Westliche Floitenspitze 3195m - Die Geschichte wird neu geschrieben


Publiziert von georgb , 22. August 2018 um 18:35.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:21 August 2018
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: L
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   I 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1900 m
Abstieg: 1900 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Ahrntal-St. Johann-Stallila
Kartennummer:tabacco Sand in Taufers

Mit dem Neubau der Schwarzensteinhütte hat man ein Stück Alpingeschichte geschrieben. Sie ist jetzt das höchstgelegene Schutzhaus der Zillertaler Alpen und ein architektonisches Meisterwerk. Gleichzeitig hat man ein Stück Alpingeschichte ausgelöscht, von der alten 1894 von Leipziger Bergpionieren erbauten Hütte hat man kein Steinchen stehen gelassen. Was für ein Frevel!
Die hinaufziehenden Massen intressiert die Erschließungsgeschichte aber sowieso wenig, sie wollen den neuen, extravaganten Bau bewundern. An guten Tagen wurden 175 Autos am Stallila gezählt, heute am frühen Morgen zähle ich gerade mal 10.
So beeile ich mich, bevor mich die anderen Neugierigen einholen und ziehe der Schwarzensteinhütte entgegen. Der Weg ist bestens markiert und die neue Trasse mit Seilen, Leitern und Tritten gut versichert. Dennoch kein Spaziergang, allein der Hüttenzustieg beträgt 1600 Höhenmeter und ich teile mir die Kräfte gut ein, denn mein eigentliches Ziel ist die Westliche Floitenspitze.
Und auch da muss die Geschichtsschreibung korrigiert werden. In alten Führern und Beschreibungen ist von kniffligen Passagen, Wächten und Firnfeldern bis zu 50 Grad die Rede, heute erreicht man den Gipfel im Sommer ohne Schneeberührung und die Schwierigkeit übersteigt den 1.Grad nicht!
Trotzdem intressiert die "Floite" kaum jemanden, 99,9 % der Aspiranten belassen es bei der Hütte oder ziehen zum Klassiker Schwarzenstein. Gut für mich, so kann ich den Massen aus dem Weg gehen und mich frei und ungestört bewegen ;-)
Der Gletscher am Trippachsattel flacht mehr und mehr ab und wird von vielen Schmelzbächen durchzogen. Während man früher direkt hinüberqueren konnte, steigt man heute über haltlosen Schotter ab und wieder auf. Ich lege zur Sicherheit und zu Übungszwecken die Steigeisen an und hüpfe über die teilweise recht tiefen Wasserläufe den felsigen Hängen unter dem Trippachkopf entgegen.
Hier erwarten mich Steinmänner und ein komplett schneefreier Zugang zur Floite, ich bin überrascht, das gab es noch nie!? Die Steigeisen trage ich trotzdem im Rucksack mit hinüber, nur über meine schweren Bergschuhe ärger ich mich als mir ein einsamer Bergkollege in Trailrunnern entgegenkommt. Direkt am Grat entlang empfiehlt er mir, ich folge seinen Anweisungen und kraxel über und um riesige Granitblöcke herum bis zum Gipfelkreuz, bei kluger Wegwahl nicht mehr als I.
Auch meine Gipfelwahl war gut, drüben am Schwarzenstein ziehen die Karawanen über den Gletscher und seine Spalten, hier sitze ich bequem auf der bereitgestellten Bank, allein mit der Floitenspitze. Was für ein Spektakel, die Gletscher strahlen und die Wolken geben nach und nach mehr Gipfel frei, das Herz geht auf.
Ich reiße mich los und teste die Variante über die Nordwestflanke. Auch hier findet sich ein schneefreier Abstieg ohne nennenswerte Schwierigkeiten, dafür mit ein paar frisch vom Gletscher befreiten Wackelkandidaten!?
Ich wende mich wieder dem Trippachsattel und der Schwarzensteinhütte zu. Diesmal verzichte ich auf Steigeisen und stakse behutsam über den auffirnenden Gletscher und seine Abflusskanäle dem beachtlichen Rifugio Vittorio Veneto entgegen. Das Gewimmel ist nicht meine Welt, ich inspiziere kurz den ordnungsgemäßen Zustand der Gaststube und lasse das Gebäude aus angemessener Entfernung wirken.
Alles Geschmackssache, meinen Geschmack haben die Gestalter jedenfalls getroffen, für mich ein sehr gelungenes, ansprechendes Schutzhaus, ich prognostiziere einen jahrelangen Zulauf von Schaulustigen aus aller Herren Länder!?
Ich hingegen laufe eilig zu Klara und Siggi, die Kegelgasslhütte ist zwar schon älteren Baujahrs, aber urgemütlich und sehr sympathisch. Dazu muss ich allerdings ins Trippachtal queren. Die Variante direkt über den Gletscher fällt aus (es tun sich massenhaft Spalten und Löcher auf), also nehme ich den kurzen Gegenanstieg zum Großen Tor in Kauf und ziehe wieder über den neu angelegten Normalweg durchs Rotbachtal zurück. Am Standort der alten Hütte halte ich kurz inne, dort steht wie Hohn nichts als eine kümmerliche Erinnerungstafel, ich bin enttäuscht und wende mich ab. Nach den Versicherungen auf ca. 2600m zweigt die unscheinbare Markierung zum Stabeler Weg ab und sofort kehrt Ruhe ein, in absoluter Einsamkeit wackle ich der Kegelgasslhütte entgegen, heute mein persönliches Paradies. Klara stellt mir sofort den Kirschkuchen einschließlich Kaffee auf den Tisch und in meinem Kopf spinnt sich schon eine neue Geschichte für das Tourenbuch.

Tourengänger: georgb


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