Erster Sellaturm Freccia-Route, Torre Inglese, Paternkofel NNW Grat


Publiziert von Michael26 , 5. Oktober 2018 um 20:48.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:23 August 2018
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 600 m

Als ich am Montag meine Freunde in Kolfuschg treffe, sind diese bereits seit einer Woche in den Dolomiten unterwegs und haben einige Bergtouren durchgeführt. Aber größere Unternehmungen gestalten sich schwierig, denn in diesem Jahr gibt es in den Dolomiten wieder einen typischen Gewittersommer und fast an jedem Nachmittag ist mit einem Unwetter zu rechnen, in das man nicht unbedingt geraten möchte.
 
Prompt erwischt uns am nächsten Tag am ersten Sellaturm beim Ausstieg aus der „Freccia“-Route (6 Seillängen, SG 3-4, fünfte SL SG 4) unser erstes Gewitter. Allerdings sind wir erst gegen Mittag eingestiegen, nachdem wir am Vormittag einen Versuch an der Mur de Pisciadu wegen Nässe und schlechten Sicherungsmöglichkeiten abgebrochen haben. Wir „retten“ uns in die große Überdachung auf dem Normalweg, direkt beim Übergang vom ersten Sellaturm. Hier sind wir gut geschützt, bleiben trocken und können entspannt abwarten, bis das Gewitter zur Marmolata hinüber abgezogen ist. Dann klettern wir im leichten Regen vorsichtig über den nun nassen und rutschigen Normalweg ab, was problemlos möglich ist.
 
Am nächsten Tag machen wir einen Abstecher zu den Cinque Torri, klettern auf den Torre Inglese (2 SL, SG 3-4) und bewundern die äußerst eindrucksvolle Dolomitenlandschaft mit der Tofana di Rozes Südwand, Sorapis, Croda da Lago, und und und.
Nach der kurzen Kletterei besuchen wir eine für Besucher erhaltene Hochgebirgsstellung aus dem ersten Weltkrieg, in der die Soldaten (Österreicher oder Italiener ?) auf ca. 2500 MüNN ganze Winter verbringen mußten. Ein Holzverschlag mit offenen Fenstern, Holzpritschen mit Laubsäcken zum Schlafen, daneben ein Plumsklo, keine Waschmöglichkeit, ein einfacher Ofen aus Gusseisen. Primitivstes Hausen bei 40 Grad Minus, meterhohem Schnee, wahrscheinlich tage- bis wochenlang abgeschnitten auf dem Berg – absolut unmenschliche Bedingungen.
Die eindrucksvolle Botschaft ist klar: So etwas wollen wir nie mehr.
 
Am Abend überlegen wir, welche Tour wir als Höhepunkt des Bergsommers am nächsten Tag angehen möchten. Die Vorschläge reichen von einer Zinnenbesteigung bis zur Mariakante auf die Pordoispitze, aber gegen so große Touren sprechen das immer noch unsichere Wetter und unsere Langsamkeit am Berg, denn wir sind zu fünft unterwegs. Schließlich einigen wir uns auf eine Besteigung des Paternkofels über die NNW-Kante, eine Wahl, mit der alle zufrieden sind. Denn einerseits ist das ein sehr schöner Berg mit großem Ambiente und alpiner Geschichte, andererseits sind es nicht mehr als 8 Kletterseillängen im SG 3-4. Und vor allem ist ein schneller Abstieg über einen Klettersteig möglich. Zusätzlich ist der Berg mit Kriegsstollen durchlöchert, in die man sich bei Gewittergefahr zurückziehen kann.
 
Nach einer doch etwas kurzen Nacht stehen wir um 4 h auf, um nach einem kleinen Frühstück gegen 5 h von Kolfuschg abzufahren. Es geht über den Falzarego-Pass zuerst nach Cortina und dann weiter über Misurina zur Auronzohütte am Fuß der drei Zinnen. Ein herrlicher Morgen empfängt uns, doch das intensive Morgenrot vor dem Sonnenaufgang warnt uns sehr deutlich, dass auch heute mit Gewittern zu rechnen ist.
Gegen 7 h gehen wir los, zunächst entlang der Südwände der drei Zinnen Richtung NO, vorbei an der Lavaredohütte, dann Richtung Norden westlich am Paternkofel vorbei bis zur Dreizinnenhütte. Hier gibt es eine kurze Pause, bis wir zur NNW-Kante des Paternkofels aufbrechen. Der Weg ist einfach zu finden, denn zunächst ist dieser identisch mit dem unteren Teil des Innerkofler-de Luca-Klettersteigs auf den Paternkofel und dementsprechend ausgetreten.
Gleich am Anfang erwartet uns eine sehr spezielle Passage. Durch einen langen und niedrigen Kriegsstollen geht es steil im Bergesinneren hinauf, teilweise in der Dunkelheit, wobei wir uns ducken müssen, um überhaupt durchzupassen.
Am Ende des Tunnels führt der Klettersteig weiter nach links, während wir nach rechts abzweigen, um in unsere Route einzusteigen. Wir erreichen die Abzweigung gegen 9 h.
 
Zu Beginn baut der Paternkofel die unangenehmsten Hürden vor uns auf, die er aufzubieten hat. Die erste Seillänge führt durch eine üble Schuttrinne und es ist unvermeidlich, dabei ordentlich abzuräumen. Die zweite Seillänge ist streckenweise sogar richtig gruselig, denn es geht über eine brüchige Platte, die zwar nicht sehr steil (SG 3) ist, aber bei keinem Griff oder Tritt die Sicherheit gibt, dass der Fels auch wirklich hält. Möglichkeiten für Zwischensicherungen gibt es auch kaum. Ab der dritten Seillänge wird es aber deutlich besser und ab hier erwartet uns schöne Kletterei im SG 3-4.  
 
Leider sind wir wieder ziemlich langsam, vor allem unten im brüchigen Gelände. Und so habe ich schon beim Nachsichern nach der fünften Seillänge das unangenehme Gefühl, dass sich da etwas hinter meinem Rücken zusammen braut. Und als wir endlich nach der sechsten SL den Gipfelgrat erreichen, sind die dunklen Gewitterwolken schon ganz nahe heran gerückt. Wir laufen den Rest der Route am laufenden Seil zum Gipfel hinauf und gerade als wir uns ausgebunden haben und zur Gipfelrast hinsetzen wollen, empfängt uns beängstigend nahe klingendes Donnern und es beginnt leicht zu regnen. Statt auszuruhen machen wir uns etwas hektisch an den Abstieg, gelangen aber Dank der Versicherungen des Klettersteigs zügig hinunter auf den ersten Absatz unter dem Gipfel. Hier gibt es etliche in den Berg geschlagene Kavernen und wir stellen uns erst einmal unter.
 
Während wir warten, schweifen meine Gedanken zur Geschichte dieses Berges, die untrennbar mit den Namen Sepp Innerkofler und Piero de Luca verbunden ist.
Sepp, der berühmte Bergführer und Erstbegeher der Nordwand der Kleinen Zinne und Piero, der Alpini, standen sich im ersten Weltkrieg in schicksalshafter Gegnerschaft am Paternkofel gegenüber. Beim Kampf um den Gipfel verlor Sepp sein Leben und wurde zunächst direkt am Gipfel von den Italienern beigesetzt, die aus Respekt vor der Person Innerkoflers ein einfaches Holzkreuz errichteten. Später fand Sepp in Sexten seine letzte Ruhestätte. Noch heute erinnert eine Inschrift am Gipfelkreuz an diese Begebenheit und der Klettersteig wurde nach den beiden Akteuren Innerkofler und de Luca benannt.
Immer wieder fühle ich mich durch die Erinnerungen an den ersten Weltkrieg in den Dolomiten besonders berührt, wahrscheinlich durch die Erzählungen meines Großvaters, die ich als kleines Kind oft gehört habe. Dieser hatte drei Jahre an der Dolomitenfront als österreichischer Soldat verbracht. Wieder wird mir das sinnlose Grauen des Krieges an diesem Ort eindringlich vor Augen geführt, der allen Beteiligten, die heute in wunderbarem Frieden zusammen leben, nur unendliches Leid gebracht hat.
 
Schon bald können wir weiter absteigen, denn wir haben Glück und das Gewitter streift uns nur und zieht schnell vorbei. Viele Klettersteiggeher haben sich gar nicht abhalten lassen und steigen weiter zum Gipfel auf.
Der Abstieg ist eigentlich gar kein Problem, die Wegführung über die alten Kriegssteige dafür umso atemberaubender.  Ganz am Schluß des Abstiegs erwartet uns dann noch ein besonderes ´Schmankerl´, das ich aber nicht verraten möchte. Jeder, den es interessiert, möge selbst vom Paternkofel über den Klettersteig Richtung Lavaredohütte absteigen und es heraus finden. In jedem Fall kann ich ein ganz besonderes Erlebnis versprechen.  

Tourengänger: Michael26


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