwere Weiß eingesackt. Da mir die Schneemassen in den steilen Wänden vor mir daher Sorgen machten, kehrte ich um.
 
Unvollendete Touren lösen in mir meist den Drang danach aus, sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut anzugehen, mit mehr Erfahrung oder mit mehr Mut. Und da es zwei informative Berichte für den Winterelfer auf Hikr gibt, entschloss ich mich zu einem weiteren Versuch – und zwar im Sommer. So konnte ich auch besser einschätzen, auf was ich mich einlasse. Wintertouren sind ja dann doch eine andere Hausnummer, für die es mir, zumindest in einem Gelände wie dort, an Erfahrung fehlt.
 
Und wie schön es doch ist, im Frühjahr von „traumhaften Grasgraten” zu lesen, die einem noch dazu neue Blicke auf alte Bekannte wie den Elfer-Zwölfer-Kamm ermöglichen würden. Und wenn diese Lektüre dann obendrein mit lebhaften Fotos untermalt ist, dann ist man dem Sommer doch schon wieder einen großen Schritt näher gekommen und hat die Gewissheit darüber gestärkt, dass man sich seine Sehnsucht nach dem Geruch saftiger Almwiesen und der Freiheit am Berg schon bald wieder wird erfüllen können.
 
So kam der Winterelfer – oder Elfer-Ostgipfel – auf meine Wunschliste für die Sommersaison.
 
Im Rother Skitourenführer Allgäuer Alpen, den ich für meine Schneeschuhtour auf den Winterelfer herangezogen hatte, ist auch ein Bild der Sechszinkenspitze enthalten. Was ist denn das für ein interessanter Berg?, fragte ich mich. Von dem hatte ich noch nie zuvor gehört, und in den Karten ist er nicht verzeichnet. Es war wohl die DAV-Ortsgruppe Mindelheim, die ihn im Jahr 1922 so benannte. Es handelt sich daher um einen rein touristischen und keinen volkstümlichen Namen,[8] der die mehrköpfige und trutzige Gestalt dieses Bergs treffend beschreibt.
 
Wenn man im Netz danach sucht, kommt man unter anderem zu einem Bericht von quacamozza, der eine Begehung an einem wechselhaften Tag im Jahr 2014 beschreibt. Dieser Bericht enthält einige stimmungsvolle Fotos, die Lust darauf machen, den Gipfel zu erkunden. Leider recherchierte ich zu diesem Zeitpunkt aber nicht weiter, sonst wäre ich noch auf einen weiteren einschlägigen Bericht gestoßen, auf festivaltour.de, wo die Sechszinkenspitze in einer schwierigeren Bergtour inkludiert ist. Hätte ich diesen Bericht vorab gelesen, plus insbesondere auch den von Kauk auf alpic.net, wäre ich besser vorbereitet gewesen.
 
Wie dem auch sei, dieser Berg musste auch auf meine Liste. Denn er erschien mir machbar.
 
Beim Blick auf die Karte bemerkte ich dann, dass Elfer-Ostgipfel und Sechszinkenspitze räumlich ziemlich nah beieinander liegen. Und dank einer mir bereits bekannt gewesenen Führe von Nik Brückner für die Zwölfer-Elfer-Liechelkopf-Runde, wusste ich, dass man auch auf den Angererkopf recht passabel kommen kann. Dieser wiederum liegt im Prinzip genau zwischen Elfer-Ostgipfel und Sechszinkenspitze. Also müsste man ihn auf dem Weg mit einsammeln können. Blieben nur die Fragen a, ob ich aus dem Kar, in welches ich über den Südgrat des Elfer-Ostgipfels absteigen würde, zum Angererkopf aufsteigen können würde, und b, ob ich dann vom Angererkopf auf den Wanderweg in Richtung Mindelheimer Hütte absteigen können würde. Und diese beiden Fragen beantwortet Bene69 in seinem Bericht „Durch die Elferrinne zur Mindelheimer Hütte” zu meiner großen Freude mit einem Ja.
 
Perfekt, dachte ich mir, das könnten drei auf einen Streich werden, wenn sich das alles ausgeht.
 
Am 16. Juli war es dann soweit. Obwohl es morgens ziemlich heiß war, zog sich der Himmel im Laufe des Tages immer mehr zu und die Temperatur sank. Eigentlich hatte es dadurch ideales Wanderwetter; es war sogar eher etwas zu frisch für Mitte Juli. Bereits am Vorabend war ich schon in Oberstdorf angereist und hatte im Hotel Garni Liberia übernachtet, in dem es ein großzügiges und abwechslungsreiches Frühstück gab, inklusive Weißwurst und Kaiserschmarrn. Das finde ich bemerkenswert, lande ich doch regelmäßig in Unterkünften, in denen scheinbar jede einzelne Wurstscheibe abgezählt wird und auch ganz allgemein die billigsten Lebensmittel serviert werden. Wer in der Früh also gern abwechslungsreich isst, und auch mal ordentlich reinhauen will, dem kann ich diese Unterkunft empfehlen.
 
Nun aber zu der eigentlichen Tour. Ich beginne auf dem Ostgrat des Elfer-Ostgipfels. Dort war das Gras trotz der morgendlichen Hitze nass. Das feuchte Gras und ein merklicher Wind verunsicherten mich etwas, denn ganz ohne ist der Grat nicht. Man ist schon exponiert, auch wenn es linkerhand nicht senkrecht in die Tiefe geht, sondern nur rechterhand, ist es doch auch dort abschüssig. Letztlich ist er aber gut begehbar. Ich war wohl einfach noch nicht richtig eingelaufen, denke ich, was ich dem unsteten Beginn der Saison in die Schuhe schob.
 
Der Gipfel selbst ist prächtig, wenn auch kompakt. Eine kleine und schmale Aussichtsplattform, die, unterhalb des Elfer-Hauptgipfels gelegen, eine instruktive Schau auf diesen ermöglicht. Wenn man es aushält, dass es nahezu ringsum tief und steil abbricht und man das Plätzchen nur über schmale Grate verlassen kann, empfindet man es dort beinahe gemütlich. Was sicher auch an dem überaus beeindruckenden, handwerklich meisterhaft ausgearbeiteten Gipfelkreuz liegt, welches ihn ziert. Ein wirkliches Schmuckstück.
 
Der Grat hinab zur Elfer-Rinne sah mir übrigens gewagt aus; überschaubar zwar, aber scharfkantig und ausgesetzt. Mein Weiterweg war zum Glück der Südgrat.
 
Man muss dort konzentriert gehen. Anspruchsvoller wird es vor allem zum Ende hin, beim Abstieg von dem großen Zacken, wie auch in den beiden zitierten Hikr-Reports beschrieben. Das ist kurz etwas heikel, aber auch abenteuerlich.
 
Den Karboden erreichte ich knapp vier Stunden nach Aufbruch im Kleinwalsertal (Mittelberg) gegen 14.15 Uhr.
 
Mein nächstes Ziel war nun die Nordostrinne des Angererkopfs. Dafür ging ich im Kar schnurstracks hinüber zu der großen Geröllflanke, die zwischen Angererkopf und Liechelkopf herabzieht. Unterhalb der weit in das Geröllfeld hineinreichenden Felsabbrüche des Liechelkopfs war das Gelände noch schneebedeckt. Diese Schneeauflage machte ich mir zunutze und stieg über sie soweit auf, bis ich an größere, unpassierbare Felsen gelangte. Dort querte ich nach links, durchstieg eine kleine Runse und steuerte danach direkt hinauf und in die eigentliche Nordostrinne des Angererkopfs hinein.
 
Auch die Nordostrinne war schneebedeckt, was das Gehen zwar erleichterte. Sie ist aber auch ziemlich steil, was das Ganze wiederum etwas heikel machte. Daher musste ich mir Stufen in den teilweise harten Schnee schlagen. Später wechselte ich dann zum rechten Rand der Rinne und arbeitete mich in einer Lücke zwischen Schnee und Fels nach oben (I+).
 
Die Nordostrinne leitet zur Scharte zwischen Angererkopf (in Aufstiegsrichtung links) und einem Vorgipfel (rechts). Man könnte, so sah es jedenfalls aus, vor dem Einstieg in die Rinne auch rechterhand, den Vorgipfel unterhalb querend, über steiles Gelände hinauf zum Grat gelangen und von dort gemäß Nik Brückners Zwölfer-Elfer-Führe von Westen her zunächst auf den Vorgipfel steigen. Auf dieser Route nach oben zum Grat lag etwas weniger Schnee und das Gelände sieht abwechslungsreich aus, wiederum aber auch steiler, weshalb ich mich dagegen entschied.
 
In der Scharte vor dem Angererkopf angekommen, gelangt man links über eine kleine Stufe (I+) in dessen nordseitige Gipfelflanke. Sie durchläuft sich relativ unschwierig – zuerst auf einem Band geradeaus, dann über plattiges, mit Geröll durchsetztes Gelände hinauf zum geräumigen Westrat –, den Begehungsspuren folgend.
 
Auf dem Gipfel des Angererkopfs stand ich gegen 15.15 Uhr.
 
Mein Plan war es nun, eine Abstiegsmöglichkeit von dem bereits erwähnten Vorgipfel zu nutzen, um auf den Wanderweg zu gelangen. Bene69 schreibt dazu: „Nach dem Besuch auf dem Angerer zurück in die Scharte, den folgenden Kopf südseitig leicht ansteigend umgehen und über die anschließende Grasflanke hinunter zum Wanderweg zur Mindelheimer Hütte.” (Anmerkung: Mit „folgender Kopf” ist der Vorgipfel gemeint.)
 
Bei Nik Brückner heißt es dazu: „Vom Angererkopf bin ich dann auf dem gleichen Weg wieder zurück in die Scharte zwischen Vorgipfel und Liechelkopf gegangen. Hier hatte ich die Wahl: Hinunter zum Wanderweg und ...”
 
Mit „gleicher Weg” meint er die von ihm detailliert beschriebene Route auf den Vorgipfel aus einer Einschartung westlich desselben, vom Liechelkopf kommend (wie oben von mir als eine Variante erwähnt). Meine Aufgabe wäre es nun also gewesen, diese Route umgekehrt zu gehen – die deckungsgleich mit der von Bene69 sein dürfte. Nach einem kurzen Abstecher auf den Vorgipfel selbst querte ich diesen also südlich auf Grasgelände und suchte nach der entsprechenden Möglichkeit.
 
Leider ohne Erfolg. Von der grasigen Abdachung führt zwar ein ziemlich abschüssiges, mit viel Geröll durchsetztes Band abwärts in die Wand zu einer schmalen Ecke, hinter der ich den Weiterweg nicht erkennen konnte. (Das dürfte der Route entsprechen.) Aber auch etwas oberhalb des Grasgeländes gab es eine rein hypothetische Abklettermöglichkeit. Beides sah mir jedoch zu schwierig aus.
 
Ich gab das daher auf. Auch deshalb, weil ich eine scheinbar leichtere Möglichkeit gesehen hatte, und zwar direkt aus der Scharte zwischen Angererkopf und Vorgipfel durch eine mäßig steile Geröllrinne, die direkt zum Wanderweg führt. Auf einem Foto in dem bereits erwähnten Bericht von Kauk wird diese als die Südrinne des Angererkopfs bezeichnet. Das klappte auf Anhieb und dauerte vielleicht 10 Minuten.
 
Ich war aber schon etwas enttäuscht darüber, die Route vom Vorgipfel nicht gefunden zu haben, oder zu voreilig vor ihr zurückgeschreckt zu sein, denn sie scheint spannend zu sein. (Siehe dazu Nik Brückners Bericht sowie zwei daraus stammende Fotos bei meinen Bildern.)
 
Anschließend ging es weiter zur Mindelheimer Hütte, was nicht lange dauerte. Von dort folgte ich dann der Führe quacamozzas („Sechszinkenspitze und Kemptner Köpfl”). Mein erstes Ziel war die Scharte auf ca. 2145 m direkt unter dem Mindelheimer Köpfle, bzw. Hüttenkopf, am Gratansatz der Sechszinkenspitze (wenn man den ersten Aufschwung nach der Scharte der Sechszinkenspitze zurechnet, was ich für diesen Bericht tue). Es gibt drei Möglichkeiten, zu dieser Scharte zu gelangen:
 
1. Analog quacamozza: direkt von der Hütte über eine Grasrippe, später rechts in die zur Scharte führende Geröllrinne hineinqueren (etwas ausgesetzt) und dann in der Rinne hinauf (eine Stelle II, kaum ausgesetzt)
2. Wie bei quacamozza als Variante erwähnt: vom Wanderweg direkt in die Geröllrinne und in ihr hinauf
3. Vom Wanderweg über eine gut gestufte Grasrampe rechts der Geröllrinne so weit wie möglich nach oben und dann links in sie hinein (m. M. n. die am besten gangbare Variante)
 
Man kann diesen Abschnitt aber auch ganz auslassen, weil man von der Scharte aus als Nichtkletterer sowieso nicht direkt mit der Überschreitung des Grats beginnt, sondern die erste Erhebung (erste Zinke) rechts (südlich) in Steilgelände ausgesetzt zu einer weiteren Einschartung umgeht. Und zu dieser zweiten Einschartung kommt man ungefährlicher, in dem man die Option 3 nimmt, dann jedoch nicht links in die Geröllrinne hineinquert, sondern rechterhand hochsteigt. Das Gelände ist gut gestuft, aber steil.
 
Diese Möglichkeit erschloss sich mir allerdings erst etwas später. Und über diesen Weg gelangt man auch zu dem schon erwähnten Gelben Band, bzw. der Gelben Rampe. Aber dazu weiter unten mehr.
 
Hat man aber eine der Optionen gewählt und ist so zu der Scharte gelangt, befindet man sich in jedem Fall an einem eindrucksvollen Ort unterhalb monströser, teilweise leicht überhängender Felsen. Das Gelände ist trittarm, was eine Pause beschwerlich macht. Trotzdem sollte man hier einen kurzen Blick hinab in die Nordseite wagen. Das ist atemberaubend.
 
Ab hier begannen an diesem Tag dann die Schwierigkeiten für mich. Zunächst war mir die bereits erwähnte Querung der ersten Zinke aus der Scharte heraus über das trittarme Gelände nicht geheuer. Da mir in diesem Augenblick die Ausgesetztheit dort zu schaffen machte und ich bei der Querung um eine Ecke herum keinen Einblick in die Beschaffenheit des weiterführenden Geländes hatte, brach ich hier ab – und strafte mich gedanklich dafür ab. Immerhin ist dieser Teil der Tour nur mit T5 bewertet. Vielleicht ist das untertrieben? Aber selbst wenn, T6-Gelände hatte ich doch auch schon bewältigt. Usw.
 
Ich stieg dann in der besagten Geröllrinne wieder ein Stück weit ab und nach links auf die Grasrampe aus (vgl. Option 3), um auf dieser dann hoch in die zweite Einschartung – also die zwischen dem ersten und zweiten Gratkopf – zu gelangen, denn aufgeben wollte ich noch nicht.
 
Aus dieser Einschartung stieg ich dann auf die zweite Zinke (in quacamozzas Bericht „begrünter Vorgipfel mit zwei Steinmännchen” genannt) über geröllige und grasdurchsetzte Schrofen. Das ist zwar steil, aber kein Harakiri.
 
Ab der zweiten Zinke bis zum Kreuzgipfel ist es dann eine luftige Gratüberschreitung: Ein schmaler, recht kurzweiliger Hindernis-Parcours aus stellenweise stark verwittertem Gestein mit Lockerfelseinlagen („wackelnde Zähne” wäre eine treffende Analogie), der ausgesetzte horizontale Abschnitte ebenso enthält, wie kleinere steile und schotterige Rampen, über die man die Gratköpfe erreicht.
 
Neben diesen das Gelände des Grats betreffenden Eigenheiten wartet die Begehung mit Tiefblicken in die stark zerklüfteten Flanken auf. Insbesondere südseitig bieten diese zahlreichen Krähen eine Behausung. Dies wiederum schafft eine beinahe filmreife Atmosphäre: Der Schall des Krächzens der Krähen und der ihres Flügelschlags – dazu vielleicht einige wabernde Nebelschleier und feucht-frische Luft – und schon meint man, sich auf dem Zinnenkranz einer echten Burgruine zu befinden.
 
Die Schlüsselstelle dieser Überschreitung ist für mich das Mäuerchen, welches Teil eines ausgesetzten Gratstücks ist, das vom dritten Gratkopf ausgeht. Es bildet eine Art Stufe, die ich nicht direkt absteigen mochte. Einer der Bergsteiger von festivaltour ist von diesem Mäuerchen abgesprungen, oder wie es in ihrem Bericht heißt: „abgesegelt”. Wegen der Instabilität des Gesteins und der Schmalheit des „Landeplatzes”, hätte ich das nicht gewagt.
 
Ich brach meine Tour daher an dieser Stelle ab. Allerdings gibt es eine gute Lösung für das Problem, welche ich später noch beschreiben werde.
 
So trat ich gegen 17.45 Uhr den Rückweg an, Abstieg von der Sechszinkenspitze wie Aufstieg, und studierte dabei, von der bereits mehrfach erwähnten Grasrampe aus, die Südostflanke noch einmal genau und erkannte unschwer das markante und recht breite Band, dass quer durch die Flanke bis fast direkt auf den Kreuzgipfel leitet. Genial, dachte ich mir, dafür werde ich bald noch einmal wiederkommen!
 
Für heute war jedoch erst einmal Schluss. Über die unweit gelegene Kemptner Scharte ging es auf dem langen Weg zurück nach Mittelberg, wo ich gegen 20.30 Uhr eintraf – zu spät für den Bus, der mich rechtzeitig zum Bahnhof Oberstdorf gebracht hätte, um dort den vorletzten Zug nach Ulm zu bekommen. So wurde es wiedereinmal der allerletzte und folglich sehr spät, bis ich zuhause war.
 
Vollendung

Am 25. Juli ging ich das Ganze dann etwas entspannter an und gestaltete meine Bergfahrt als Halbtagestour, wohlwissend, dass Anmarsch und Rückweg durchs Wildental die meiste Zeit beanspruchen würden und der Abstecher auf die Sechszinkenspitze maximal ein bis zwei Stunden.
 
An diesem Tag gab es herrliches Sommerwetter, obgleich das nächste Tiefdruckgebiet bereits schon wieder im Anmarsch war – in einem an solchen Tiefs nicht armen Sommer am nördlichen Alpenrand. (In Birgsau bei Oberstdorf würden über den gesamten Sommer hinweg 558 l/m² Niederschlag fallen, womit der Ort den ersten Platz der niederschlagsreichsten Orte Deutschlands belegte, während im Rest des Landes dürreähnliche Zustände herrschten.[9])
 
Für diesen zweiten Teil der Tour beginne ich bei der Kemptner Scharte. Von dort folgte ich der Beschreibung Kauks. Die Gelbe-Band-Route durch die Südostflanke der Sechszinkenspitze ist überwiegend recht breit, sodass „Rampe” das Gelände treffend beschreibt; die Rampe selbst ist jedoch nicht gelb. Parallel zu ihr mäandert aber eine gelblich gefärbte Felsschicht in der Wand, und diese wirkt auch ein bisschen wie ein Band. Daher gefällt mir die Bezeichnung „Gelbes Band” etwas besser als „Gelbe Rampe”. Letztlich ist sie aber beides – und in jedem Fall ist sie eine aufregende, aber auch überschaubare Unternehmung.
 
Man erreicht diese Rampe von der besagten Grasrampe aus über etwas abschüssiges Gelände und leicht ausgesetzt. Die Rampe selbst ist etwas trittarm, viel mit Schotter bedeckt und steil – und somit eher etwas unangenehm zu begehen; vor allem im Abstieg ist sie nicht die Variante der Wahl, würde ich sagen. Dank ihrer Breite hält sich die Ausgesetztheit die meiste Zeit über jedoch in Grenzen. Die Bewegung quer durch diese große zerklüftete Wand auf einem von der Natur geschaffenen Pfad weckte ein irres Gefühl in mir.
 
Dieses kulminierte im Durchstieg des ominösen Felslochs (II) und dem Erklimmen des kreuzgeschmückten Gipfels (I). Geschafft! „Berg Geil.” (Zitat eines Eintrags aus dem Gipfelbuch.)
 
Und da ich schon mal hier war und das High spürte, das sich eingestellt hatte, weil mir die Route entlang des Geben Bandes gelungen war, entschloss ich mich dazu, mir das Mäuerchen auf dem Grat aus dieser Richtung kommend noch einmal anzusehen. Wenn man sich diesem von unten nähert, erkennt man, dass es sich seitlich (in meiner Gehrichtung von rechts, d.h. nördlich) gut überklettern lässt. Da gibt es nämlich einen breiten Tritt, den man im Abstieg vielleicht nicht auf Anhieb sieht.
 
Auch die Umrundung des allerersten Gratkopfs zur Scharte vor dem Hüttenkopf war für mich aus dieser Richtung sehr viel einfacher zu bewerkstelligen. Eigentlich ist das Gelände dort gar nicht so trittarm, wie es mir bei meinem ersten Versuch noch erschien. Das Geheimnis ist auch hier die Übersichtlichkeit, die von dieser Seite aus betrachtet um einiges besser ist.
 
Zum Abschluss gönnte ich mir dann noch ein leckeres Vesper und zwei kühle alkfreie Weizen auf der Mindelheimer Hütte. Dann trat ich den Rückweg an – und verpasste den präferierten Bus abermals. Aber dieses Mal war das nicht so schlimm, da ich am nächsten Tag ausschlafen konnte.
 
Schwierigkeitsbewertung
 
Diese möchte ich mehr oder weniger analog der verwendeten Führen vornehmen. Ich habe sie jedoch insofern etwas angepasst, um das Gefälle innerhalb dieser Kombi-Tour auch mit abzubilden.
 
Elfer-Ostgipfel Ostgrat: bis T5-/I
Südgrat: eine Stelle T5/I+ (Abstieg vom Zacken)
Eine relativ lange Grasgratstrecke, die stellenweise luftig ist.
 
Angererkopf Nordostrinne: bis T5-/I+ (auf den letzten Metern, schneebedingt, sonst bestimmt ohne Kletterei möglich und nicht heikel)
Gipfel via Nordflanke und Westgrat: T4/I+ (eine kurze Stelle beim Betreten der Nordflanke)
Südrinne: T4 (Steinschlaggefahr beachten)
Diese Variante der Begehung des Angererkopfs vollzieht sich überwiegend in Gehgelände und ohne Kletterschwierigkeiten.
 
Sechszinkenspitze Südostflanke/Gelbes Band: durchweg T5 sowie II bei der Kraxelei durchs Felsloch
Südwestgrat: T5+ (da stellenweise stark ausgesetzt und brüchig) / II (Mäuerchen)
Der Südwestgrat ist hinsichtlich Länge und Ausgesetztheit m. M. n. vergleichbar mit dem Gratabschnitt zwischen Großer Wilder Nord- und Mittelgipfel, nur ist er brüchiger und enthält mit dem Mäuerchen eine ausgesetzte IIer-Stelle.
 
Ein herzliches Dankeschön an die Autoren der zitierten Berichte!

Quellen


[1]https://www.hikr.org/tour/post114530.html
[2]https://www.hikr.org/tour/post134307.html
[3]https://www.hikr.org/tour/post81380.html
[4]https://www.hikr.org/tour/post108767.html
[5]https://www.hikr.org/tour/post83478.html
[6]http://www.festivaltour.de/forum/thema/h%C3%BCttenkopf-2-208m-sechszinkenspitze-2-213m-und-%C3%9Cberschreitung-angererkopf-2-263m.1713/
[7]http://www.alpic.net/forum/bergsommer/kemptner-kopfle-sechszinkenspitze-huttenkopf-angererkopf/
[8]https://www.oberstdorf-lexikon.de/sechszinkenspitze.html
[9]https://www.wetterdienst.de/Deutschlandwetter/Thema_des_Tages/3797/deutschlandwetter-im-sommer-2019
[10]https://www.alamy.com/stock-photo-wimbledon-tennis-mens-singles-final-between-pete-sampras-and-boris-30492362.html

Tourengänger: Ben77


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (2)


Kommentar hinzufügen

Nyn hat gesagt:
Gesendet am 1. August 2021 um 18:56
Chapeau!

Ben77 hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. August 2021 um 14:42
Merci :-)


Kommentar hinzufügen»