Antermoiakogel (2902 m, Versuch), Seekogel (2811 m) - Tummelplatz für Steilschutt-Masochisten


Publiziert von gero , 18. Juli 2017 um 18:10.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:16 Juli 2017
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 1790 m
Abstieg: 1790 m
Strecke:Mazzin - Val Udai - Donapass - Antermoiahütte - Seekogel - Antermoiakogel (Versuch) - Antermoiahütte - Mantello - Passo Ciaregole - Val Dona - Rif. Dona - Mazzin (21,8 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Etwa mittig zwischen Canazei und Pozza di Fassa liegt Mazzin; dort gebührenfreier P am südlichen Ortsausgang neben der Fassatal-Straße (weitere P im Ort)
Kartennummer:Freytag & Berndt WKS 5 (Cortina d'Ampezzo - Marmolada - St. Ulrich)

Fragt man nach dem Höchsten und Zweithöchsten der Rosengartengruppe, dann ist alles klar: Kesselkogel (3002 m) und Rosengartenspitze (2979 m) sind jedem Liebhaber der Dolomiten wohlbekannt. Aber der Dritthöchste? Nur wenige Bergfreunde haben schon mal was vom Antermojakogel gehört - wohl vom gleichnamigen Kessel, aber Kogel? Wieso stehen er und der benachbarte Seekogel in keinem Tourenbuch? Nun, zum einen ist es die unmittelbare Nachbarschaft des Kesselkogels: bestens erschlossen, dort kommt jeder hinauf, der auch nur ein bißchen Mumm in den Knochen hat. Seekogel und Antermojakogel führen ein absolutes Schattendasein: kein Steig, nicht einmal eindeutige Spuren sind dort zu finden. Der Grund liegt inder ungeheuren Brüchigkeit des Gesteins: jeder Griff, jeder Tritt, den man auch nur anschaut, löst sich und verschwindet in der Tiefe. Steinmanderl kann man hier keine aufstellen!

Der Seekogel war mir heute hold: ihn habe ich erreicht. Aber der knapp 100 m höhere Antermojakogel hat mir die kalte, genauer gesagt: brüchige Schulter gezeigt. Ich gliedere meinen Bericht in 4 Teile, um in das Chaos meiner Irrwege in der Gipfelregion beider Berge überhaupt eine gewisse Gliederung zu bringen.

Teil 1: Aufstieg zur Antermoia-Hütte durch das Val Udai

Mit der Morgendämmerung starte ich im Fassatal, dort in Mazzin (1372 m); einige Ww zeigen hier ins Val Udai hinein, auch die Antermoiahütte ist mit 3 1/2 Std. Gehzeit bereits ausgewiesen. Zuerst geht es verhältnismäßig bequem in nordwestlicher Richtung aufwärts, immer am Bach entlang auf einer Forststraße (Steig Nr. 580). Nach etwa 1 Std. wird dieser auf einer kleinen Brücke überquert, die bisherige Forststraße geht in einen Bergsteig über, kurz darauf wird die Örtlichkeit Soscorza (1720 m) erreicht.

Der Steig erreicht den Fußpunkt einer mächtigen Felswand, die das Val Udai gegen das Massiv des Polenton und des Mantello abschließt. Nun biegt das Weglein nach Norden um, es gilt eine Geländestufe zu überwinden, die auf die Wiesen von Camerloi führt (2200 m, 2:30 Std.; von hier aus werde ich auf dem Rückweg ins Donatal absteigen). Den bisher ziemlich dichten Wald habe ich nun hinter mir und betrete das weitläufige Wiesengelände mit dem Charakter einer Hochebene (Pian da le Gialine). Über diese Murmeltierwiesen (überall pfeifen und wuseln die possierlichen, überhaupt nicht scheuen Tierchen herum) führt der Weitweg gut markiert und sanft ansteigend auf die eindrucksvolle Ostwand der Cima di Dona zu. Dort erreiche ich den Steig, der aus dem Durontal hinüber zur Antermoiahütte führt (3 Std. ab Mazzin). Auch hier steht wieder ein großer Wegweiser, bis zur Hütte werde ich noch eine knappe Stunde brauchen.

Das nächste Ziel ist der Donapaß (2516 m, Passo de Dona); er stellt die Zugangspforte zum Antermoiakessel dar und wartet mit großartiger Aussicht auf: die Felskulissen des Rosengarten sind zum Greifen nah, jenseits des Fassatales wachsen Langkofel, Sella und Marmolata in den Himmel. Zur nunmehr sichtbaren Antermoiahütte (2496 m) ist es nicht mehr weit: leicht fallend, führt ein Steig unter der Cima di Dona hinüber - ich habe einschließlich aller Pausen knapp 4 Std. von Mazzin benötigt.

Teil 2: Besteigung des Seekogels

Ich halte mich nicht auf, es geht sofort weiter. Ich folge der reichhaltigen Beschilderung, die zu den Zielen am Kesselkogel weist. See- und Antermoiakogel sind hier nicht erwähnt - nur Verrückte haben sich diese beiden Ziele abseits der Hauptwege gewählt ! Gleich hinter der Hütte führt der Steig Nr. 584 am Antermoiasee (2495 m) entlang. Die Landschaft wird nun extrem karg: es geht über die graue Schotterebene des Vallone d'Antermoia (2530 m), der von Kessel-, See- und Antermoiakogel nach Westen hin abgeschlossen wird.

Am hinteren Ende der Ebene führt Steig Nr. 584 nach links hinauf Richtung Antermoiapass und Kesselkogel; hier verlasse ich diesen Steig und folge nach rechts dem Zugang zum früheren Kesselkogel-Klettersteig: zunächst geht es an einigen verblassenden, alten Markierungen im Aufstiegssinne rechts hinauf, immer unter dem Wandfuß des Kesselkogels. Der alte Steig ist anfangs noch recht gut sichtbar, wird aber nicht mehr erhalten: eine Felsstufe und eine Geröllrinne werden unschwierig gequert, danach stehe ich oberhalb des Vallone d'Antermoia am Beginn einer großen Geröllsenke, die den Zugang zum Kessel- und Antermoiakogel darstellt. Hier verfällt besagter alter Zustieg zum Kesselkogel, ab jetzt geht es weglos weiter.

Die folgenden, bewußt ausführlichen Beschreibungen sind für etwaige Wiederholer gedacht - es ist nun nämlich wichtig, wie man am besten seine weiteren Ziele verfolgt. Auf jeden Fall empfehle ich, wenige Höhenmeter in den Grund des besagten Karbodens bis zu dessen tiefstem Punkt abzusteigen; er stellt gleichermaßen den Zustieg zum See- und Antermoiakogel dar.

WICHTIG, aber falsch: ich habe den langen Hang hinauf Richtung Seekogel gequert, ohne in den Grund des Kares abzusteigen  - in der Hoffnung, zuerst den Seekogel zu besteigen und anschließend mit einer hoch angesetzten Querung den Antermojakogel zu erreichen. Letztere ist aber nicht ohne weiteres möglich, da die Hänge weiter droben sehr steil und dabei extrem brüchig sind.

Zwischen See- und Antermojakogel befinden sich zwei Scharten, die durch einen kurzen Felskamm miteinander verbunden sind:
Die RECHTE (nördliche) Scharte ist die SEEKOGELSCHARTE: sie wird durch eine auffällige Rinne erreicht, die zwar unschwierig, aber äußerst mühsam zu begehen ist. An der Seekogelschrate beginnt der Aufstieg zum Antermoiakogel - der unterste Bereich ist steil, dort bin ich später umgekehrt.
Die LINKE (südliche) Scharte trägt keinen eigenständigen Namen, über sie verläuft der Anstieg zum Seekogel. Der Verbindungsgrat zwischen beiden Scharten ist viel ausgesetzter, als es von unten aussieht; er hängt nach Westen teilweise über und bricht dort mehrere hundert Meter in den jenseitigen Grasleitenkessel ab.
Und dann gibt es auch noch die Kesselkogelscharte: sie ist zwischen See- und Kesselkogel eingeschnitten. Über sie kann man ebenfalls auf den Seekogel steigen, hier in meinem Bericht spielt sie aber keine Rolle.

Vom Karboden ist der Seekogel unschwierig, aber sehr mühsam zu erreichen: man suche sich nach eigenem Gutdünken über Schrofen und Geröll einen Weg durch die Steilflanke. Steigspuren gibt es nur sporadisch. Hier ist wieder einmal "Blick fürs Gelände" wichtig. Auf dem Seekogel (2811 m) angekommen, genieße man die prächtige Aussicht: man steht hier zwischen den wuchtigen Flanken des Kesselkogels und des Antermoiakogels, nach Westen fallen die Abgründe jäh in den Grasleitenkessel, nach Osten weniger steil (=Aufstiegsweg) in den Antermoiakessel ab.

Teil 3: abgeblitzt am Antermojakogel

Nachdem ich erfolgreich auf dem Seekogel stand, versuche ich, hinüber in die Seekogelscharte zu queren, indem ich den Verbindungsgrat ein Stück begehe - man möchte ja schließlich keine Höhenmeter verschenken. Die Begehung des an sich kurzen Gratstückes erweist sich aber als außerordentlich mühsam, weil der Fels unglaublich brüchig ist. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen - von einem "Gehen" kann man hier nicht mehr sprechen - ständig bedacht, nicht mit einem der davonrollenden Blöcken hinunter zu fliegen. Und dann ist Schluß: der Grat bricht jäh in die Seekogelscharte ab - also zurück. Und dabei stockt mir schier der Atem: an einigen Stellen hängt dieser Grat westseitig über! Wenn hier ein Block ausbricht, fliegt man in den Grasleitenkessel hinunter. Schauerlich - ich taste mich noch viel vorsichtiger zurück, immer bemüht, keinen Steine auszulösen. Schließlich stehe ich wieder in der oben beschriebenen, südseitigen, namenlosen Scharte.

Um es kurz zu machen: ich probiere noch an einigen tieferen Stellen, den Hang hinüber zur Seekogelscharte zu queren - vergebens, das Gelände ist zu brüchig und zu steil, es hilft nichts: hinunter in den Karboden. Von dort aus steige ich dann die anfangs beschriebene Rinne Richtung Seekogelscharte auf. Das funktioniert, zwar unschwierig, aber ebenfalls unglaublich mühsam: 2 Schritte hinauf, einen wieder hinunter.

Nach einigen derben Flüchen (sie helfen zumindest moralisch weiter) erreiche ich schließlich die Seekogelscharte (2650 m) - haltlos geht es westseitig hinab in den Grasleitenkessel, tief drunten liegt die Grasleitenhütte. Bin ich eigentlich blöde? Statt mich hier oben in diesem Schutt abzurackern, könnte ich jetzt dort unten auf der Hüttenterrasse sitzen, ein Weißbier trinken -  und Madeln_zum_Schäkern soll es dort ja auch geben. Aber nein, heiliger Strohsack, ich Idiot will ja unbedingt auf den Antermoiakogel!

Der Rest ist schnell erzählt: ich packe die Steilflanke hinauf zum A.kogel an. Hier gilt: "Alles dreht sich, alles bewegt sich - sein eigener Pilot sein". Es gibt keinen Stein, der fest wäre - und das Gelände ist steil, für meinen Geschmack als heikel einzustufen! Steinschlag zu vermeiden, ist völlig unmöglich. Jeder Block, den ich anfasse, wackelt, die Füße stehen auf unzuverlässigen Tritten, und so taste ich mich vorsichtig bergauf. Es ist kaum zu glauben, daß dieser Berg überhaupt noch vorhanden ist und nicht längst als riesiger Schutthaufen im Tal liegt. Und dann reicht es mir: das hier ist nicht mein Gelände, ich habe keine Lust, mit einem der Blöcke hinunter zu fliegen - ich kehre um.

Hinunter geht es nicht schneller als bergauf (wie immer in derartigem Gelände) - vorsichtig, Schritt für Schritt, bis ich wieder drunten bin im Karboden unter diesen einsamen Bergen des Rosengarten. Inzwischen ist mir natürlich klar, weshalb sich kaum jemand da herauf verirrt, weshalb es hier keinen Steig gibt: auf diese Berge steigen nur Steilschutt-Masochisten !

Falls Du Ambitionen hast: der Antermoiakogel harrt weiterhin seiner hikr-Erstbegehung !

Wieder absteigend, erreiche ich mit etwas müden Beinen schließlich die Antermoiahütte .....

Teil 4: Mantello; Abstieg ins Fassatal durch das Val Dona

Zurück aus der kargen Einsamkeit der beiden Kögel, ist mir das wilde Treiben an der Hütte zu viel: es geht gleich weiter, hinüber zum Donapass (2516 m). So ganz abgekämpft bin ich aber doch noch nicht: ich gönne mir noch den kurzen Anstieg zum Mantello (2567 m) und liege dann, entspannt dösend, auf diesem wiesenüberwachsenen Aussichtsgipfel.

Schließlich wandere ich hinüber zum Passo Ciaregole (2282 m), dem Verbindungspunkt hinüber ins Durontal mit schönem Ausblick. Zunächst geht es für mich dann wieder hinab nach Camerloi und von dort ins Donatal. Im Rifugion Dona (2100 m) kehre ich ein, und dann führt mich eine teilweise supersteile Straße hinunter ins Fassatal und zurück nach Mazzin.

Fazit:
- Mein GPS-Track nicht immer zuverlässig, es gibt unterwegs vielfach Reflektionen des Signals
- Der Seekogel ist wesentlich einfacher als der Antermoiakogel; beide sind aber wegen des ungemein brüchigen Geländes nur weglos und sehr mühsam erreichbar.
- Es gibt für all' diese Namen unterschiedliche Schreibweisen - je nachdem, ob ladinisch, deutsch oder italienisch. Ich denke, ich habe alle Bezeichnungen verständlich gewählt.
- Für Bergkameraden der schärferen Gangart wird der Antermoiakogel kein Problem darstellen. Aber ich habe ihn hier "wortgewaltig" so geschildert, wie er mir jetzt - unmittelbar im Nachhinein - in Erinnerung ist. Mag sein, daß ich bei einem zweiten Versuch und vielleicht in Begleitung eines Kameraden routinierter hinauf käme. Der Charakter des brüchigen Steilschutts wird aber bestehen bleiben.

Tourengänger: gero


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Kommentare (3)


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georgb hat gesagt: Ausgeschäkert
Gesendet am 18. Juli 2017 um 19:54
Sehr netter und lesenswerter Bericht lieber Georg! Aber dort oben in den Geröllhaufen gibts natürlich keine Mädels zum Schäkern. Und falls doch, du weißt ja, nach dem Schäkern kommt bald der Ernst des Lebens ;-)
Grüße Georg

gero hat gesagt: RE:Ausgeschäkert
Gesendet am 18. Juli 2017 um 21:48
In den Geröllhaufen nicht ..... ich hab ja auch geschrieben: drunten auf der Hütt'n!
Und mit dem nachfolgenden Ernst des Lebens kann ich gut leben ;-)
Gruß zurück, auch Georg

DiAmanditi hat gesagt:
Gesendet am 19. Juli 2017 um 17:05
Sehr informativer Bericht mit mindestens ebenso schönen Bildern! In der nördlichen Rosengartengruppe gibt es ja viele einsame, da nur in mühsamem Schutt zugängliche Gipfel, möchte ich schon länger mal hin. Bisher war ich in der Nähe nur auf dem Ponjin, die vorgelagerten Grasberge wie er stehen allerdings in ziemlichem Kontrast zu den Kalkgipfeln des Rosengartens.

Gruß
Arne


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