Kurzbericht 

A l'envers de la Hochmatt


Publiziert von lorenzo , 12. Januar 2020 um 15:52.

Region: Welt » Schweiz » Freiburg
Tour Datum: 5 Januar 2020
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Ski Schwierigkeit: S-
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-FR 
Zeitbedarf: 7:45
Aufstieg: 1770 m
Abstieg: 1770 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Im Fang oder mit dem Auto
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Kartennummer:LK 1225 Gruyères, 1245 Château-d'Oex, 1246 Zweisimmen, 1226 Boltigen; D. Anker, R. Schnegg, Skitouren Freiburger und Waadtländer Alpen, SAC 2008

Von der Jaunpasstrasse und Im Fang wirkt die Vorder- oder Schattseite des Hochmattmassivs mit seiner NNW-, N- und NE-Flanke schroff aufragend, wild zerklüftet und unzugänglich, und entsprechend ist nur eine, allerdings recht anspruchsvolle Skiroute durch die NNW-Flanke beschrieben. Die Rück- oder Sonnseite von Hochmatt und Cheval Blanc hoch über dem von den Gastlosen und der Vanil Noir Kette verborgenen kleinen Paradies Petit Mont ist zwar auch reich gegliedert, aber etwas weniger steil, und sie weist mehrere, praktisch durchgehend homogene, gut 400-500m hohe Flanken und ein ebensolches Couloir auf, die bei guten und sicheren Schneeverhältnissen für Skirouten wie gemacht scheinen: so z.B. die Hochmatt S- oder die Cheval Blanc SE-Flanke (Abfahrt) oder das Cheval Blanc SW-Couloir (Aufstieg und Abfahrt), die auch im Skitourenführer aufgeführt sind. Leider befinden sich alle genannten Routen wie auch die interessante W-Flanke im Wildschutzgebiet Hochmatt-Motélon und sind auf der Skitourenkarte nicht eingetragen, so dass sie eigentlich nicht begangen und befahren werden dürften. Bei diskreter und leiser Tourendurchführung durch einen Alleingänger oder eine kleine Gruppe kann die Belastung für das Wild (v.a. Gemsen) aber auf ein Minimum reduziert werden und dürfte so tierethisch gesehen vertretbar sein. Erlaubt wären dagegen nur die landschafltich zwar ebenso hervorragenden, skifahrerisch aber weniger interessanten Normalrouten von Gros und Petit Mont über den SW-Grat auf die Hochmatt, der Aufstieg von Petit Mont über In den Löchern zum Cheval Blanc, sofern die dortigen Karrenfelder genügend eingeschneit sind, sowie der Verbindungsgrat zwischen beiden Gipfeln.

Vor Jahren, Anfang März 2000 war ich erstmals überhaupt und im Winter mit dem Snowboard von Schänis über den SW-Grat auf die Hochmatt gestiegen und hatte die prächtige Aussicht auf die umliegenden Préalpes sowie die endlich funktionierenden Goofy-/Regularschwünge auf dem Board genossen. Erst Jahre später, im Winter 2014, folgten die beiden recht abenteuerlichen Aufstiege und Abfahrten durch die W-Flanke und die NNW-Flanke. Anfang Januar 2019 stieg ich dann bei eher misslichen Verhältnissen - wenig Schnee, Nebel und leichter Schneefall - von Les Planeys wieder über den SW-Grat auf die Hochmatt und weiter zum Cheval Blanc, wobei ich zwischendurch verlockende Ansichten von S-Flanke, SW-Couloir und SE-Flanke erhaschen konnte. Bei der ansonsten schlechten Sicht und hart gefrorenem Schnee ohne Grip war jedoch an dortige Abfahrten nicht zu denken, viel mehr war ich froh, mich ohne Zwischenfälle über die Normalroute zurückmogeln zu können. Aber mir war klar, dass ich wieder kommen würde...

Nach einem ersten Plan, mit öV bis Praz-Jean zu fahren, über die W-Flanke zur Hochmatt aufzusteigen und nach der Abfahrt über die S- und SE Flanke sowie dazwischen einem Wiederaufstieg über das SW-Couloir zum Cheval Blanc, nach Im Fang abzufahren, entschied ich mich stattdessen für die Anfahrt mit dem Auto nach Im Fang und den Zustieg über die Pointe de Tosse und den NW-Grat auf die Hochmatt, was eine "kompaktere Runde" zu geben versprach. Am 5. Januar, genau ein Jahr nach meinem letzten Besuch, war es soweit. Die Wetterprognose war gut, und das Lawinenbulletin meldete "gering", auch hatte ich nach den Regenfällen in den letzten Tagen bis hoch hinauf mit geringen Schneemengen in den unteren Lagen gerechnet, trotzdem beschlich mich eine leise Skepsis, als  nach Charmey die Hänge nicht nur links, sondern auch rechts der Jaunpassstrasse bis hoch hinauf aper erschienen. Als ich mit aufgeschnallten Ski über die Dorfstrasse hinauf schritt, und weit und breit kein Schnee in Sicht war, traf ich einen älteren Einheimischen, der mit seinem Schäferhund einen Morgenspaziergang machte. Auf meine Frage, wo sie denn den Schnee versteckt hätten, meinte er, bedauernd auf die grün-braunen Weiden rund um das Dorf blickend und wehmütig, vor zwanzig Jahren sei er hier im Januar noch meterhoch gelegen, und er habe damals selber noch Skitouren z.B. auf den Hunsrügg gemacht.

Etwas entmutigt mogelte ich mich weiter über die zunehmend vereiste Alpstrasse hoch, konnte dann aber zu meiner Erleichterung schon bei der letzten Kurve unterhalb Bi Chalet die Ski anschnallen. Auf einer guten Spur gelangte ich dann zwar bequem
, ab Rustoz aber immer wieder von bissigen Biseböen gepeinigt, zum Vorgipfel der Pointe de Tosse. Statt dem Grat folgte ich bis zum Sattel ca. 1740m dann Skispuren auf dem Sommerweg, bis diese vor der sehr steilen NW-Flanke plötzlich aufhörten. Da sich diese für einen Skiaufstieg tatsächlich als zu steil erwies, stieg ich vom Sattel, diesmal Fussspuren folgend, wieder mit aufgeschnallten Ski über den ziemlich ruppigen N-Grat zur Pointe de Tosse, wo keine Spuren mehr weiter führten. Nach einer kurzen Abfahrt über den abgeblasenen SE-Rücken zum Sattel ca. 1710m spurte ich über den unteren NW-Grat durch z.T. tiefen Pulver im Wald bis ca. P. 1827 hoch. Ab hier war der obere und nun steiler werdende NW-Grat abgeblasen, und die böige Bise blies den restlichen Schnee weiterhin erbarmungslos weg. Zuerst war auf dem gefrorenem Gras und den vereisten Felsen ein Aufstieg allein mit dem Pickel noch gut möglich, wenn auch zeitraubend und zunehmend riskant, so dass ich die Steigeisen schliesslich doch noch anzog, wonach ich viel sicherer und schneller vorwärts kam, schon bald in die Sonne blinzelte und kurze Zeit später auf dem W-Gipfel stand. 

Trotz der hartnäckigen Bise genoss ich bei wolkenlosem Himmel das wunderschöne Winterpanorama auf die Préalpes, machte einige Fotos und querte zum Hauptgipfel hinüber. Wie schwerelos glitt ich über das Gipfelplateau zum Beginn der westlichen S-Flanke, die einen sehr einladenden Eindruck machte. Nach einigen vorsichtigen Probeschwüngen gelangte ich auf hartem und griffigem Schnee 
unbeschwert, ein paar apere Stellen und Felsen und zuunterst einige schlecht gefüllte Runsen W umfahrend, hinunter nach Petite Hochmatt. Von hier sah auch das SW-Couloir zum Cheval Blanc ansprechend aus, zudem ästen die meisten Gemsen im mittleren Teil der S-Flanke, wohin auch ein Muttertier mit ihren Kleinen vom SW-Couloir hinquerte. Mit zahlreichen Spitzkehren stieg ich zum SW-Couloir, währenddessen ich zweimal eine Gruppe vom Chalet Hochmatt Richtung Gros Adrey abfahren sah, durch das Couloir hoch zum Grat und weiter mit Ski problemlos über den NW-Vorgipfel und den NW-Grat auf das Cheval Blanc. Da der oberste Teil der schwindelerregenden SE-Flanke aper war, rutschte und schritt ich nach einer kurzen Foto- und Imbisspause mit Ski entlang dem ausgesetzten E-Grat hinab bis zu Zaunstangen auf ca. 2120m und querte auf Grasbändern nach SW zu der bis ca. 2110m hinaufreichenden höchsten Schneezunge hinüber. Hier angelangt, machte ich wieder einige Probeschwünge, dann ging es in rauschender Abfahrt - Gemsen waren weit und breit keine in Sicht - Schwung und Schwung wiederum auf hartem und griffigem Schnee hinunter zum Felsriegel, der sich durch Lücken und auf Lawinenresten gut SW passieren liess, und weiter zum Flankenfuss. Ab hier führten Spuren hinunter nach Gros Adrey, wo ein Einheimischer vor seiner Hütte die wärmende Sonne genoss, und der Alpstrasse entlang nach Schänis, wo ich endlich eine richtige Pause machte und mich für die erwartungsgemäss anspruchsvolle Schlussetappe stärkte.

Bis zur Brücke 1389 war die Abfahrt entlang der gespurten Alpstrasse durch angezogenen oder sogar leicht gedeckelten Pulver und an der Sonne noch relativ harmlos. Aber schon bald lag die Strasse im Schatten, und die Spuren und die Wälle dazwischen waren hart gefroren und vereist, so dass ich mit mühsam ausblancierten und rumpelnden Stemmbögen im Schneckentempo hinunterkriechte, um nicht links an den Felsen aufzuschlagen, rechts mit den Ski in den Geländerpfosten einzuhängen oder sogar über das steile Bord in den zwar angenehm rauschenden, aber wohl eiskalten Klein Montbach hinunter zu stürzen...Auch in den beiden Tunnels, wo ich die Ski wieder abschnallte, musste ich in der Dunkelheit auf allfällig schimmerndes Wassereis aufpassen Trotz der grossen Anspannung gelangte ich auf der vermaledeiten Strasse schliesslich doch noch irgendwie bis zur Schneegrenze bei ca. 1100m hinunter. Hier musste ich die Ski definitiv abschnallen, konnte aber bei Vereisung immer wieder an den Strassenrand ausweichen, wo gefrorene Laubblätter und Kiesel ein Ausrutschen verhinderten. So war meine Erleichterung, als ich wohlbehalten zurück in Im Fang eintraf, 
ebenso gross wie die Freude über die gelungene Tour...

Pointe de Tosse

Aufstieg NE-Rücken: von Im Fang (922m) auf der Dorf- bzw. Alpstrasse über Schwendi nach Bi Chalet (1175m), nach dem Bach Richtung SW hinauf nach Rustoz  (Wegweiser Richtung Le Verdy und ab hier gelbe Markierungen für den Sommerweg) und über den NE-Rücken (bis 30 Grad) auf den N-Vorgipfel P. 1750. Zu Fuss nach S in den Sattel ca. 1740m und über den N-Grat (ruppig) auf die Pointe de Tosse (1771m), 2h, WS.

Abfahrt SE-Rücken: direkt vom Gipfel einfach über den SE-Rücken hinunter in den Sattel ca. 1710m NE von Le Verdy (1693m), L, 5min.

Hochmatt
Aufstieg NW-Grat: vom Sattel ca. 1710m dem unteren NW-Grat entlang (gelbe Markierungen, im Sommer Pfadspuren) z.T. durch Wald mit Ski bis ca. P. 1827, WS, dann zu Fuss ggf. mit Pickel und Steigeisen über den oberen, z.T. mit leichten Felsen durchsetzen NW-Grat auf den W-Gipfel, T3, und wieder mit Ski nach E kurz abfahrend und wiederaufsteigend auf den Hauptgipfel der Hochmatt (2151m), L, 1h-1h 30min.

Abfahrt S-Flanke: direkt vom Hauptgipfel nach S über das schwach geneigte Gipfelplateau bis ca. 2100m und weiter über die S-Flanke (35-40 Grad), die Runsen bei ca. 1800m W umfahrend (bei genügend Schnee ev. durchgängig) und zuletzt SE haltend, hinunter bis ca. 1675m S von Petite Hochmatt, ca. 475Hm,15-30min, ZS.

Cheval Blanc
Aufstieg SW-Couloir
: von ca. 1675m S von Petite Hochmatt Wiederaufstieg nach NE zum SW-Couloir bei ca. 1860m und auf dessen E-Seite in zahlreichen Spitzkehren (30-35 Grad) hinauf zum Grat bei ca. 2100m. Nach ENE zum NW-Vorgipfel (ca. 2120m) und weiter mit Ski oder zu Fuss über den ausgesetzten NW-Grat auf das Cheval Blanc (2146m), 1h, WS+.

Abfahrt S-Flanke: bei guter und sicherer Schneelage direkt vom Gipfel (gut 45 Grad, ausgesetzt), sonst kurzer Abstieg zu Fuss oder mit Ski (Abrutschen und -schreiten) über den ausgesetzten E-Grat, in meinem Fall bis ca. 2120m (Zaun), und Querung auf Grasbändern nach SW zur oberen Schneegrenze, bei mir auf ca. 2110m. Abfahrt in der Gipfelfalllinie über die SE-Flanke (35-40 Grad) bis über die Felsbänder auf ca. 1675m, diese an geeigneter Stelle durchfahren (mehrere Möglichkeiten) und weiter zum Fuss der Flanke, 550Hm. Dann Richtung E nach Gros Adrey (1508m), der Alpstrasse entlang nach Schänis (1425m), 30-45min, S-. Weiter auf der Alpstrasse E vom Klein Montbach (Portage in den Tunnels zwischen P. 1322 u. P. 1305) zurück nach Im Fang (922m), L (bei Vereisung heikel), 1h-1h 30min.

Abhängig von den Verhältnissen (Vereisung, Portage) insgesamt 5h 45min bis 7h 15min.

Verhältnisse: sonnig, praktisch wolkenlos und trotz böiger Bise im Grat- und Gipfelbereich mild. Beide Alpstrassen unterhalb ca. 1100m vereist. Schnee ab 1100 5cm bis zuoberst ca. 50cm auf guter Unterlage. NE-Rücken Pulver, SE-Rücken abgeblasen, NW-Grat im Wald Pulver, darüber abgeblasen, S-Flanke, SW-Couloir und SE-Flanke (oberste 35Hm aper) hart und griffig. Gute Aufstiegsspur zur Pointe de Tosse, Abfahrtsspuren ab Petit Mont, Strasse ab Brücke 1389 vercharret und vereist. Ski unterhalb 1100m getragen.

Fahrplan: Start 8 Uhr, Pointe de Tosse 10 Uhr, Hochmatt 11.45, Petite Hochmatt 12.30, Cheval Blanc, 13.30, retour 15.45.

Material: Helm, Pickel und Steigeisen zu üblicher Skitourenausrüstung.

Bemerkungen: die gesamte Route führt durch ein Wildschutzgebiet, und SE-Rücken, NW-Grat, S-Flanke,  SW-Couloir sowie SE-Flanke sind auf der Karte nicht eingezeichnet. Nur bei sicheren Lawinenverhältnissen, Vorsicht wegen Wächten an den Graten!

Ein Paradies ist
immer dann,
wenn einer da ist,
der wo aufpasst,
dass keiner reinkommt.


Gerhard Polt


Tourengänger: lorenzo


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen