Hohe Schlechtgaisl 3015m


Publiziert von bergteufel , 22. August 2019 um 19:53.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:17 Juli 2019
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 10:00
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1600 m
Strecke:Ra Stua Alm 1668m - Cason di Lerosa - Vallon de Muntesela - Hohe Schlechtgaisl
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Nach dem Ortsausgang von Cortina in Richtung Toblach, bei Km 111, unmittelbar bevor die Straße kurz aufgeteilt wird, rechts ab auf den großen Parkplatz der Ra Stau Alm mit der Sperre und dem Shuttleverkehr

Servus Bergfreunde.

Meine 3000er Sammlung der Dolomitengipfel findet endlich eine Fortsetzung.

Mittlerweile habe ich mir 52 dieser Buckel geschnappt. Laut Literatur gibt es 86 Dreitausender in den Dolomiten. Allerdings ist die Anzahl diskutierbar. Nimmt man da den Marmoladakamm nach Osten oder Norden, da muß man nicht rein statistisch mehrere 3000er draus machen, oder ein Gran Vernel, ja das ist der Gran Vernel, aber der Piz Cornates in seinem Westgrat, ja was ist der, eine Überschreitung, wenn man diesen Paradegrat steigt (übrigens sehr empfehlenswert). Und so geht`s weiter, die Cima del Focobon, ja, das ist eine dieser Lichtgestalten der Dolomiten, aber sein Turm, der Torre del del Focobon, nebenan, im SG II erreichbar, kostet eine Stunde mehr, was ist das. Der Langkofel, der Hauptgipfel, klar, aber der Wesseleyturm?, der Antelao mit Punta Menini & Chiggiato im Ostgrat usw. 
kurz gesagt: alle diese Gratmutanten, die irgendwelche Kriterien erfüllen, sind sie wirklich für einen 3000er Dolomitengipfeljäger erstrebenswert? Darauf habe ich mir noch keine Antwort gegeben.

Und so steige ich heute auf so einen Mutanten. Die Hohe Schlechtgaisl. Eine Unterbrechung im Nordwestgrat der Hohen Gaisl. Abgegrenzt durch den nördlichen Vorgipfel der Hohen Gaisl. Ob der Präsenz seiner Nachbarschaft und Erbe dessen Substanz, ist dieses Hügerle schon ein ernst zu nehmender Kandidat. Bei dieser Tour setzt man sich gegen Widerstände der besonderen Art durch. Man bewältigt unwegsames Gelände, das den Bergsteiger fordert, sichtet ein Juwel: den leichtesten Aufstieg zur Hohen Gaisl, erlebt das deutsche Beschreibungsdilemma und erkennt, sie haben beschlossen unter dem Deckmantel des Naturschutzes: Fremde und Bergsteiger sind hier nicht erwünscht. Welch ein Fauxpas im Gedenken an Paul Grohmann.

Gestern habe ich mich am Piz Conturines und Piz Lavarella, von St. Kassian aus, getestet. Nebenbei erwähnt hat man da die "4 Peaks erfunden" Heiligkreuz - Zehner - Lavarella - Continures... alle auf einen Streich, angeblich perfekter Spielplatz für Ausdauerjunkies. Sehr beeindruckend, die "amerikanisch" angehauchten Bergfreunde durch die Nordflanke des Lavarella in Turnschuhen hochjoggen zu sehen. Wow!
Dann habe ich am Falzaregopass im Auto genächtigt und schließlich stehe ich topfit um 5 Uhr, neben der Staatsstrasse Cortina-Toblach bei Km 111, auf dem Parkplatz zur Ra Stua Alm.

Nun zur Tour: Ich hole mein Radl aus dem Auto (das rettet mir heute die Tour) und versuche die teilweise neu geteerte Forststrasse "ohne Schiebeeinheiten" hochzustrampeln. Und es blieb ein Versuch. Unmittelbar beim Weidegatter hinter der Alm mache ich Radldepot. Hier zweigt Weg Nr. 8 zum Cason de Lerosa / Gotres ab, ich folge ihm. Kurze Zeit später splittet sich die Forststrasse auf, in die alte Militärstrasse und die neue Forststrasse (!mitten im Naturschutzgebiet) zum Cason de Lerosa. Ich entscheide mich für den Fussmarsch über die "Scorciatoia", die neue Forststrasse, mir erscheint das Gelände zum Radlfahrn zu steil, aber die harten Drahteselfreaks könnten hier ihr Diplom abliefern.

Du erreichst die saftigen Wiesen des Casons. Man steuert auf des "neu" renovierte kleine Holzhäuschen zu. Um einen herum Pferde, Schafe, Esel, Murmeltiere. Hier ist die Welt ruhig. Alle sind neugierig, ich auch. Hinter dem Cason geht es nordwestwärts, spurlos, weiter.

Stopp! Hier passiert mir der "Kardinalfehler" des Tages. Ich steige hinter dem Cason an bis zum Rand eines Bachgrabens und weiter rechts davon (östlich), steil über einen Grashang, hoch in eine kleine Senke und weiter zu einer Art Grasgratkamm. 20 Minuten nach dem Cason kapiere ich, falsch. Scheiße, aber, vor mir, ein Bild, beeindruckend gespenstisch. Noch ein Schotterfeld queren und auf dem logenplatzähnlichen Grassporn Platz nehmen: Du sitzt auf einem Thron mitten im Dolomitenkino, dem Westwandamphitheater der Hohen Gaisl. Ich konnte nicht umdrehen, das muß man erlebt haben als Dolofan. Ach ja, hier beginnt die Süd-West Führe auf die Gaisl (SG II), Pfadspuren nicht vorhanden. 

Ich verweile nur kurz auf der Graskanzel und erkenne, das Ziel Schlechtgaisl ist in großer Gefahr, ob der Gewitterprognose am späten Nachmittag. Bliebe noch die Orientierung, bis hierhin gab es einen bescheidenen Steinmann und der steht neben mir. Schnell gehts hinunter, zurück  zum Cason.

Zurück beim Stopp! Vom Cason geht es weglos, nordwestwärts querend, fast leicht absteigend, weiter zu einem ausgetrockneten Bachbett. Aus dem Bett ein paar Meter hoch und dann sofort rechts, den untersten Ausläufer des Schotterfeldes ansteuern. Eigentlich sperren keine Latschen den Weg dorthin. Am Anfang des Schotterfeldes habe ich einen Steinmann gebaut. Hier setzen deutliche Pfadspuren ein. Das Schotterfeld nordwärts ansteigend queren (ab und zu ein Steinmann), einem schwächer werdenden Pfad folgen, eine ausgewaschene Rinne ! an geeigneter Stelle kreuzen. Dann folgt grobsteiniges Gelände. Verlockend lädt eine rote Rinne zum Hochsteigen ein, aber besser quert man auf den grünen Ausläufer des Vallon de Muntesela zu. Hier öffnet sich der Blick in das Vallon. Wunderbar.
Auf dem letzten Stück gibt es nur wenige Steinmänner, oder was so zu interpretieren ist. Klar, wer den Weg kennt, braucht ja keinen. Ich habe mir aber ein paar gebaut, denn mit der Wetterprognose, könnte ein schneller Rückzug angesagt sein. 
Ab dem Eintritt ins Vallon, da wird`s einfach. Klar erkennbar im Zentrum der Nordpfeiler der Hohen Gaisl, links davon die Hohe Schlechtgaisl. An der linken Flanke die Kleine Gaisl, zur Rechten der westliche Gratkamm der Hohen Gaisl. Ein Blick zur Uhr: High Noon, madre mia!

Die Wolken über mir zeigen freundliches Gesicht, jetzt gilt`s, Marschbefehl. Man steuert auf die rote Rinne zu, die zur Nordscharte zwischen den beiden Gipfeln hochzieht. Es ist bergsteigerisch perfekt angerichtet. Ich habe den Zeitpunkt der Tour so gewählt, daß noch Schnee liegt, deshalb kann ich schon tief auf das Schneeband der Rinne steigen und den widerstandslosesten Weg nach oben wählen. Ansonsten geht es rechts davon über festes Geröll aufwärts. Ich nehme Leichtsteigeisen, denn dank der Wolken ist es fest und oben werden die 40 Grad erreicht. Wenn du den Linksknick in der Rinne passierst, zieht sich rechts eine Rinne zu einer gelbschwarzen Wand hoch. Tja, da zieht`s die Eifrigen hin, wenn sie die leichteste Führe, die Grohmannroute, auf die Hohe Gaisl anstreben. Übrigens hat man hier ohne Verhauer gut 5 Std. ab dem P auf dem Buckel. War ich doch schon auf der Hohen Gaisl, trotzdem juckt`s mich gewaltig, dort hoch zu steigen und einen Blick in die blutrote Senke zu riskieren. Kaum gedacht, schon verworfen, Uhrzeit, Wetter, ein NoGo.

Ziel Schlechtgaisl. Der Gipfelaufbau weist eine gelbschwarze Wand auf, darunter querst du nach links aus der Rinne, spätestens ca. 25 Hm unter der Schartenkante Schlechtgaisl/Hohe Gaisl Nordgipfel. Es gibt ein schotterübersäätes schmales Band, eigentlich nie begangen. Wie du es erreichst, ob von unten oder leicht absteigend von oben, alles SG I bis II (Verhältnisse? Schnee? egal). Am Ende vom Band steht der Steinmann (habe ihn heute wieder aufgebaut). Jetzt geht es entweder im SG II direkt am Westgrat zum Gipfel (meine Wahl, fester Fels) oder linker Hand in Schlangenlinie über eine brüchige Rinne (SG I+). Schwer ist`s nicht, aber ausgesetztes, unberührtes Gelände.

Ein kleiner Steinmann ziert den Gipfel. Eine Plastikflsche, in der ein Heftchen steckt. 2016 zwei, 2017 ein, 2018 vier Einträge... zzgl. der Unzahl all der Kasperlen, die nicht schreiben wollen oder können. Für Autogrammgeber ein trostloses Pflaster. Ich habe jetzt einen 3000er in meiner Dolosammlung mehr. Die Abgrenzung zum Nordgipfel der Hohen Gaisl ist da, aber rechtfertigt das einen eigenen Dolomiten3000er?! Natürlich ist dir der Überblick über die Sextener Dolomiten, die Tofanen, den Alpenhauptkamm... usw geboten. Auch herrscht permanenter Steinschlag in der "rotblutenden" Ostflanke der Gaisl nebenan.

Wenn du die Tour ohne Verhauer durchziehst, dann rechne mit mehr als 6 Std. Aufstieg vom Parkplatz. Es ist ein rauher Anstieg in einem sehr einsamen Gebiet. Im Ganzen steigst du alles ohne Markierungen, das ist auffällig. Selbst Steinmännchen sind Raritäten. Das einst vorhandene Biwak Pia Helbig-Dall`Oglio wurde so lange zerstört, bis man es demontiert hat, man möchte wohl die verwurzelte Einsamkeit mit Vehemenz bewahren, tja!? Vergesst nicht, hier findet ihr die Grohmannführe, die leichteste Route auf die Hohe Gaisl. Die grünen Wiesen im Vallon eignen sich gut für eine Nächtigung. Heute wären die idealen Bedingungen für eine Gaislbesteigung gewesen. Der alte "Paule" würde sich bestimmt ärgern, daß man seine Pioniertat an der Gaisl für Bergsteiger so erschwert.

Die Hohe Schlechtgaisl ist bergsteigerisch eine ernste Tour.
Aufstieg wie Abstieg.

Habe die Ehre, Berg Heil,
der Bergteufel

Tourengänger: bergteufel


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Kommentare (5)


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georgb hat gesagt: 3000er Sammlungen
Gesendet am 22. August 2019 um 21:23
Bravo Rudi!
Ich hoffe nur, du nennst dich nicht irgendwann Abenteurer&Bergteufel&Ötzi III ;-)

bergteufel hat gesagt: RE:3000er Sammlungen
Gesendet am 22. August 2019 um 22:31
Georg, was würden mir für Namen einfallen, aber noch bin ich Herr meiner Sinne!

ADI hat gesagt:
Gesendet am 23. August 2019 um 10:22
Gratuliere Dir zu dieser echt aussergewöhnlichen Tour.....
A ungewöhnliche Tour, a klasse Bericht....natürlich vom wuiden Dolo Deifi....von wem sonst!


Stefan_F hat gesagt:
Gesendet am 28. Januar 2020 um 08:07
Cool eTour - wieder mal! Super!

"Nebenbei erwähnt hat man da die "4 Peaks erfunden" Heiligkreuz - Zehner - Lavarella - Continures... " Das gibt es schon? Ich dachte ich hätte eine wahnsinnig tolle Idee für den kommenden Spätsommer. Naja. Ich versuche mich mal dran.

Gab es bei der Schlechtgaisl nicht die Diskussion um die Höhe und ob sie nun ein 3000er ist oder nicht?

VG
Stefan

BigE17 hat gesagt:
Gesendet am 11. August 2023 um 13:31
Hallo Rudi.

Danke für die Beschreibung dieser wirklich coolen Tour, bin sie gestern selbst nachgegangen. Vor allem deine Bilder haben mir sehr geholfen.

Jedoch kam mir persönlich die Tour doch um einiges anspruchsvoller vor, als hier beschrieben. Das betrifft in erster Linie die letzten 100 Höhenmeter zum Gipfel. Ich bin deiner Abstiegslinie aufgestiegen. Dabei waren mehrere äußerst brüchige und luftige Kletterstellen zu überwinden, die durchaus anspruchsvoll waren (II+). Dem Westgrat konnten wir nicht folgen, da dieser zu schwierig war (also schwerer als II). Da auch noch die Steinschlaggefahr ziemlich hoch war, hätte ich das ganze eher mit T6+ bewertet.

Ich wollte nur meine persönliche Einschätzung hier kurz erwähnen, um eventuelle Nachahmer ein wenig vorzuwarnen.

LG


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