Gabieto Orient., Tagestour im Nationalpark Ordesa y Monte Perdido


Publiziert von rennt0815 , 2. Juni 2018 um 10:00.

Region: Welt » Spanien » Aragonien
Tour Datum:31 Juli 2017
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: E   F 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1850 m
Abstieg: 1850 m
Strecke:20km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Wanderbus ab Torla zum Valle de Ordesa
Unterkunftmöglichkeiten:In Torla u.a.

Ich beschreibe eine neunstündige Tagestour in den Aragonesischen Pyrenäen zum Gipfel des Gabieto Orientalis (3034m), ausgehend vom Tal von Ordesa Ende Juli 2017.

Ab dem wunderschönen Ort Torla in Aragon (Spanien) geht um 6 Uhr früh der erste Wanderbus ins Tal von Ordesa. Das Tal ist Teil des Nationalparks Ordesa y Monte Perdido, der zugleich UNESCO- Welterbe ist- völlig zu Recht, wenn man die einzigartige Landschaft und deren Flora und Fauna betrachtet. Der Bus benötigt 15 Minuten zum Parkplatz im Valle de Ordesa (1300m hoch). Man folgt der Straße etwa 500 m Richtung Parkeinfahrt zurückgehend.

Dort, am Centro de Interpretacion (siehe Karte, an der Bushalte erhältlich), zweigt ein Pfad ab, der nordwärts ausgeschildert ist. Er führt durch einen Wald aus Kiefern, Buchsbäumen, Steineichen, Buchen und dichtem Unterholz. Zuerst hinter mir, dann kurz vor mir geht ein Kollege mit offenbar sehr guter Kondition: weil es noch stockdunkel ist, lohnen Blicke nach links und rechts ohnehin nichts, da kann man schon mal Gas geben und Höhenmeter fressen. Wir ziehen und schieben einander recht ordentlich, das Gelaber der mit Stirnlampen ausgestatteten anderen Wanderer lassen wir sehr schnell hinter uns und sind mit uns und der vollkommenen Stille alleine. Unsere leisen Schritte und unser Schnaufen hingegen schrecken weder Rehe, die manchmal verdutzt unmittelbar vor uns hinter Wegbiegungen auftauchen, noch eine Eule, die einfach weiter zuschaut, was wir vorhaben.

Gegen 8 Uhr verlassen wir den dichten Wald und tauchen ein in eine Art Macchia, die aus Latschen, gelbem Stechginster, niedrigen Buchsbäumen  und vereinzelten Bäumen besteht. Die senkrechten Felswände der „Fajas“ über uns leuchten, von der aufgehenden Sonne in rosa Farbtöne getaucht. Es ist schon sehr steil hier, die Wege verlangen uns einiges ab- aber nur so schafft man 450- 500 Meter Höhe pro Stunde. Die Pfade sind hier schon recht exponiert, Kinder unter 12 würde ich anseilen oder gar nicht erst mitnehmen.

Nach circa eineinhalb Stunden und mehreren zweifelhaften Weggabelungen ohne Beschilderung, so dass ich sicherheitshalber öfters Karte, Kompaß und Gefühl zu Rate ziehe, erreiche ich, nunmehr wegen unterschiedlicher Wegplanung ohne den Mitwanderer, die „Clavijas de Salarons“. Das ist eine senkrecht aufragende Felsnase, die aber Dank einiger Eisenstifte wunderbares Genußklettern über 20-30 Meter Höhendifferenz bietet: ohne Stifte eine II-III, mit Stiften eine I. Wenn es so etwas wie eine Schlüsselstelle auf diesem Weg überhaupt gibt, sind es diese „Clavijas“. Wer hier zögert, sollte umdrehen. Wenn man hier fällt, schlägt man 250 Meter tiefer erstmals wieder auf. Oberhalb dieser Stelle (ca. 2000m) folgen Wiesenflächen, Schotterabhänge und Blockwerk für weitere 200 Höhenmeter und eine weitere, etwas kürzere, aber wieder mit Stiften entschärfte Kletterpassage hinein in den „Circo de Carriata“. Das ist eine Art natürliches Amphitheater gigantischen Umfangs. Die in der Region darunter der höheren Temperaturen wegen schon abgeblühten blauen Schwertlilien stehen hier zu hunderten in voller Blüte, neben Alpen-Mannsschild, Nelken, Kreuz- Enzian, Mengen von Edelweiß… es ist traumhaft!

Bis zum Rand des Aufstiegs sind es nur noch 30 Minuten. Man erreicht ihn also nach etwa zweieinviertel Stunden (auf 2300m), wenn man die ersten eineinhalb Stunden sehr fix geht. Inzwischen taucht die Sonne das unter dem Circo liegende Tal in warmes Licht, die Felswände der „Fajas“ in ihren Rottönen bilden einen würdigen Rahmen für dieses Schauspiel. Nach Durchqueren eines Feldes von hunderten Steinmännern öffnet sich erstmals der Blick auf den Pico Blanco (2919m), Gabieto Orientalis und Occidentalis (3034 und 3036m) sowie dahinter den Taillon (3144m). Im „Circo de Carriata“ mäandert sehr malerisch ein Bach, dahinter stehen zwei Biwaks; neben mir wiegt sich das Wollgras im Wind. Zahlreiche Pyrenäen- Gämsen verlassen nach dem Frühstück den Circo, lassen sich aber von Wanderern nicht hetzten (Fluchtdistanz 10-15m). Es geht 100 HM bergab, die Wegführung ist etwas kraus. Im Aufstieg gab es schon mehrere Quellen (nicht alle in der Karte eingezeichnet!); diejenige, die den Bach speist, ist aber schon sehr ergiebig und lädt zur Pause. Man muß schon aufpassen, kein Edelweiß platt zu treten- so viel auf einmal habe ich so noch nie gesehen.

Zwei kurze Steilstufen führen in den Karst am Ende des Circo hinauf. Hier ist in der Karte ein zeitweise trockenfallender See eingezeichnet, genannt „Llanos des Salaron“ (2426m). Momentan gibt es hier nur groben Sand und Schieferplättchen, kein Wasser. Gegenüber geht es, nach Abstieg über eine Karstrippe von 1000 x 250 Metern Umfang und Durchqueren des „Seebettes“, jenseits unterhalb des Pico Blanco über Schrofen hinauf. Ich nehme den vermeintlich logischen Weg querfeldein, auf dem Rückweg folge ich dem kaum erkennbaren Steig aber anders- und vor allem kürzer. In einer Senke zwischen Gabieto und Pico Blanco, liegt (nordseits) viel Schnee, von gelbem Saharasand „überzuckert“. Über mir eine Gruppe Wanderer mit Riesenrucksäcken. Ich hole sie an dem Sattel zwischen Gabieto und Pico Blanco, dem Cuello de Gabieto, ein. Es sind Franzosen, die gemeinsam mit mir die Gipfel des Panoramas bestimmen: Gegenüber die Brecha Rolando/ Breche Rolande (2800m), ein (der Sage nach) geschichtsträchtigter Ort (Wikipedia: „Das Rolandslied“); daneben der Grat zum Monte Tallon/ Taillon (3144m), östlich davon wie auf einer Perlenkette aufgereiht bei schöner Fernsicht El Casco, Torre de Marboré, Espalda de Marmorés, Astazou- alle um 3100m und gemeinsam die Kette bildend, auf der die Grenze zwischen Frankreich und Spanien verläuft. Ich staune über das unglaublich umfangreiche Gepäck der französischen Gruppe. Wir stellen gemeinsam fest, dass man als Deutscher für eine Tagestour nur Trailrunningschuhe, kurze Klamotten und einen 18-Liter- Rucksack mit einer Banane, einem Apfel und einer Tafel Schokolade (100g) sowie 2 Litern im Wassersack braucht, als Franzose für eine 7-Tages-Tour aber feste Bergschuhe, Tarnkleidung, ein Satellitentelefon (!), die Original- Überlebensausrüstung der Legion d´Etrangere, ferner einen 95- Liter- Rucksack für pro Person je 12 Flaschen Rot- und Weißwein- für letzteren einen solarbetriebenen Kühlschrank (wird von allen sechs Personen abwechselnd getragen)-, für beide Weine nichts Geringeres als mundgeblasenes Kristall; das Porzellan aus Limoges und das Christofle- Besteck sind einem aufblasbaren Rucksack anvertraut, um ihrer nicht verlustig zu gehen; dann natürlich Gasflaschen zum Betrieb des Herdes (3 Platten sind ausreichend, wenn man mit wenig Beilagen zufrieden ist), Kochzubehör (Messerblock mit 8 ordentlichen, geschmiedeten Messern, Handrührgerät nebst Powerbank, Schieber, Kochlöffel usw.) Im Kühlschrank nicht unter 6 Pfund Foie Gras, zu der man frisch gemachtes Apfelmus und Himbeermarmelade reichen möge; Zutaten für Beuf Bourgignon (ausschließlich nachhaltig produziertes Rindfleisch, handgemachter Blätterteig usw.); Calvados, Äpfel und Sahne- und was man sonst so braucht, um sich gesund zu ernähren. Kräuter versucht man, am Weg zu erhaschen, um Gewicht zu sparen.

Um nicht unbescheiden zu wirken, habe ich mein schnelles Aufschließen auf die Gruppe mit dem Altersunterschied zu erklären versucht. Außerdem war dem Weg auf den letzten 200 Metern des Essensgeruchs wegen leicht zu folgen. Die europäischen Nachbarn waren ausgesprochen nett, dilettierten gar mit den wenigen, angeblich bei beruflichen Aufenthalten in Mannheim bzw. Saarbrücken aufgelesenen Deutschkennnissen und waren bass erstaunt, dass ein Boche von sich aus anbietet, ein Gruppenfoto von Franzosen zu machen. Allerdings wollten alle mit gezückten Eispickeln fotografiert werden. Wahrscheinlich dachten sie, ich renne sonst mit den drei Kameras weg. Dennoch: es war schön, Menschen zu treffen- auch wenn es leider keine Eingeborenen oder wenigstens Rheinländer waren.

Von hier aus hatte ich kaum noch die Zeit, den Taillon zu erreichen, da ich versprochen hatte, nach 10 Stunden zurück zu sein. Viereinhalb Stunden waren bereits herum, auch ohne Trödeln. Also stattdessen nur zum Gabieto: Die Karte gab eine Direttissima vor, also versuche ich es mal gerade aus nach oben. Fehler. Es fordern zuerst steile, mit sehr rutschigem Schotter jeden Durchmessers belegene Abhänge das Gehen auf allen Vieren heraus- das berühmte „einen vor, zwei zurück“ fing an. Danach einige heikle Kletterpassagen im Brösel (konservative III), bei denen man besser nicht nach unten schaut. Den Grat nach 25 Minuten erreicht, dort Rundblick vom Feinsten. Ich stehe fast mit einem Bein in Spanien und mit dem anderen auf dem Territorium der Grande Nation und fühle mich wie Hannibal, nur fehlen die Elefanten.

Den gesamten Gipfelanstieg lang und erst recht auf dem Gipfel selbst pustet es mich fast weg. Es wären sicher noch 60 Minuten bis zum Taillon über den windigen Grat. Die Böen, der Umstand, dass auf dem Taillon einiges Volk steht und weil ich nun nach 5 Stunden Halbzeit habe, reizen eher zum Umkehren. Der Abstieg zuerst in östlicher Richtung ist wesentlich einfacher (aber etwas länger), da er zuerst über einen relativ flachen Hang führt. Der Aufstieg war schlicht zu wenig überlegt (aber immerhin aufregender…) Dann auf dem doch leichteren, im Abstieg eher erkennbaren Originalpfad zurück zu den „Llanos de Salaron“. Eines fällt hier und auf dem ganzen Weg im Nationalpark auf: Markierungen gibt es fast keine. Entweder man findet den Pfad oder man findet ihn nicht, auch Steinmänner sind Mangelware. Wenn hier Schnee liegt, muß man die (schlechte, 1: 40 000er) Karte zu verstehen versuchen und mit Logik seinen Weg suchen.

Nach exakt fünf Stunden Hinweg inklusive kurzer Pausen gehe ich, von geringfügigen Verhauern abgesehen, dieselbe Route in vier Stunden zurück. Tagesbilanz: ca. 1850 HM auf/ab, Gesamtdistanz ziemlich genau 20 km. Alternative Weiterwege gibt es viele: Geht man ab dem Gabieto etwa eine Stunde nordostwärts weiter, erreicht man die Brecha de Rolando; ab hier sind es nochmals ca. 45 min (dann mit beiden Beinen in Frankreich) bis zum Refugio de Sarradets (2587m); dort kann man übernachten. Man kann die Tour von dort aus aber auch in vielen Varianten fortsetzen, etwa nach Osten, zum prestigeträchtigen Gipfel des Monte Perdido, dem Namensgeber des Nationalparks (3355m, Gletscherberührung). Tourenvorschläge finden sich unter www.topwalks.net oder unter www.ordesa.net/rutas (auf Spanisch).

Die Weite der Landschaft, die abwechslungsreiche Geologie (Karst, Kalkstein, andere Sedimentgesteine mit unglaublich vielen schönen Fossilien) und die damit verbundenen Anforderungen ans Laufen und (Anfänger-) Klettern sind ganz besonders. Die Naturerlebnisse sind ohnehin einzigartig: Über dir kreisen riesige Geier, zu deinen Füßen bezaubern die schönsten, farbenprächtigen Blumen in Hülle und Fülle. Zur Einführung in die Flora des Nationalparks: https://jolube.files.wordpress.com/2014/05/guia-imprescindible-2014-ingles-extracto.pdf.  Die Panoramen, die Ausblicke in die Circos und die Tiefblicke von den Fajas aus sind in den Alpen so nirgends zu finden. Weitwandern bekommt hier eine neue Bedeutung! Kartenmaterial und weitere Infos: editoriaalpina.com, ordesa@mma.es.

Tourengänger: rennt0815


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