Gesamtüberschreitung Raaberg - Mattstock - Walenstein


Publiziert von Bombo , 5. November 2017 um 23:15.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum: 4 November 2017
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG   Speer-Mattstock   Zürcher Hausberge 
Aufstieg: 1380 m
Abstieg: 1380 m
Strecke:Amden - Alp Raa - Raaberg - Raaberg West - Mattstogg - Kleine Nase - Grosse Nase - Walenstein - Oberfurggle - Amden
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit PW oder ÖV bis Amden
Kartennummer:LK 1:25'000, Bl 1134 "Walensee"

Gesamtüberschreitung Raaberg - Mattstogg - Walenstein


Mit den angekündigten Schneefällen bis in tiefe Lagen dürfte die heutige Tour vermutlich der offizielle Abschluss der alpinen Sommersaison 2017 darstellen. Um so schöner, dass wir mit der Überschreitung Raaberg - Mattstogg - Walenstein ein Voralpen-Botanik-Juwel begehen konnten, über welches man in der Gesamtheit (also alle Einzeletappen am Stück zusammen) nur wenige Informationen aus dem Netz erhält. Zwar gibt es zu den Einzeletappen gute Informationen (danke carpintero), im Endeffekt muss bei dieser Tour jedoch jeder selber schauen, wo genau der jeweils "richtige" Pfad liegt und ein GPS-Track hilft hier nur wenig.  Wir versuchten primär stets die Variante "oben durch", also dem Grat entlang, mussten aber zwischendurch der üppigen Legföhrenbotanik wegen auch Forfait geben und dann in die südseitigen Flanken ausweichen. 

Wir starten um 7.30 Uhr in Amden 908m und steigen via Bergstation Niederschlag 1289m, Alp Strichboden 1312m, Gäudig 1375m zur Alp Raa, welche nur wenige Meter oberhalb der Hinter Höchi 1415m liegt. Bis hierher T1. 

Über die steile, jedoch meist gutgestufte Nordostrinne erreichen wir den Sattel, welcher bereits eine tolle Aussicht richtung Amden und Walensee bietet. Wem dies bis hierher zu steil war, der sollte nicht weitergehen, denn die Fortsetzung nimmt an Steilheit noch zu. Wir steigen bis zum obersten Punkt, wo sich die Steilgrasflanke zu einem Spitz verengt - dort scheint auch der vernünftigste Durchgang durch die Legföhren zu sein. Es empfiehlt sich eine alte Schutzjacke (z.B. Softshell) mit Kapuzze dabei zu haben, um möglichst kratzlos durch den Tag zu kommen... Hat man den Durschlupf überwunden, steht man nach wenigen, weiteren steilen Metern auf dem Gipfel des Raaberg 1722m (T5+ I).

Die Traverse rüber zum Wandfuss des Raaberg West 1778m ist wahrlich ein Kampf gegen die Natur - ein Förster hätte seine grösste Freude daran. Wir wühlen, würgen und schieben uns in allen erdenklichen Fortbewegungstaktiken durch das Dickicht und überlegen uns an dessen Wandfuss, ob wir dort direkt hoch (SE-Grat, erneut durch dichte Botanik) oder links dem Wandfuss entlang steigen wollen. Die direkte Variante scheitert fluchend und ächzend schon nach wenigen Metern, also unten durch, so wie es auch die Internetcommunity macht. Dafür aber wählen wir dann bei den ersten Felsen eine mehr oder weniger direkte Variante hoch (tendenziell leicht rechts haltend), man könnte auch einfacher von links her angreifen. Uns gefällt diese Kraxlerei, auch wenn die Kletterbewegungen mehr an einen Robinsonspielplatz als an ein alpines Abenteuer erinnert. Noch ein paar Klettermeter und wir stehen am Fuss des ca. 4 Meter hohen Gipfelfelsen, welcher durch einen Pickel gekrönt ist und wo auch das Gipfelbuch von carpintero am Wandfuss unter Steinbrocken geschützt auf Einträge wartet (T5 II).

Die letzten Meter hinauf zum Pickel (III) bzw. zum offiziell höchsten Punkt Raaberg 1778m haben es noch in sich. Während Schlumpf die Variante "elegant, dynamisch" wählte, versuchte ich mich mit der Walfischtaktik hochzuarbeiten. Bildmaterial von diesem Exkurs existiert und wird nur gegen (sehr viel) Entgeld preisgegeben. Die Walfischvariante funktioniert übrigens nur im Aufstieg, der Abstieg ist dann ein anderes Thema. 

Blickt man nun auf das nächste Ziel, den Wandergipfel Mattstogg, so braucht es eine gehörige Portion Legföhrenliebe. Unsere Liebe zu den sturen, stachligen Nadelgewächsen ist eigentlich bereits aufgebraucht, weshalb aus Liebe nun Motivation wird. Wir sind uns aber einig, dass wir teilweise auch ein paar Meter unter dem Grat in den Südflanken uns aufhalten wollen, wäre ja schade, wenn wir alles kaputt trampeln würden... So umgehen wir dann einen Aufschwung südseitig auf messerscharfem Kalk und steigen dann wieder hoch richtung Grat. Dort wo man an den Mattstoggaufbau gelangt, geht's in tollem Fels einen kurzen Kamin hoch (II), bevor man dann richtung Lawinenverbauungen quert und dort abermals in steilem Gras- / Felsgelände hochsteigt (T5+). Plötzlich steht man auf dem Wanderweg, auf welchem man in Kürze den Gipfel des Mattstogg 1934m erreicht. Hier sind wir zwar nicht mehr alleine, können aber trotzdem das warme Herbstwetter und die Ruhe geniessen. Wir blicken zurück und schauen nach vorne - es war und wird nochmals spannend und fordernd.

Über die nächsten Erhebungen, in der alpinen Literatur kleine und grosse Nase genannt, folgen meist Pfadspuren, was aber nicht heisst, dass geklettert werden muss. Die erste Kletterstelle befindet sich gleich nach dem Mattstogg, welche man im Abstieg geniessen darf (II). Die Fortsetzung ist dann zwar eher ausgesetzt, dank der schräg hochziehenden Rinne mit guten Tritten und Griffen jedoch unschwierig (I-II). Es folgt eine klassische Botanikeinlage, durch welche man sich durchpflügen muss, bevor man an den Wandfuss einer der Nasen kommt. Hier NICHT südseitig absteigen (wie von einem anderen Tourengeher berichtet, welcher uns entgegenkam), sondern nordseitig herumsteigen und in toller, einfacher Kletterei (II) hoch zum Gipfel - übrigens eine der schönsten Passagen auf der ganzen Tour. Kleine oder Grosse Nase 1930m - egal, es hat ein Steinmann hier und wir geniessen abermals die Aussicht und den Rück- sowie auch den weiteren Ausblick.

Jetzt wird's langsam aber sicher nochmals sehr botanisch, dafür aber geniessen wir erneut Pfadspuren, welche ein zügiges Vorwärtskommen ermöglichen. Nach einer einfachen nordseitigen Umgehung (deutlicher Weg) steigen wir wieder hoch und stehen vermutlich auf der zweiten (Grossen?) Nase 1929m. Es fehlt noch ein Gipfelziel bis zur Vollendung, der Walenstein. 

Auf dem Weg dorthin muss man bei den Ausstiegsständen der Kletterer sehr ausgesetzt ein paar Meter abgestiegen werden. Technisch nicht schwierig, es braucht einfach viel Mut. Solider Fels hilft jedoch über diese Stelle hinweg. Während die Kletterer aus den Südostwandplatten nun durch die grasige Rinne absteigen (falls sie sich denn nicht über die Routen abseilen), wollen wir eine Überschreitung auf dem Grat versuchen. Das Vorhaben scheitert, nicht des äusserst brüchigen Gesteines wegen, sondern weil der Grat plötzlich unter uns steil abbricht. Also zurück in die Büsche. Wir steigen südseitig ein wenig hinunter und versuchen diverse, teilweise sehr ausgesetzte und alles andere als bequeme Querungen (T6, II). Alle Versuche scheitern, wir finden einfach kein Durchschlupf, zudem zapfen wir bereits langsam unsere Zeitreserven an und wir spüren eine nachlassende Motivaton. 

Wir steigen deshalb die Grasrinne ein paar Meter südseitig ab, umgehen den Fels (bis man wieder hoch zum Walenstein sieht) und kommen so zwar steil, aber relativ mühelos hoch zum Sattel, wo die beiden Walensteinfelsen stehen. Welcher ist nun der Hauptgipfel? Der südostseitige (linke) scheint es nicht zu sein, denn hier wüssten wir gar nicht wo hochsteigen. Wir wählen also die rechte Variante und steigen abermals sehr exponiert und oft hindernd durch - was wohl? - Legföhren zum Gipfel des Walenstein 1781m. Diesen Gipfel besucht man vermutlich nur einmal im Leben - bis auf eine Gipfelnadel verpasst man hier oben nicht viel. Runter geht's über den Nordostgrat, welcher ein einfacheres Absteigen (und sicher auch Aufsteigen...) ermöglicht. Anschliessend müde und deshalb vorsichtig die steile Grasflanke hinunter zur Alp Oberfurggle 1498m und weiter via Bergstation Niederschlag 1289m (schade hat die Sesselbahn bereits Feierabend gemacht) zurück nach Amden 908m. Die anschliessende Einkehr, wo man vor dem Heimweg nochmals die Seele baumeln lassen kann, gehört dann einfach noch dazu.


Fazit:

Eine sehr botanische Gratüberschreitung, welche man nach erfolgreicher Durchsteigung vermutlich nicht oft wiederholt im Leben. Nicht, weil es nicht toll oder nicht schön war - das Gegenteil ist der Fall - nein, man hat im Moment einfach genug von den Legföhren.

So braucht es für diese Tour auf alle Fälle Geduld, Durchhaltewillen und auch genügend Reserven, denn auch wenn der Grat geografisch kurz ist, so braucht die Botanik und das ständige Auf und Ab doch ziemlich Energie und Zeit. Hat man dann noch einen tollen Tourenpartner, wie ich es mit Schlumpf habe, dann werden solche Begehungen nicht nur unvergessliche Alpinwanderungen sondern eben Abenteuer. Und wie sagte es eine Mattstogg-Gipfelbesucherin so schön: Das Leben ist ein Abenteuer - genau wie diese Überschreitung. Ich bin auf jeden Fall dankbar, dass wir dieses Projekt ins Auge gefasst und schlussendlich erfolgreich durchgeführt haben. 



Tourengänger: Schlumpf, Bombo


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Kommentare (2)


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Primi59 hat gesagt:
Gesendet am 6. November 2017 um 13:03
amüsanter und kurzweiliger Bericht so wie eure Tour war.... :-)

gruss
Priska

TimoWi hat gesagt: Die grüne Hölle
Gesendet am 8. Juli 2019 um 11:17
Zu einer vollständigen Überschreitung gehört auch der Abschnitt P. 1675 bis zum Walenstein, dachte ich mir etwas überheblich. Von Oberfurggele her kommend, auf einer hübschen Blumenwiese ansteigend erreichte ich das Legeföhrenchaos bei P. 1675. Für das 250m Gratstück zum Walenstein benötigte ich 1:30. Dornröschen zu befreien ist dagegen ein Kinderspiel. In der Regel kriechend, zum Teil völlig verstrickt im Äste- und Nadelgewirr gefangen, ist es mir am Ende doch irgendwie gelungen, diesem grünen Albtraum zu entrinnen. Der Start meiner Tour war schlimmer als der Westgrat des Bristen, bis heute meine Referenz der botanischen Höllentouren.


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