Komáří hůrka (Mückenberg) - Ein Mann ein Wort - eine Frau ein Wörterbuch!


Publiziert von lainari , 14. Oktober 2012 um 22:57.

Region: Welt » Tschechien » Krušné hory
Tour Datum:13 Oktober 2012
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: D   CZ 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 260 m
Abstieg: 740 m
Strecke:18 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto oder Bus Linie 368 Kurort Altenberg-Glashütte bis Müglitz (verkehrt nicht am Wochenende)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Sessellift Bohosudov - Komáři vížka
Kartennummer:1:33.000, SK Nr. 03 Osterzgebirge

Ritt auf einem Oldtimer - Von Roll-Lizenz-Sessellift
 
Das diesjährige Wandertreffen der früheren Arbeitskollegen stand unter keinem guten Stern. Die Absagen häuften sich und das ungewisse Wetter tat sein Übriges - der Plan stand kurz vor dem Scheitern. Mit viel Optimismus hauchten wir ihm noch einmal Leben ein und verabredeten eine Tour zu Dritt. Auch der Weitgereisteste von uns, ein Exil-Sachse, hatte seinen anhaltinischen Unterschlupf rechtzeitig verlassen und erschien pünktlich am Treffpunkt in Müglitz. An der einstigen Grenzschänke vorbei, liefen wir nach Tschechien hinüber und folgten dem Tal der Müglitz aufwärts. Entlang des Weges waren einzelne Stützmauern, Fundamentreste und Keller als sichtbare Zeichen des alten Ortes Mohelnice (Böhmisch Müglitz) zu entdecken. Dieser Ort mit seinen 26 Häusern wurde nach dem 2. Weltkrieg und der Vertreibung der Sudetendeutschen vollständig getilgt. Nun bogen wir nach links in ein sanft ansteigendes Wiesental ab und stiegen entlang eines Bächleins aufwärts. Der streckenweise nasse, schlammige und von Kühen zertrampelte Weg ließ zarte Kritik an meiner Routenwahl aufkeimen. Ich stellte mich schwerhörig. So erreichten wir schließlich die Kammlinie des Erzgebirges mit dem kärglichen Rest von Habartice (Ebersdorf). Im vor dem Krieg blühenden Ort mit 235 Häusern und 955 Einwohnern gibt es heute geschätzte 5 Anwesen. Auf der einsamen schmalen Kammstraße begegnete uns ein Skoda mit deutschem Ausfuhrkennzeichen, am Steuer ein Asiate - synchron klingelten schlagartig drei Alarmglocken… Über eine flache Anhöhe betraten wir die Fojtovická pláň (Voitsdorfer Ebene). An einem Abzweig pausierten wir bei einem Frühschoppen und herrlichem Rundumblick. Dann wandten wir uns südwärts. Das Böhmische Becken war nebelgefüllt und die Berge des Böhmischen Mittelgebirges zeigten sich in diffusem Dunst. Durch Seitentäler zog der Nebel bergwärts, wurde von der Thermik erfasst und hochgewirbelt. Auf stärker fallendem Weg wanderten wir im Wald talwärts. Nachdem wir zeitweise in der Nebelzone unterwegs waren, bogen wir nun nach links auf den sonnigen Felssporn mit der Burgruine Kyšperk (Geiersburg) ab. Die Geiersburg geht auf eine bereits im Jahr 805 erwähnte Grenzwarte der Biliner Župane zurück. Die spätere gotische Burg mit urkundlicher Nennung von 1319 hatte bis zu einem Brand 1526 Bestand. Seither ist sie Ruine. Nach der Besichtigung der Anlage, nutzten wir den romantischen Ort für eine Rast.
 
Auf dem Fahrweg zurück, stiegen wir weiter ab und erreichten den oberen Rand von Unčín (Hohenstein). Rechts abgebogen, führte ein schöner Pfad auf gleichbleibender Höhe am Hang entlang. Im Verlauf wechselten wir in die Ortslage Bohosudov (Mariaschein). Hier am Südhang befanden sich einige großzügige Anwesen im Bau, die ein wenig im Kontrast zur angejahrten öffentlichen Infrastruktur standen. Das Ziel, die Talstation der Seilbahn schon im Blick, überredete ich meine Begleiter zu einem Abstecher in die Stadt. Hier besichtigten wir die Bazilika Panny Marie Bolestné (Wallfahrtsbasilika der Schmerzhaften Mutter Gottes). Die Barockkirche der italienischen Architekten G. und O. Broggio wurde 1701-1706 erbaut und ist von einem Ovalkreuzgang mit sieben Kapellen umgeben. Nach dem Rundgang in der imposanten Anlage strebten wir wieder bergwärts zur Seilbahnstation, Bohosudov - Lanová dráha. Nach kurzer Wartezeit öffnete der Ticketverkauf (Einzelfahrt 80 Kč /3,50 €). Fahrbetrieb erfolgt stündlich immer zur halben Stunde. Die Bahn befindet sich gerade in Revision und verkehrt nur am Wochenende und feiertags. Bei der Revision werden Teile der abgebauten Bahn von der Schneekoppe verwendet, so dass man den Betrieb dieses Kleinodes mit seitlich ausgerichteten Sitzen, gebaut 1950-1952 nach einer Von Roll-Lizenz, längerfristig sicherstellen will. Meine Kameraden fuhren voraus, ich bekam den nächsten Sessel für mich allein. Über den Südabhang des Erzgebirges schwebten wir bergwärts. Die Sonne drücke ab und an durch die Nebelwolken, so dass die viertelstündige Fahrt recht angenehm war. Wir erreichten die Bergstation auf dem Komáří hůrka (Mückenberg). Im Volksmund wird der Berg jedoch häufiger Komáří vížka (Mückentürmchen) genannt, was auf den im Gebäude integrierten Turm, einen Anläuteturm der Bergleute von 1568, zurückgeht. Wir schauten uns um - der Ausblick nach Süden und Westen wurde von heranziehenden Wolken getrübt, nach Osten und Norden war die Sicht besser. Am Zufahrtsweg war der Trichter einer Pinge sichtbar, hier sind einst Stollen und unterirdische Hohlräume des intensiven Bergbaues eingestürzt.
 
Wir verließen den Berg auf dem Fahrweg Richtung Westen. Kurz vor der Passhöhe der Straße, die von Krupka (Graupen) heraufkommt, befand sich links die Kaple sv. Wolfganga (St. Wolfgangskapelle). Diese wurde 1692-1700 im Barockstil erbaut. Wir gingen in den Vorraum. Meine Begleiter öffneten die Tür zum Hauptraum und wurden sofort in Beschlag genommen. Ich machte auf dem Absatz kehrt und begab mich nach draußen. Auf einer windgeschützten Bank, schön besonnt, wartete und wartete ich. Endlich kamen sie heraus. Ich fragte, warum die Beichte so lange gedauert hätte. Eine Tschechin mit sudetendeutschen Wurzeln hatte ihnen über Gott und die Welt erzählt.
Ihr Motto: Ein Mann ein Wort - eine Frau ein Wörterbuch!
An der Straße liefen wir dann nach Fojtovice (Voitsdorf) hinunter. Der Ort ist ebenfalls nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Vorkriegsbestand wird mit 163 Häusern und 820 Einwohnern angegeben. Einige Ställe und Scheunen säumen heute die wenigen verbliebenen Wohngebäude. Wir verließen den Ort auf der Straße und wechselten auf einem Flurweg zurück nach Deutschland. An der Grenze legten wir eine letzte Rast ein. In Fürstenau bogen wir nach rechts und liefen auf einem Feldweg entlang. Die Sonne war zunehmend verschleiert und ein kühler Wind setzte ein. Auf fallendem Weg gingen wir dem morgendlichen Ausgangs- und jetzigen Endpunkt der Tour in Müglitz entgegen. Das diffuse Licht und die karge Landschaft erzeugte eine melancholische Abschiedsstimmung.
Na dann, bis zum nächsten Jahr und einen lieben Gruß an die Daheimgebliebenen!
 
Die Tour dauerte insgesamt 7 h, pausen- und wartezeitbereinigt 5 h 30 min (inklusive Besichtigungen) und ist mit T1 zu bewerten. 

Tourengänger: lainari


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 13439.kml

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Kommentare (4)


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ABoehlen hat gesagt: Herzlichen Dank
Gesendet am 15. Oktober 2012 um 07:13
...für diese Bilder der derzeit letzten kuppelbaren Sesselbahn mit quer zur Fahrtrichtung angeordneten Sesseln des Typs Von Roll. Die Charakteristik der Streckenführung und auch die Landschaft erinnert mich stark an "unseren" Weissenstein.

Beste Grüsse ins Erzgebirge
Adrian

lainari hat gesagt: RE: Herzlichen Dank
Gesendet am 15. Oktober 2012 um 09:07
auch von mir - für den Anstoß zu dieser Tour.
Mein letzter, der früher recht häufigen Besuche auf dieser Bahn dürfte nun etwa 25-30 Jahre zurückliegen - erstaunlich wie sich das Bild der Landschaft am Südabhang des Erzgebirges durch zunehmende Bewaldung verändert hat. In meiner Erinnerung waren hier schroffe, mit Bergbauhalden übersäte Hänge mit Magerbewaldung vorzufinden.

Besten Gruß
Holger

ABoehlen hat gesagt: Mohelnice (Böhmisch Müglitz)
Gesendet am 15. Oktober 2012 um 12:53
Inzwischen hatte ich Zeit, den Bericht ganz zu lesen, nachdem es heute Morgen nur für das Betrachten der "Sässeli"-Bilder gereicht hat. Dabei ist mir folgende Sequenz aufgefallen:

> Entlang des Weges waren einzelne Stützmauern, Fundamentreste und Keller als sichtbare Zeichen des alten Ortes Mohelnice (Böhmisch Müglitz) zu entdecken. Dieser Ort mit seinen 26 Häusern wurde nach dem 2. Weltkrieg und der Vertreibung der Sudetendeutschen vollständig getilgt.

Das erinnert mich doch sehr an Magyarbükkös (Ungarisch Bieling), welches ich letztes Jahr besucht habe. Wie viele solcher verschwundener und vergessener Orte mag es im Osten noch geben...?

lainari hat gesagt: RE: Zum Beispiel Fukov (Fugau),
Gesendet am 15. Oktober 2012 um 15:20
der einst nördlichste Ort von K.u.K. Österreich, der als Zipfel von der Oberlausitz umschlossen war. Diese Wüstung steht auch schon geraume Zeit auf meinem Tourenplan, irgendwann wird es bestimmt einmal mit einem Bericht klappen.

Und die gesamte Zahl dieser Orte? Es sind einfach zu viele...

Allerdings ist es recht schwierig, wenn man sich ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzt, sehr schnell wird man mit der Schuldfrage konfrontiert oder das Geschichtsinteresse wird bewusst mit zweifelhafter Gesinnung verwechselt.
Die entscheidende Frage aber ist, warum man trotz EU-Beitritt dieser Länder immer noch keinen vernünftigen Umgang mit betroffenen Menschen gefunden hat.


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