Aus dem Schatzkästlein des Blauen Landes. Heute soll "Steinzeit" sein über dem Kochelsee!


Publiziert von Vielhygler , 20. Mai 2019 um 23:06.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Bayrische Voralpen
Tour Datum:17 Mai 2019
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Aufstieg: 400 m
Abstieg: 400 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:P. kostenlos am Walchenseekraftwerk
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Kartennummer:DAV BY 9 "Estergebirge, Herzogstand, Wank"

Ist das schöne und  touristisch wohl fast niemals aufgesuchte Gebiet Am Stein (930 m) direkt über dem Kochelsee: ein "unlohnendes" Ziel? Kann sein. Ein Ziel "ohne touristische Bedeutung"? Ganz bestimmt! Aber was hat diese "Bedeutung" eigentlich für eine...Bedeutung? Und vor allem: wem bedeutet diese Bedeutung genau was? Das sind so Fragen und vielleicht sind es sogar ganz unlohnende, bedeutungslose Fragen? Hmm...und die Antwort? Im vorliegenden Falle kennt die Antwort sowieso nur einer. Etwa der Wind? Nein, denn der wirbelt doch wieder nur unten am See neue, unlohende Fragen auf. Eine wirklich lohnende Antwort kennt, hoch über dem Kochelsee, nur einer: Der Stein!
 
     
"Der Stein"? Wo genau soll es heute eigentlich hingehen? Zwei Fotos stellen das Ziel vor:

Das untenstehende Bild habe ich im Frühsommer 2016  beim Aufbruch auf eine Wanderung auf die Gaißalm gemacht. Es zeigt vom P. in Kochel die schöne Gebirgsgruppe Herzogstand-Heimgarten.
Manchmal gibt ein einziges Foto den Ausschlag für eine Tour, weil mir etwas auffällt und mich auf neue und unbekannte Ziele lockt. So ist es mir auch mit diesem Bild gegangen und die heutige Wanderung soll demgemäß auch nicht auf Herzogstand & Co führen, sondern auf die etwas weiter unten, direkt über dem Kochelsee stehende, bewaldete und felsdurchsetzte Kleingruppe etwas rechts von der Bildmitte, die auf dem Foto - und natürlich ebenso in der Wirklichkeit - ausgesprochen interessant aussieht. 
Der kleine, vorgelagerte Bergstock ist in der Karte mit der landschaftlichen (grünen) Bezeichnung "Am Stein" eingetragen und der höchste Punkt heißt "Der Stein" (930 m). (Hier gibt es dasselbe Bild noch einmal mit Wegpunkten).



Die Kleingruppe ist nicht besonders hoch, aber durchaus eigenständig, denn sie steht nicht nur in ihrem Norden mehr als 300 Hm über dem Kochelsee, sondern fällt auch nach Süden erst einmal wieder 150 Hm zum Jochbach ab. Die Nordseite des Herzogstands ist eben: wirklich vielbucklig!
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Ein weiteres Bild (siehe unten) stammt von einem kurzen Erkundungsspaziergang in der Nähe des Kochelsee-Campingplatzes in Altjoch. Es zeigt die kleine, mehrgipfelige Gruppe in dramatisch angehauchter Gewitterstimmung wesentlich plastischer herausgearbeitet. Die dunkel abgesetzten Waldfelsen über dem Kochelsee, besonders der höchste, Der Stein (930 m), scheinen fast überzuhängen, das ganze sieht ein wenig aus wie ein Bühnenprospekt für eine romantische Oper des 19. Jhd' s, wenn ein Gewitter dräut und Cellos und Bässe ergrimmen. Bei diesem Anblick hat es mich jedenfalls gepackt, denn da bricht der Romantiker in mir durch, das will ich mir auf jeden Fall ansehen! (Hier gibt es auch dieses Bild noch einmal mit den eingetragenen Wegpunkten).



Ich bin dann trotz des Regens noch weiterspaziert und konnte über dem Walchenseekraftwerk auch schon wunderschön vorspringende Felskanzeln nahe des P. 872 auf der linken, südöstlichen Seite der Gruppe ausmachen. Wie vielversprechend!
Oft bin ich mir ja vorher gar nicht sicher, ob sich Ziele "lohnen" (was immer das heißen soll). Aber diesmal kommt schon beim Aufbruch pure Vorfreude bei mir auf! Am Stein, das ist bestimmt, was Landschaften und Aussichten im Blauen Land angeht, ein wahrer Leckerbissen, ich muß eigentlich nur noch zubeißen: natürlich ohne Messer, Gabel, Serviette oder gar Tisch, denn heute soll Steinzeit sein -  hoch über dem Kochelsee!

Die Wegbeschreibung. Kurze Vorbemerkung: der heute aufgesuchte P. 872 heißt im Bayernatlas verwirrenderweise P. 869. Ich nenne den Punkt im Bericht durchgehend P. 872.

Die Wegbeschreibung spottet eigentlich jeder Beschreibung, denn das ganze ist schon unübersichtlich. Ich fang einfach mal an: ich hatte etwas herumgegoogelt und eine hilfreiche Zugangsbeschreibung zu einem Klettergebiet gefunden, der Atlantiswand. Ich mache mir diese Zugangsbeschreibung zunutze, um auf viel kürzerem, schöneren Weg dorthin zu kommen, wo die Straße, die vom Kochelsee kommt, den Jochbach erreicht. 

Hier die Beschreibung der AV-Felsinfo: "Vom P. am Walchenseekraftwerk am Imbiss Gloa Scharnitz vorbei, die Rohre überquerend dem Weg folgen bis linkerhand ein Informationsschild steht. Hier teilt sich der Weg. Nicht nach rechts zum See, sondern geradewegs in den Wald gehen. Dort über den Jochbach (es gibt zwar keine Brücke, dafür große Steine) und dem alten Karrenweg folgen. Dieser endet bald und mündet in einen Steig. Diesem folgen. Rechterhand taucht nun der erste Kletterfelsen auf, der Frosch. Wir passieren auch ihn und stehen nun auf einer Forststraße. 20 m nach links. Es liegt am rechten Wegesrand eine Schrofenstelle mit erkennbaren Steigspuren, die sich nach der Schrofenstelle fortsetzen. Sie führen direkt unter die Atlantiswand". Soweit die AV-Felsinfo, der ich bis zur Straße gefolgt bin. Was nun?

Ich habe vor, als Einstieg in das Gebiet Am Stein eine auch im Bayernatlas zu erkennende und aussichtsreiche Felskanzel direkt oberhalb der Atlantiswand zu erreichen. Diese Felskanzel ist auch vom Walchenseekraftwerk gut zu sehen. Das Klettergebiet selbst kommt für mich als Anstieg natürlich nicht in Frage, außerdem ist es sogar für Kletterer bis in den Sommer hinein wegen der Waldkauz-Brutzeit gesperrt. Ich gehe also auf der Straße, bald direkt oberhalb des Jochbachs, noch etwa 1 Km weiter, bis ich 150 Meter vor einer Staßenkreuzung mit Marterl (siehe Zoombild) eine überwachsene Karrenwegspur entdecke, die in spitzem Winkel nach Nordosten von der Straße abgeht. Diese probiere ich und liege damit auf Anhieb richtig.

Die erste Felskanzel

Schon nach wenigen Schritten zieht sich die grasige Karrenwegterrasse zu einer Pfadspur zusammen. An einem Felsblock, dem allerersten (rechterhand), geht die Spur - anfangs etwas undeutlich - nach links weiter. Ich erreiche eine bizarre felsige Welt mitten im Wald. Auch hier wird an einigen Stellen offenbar geklettert. Der Pfad wird sehr steil, ist kurzzeitig auch etwas ausgesetzt, aber nicht schwierig. Schließlich erreiche ich eine flache, hübsche Senke auf einer Grathöhe, auf der sich ein ausgelegter Steinkreis befindet. Gleich östlich dieses wohl von Kletterern eingerichteten Brotzeitplatzes befinden sich mehrere zerklüftete Felsmauern über vertikalen, nach Osten abstürzenden Felsen.
Ich arbeite mich in ganz leichter Kletterei ( höchstens I) zu einer weit vorspringenden Felskanzel vor, auf der auch eine blaue Seilsicherung zu sehen ist. Ein toller Logenplatz! Ich habe einen wunderschönen Tiefblick auf das Walchenseekraftwerk mit Sonnenspitz, Graseck, der Gaißalm und dem Jochberg darüber. Eine gemütliche und ausgedehnte Pause belohnt die bisherigen Mühen.

Verfallene Hochsitze und eine Jagdhütte

Nach meiner Brotzeit kehre ich zum ausgelegten Steinkreis zurück. Ein Hochsitz kommt etwas weiter westlich in Sicht. Das bringt mich auf die Idee, von dort vielleicht auf einem Pfad zu einem in der AV-Karte verzeichnetem Gebäude (Jagdhütte?) noch weiter westlich gelangen zu können. Der Hochsitz stellt sich als Ruine heraus, aber ich finde in stark verkrautetem Wald zerstreute Pfadspuren, immerhin. Ein weiterer umgestürzter Hochsitz wird passiert und schließlich finde ich tatsächlich eine baulich einwandfrei erhaltene Jagdhütte (772 m) mit Sitzbank.
Von hier möchte ich mich zur zweiten auf einem kleinen, abfallenden, Grat befindlichen Felskanzel aufmachen, die vom Walchenseekraftwerk ebenfalls gut zu sehen war und deren Grat im Bayernatlas unmittelbar südlich der Eintragung "ND" zu sehen sein müßte. An Ort und Stelle konsultiere ich natürlich die AV-Karte: die zweite Felskanzel muß sich genau östlich von der Jagdhütte befinden.

Die zweite Felskanzel und der merkwürdigste Hochsitz, den ich je gesehen habe.

Die Wirklichkeit war hier dem weglosen subalpinen Spazierwanderer gewogen, denn ein matschiger Karrenweg führte von der Jagdhütte genau nach Osten, das hatte ich nicht erwartet! Leicht ansteigend geht es schnell, zumal der Weg die Richtung beibehält. Der Karrenweg endet in einer geräumigen Senke, von der aus gesehen sich genau nördlich (linkerhand) schon der P. 872 befinden muß. Doch zunächst möchte ich die zweite Felskanzel finden. Ich schaue mich um.
Rechterhand (südlich) kann ich von der Senke aus in wenigen ansteigenden Schritten auf eine deutliche Gratkante kommen. Diese verfolge ich leicht absteigend in wunderbarem, felsigen Bergwald nach Osten. Ich gehe weiter und erreiche schließlich die zweite Felskanzel, die mir fast noch besser gefällt als die erste! Ein wunderbarer Aussichtsplatz, an dem sich die Zeit dehnt...
Nach einer gemütlichen Rast steige ich den Gratrücken wieder hinauf und suche noch den kleinen, höchsten Punkt meines Gratrückens auf, der sich genau südlich von der Senke befindet. Dieser "Gipfel" ist ganz unsichtig, aber den eigentlichen "Gipfel" bildet sicher eine neue Hochsitzvariante: sowas hab' ich auch noch nicht gesehen! Ich mache ein Foto und kehre in ein paar Schritten zur Senke zurück.

P. 872 m und Der Stein (930 m)

Von der Senke geht es nun an einem weiteren Hochsitz (der einzige intakte, den ich heute gesehen habe) vorbei weglos nach Norden zum P. 872 hinauf. Ich halte mich beim Anstieg zunächst möglichst weit  nach Osten, um Kochelsee-Tiefblicke nicht zu verpassen, aber schade: der einzige Tiefblick auf den See wird von genau zwei schönen Laubbäumen behindert, die mitten im Blickfeld stehen. Der höchste Punkt des P. 872 ist dann in keiner Weise bemerkenswert. Stille Einkehr, ich mache dort Mittagspause.
Als nächstes geht es weglos zum Stein (930 m) hinauf. Die nördlich des P. 872 liegende grasige Zwischensenke ist schön und auch der Aufsteig in wunderbarem Bergmischwald bildet eine besonders anregende und ganz leicht zu gehende Passage dieser Tour. Ich finde sogar gelegentlich diffuse Pfade und Holzerzeichen.
Etwas östlich des höchsten Punkts, sehe ich genau einmal den Jochberg und sogar den Schafreiter, aber das war' s auch schon mit den Aussichten. Am höchsten Punkt des Gipfels Der Stein (930 m) selbst gibt es nur technisches Gerät zu bewundern: eine im Boden verankerte Umlenkrolle, mehrere in den Boden gerammte Spundbohlen und einen rostigen Faßreifen...

Der weglose Abstieg...

...erfolgte dann am Westgrat des Steins. Der Wald steht hier licht und ich hatte mir als Landmarke den buckligen Käserberg etwas südlich des Rötelsteins zurechtgelegt. Aber ich konnte diese Gipfel natürlich nicht überall sehen. Es war also schon unübersichtlich, teilweise steil, auch waren einige Baumstämme zu übersteigen. Für mich endete dieser Abstieg mit einer etwas glücklich erreichten Punktlandung genau am Froschlaichweiher nahe des P. 725 der AV-Karte, aber empfehlen kann ich diese Abstiegsvariante nicht. Bestimmt wäre eine weglose Dirittissima vom Stein (930 m) zur Jagdhütte besser gewesen...
Vom Weiher ging es dann auf einem kurzen Forststraßen- Hatscher am Karrenweg zur Jagdhütte vorbei zum Straßenmarterl und von dort wie im Aufstieg zum Walchenseekraftwerk zurück.

Fazit

Der Anstieg auf die erste Felskanzel? Landschaftlich interessant, sehr steil, wild und etwas ausgesetzt.
Die erste Felskanzel? Leichte Kraxelei gefragt. Ein schmaler Spalt wird mit einem kurzem, aber beherzten Schritt übersprungen. Nur deshalb die Bewertung: (I). Andere Varianten sind wohl möglich. Die erste Felskanzel ist ein wirklich schöner Aussichtsplatz!
Die zweite Felskanzel...ist athosphärisch noch schöner als die erste! Und technisch leichter zu erreichen. Über den von der Jägerhütte ausgehenden Karrenweg ging es leicht und schnell. Auf dem leicht abfallenden Abstieg am Grat nicht zu früh aufgeben, sondern bis zu den freien Stellen weitergehen!
Ist die Jägerhütte nicht auch ohne den steilen Anstieg auf die erste Felskanzel von der Straße aus zu erreichen? Ja, in wenigen Minuten mittels einer Forststraße, die vom Marterl nach rechts (Nordwesten) abgeht. Aber schöner wird die Tour dadurch natürlich nicht. Außerdem verpasst man so die, was ihre Umgebung betrifft,  landschaftlich besonders interessante erste Felskanzel, die im Abstieg von der Jagdhütte schwierig zu finden sein dürfte. Der Pfad von der Jagdhütte zu den zwei verfallenen Hochsitzen hinab in Richtung der ersten Felskanzel verfällt. Die wenigen Pfadspuren sind im Aufstieg von der ersten Felskanzel zur Jagdhütte bestimmt besser zu finden als im Abstieg.
P. 872 m und Der Stein (930 m)...lohnen sich als Gipfel im Grunde nicht, leider! Der P. 872 hätte einen wunderschönen Kochelseeblick, aber es stehen seinen Aussichten aber zwei Laubbäume im Weg. Der Stein war leider noch weniger aussichtsreich.
Mein Abstieg vom Stein nach Westen? Diffus und unübersichtlich. Weglose Findungsroutine unbedingt erforderlich. Nicht empfehlenswert! Besser Rückweg wie Hinweg.

Der Ausklang der Tour...

...erfolgte am Walchenseekraftwerk mit einem dankbaren Blick zurück auf die beiden Felskanzeln, die ich am Morgen wegen des Nebels gar nicht hatte sehen können. Schön war' s wieder!

Tourengänger: Vielhygler


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