Galenstock: ein Bubentraum wird wahr!


Publiziert von TomClancy , 15. Oktober 2014 um 22:10.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:17 August 2014
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR   CH-VS 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 1200 m
Abstieg: 1400 m

Beinahe acht Wochen ist es her, seit meiner Tour auf den Galenstock. Nicht Zeitmangel infolge einer neuen Beziehung oder das Abwandern auf eine Konkurrenzseite hat mich vom Schreiben abgehalten – es war wohl eher etwas Verdrängung dahinter, doch beginnen wir von vorne!

Am 16.8. machte ich mich mit einer bunten Truppe von Schaffhauser Bergkameradinnen und –kameraden auf ins Furkagebiet zu einem abwechslungsreichen Tourenwochenende. Der erste Tag steht ganz im Zeichen eines erbaulichen Kulturprogramms. Nach dem Begrüssungskaffee in Arth-Goldau fahren wir gemeinsam auf den Gotthardpass. Dort besichtigen wir die ehemalige Festung, die nun zu einem Museum umgebaut worden ist. Aber keine Bange, es gibt nicht nur militärische Preziosen zu besichtigen, nein, die Festung hat auch einen Bereich mit Ausstellungsräumen zu den Themen Energie, Mobilität und Lebensraum, Wasser und Klima sowie zur Sicherheit. Wir absolvieren den gut gemachten Rundgang. Anschliessend nehmen wir auf dem Hospiz noch einen kleinen Imbiss ein, bevor es ans Alpine geht. Vom Parkplatz beim Bach steigen wir via zur Albert-Heim-Hütte auf. Nebelschwaden ziehen vorüber und wir hoffen inständig auf besseres Wetter für die morgige Galenstock-Überschreitung. Die Hütte ist gut besucht und die dampfenden, nebelgenässten Leiber sorgen für ein schwülwarmes Raumklima. Irgendwie bringt es die Hüttencrew trotz der sehr beengten Platzverhältnisse fertig, ein tipptoppes Abendessen auf die Tische zu zaubern und schon bald sind wir ins Essen und Geniessen vertieft. Mit Tourenplanung, Materialbereitstellung und einen Schlummerbecher klingt der Abend aus, bevor wir uns für die Nachtruhe zurückziehen.

Der Wecker setzt dem unruhigen Hin- und Hergewälze ein Ende. In der Nacht hat es aufgeklart und der erste Gang zur Toilette ist ein eisiges Vergnügen. Ein strahlender Tourentag erwartet uns. Ein stärkendes Morgenessen, der letzte Materialcheck und kurz vor sechs Uhr geht es los. Die erste Stunde wandern wir noch unschwer über gut sichtbare Pfade, bevor wir am Fuss des Gletschers dann die Hochtourenausrüstung montieren. Die erste Stufe des Gletschers ist aper und ohne grössere Spalten und so verzichten wir zu Gunsten der Zeit auf das Anseilen. Das holen wir dann auf ca. 2740 MüM nach. Ab jetzt gehen wir in zwei Dreier- und einer Vierer-Seilschaft. Parallel zum Strahlengrätli steigen wir ziemlich steil auf bis unter den Galengrat, nordwestlich ( Danke Roger!) der oberen Bielenlücke. Dort schalten wir eine Pause ein, die mir gerade recht kommt, da mich der Aufstieg doch ziemlich geschlaucht hat. Bald sind die Batterien aber wieder aufgeladen und wir traversieren nun bis zur eingerichteten Kletterstelle, die auf den Grat zum Galenstock führt. Pickel und Steigeisen werden vorübergehend verstaut. Die ersten 20 Höhenmeter sind klettersteigartig eingerichtet. Nachher geht es in leichter Kletterei überwiegend durch Blockgelände. Einige lose Steine sind zu beachten, da unter uns noch andere Seilschaften warten. Sonst ist die Kletterei aber ein genussvolles Erlebnis. Nach dem Ausstieg folgen wir einige Meter dem Grat Richtung Gipfel, bevor wir wieder die Steigeisen montieren. Zuerst über Firn und dann etwas steiler im Kombigelände erreichen wir frohen Mutes den Gipfel. Nin verstehe ich auch, wieso der Galenstock so oft gerühmt wird. Ich fühle mich hier wie auf dem Dach der Welt. Der nächste höhere Gipfel ist so weit weg, dass er die Rundsicht nicht schmälert. Und die ist hier oben wirklich phänomenal. Der Aufstieg in der Viererseilschaft hat uns etwas Zeit gekostet und so sind wir dem Zeitplan etwas hinterher. Deshalb verweilen wir nicht lange auf dem Gipfel und machen und schon bald an den Abstieg. Dieser ist unschwer und bietet eigentlich keine Probleme. Eben – eigentlich… Der Abstieg auf dem Richtung Galensattel Firn bereitet keine Schwierigkeiten und so haben wir uns mittlerweile auch losgeseilt und die Steigeisen abgeschnallt. Plötzlich stehen wir vor einer ca. 15 Meter hohen, verfirnten Steilstufe. Unser Seilschaftsführer macht sich mit dem Gesicht zum Firn auf den Abstieg und stampft für uns eine Treppe in den Schnee. Nach ca. 2 Metern passiert ihm ein Missgeschick: er verliert das Gleichgewicht, rutscht aus und schlittert mit zunehmendem Tempo rasant nach unten. Im Rutschen dreht er sich zweimal um die Längsachse und prallt dann unglücklich mit dem Ellbogen in einen Felsen am Ende der Rutschbahn. Sofort realisiere ich, dass das nicht ohne Verletzung ausgegangen ist. Ich schicke meine zwei Begleiter auf eine Umgehung der steilstufe, während ich selber die Steigeisen montiere und mich anschicke, auf direktem Weg zum meinem gestürzten Kameraden abzusteigen, um ihn zu verarzten. Auf derselben Höhe, auf der mein Vorgänger ausgerutscht ist, erfasst mich aber grosses Unbehagen. Ich fühle mich einfach nicht sicher. So steige ich wieder auf und suche einen etwas weniger steilen Weg. Diesen finde ich auch durch ein blockiges Mixed-Gelände. Mittlerweile sind durch meinen abgebrochenen Versuch einige (sehr wahrscheinlich nur wenige) Minuten vergangen. Deshalb verzichte ich auf das ausziehen der Steigeisen, ein fataler Fehler. In der Eile und mit den Anstrengungen des hinter mir liegenden Tourentages hänge ich mit den Frontzacken eines Steigeisens im Fels ein und stürze frontal aufs Gesicht. Meine Hände können die meiste Sturzenergie noch auffangen, aber trotzdem schlagen Mund und Nase schwungvoll auf einen grossen Stein. Welch ein Knirschen und Krachen! Benommen liege ich am Boden. Reflexartig taste ich Zähne und Nase ab – es scheint alles noch an seinem Ort zu sein. Es blutet ganz ordentlich. Meine zwei Begleiter sind noch nicht weit gekommen und ich rufe sie zurück. Jetzt nehme ich eine kleine Bestandesaufnahme vor: am brummenden Kopf blutige Wunden an der Oberlippe und der Nase, die linke Hand verstaucht und die rechte geprellt, das rechte Knie ist  ebenfalls heftig geprellt und sofort angeschwollen. Zum Biegen lässt es sich nicht mehr überreden. Mittlerweile ist meine fachkundige Bergkameradin bei mir und bestätigt meinen Befund. Sie versorgt mich so gut es geht und dann machen wir uns auf, unseren Kameraden zu unterstützen. Er hat sich den Ellbogen geprellt und eine Schnittwunde am Unterarm. Auch er wird versorgt und dann machen wir uns wie die alten Eidgenossen nach der blutigen Schlacht von Marignano auf den Rückzug Richtung Belvedere. Dank den Wanderstöcken die mir Bruno zur Verfügung stellt, gelingt der Abstieg über das rutschige, steile Moränengelände. Etwas langsamer als sonst legen wir auf dem Gletscher den Weg Richtung Eisgrotte zurück. Als ich dort in die Touristenmassen eintauche, wünschte ich mir eine Tarnkappe oder eine Burka – mein Anblick muss ziemlich abstossend gewesen sein, den Blicken der Entgegenkommenden nach zu schliessen. Hier treffen wir wieder auf unsere beiden Dreierseilschaften, die sich natürlich mittlerweile gefragt haben wo wir geblieben sind. Nach kurzer Beratung beschliesse ich, in meine nähere Heimat zurück zu kehren und mich dort in der Notaufnahme des Spitals Sursee untersuchen zu lassen. Ich werde sehr nett und gründlich geputzt, untersucht, genäht und bandagiert. Zur Kontrolle bleibe ich wegen der erlittenen Hirnerschütterung noch zwei Tage in Spitalpflege. Ein langes Wochenende nimmt sein Ende. Erst beim Auspacken nach der Rückkehr stelle ich fest, dass bei dieser Tour mein Glückskarabiner zu Hause geblieben ist. Magisches Denken – Aberglaube? Die Packliste hab ich auf jedenfall angepasst ;-)

Fazit: Glück im Unglück gehabt. Auch leichtes Gelände kann seine Tücken haben. Ich habe gegen einen
meiner wichtigsten Grundsätze verstossen: Langsam pressiere! Eine tolle Tour, die ich gerne noch mal machen werde.

Ein grosser Dank geht an Janosch und Urs und die anderen Kameraden vom NSCS, besonders meine Tourenkameraden Carola und Bruno, die sich nicht nur fürsorglich um mich gekümmert haben und mich geduldig ins Tal begleitet haben, sondern auch den Umweg in Kauf genommen haben, um mich ins Spital zu fahren, an die Notfallcrew des Kantonsspitals Sursee, die mich verschwitzt und blutverschmiert erstklassig versorgt haben und nicht zu Letzt auch meiner Familie, die mich trotz solcher Vorfälle immer wieder in die Berge ziehen lässt!

Tourengänger: TomClancy


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Kommentare (11)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 15. Oktober 2014 um 22:30
Danke-schön, für diesen deinen Bericht, lieber TC!

Ich wartete gespannt darauf - und bin froh und zuversichtlich, dass du nun wieder - sorgsam - unterwegs bist und "aufbaust" ;-)

Viel Glück bei all deinen weiteren Unternehmungen!

lg Felix

TomClancy hat gesagt: Merci!
Gesendet am 15. Oktober 2014 um 22:47
Herzlichen Dank für Deine aufmunternden Worte Felix! Mittlerweile habe ich schon einige Stunden in den Bergen verbringen dürfen. Es chonnt scho guet! ;-)

Liebe Grüsse
TC

MaeNi hat gesagt:
Gesendet am 16. Oktober 2014 um 09:03
Schön hat es mit der Erfüllung dieses Bubentraums geklappt...noch schöner, dass es bei Dir wieder aufwärts und in die Berge geht!

Herzlichst,
Nicole und Marcel

TomClancy hat gesagt: Eine Traumtour
Gesendet am 16. Oktober 2014 um 10:58
Merci Nicole und Marcel!

Für mein Können war das eine wirklich angenehm zu bewältigende Tour, die alles beinhaltet, was das Herz erfeut: Gletscher, leichte Kletterei, weite Firnfelder...

Und die Berge sind halt schon eine Leidenschaft :-)

Liebe Grüsse
TC

MaeNi hat gesagt: RE:Eine Traumtour
Gesendet am 16. Oktober 2014 um 11:00
Wem sagst Du das...:-)...und bald geht's wieder auf die Skier! Jippiee!

roger_h hat gesagt:
Gesendet am 16. Oktober 2014 um 14:35
Hoi TC

Gratuliere herzlich zur Tour! Der Galenstock ist eine meiner Langzeitpendenzen, irgendwie will er mich nicht sehen, entweder passt das Wetter oder der Termin nicht oder wie letztes Mal ist die Sidelenhütte komplett ausgebucht.

Ich stehe gerade auf dem Schlauch, welche Route ihr gemacht habt. Ich kenne Südostsporn, Südostgrat, Nordgrat und Normalweg. Anhand deiner Beschreibung habt ihr am ehesten den Südostsporn gemacht, weil der Südostgrat wäre mit ZS+ klassifiziert mit Kletterstellen knapp im 5. Grad. Oder habt ihr eine Route gewählt, die ich noch nicht kenne? Kannst du mir diesbezüglich auf die Sprünge helfen?

Danke, Gruss und weitere schöne Touren,
Roger

roger_h hat gesagt: RE:
Gesendet am 16. Oktober 2014 um 14:53
Ich habe gerade gesehen, dass du dem Bericht einen GPS-Track angehängt hast. Demzufolge seid ihr über den Nordgrat gegangen. In diesem Fall hat mich der Satz "steigen wir ziemlich steil auf bis unter den Galengrat, südlich der oberen Bielenlücke" verwirrt, meintest du da evtl. nördlich der oberen Bielenlücke?

Entschuldige mein Pedantentum :-)

TomClancy hat gesagt: Grosses Sorry!
Gesendet am 10. November 2014 um 14:11
Hallo Roger!

Eigentlich hatte ich vor langer Zeit eine nette Antwort an Dich vorbereitet, aber irgendwie nicht auf "Senden" gedrückt. Nun da ich den Bericht wieder einmal lese, bemerke ich mein Versäumnis. Das tut mir Leid. Immerhin hatte ich den Text auf Deine Anmerkung hin geändert, da er wirklich falsch war. Es war natürlich nordwestlich der Bielenlücke. Mit Pedantentum hat dies nichts zu tun :-)

En guete Winter wünscht Dir

TC

roger_h hat gesagt: RE:Grosses Sorry!
Gesendet am 10. November 2014 um 16:48
Kein Problem! Ich hatte gesehen, dass du die Korrektur vorgenommen hattest!

Auch dir einen schönen Winter
Roger

MatthiasG hat gesagt: Danke
Gesendet am 16. Oktober 2014 um 17:26
Am meisten lernt man immer noch aus Fehlern, und dabei ist es wesentlich komfortabler, wenn sie anderen passiert sind. Daher ein großes Dankeschön für diesen Bericht. Auf dass Dir in Zukunft nichts passiert und Du Deinen Glückskarabiner nicht mehr vergisst :)

TomClancy hat gesagt: Besten Dank!
Gesendet am 16. Oktober 2014 um 19:36
Danke für Dein Feedback, Matthias!

Meinen Glückskarabiner werde ich so schnell nicht mehr vergessen. Und auch sonst hab ich selber viel gelernt und hoffe, dies dann auch in Zukunft nicht mehr zu vergessen. Man darf ja Fehler machen, aber lieber nicht zweimal denselben. Es sind ja noch genug andere da, die man ausprobieren kann :-)

Sportliche Grüsse
TC


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