Doof, aber glücklich auf dem Schneehüenerstock / Unghürstöckli (2773 m)


Publiziert von morphine , 2. Oktober 2013 um 20:17.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:24 September 2013
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 800 m
Abstieg: 800 m
Strecke:Oberalpsee-Fellilücke-Schneehüenerstock/Unghürstöckli Ostgrat
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Andermatt über die Oberalppassstraße zum kleinen Parkplatz am westlichen Ende des Oberalpsees.
Kartennummer:1232 Oberalppass 1:25000

Tourenplanung

Bei meiner Anreise nach Uri wusste ich, dass das gute Bergwetter noch zwei Tage anhalten sollte. Vor einer größeren Tour wollte ich mich daher am ersten Tag ein wenig einlaufen um sozusagen Betriebstemperatur zu erreichen. Aber wo sollte dieses Einlaufen stattfinden? Auf Seilbahnen und so hatte ich keine Lust und dann heisst es in Uri ja oft stundenlang ansteigen -selbst zu den Hütten-.

Nach vielen Besuchen der Zentralschweiz reizten mich natürlich neue Ziele. So fiel meine Wahl auf die Region um den Oberalppass. Dort ist man schon auf 2000 Metern Höhe und die Anstiegsleistung hält sich somit in Grenzen. Hier bin ich immer nur durchgefahren, so dass die Gegend für mich echtes Neuland war.

Speziell hab´ich mich dann für die Fellilücke entschieden. Eine einfache Wanderung von 1 1/2 Std. ab Oberalpsee. Dass allein war mir jetzt aber wieder zu wenig herausfordernd. Ich las im Rother Gebietsführer "Glarner Alpen" weiter und stieß auf den Schneehüenerstock/Unghürstöckli westlich oberhalb der Fellilücke. Bis auf den Gipfel wären das vom See insgesamt 800 Höhenmeter. Also genau mein Fall. Zu den Schwierigkeiten hieß es sinngemäß: ...von der Fellilücke gelangt man westwärts über den Grat bis zu den Gipfelfelsen, die in kurzer, leichter Kletterei erstiegen werden (1 Std. von der Fellilücke). Der SAC Clubführer Urner Alpen Ost (von 1970!) bezieht sich auf den Erstersteiger und schreibt : "Von der Fellilücke folgt man dem breiten Rücken und gelangt zuletzt in leichter Kletterei über die Gratkante zum Gipfel." Neben ein bisschen Bewegung also auch noch ein wenig leichte Kletterei. Perfekt!


Aufstieg zur Fellilücke

So gegen Mittag parkte ich mein Auto am Westzipfel des Oberalpsees, wo der Wanderweg zur Fellilücke begann. Ich aß noch eine Kleinigkeit und hörte mir in aller Ruhe noch mal den ausführlichen Wetterbericht für die nächsten Tage im Radio an (jetzt bloß keine Hektik aufkommen lassen).

So gegen 13.00 Uhr machte ich mich dann aber auf und wunderte mich zunächst über den recht leichten Rucksack, was ich aber dann meinem über den Sommer verbesserten Fitnesszustand zuschrieb. Immerhin hatte ich Proviant einschließlich einem Apfel, 1 Liter Wasser, ein Buch für Lesepausen und die übliche Standardausrüstung für Bergwanderungen eingepackt. Eigentlich müsste sich das Teil auf meinem Rücken schwerer anfühlen.

Der Weg stieg zunächst bequem über den Hang von Vordere Felli an. Etwas irritierend waren die recht häufigen Wegverzweigungen. Einmal passte ich nicht auf und fand mich wenig später auf einer nach Osten wieder absteigenden Pfadspur wieder. Oft waren recht neue -gut zu erkennende- Markierungen gesetzt, dann wieder fand ich uralte fast schon verwitterte Farbkleckse vor. Ich musste also schon genau schauen, welcher Spur ich folgte.

Nach ungefähr 1 Std. mündete der Weg in den etwas breiteren Höhenwanderweg ein, der aus Richtung Andermatt kommend den Berghang entlang über das Oberalptal in Richtung Nordosten zog. Hier wiesen Schilder nach rechts zur Fellilücke. Der gut ausgebaute Wanderweg führte nun im leichten Auf und Ab -einen weiten Linksbogen vollziehend- in die Fellilücke.

Hier hatte ich einen schönen Blick auf die südlich gelegenen Gotthardberge. Aber auch der Blick in das schnurgerade langezogene Fellital mit seiner Bergumrahmung war an diesem prächtigen Herbsttag eindrucksvoll.

Ich verzichtete auf eine Pause und machte mich umgehend auf den Weg zu meinem Tagesziel, welches von hier gar nicht mehr leicht  und einfach aussah, sondern eher unghürlich ungemütlich daherkam.


Steigen, Kraxeln, Rätselraten und Zittern am Ostgrat.

Von der Fellilücke ging es dem breiten Rücken folgend zuächst in westlicher Richtung bergauf zum unteren Beginn des eigentlichen Felsgrates. Dieser bestand aus recht kolossalen Granitplatten, die wild aufgeschichtet  irgendwie bizarr einheitlich nach Nordosten zeigten. Weiter oben, noch vor den eigentlich steilen Gipfelfelsen, sah´s auch nicht besser aus. Was jetzt?

Ich wollte den unteren Gratabschnitt umgehen. Die schattig-steile  Nordseite mit Schneeresten von der letzen Kaltfront schied für mich aus. Aber auf der Südseite führte eine breite Schutthalde aus hellem Gestein fast schon bequem bis unter eine Felslücke im Ostgrat, genau dem Punkt,  wo der eigentliche Gipfelaufschwung ansetzte. Dummerweise war der Zugang zu dieser Lücke letztlich durch glatte Felsplatten versperrt.

Ich stieg die gutmütige Schuttlhalde zunächst hinauf. Dabei führten immer wieder leicht zu begehende breite Bänder zum zerborstenen unteren Ostgrat nach rechts hinauf. Kurz vor der Lücke benutzte ich eines dieser Bänder und fand mich schon bald auf  dem Grat inmitten chaotisch aufgeschichteter sehr großer Felsplatten aus feinstem Aaregranit wieder. Die Spalten und Lücken zwischen diesen Felsen waren stellenweise furchterregend tief. Jetzt bloß nicht da hineinfallen, dachte ich mir und fühlte mich nicht wirklich wohl in meiner Haut. Mit einigem Stemmen, Drücken und Ziehen kam ich irgendwie ein paar Meter voran, dann war aber endgültig Feierabend auf diesem "leichten Grat".

Nun wich ich doch in die ungemütlche Nordflanke aus um schon bald wieder gerade zu der Stelle des Grates aufzusteigen, wo die steilen Gipfelfelsen begannen. Beim Aufstieg zur Gratkante bekam ich es in sehr steilem Gelände mit erdigen Moospolstern, unzuverlässigen lockeren Felsen und Steinen sowie ungemütlichen Schneeresten zu tun. Ich rettete mich irgendwie mit viel Zittern und Fluchen auf die Gratkante und beschloss, hier auf keinen Fall wieder abzusteigen.

Damit ich dieses Problem aus dem Kopf bekam, kletterte ich zunächst nicht weiter in Richtung Gipfel, sondern stieg die hier einigermaßen gut zu begehenden Felsplatten auf dem Grat ab und stand schon nach wenigen Schritten in der von Süden unersteigbar erscheinenden Felslücke. Von hier oben sah´s nun aber doch machbar aus. Zwar kein Einsergelände (eher II+ vielleicht sogar III-) aber die bombenfesten Felsen boten an den entscheidenden Stellen immer einen Griff und Tritt. Hier wollte ich später wieder absteigen.

Nun gings aber zunächst Richtung Gipfel weiter. Bevor sich der Grat aufsteilte, entdeckte ich in der Nordflanke alte verrostete Drahtseile in den Felsen. Die zu erahnende Route zog vermutlich direkt aus dem oberen Fellital hier hinauf. Daran konnte und wollte ich mich aber jetzt nicht auch noch aufhalten und so kraxelte ich über die Felsen dem Gipfel entgegen. Glücklicherweise hatten die Blöcke hier nicht so monströse Ausmaße, aber der Grat blieb irgendwie aufgrund seiner Steilheit unübersichtlich. Man konnte immer nur ein paar Felsen weit schauen. Der große Mast auf dem höchten Punkt konnte aber immer angepeilt werden.


Ungewöhnlicher Gipfel, Vergesslichkeiten und schöne Aussicht.

Dann endlich erreichte ich den Gipfel und war über das Ambiente doch recht erstaunt. Ein überdimensionaler Betonsockel krönte den Berg. Zwei kleine Leitern führten nach ganz oben. Dem Beton entragten eine Wetterstation (glaub´ ich) und ein großer Mast. Ein Gitterrost an seinem Fuß war dort wie ein Tablett angebracht. Ideal für mich, um dort meinen mitgebrachten Proviant abzulegen.

Bei dem ganzen Aufstiegs-Wirr-Warr hatte ich noch gar nicht pausiert. Jetzt wollte ich meinen Durst löschen und es mir schmecken lassen. Erst mal das Buch -für das ich nun wirklich keine Muße hatte- rausholen und dann.... ja dann war da nur noch die übliche Standardausrüstung für Wanderungen. Kein Wasser, kein Essen. Hektisch wühlte ich immer wieder im Rucksack herum, doch es half nichts. Außer dem Apfel hatte ich den kompletten Proviant vergessen und mir nur eingebildet, ihn eingepackt zu haben. Von wegen verbesserter Fitnesszustand. Gierig verschlang ich das Obst und lenkte mich danach mit der wirklich eindrucksvollen Aussicht von hier oben ab.

Von den Bergen über der Surselva bis zu den Spitzen der Walliser Viertausender reichte das Panorama. Die umliegenden Berge schränkten die übrige Aussicht zwar etwas ein, aber bei genauem hinzoomen kamen Galenstock, Gross Spannort, Krönten, Gross Windgällen & Co. bestens zur Geltung. Sehr schön, da aus dieser Perspektive noch nie gesehen.


Abstieg mit Dehnübungen

Gegen 16.30 Uhr verließ ich den Gipfel. Heute noch im Dunkeln zum Parkplatz runterstolpern, da hatte ich  keine Lust drauf.

Vorsichtig kletterte ich die steilen Blöcke wieder hinunter und erreichte so die Felslücke, an deren Fuß die leicht zu begehende Schutthalde von Süden heranreichte. Von hier oben ging es praktisch senkrecht ca. 5-6 Meter hinunter. Die ersten knapp 3 Meter boten solide Griffe und Tritte, verlangten aber zunächst einen beherzten Spreizschritt in den sehr ausgesetzten Felsen. Danach folgte ein Felsvorsprung, dem ich ein paar Meter bis zu seinem Ende folgen konnte. Dort ging es aber für mich nicht weiter.  Um die letzten ca. 3 senkrechten Meter hinunter zu kommen, ging ich wieder zum Beginn des Felsvorsprungs zurück.  Hier gab es zwei -ebenfalls senkrechte- schmale vorgelagerte Felsscheiben. An der Mittleren hielt ich mich oben fest und fand mit voller Körperausdehnung im linken Felsspalt einen Tritt. Jetzt griff ich mit den Händen solange nach unten, bis ich in Hockstellung an der Kante hing. Da ich sonst keinen weitern Halt fand, klemmte ich die Felsscheibe nun zwischen mein Beine und rutschte das letzte Stück mit Hilfe der Schwerkraft am Granit hinunter (die Hose hielt). Nach dieser tölpelhaften Klettereinlage stand ich nun doch erleichter am Fuß der Felslücke.

Jetzt entdeckte ich auch die ganz gemein versteckte und sehr steile (felsig-erdige) Rinne, die ein paar Schritte weiter westlich auch noch zum Grat raufführte. Aber just in diesem Augenblick kam ein kleiner Stein von dort oben heruntergeflogen und bestärkte mich in der Ansicht, dass dieser Weg auch keine wirklich gute Alternative gewesen wäre.

Nun löste sich die Anspannung, die Schwierigkeiten waren "gemeister". Über die von der tiefstehenden Sonne schön ausgeleuchteten (fast weißen) Felsen ging es nun genüsslich wieder hinab zum breiten Rücken und von dort wieder in die Fellilücke.

Beim weiteren Abstieg begeisterten die vielfältigen Lichtstimmungen und die schönen Herbstfarben am gegenüberliegenden Pazolastock. Selbst die Lawinenverbauungen blinkten in der Abendsonne.

Bei Ankunft am Parkplatz entdeckte ich auf dem Beifahrersitz -fein säuberlich zurechtgelegt- zwei Flaschen Wasser sowie leckere luftgetrocknete Salami. Die ebenfalls am Gipfel vermissten vier Erdnuss-Müsliriegel hab´ich übrigens beim Auspacken im Deckelfach meines Rucksacks vorgefunden.

Doof, aber glücklich, so lautete an diesem schönen Tag also das Fazit.


Anmerkung zur Route und den Schwierigkeiten

Die Abstiegsvariante von der Felslücke zur Schutthalde ist nach meiner Meinung irgendwo zwischen II und III einzustufen. Für die Gesamtbewertung habe ich aber die im Aufstieg benutze Route herangezogen. Die Schwierigkeiten hier -mit kurzem Ausweichen in die Nordflanke- reichen von I bis II.  Vielleicht gibt es aber bei optimaler Routenfindung einen insgesamt leichteren Anstieg. Sollte der Berg hier von jemandem mit besserer Klettertechnik bzw. von T5- oder T6-Spezialisten wiederholt und anders eingeschätzt werden, wäre ich über ein entsprechendes Feedback bezüglich meiner Routenbeschreibung und Schwierigkeitsangaben dankbar.

Tourengänger: morphine


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Kommentare (3)


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TeamMoomin hat gesagt: Scheint
Gesendet am 2. Oktober 2013 um 21:16
ja ein echtes Abenteuer gewesen zu sein, schöne Bilder hast du da mitgebracht.
Die Tour ist vorgemerkt scheint ne interessante Gegend zu sein.
Merci!

Lg Oli und Moomin

morphine hat gesagt: RE:Scheint
Gesendet am 3. Oktober 2013 um 09:01
Hallo,

ja, zum "Einlaufen" war die Gegend wirklich sehr interessant. Bei der Beschreibung der angetroffenen Schwierigkeiten bin ich mir aber immer noch ein wenig unsicher. T6 oder insgesamt doch nur T5? Ist der Grat vielleicht einfacher zu begehen, wenn man nur den richtigen Durchschlupf findet? Im Falle einer Wiederholung wäre ich auf einen Vergleich der Einschätzung des Ostgrates gespannt.
Danke und schönen

Gruß
morphine

Ruston hat gesagt: Schutt...
Gesendet am 17. August 2018 um 18:09
Tolle Fotos! Schöner Beschrieb. Ich war gestern auf der Seite vis a vis - etwa auf gleicher Höhe unter dem Piz Tiarms. Ich habe mir den Gipfel unter die Lupe genommen (strub...) und bauliche Veränderungen im Schutt gefunden. ;-)) Ich war zufriden mit meinen kleinen Blöcken auf meiner Seite!
Gruss
Ruston


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