Mont Blanc via Mer de Glace und Cosmique Route


Publiziert von skathold , 4. September 2016 um 14:04.

Region: Welt » Frankreich » Massif du Mont Blanc
Tour Datum:30 Juli 2016
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: F 
Zeitbedarf: 6 Tage
Aufstieg: 5136 m
Abstieg: 2379 m

Das Dach Europas:
Der Mont Blanc, der höchste Gipfel der Alpen, ein Gipfel der alles überragt, was man sehen kann. Ein erstrebenswertes Ziel also. So denken viele und ein dementsprechender Auflauf an Menschen ist auf dem Gipfel auch anzutreffen. So zumindest mein erster Eindruck als ich mir Videos und Bilder unseres Zieles im Vorfeld anschaute. 
Nach den Erfahrungen aus der Schweiz, vor allem aus Zermatt, wirkte das auf mich eher abschreckend. Ich dachte an die vielen Bahnen, die im Viertelstunden-Takt Ladungen von Touristen im hochalpinen Gelände ausspucken. Ich dachte an den Irrsinn der dort zu erleben ist, an die Inszenierung einer Alpenwelt, die dem nüchternen Betrachter mehr als lachhaft erscheint.
Was hat das mit dem Naturerlebnis Hochgebirge noch zu tun? Fühlt man in so einer Umgebung wirklich die Freiheit, wie man sie auf einem einsamen Gipfel erleben kann?

Den Berg aus eigener Kraft besteigen:
Mein Partner und der Urheber der Idee, den Mont Blanc zu besteigen, teilt diese Ansichten. Es würde für uns nicht in Frage kommen, eine Bahn zu nutzen, welche uns den halben Weg - oder mehr - zum Gipfel bringt. Wir wollten den Mont Blanc als das erleben, was er wirklich ist: der höchste Gipfel. Außerdem wollten wir die Menschenmassen umgehen und versuchen an diesem stark frequentierten Berg, die Einsamkeit der Berge zu erleben. Im Klartext hieß das: der Normalweg über die Gouter-Route war tabu.
Die Aquille du Midi Bahnstation und die Cosmique-Hütte sind Ausgangspunkte für die sehr reizvolle Drei-Berge-Route (Tres Monts), das sollte unser Weg sein. Aber da wir keine Bahn nutzen wollten, blieb uns nur der Aufstieg über den Mer de Glace. Dieser macht - am Rande bemerkt - seinem Namen alle Ehre.
Zum Motto "aus eigener Kraft" gehört für uns auch, dass wir keine Hütte benutzen.
Der Plan sah also so aus:
In 2-3 Tagen (je nach Wetterlage) zum Basislager unterhalb der Cosmique-Hütte über den Mer de Glace aufsteigen, anschließend Akklimatisation und ein oder zwei Touren (beispielsweise entland der Tres Monts Route, auf den Mont Maudit oder Mont Blanc du Tacul). Dann sollte der Aufstieg zum Gipfel erfolgen, der anschließende Abstieg sollte über den gleichen Weg gehen. 
Wir packten Essen für 10 Tage und eine Notreserve ein. 

Tag 1: Vom Dschungel ins Eis
Von Chamonix aus folgten wir den breiten Wanderwegen in Richtung Montenvers, wo der Einstieg auf den Mer de Glace zu finden ist. Bepackt mit 25-30 kg Ausrüstung (so ganz genau wollten wir es dann doch nicht wissen) lockte die quasi parallel fahrende Bahn und wir bekamen einen Eindruck davon, was uns noch bevorstehen würde. 
Aber erst einmal wurde die Vegetation dichter und kurz vor Montenvers, hatten wir den Eindruck im Urwald zu stehen, anstatt ins Hochgebirge zu wandern. Endlich am Gletscher angekommen, ließen wir dieses geradezu erdrückende Grün hinter uns.
Am Gletscher angekommen, ist gut gesagt. Zunächst galt es einige (hundert?) Meter über Leitern und Steige dahin abzusteigen - mit DEM Rucksack eine wahre Freude. 
Auf dem Gletscher ging es dann gut voran, hier trafen wir auch die letzten Menschen, bevor wir bis zum Basislager niemanden mehr sehen sollten.
Das Wetter durchkreuzte allerdings alsbald unsere weiteren Pläne. Heftiger Regen und ein Gewitter, welches in diesem Tal fest hing, verhinderten ein Weitergehen. Wir bauten das Zelt auf. Gerade rechtzeitig, damit nicht alles nass wurde.
Gegen Abend beruhigte sich das Wetter wieder und wir konnten die absolute Stille und Einsamkeit der Bergwelt genießen. 
Da das Unwetter wieder aufzog, befestigten wir das Zelt zusätzlich und hackten "Entwässerungsgräben" in das Eis um unser Zelt. Wir hatten beim Aufbau natürlich auch darauf geachtet, nicht weit und breit der höchste Punkt zu sein, aber dennoch einen respektvollen Abstand von den herabgefallenen Felsbrocken zu halten. In die ruhigen Stunden konnten wir eine vorzügliche Couscous-Variation genießen, bevor gegen Abend wieder Unwetter aufzogen und unser Zelt auf Herz und Nieren geprüft wurde.

Tag 2: Den Urgewalten ausgsetzt
Frühe Morgenstunden - Regen - Donner - die Stimmung im Zelt jedoch gut. An dieser Stelle muss unsere Ausrüstung, vor allem Zelt, Isomatten, Schlafsäcke und Schuhwerk gelobt werden, welche uns stets warm und trocken gehalten haben, obwohl ein wettertechnischer Weltuntergang im Gange war.
Gegen Mittag klarte das Wetter endlich auf. Aufklaren bedeutet hier allerdings: kein Regen und die Wolken hingen etwas höher. Wir konnten nun endlich unseren Weg fortsetzen.
Der Weg sah heute so aus: 
Wir durchquerten eine große Bruchzone, bevor der Mer de Glac aus dem Zusammenfluss von Glacier de Leschaux und Glacier du Tacul hervorgeht. Irgendwo rechts über uns, hoch auf den Felsen lag die Hütte Refuge de LEnvers des Aiguilles, welche über Leitern/Klettersteige zu erreichen ist.
Die Bruchzone ist gut zu übersehen und man muss nicht zwangsläufig am Rand gehen, wo Firnfelder und Dreckhaufen einen kürzeren aber unschönen Weg ermöglichen. Man sieht am Rand die Spalten nicht mehr und rutscht ständig aus - trotz Steigeisen, wegen des Drecks. Der Weg durch die Spalten ist sehr eindrucksvoll und man muss keine gefährlichen Balanceakte vollführen.
Anschließend folgten wir dem Glacier du Tacul, das Eis ist hier eben und nahezu spaltenfrei. Wichtig war jetzt: links halten, denn die nächste Spaltenzone und ein großer Eisfall versperren in einiger Entfernung den Weg.
Hier gibt es zwei Optionen: man kann über Leitern/Klettersteige zum Refuge du Requin aufsteigen und dann relativ waagerecht zum oberen Ende des Eisfalls weiter gehen (diese Angabe haben wir nicht überprüft, wir haben das lediglich als Option anderen Berichten/Karten entnommen). Die zweite Variante ist, die Spaltenzone links zu durchqueren (rechts versperren Seracs den Weg), allerdings wird das Labyrinth im oberen Bereich etwas unübersichtlich und wir mussten einige Male umkehren und einen neuen Weg suchen. 
Nebenbei bemerkt: bisher war der Gletscher aper, ein Anseilen war also nicht nötig. 
Die Spaltenzone wird alsbald wieder flacher und der Eisfall ist nun voll zu sehen. Jetzt ist es besonders wichtig, nicht mehr links zu bleiben. Wir bewegten uns daher zielstrebig nach rechts, denn wegen des weiteren Weges war es wichtig den Eisfall auf dieser Seite zu überwinden.
Am Fuße des Eisfalls und gleichzeitig am Fuße der Felsen angekommen, mussten wir uns anseilen, da Firnfelder die Spalten verdeckten.
An dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass man auf dem folgenden Weg Glück und Pech haben kann. Nach Beschreibungen und Berichten, wollten wir auf den Firnfeldern am Rande des Eisfalls diesen überwinden. Diese Firnfelder waren wegen des Regens der letzten Tage allerdings sehr ausgedünnt und lückenhaft. Das bedeutete, dass wir mehrfach an Abbrüchen und Spalten standen, welche unabschätzbar tief/hoch waren. Das wahre Problem dabei war die einzige Alternative, welche wir nun hatten: wir mussten rechtsseitig an den Felsen klettern. Da der Gletscher hier lange gearbeitet hatte, waren die Felsen äußerst glatt und wir konnten oftmals nur mit den äußersten Spitzen der Steigeisen Halt finden. Die schweren Rucksäcke leisteten ihren Beitrag zum Dilemma. Wir mussten mehrfach die Rucksäcke zurück lassen und mit Seil und Sicherungen (Eisschrauben, Bandschlingen, T-Anker, Rücklaufsperre, ...) einen Weg bauen. Mein Partner zog beispielsweise erst einen Rucksack am Seil nach, dann mich, samt Rucksack (ein Klettern war mit diesem Gewicht undenkbar).
Da Felsen, Firn und Eis hier ständig wechselten, kamen wir nur sehr langsam und unter großen Anstrengungen durch den Eisfall. Trotz aller Schwierigkeiten hatten wir noch Glück, denn kaum waren wir am oberen Ende angekommen, begann es wieder zu donnern...
An einer flachen Stelle, kurz nachdem von rechts der Glacier d'Envers du Plan kreuzt, mussten wir unser Zelt aufschlagen. Wir hatten dabei das Refuge du Requin noch im Blick und "über" uns ragte ein Felsen auf (Petit Rognon). Das Gelände war hier immer noch zerklüftet und uneben, was uns allerdings Schutz vor dem aufziehenden Gewitter bot. Dennoch war es wichtig nicht unterhalb eines Serac, oder auf einer Spalte zu zelten, gar nicht so einfach im Nebel und bei aufziehendem Regen.
Es folgten viele Stunden bei Gewitter, Regen und Sturm im Zelt.

Tag 3: Willkommen in der Wüste
Nach einer sehr unruhigen Nacht begann der Tag wie der zuvor. Regen. Donner... Glücklicherweise hatten wir genug Essen dabei und konnten uns damit bei Laune halten. Erneut wurde das Wetter erst gegen Mittag besser. Als wir endlich das Zelt verlassen konnten, mussten wir zunächst Schnee schmelzen, um etwas zum Trinken zu haben. Nachdem wir das Zelt abgebaut hatten, konnten wir uns anseilen und aufbrechen.
Das Wetter klarte nun endlich auf und wir hatten das erste mal richtig Sonnenschein. Da es mittlerweile Mittag war, wurde es sogleich unglaublich heiß. 
Unser Weg führte uns über den Glacier du Geant. Rechterseits passierten wir La Vallee Blanche und den Felsen Gros Rognon, über den die Panoramabahn zwischen Frankreich und Italien fährt. Unter diesem Felsen befindet sich eine Spaltenzone, welche man im unteren Bereich durchqueren sollte. Anschließend folgt ein schier endloser Weg, mal steil mal flacher, immer links des Felsens über den wirklich riesigen Gletscher.
Um uns herum konnten wir die mächtigen Gipfel des Mont Blanc Gebietes bewundern. Allerdings machte uns die Hitze bald ernsthaft zu schaffen und wir setzten unseren Weg mit Tüchern verhangen fort. Wir sahen dabei eher aus wie Beduinen, als wie Bergsteiger.
Gegen Abend erreichten wir schließlich das Basislager unterhalb des Refuge des Cosmiques. Endlich sahen wir auch wieder andere Menschen.

Tag 4: Akklimatisation
Für diesen Tag war angedacht den Mont Blanc du Tacul zu besteigen, um uns für den Gipfel zu akklimatisieren. Der Weg war dafür eindeutig, die Spuren anderer Tourengänger zeichneten die steile, vergletscherte Nordflanke des Berges. Zu Beginn des Tages war das Wetter einigermaßen freundlich. Wir stiegen also auf, jedoch änderte sich die Situation bald. Es zogen erneut dichte Wolken auf und ich merkte, dass ich noch nicht gut genug akklimatisiert war, um einen 4000er zu besteigen. Auf etwa 4000m Höhe beschlossen wir daher umzukehren, da nun auch noch Sturm aufzog. Später trafen wir zwei Bergsteiger, welche am Gipfel wahren und berichteten, dass es dort allen Ernstes geregnet hatte... auf 4248m. Der Weg in der Flanke führte mehrfach über große Spalten, im unteren Bereich war er steil und es unter anderen Umstände würde man dort eventuell auf Blankeis stoßen. Wir nutzten die Gelegenheit und übten an steileren Stellen Sicherungs- und Bergungstechniken.
Zurück im Zelt erfragten wir wiedereinmal die Wetteraussichten, per SMS. Es hieß, dass am morgigen Tag perfekte Bedingungen und klares Wetter werden sollte, danach würden allerdings mehrere Tage mit schweren Unwettern und Gewittern anstehen. Wir mussten also, wollten wir auf den Gipfel, am nächsten Tag einen Versuch starten. 

Tag 5: Gipfeltag
Um 1:00 Uhr morgens klingelte der Wecker, nach kurzen Frühstück und einem Tee konnten wir um 1:30 Uhr aufbrechen. In der Dunkelheit kamen wir sehr gut voran und die Flanke des Tacul konnten wir sehr schnell überwinden. Allerdings wurde die Sicht im oberen Bereich wieder schlechter, oben angekommen herrschte starker Wind und die Sicht lag unter 5m. Wir waren einer spanischen Zweierseilschaft gefolgt, die wir jetzt plötzlich nicht mehr sahen. Nach einigen Minuten kamen uns die bei beiden lachend entgegen und wir realisierten, dass wir "falsch  abgebogen" waren, in Richtung des Gipfel des Tacul.
Das war der Moment, in dem wir dann doch auf unser Garmin schauten und uns auf unsere eigene GPS-Karte verlassen hatten. 
Der Weg führte nun zum Mont Maudit, an dessen Fuß die Sicht besser und der Wind schwächer wurde. Man muss unterhalb der Flanke einige Sercas queren und auf der rechten Seite der Flanke aufsteigen. Der Anstieg verlief hier erneut sehr steil und das Wetter der letzten Tage hatte jede Spur verwischt. Eine schnellere Seilschaft hatte hier allerdings eine kleine Spur angelegt, der wir folgen konnten Dankbar grüßten wir diese polnischen Bergsteiger am Fuße einer Steilstelle, kurz vor dem Ende der steilen Flanke. Hier stößt man unter einer dünnen Schneeschicht auf Blankeis. Einige Fixseile erleichtern den Aufstieg bis zur Hälfte der Steilstelle, danach kann man Eisschrauben setzen oder - wie es alle Seilschaften gemacht haben, die wir dort trafen - ungesichert die letzten Meter überwinden.
Nun bewegten wir uns relativ eben Richtung Mont Blanc, dessen Gipfel wir nun endlich sehen konnten. Allmählich wurde es auch hell und der Morgen kündigte sich an. Vor den letzten Anstiegen erlebten wir den Sonnenaufgang, zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns im Col du Mont Maudit. Jetzt wurde es erneut steil und diese Ansteige nahmen gefühlt kein Ende. Auf den letzten 300 Höhenmetern spürte ich erneut die Höhe ... ein weiterer Tag Akklimatisierung wäre sicherlich kein Fehler gewesen, immerhin waren wir erst am dritten Tag wirklich über 2500m Höhe hinaus gekommen. 
Wir langen jedoch gut in der Zeit, das Wetter war perfekt, daher konnte uns das auch nicht mehr aufhalten. Endlich, gegen halb 9 erreichten wir den Gipfel der Alpen. Die Aussicht war atemberaubend und selbst die Hohen Gipfel der Schweiz erschienen winzig.
An dieser Stelle sei bemerkt, dass unser Weg der richtige war. Auf der Gouter-Route zogen die Bergtouristen wie eine Karawane zum Gipfel hinauf.
Gegen 9 Uhr begaben wir uns auf den Rückweg. Die Sonneneinstrahlung war erneut gnadenlos, doch wir kamen gut voran. An der Steilstelle des Maudit kam es zu einer Verzögerung, da sich dort auf- und absteigende Seilschaften trafen. Mit unserem 40-Meter Seil seilten wir uns in drei Schritten ab.
Einige heikle Stellen, Seracs und eine Lawine, welche vielleicht am Vortag abging, ließen wir hinter uns und begannen den Aufstieg zum Tacul. Das ging erstaunlich schwer vonstatten, da die Kräfte langsam nachließen und die Sonne in solchen "Tälern" umso erbarmungsloser scheint. Nachdem wir den Tacul hinter uns gelassen hatten, waren wir endlich wieder im Basislager, völlig erschöpft.
Wir genossen nun ein wohlverdientes Festmahl im Zelt und gönnten uns das ein oder andere Heißgetränk vom Gaskocher.
Wegen der Wetteraussichten für die nächsten Tage und den Erinnerungen vom Aufstieg beschlossen wir den Abstieg nicht zu wagen und mit der Bahn von der Aquille du Midi nach Chamonix zu fahren.

Tag 6: Runter vom Berg
Nach einem herrlichen Sonnenaufgang im Basislager stiegen wir zur Bahnstation auf und fuhren nach kurzem Sightseeing nach Chamonix hinunter. Dass diese Entscheidung richtig war, zeigte sich am Nachmittag, als wir vom Tal aus ein unfassbares Gewitter am Berg beobachten konnten. 

Es bleiben prägende Erinnerungen, der Stolz, den Berg aus eigener Kraft bestiegen zu haben und das Gefühl einen Hauch von Expeditionsfeeling erlebt zu haben.

Tourengänger: skathold


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Kommentare (2)


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markus1311 hat gesagt:
Gesendet am 5. September 2016 um 14:19
wunderbarer Bericht und eine eindrückliche Tour

Bertrand hat gesagt:
Gesendet am 6. September 2016 um 14:20
+1. Bravo pour le style pionnier...


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