Abenteuer am Leistchamm (2101 m) und auf dem Toggenburger Höhenweg


Publiziert von marmotta , 14. April 2013 um 00:41.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:13 April 2013
Schneeshuhtouren Schwierigkeit: WT5 - Alpine Schneeschuhtour
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG   Churfirsten 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1650 m
Abstieg: 1650 m
Strecke:Starkenbach - Vorderleist - Hinderleist - Firstsattel - Leistchamm - Schafberg - P. 1830 - Alp Hinderselun - Vorderselun - Strichboden - Starkenbach
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Starkenbach
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Starkenbach

Unverhofft kommt oft -oder: Manchmal kommt es ganz anders als geplant!
 
Die sogenannten "falschen Churfirsten", in denen sich die berühmte Bergkette zwischen Toggenburg und Walensee nach Westen fortsetzt, erhalten schon im Sommer verhältnismässig wenig Besuch - im Winter stehen sie noch einsamer da. Insbesondere die Geländekammer, welche zwischen den steilen Flanken von Glattchamm und den Leistchämmen eingebettet ist, dürfte im Winter kaum je begangen sein. Während im Sommer der Toggenburger Höhenweg die Wanderer hier unten durchführt, ist diese schöne und wilde Ecke im Winter nur sehr schwer und nur bei sehr sicheren Verhältnissen zugänglich. Schon lange reizte es mich jedoch, auch ausserhalb der Wandersaison hier mal einen Fuss hineinzusetzen und das einzigartige Ambiente zu erleben.
 
Geplant hatte ich die Besteigung der Schären (2171 m) und des Nägelibergs (2163 m) und -sollten die Verhältnisse und meine Kraft es zulassen- allenfalls noch einen Abstecher auf den im Winter äusserst selten bestiegenen Glattchamm/Vorder Leistchamm (2098 m). Aus diesem Grund führte ich sogar Alpinausrüstung mit, diese sollten zudem meine Nerven bei dem von mir geplanten, "speziellen" Zustieg zur Alpterrasse unterhalb der anvisierten Gipfel beruhigen. Für einmal wollte ich nämlich nicht auf dem "Normalweg" via Seluner Wald und Ochsenhütte (Alpstrasse) zur Hüeberlis-Alp steigen, sondern aus dem tief eingeschnittenen Tal des hinteren Leistbachs. Von der im Winter verlassenen Alp Hinterleist scheint ein Aufstieg durch die Tros-Chengel möglich, wenn auch sehr steil und möglicherweise mit Kraxelei verbunden. Einfacher wäre wahrscheinlich ein Aufstieg durch die steile Waldflanke etwas nördlich der Alp Hinderleist (P. 1278), doch führt diese voll durch die dortige Wildruhezone und ist folglich verboten - was allerdings einige Locals und andere Heroes nicht davon abhält, diese Route hin und wieder zu begehen… (kontrollieren wird das wahrscheinlich eh keiner und ein Massenauftrieb wird angesichts des Geländes kaum entstehen, also alles halb so wild!?).
 
Start um 7.15 Uhr in Starkenbach (890 m) - überraschend liegt nordseitig noch bis ins Tal flächendeckend Schnee, so dass die Schneeschuhe sofort montiert werden können. Man folgt anfangs der Fahrstrasse Richtung Vorder Höhi (Veloroute) bis kurz hinter P. 1041, wo die Strasse eine Rechtskurve macht. Auf dem deutlich zu erkennenden Trassee des Fahrwegs zu den Alpen Vorder und Hinder Leist überquert man nun auf einer Brücke den Leistbach und folgt -nach einer grösseren Schleife über eine Lichtung- dessen Lauf entlang der abschüssigen Westflanke im Wald. Es müssen einige Lawinenkegel gequert werden, zudem verliert sich das Trasee in der steilen Flanke zeitweise - alles in allem jedoch problemlos. Nachdem man die auf einer Lichtung liegende Alp Vorder Leist (1217 m) passiert hat, ist auch die Alp Hinder Leist (1278 m) bald erreicht. Bis in diese Höhe ist der Schnee durch den Regen der letzten 2 Tage stark aufgeweicht und schwer - meine Hoffnungen schwinden, bei diesen Verhältnissen direkt zur Alp Hüeberlis aufsteigen zu können. Ich versuche es dennoch, gebe aber bereits am ersten Felsriegel, der über eine schmale Rampe überwunden bzw. umgangen werden kann, auf: Wenige Meter unterhalb des ersten Absatzes wird mir die Sache im 45°-Gelände bei diesem seifigen, rutschigen Nassschnee eindeutig zu heikel. Bei hartem Trittschnee wäre zumindest diese Passage mit Pickel und Steigeisen machbar, wie es weiter oben aussieht, weiss ich leider noch immer nicht.
 
Obwohl ich bei diesem Aufstiegsversuch bereits einige Kraft (sinnlos) verbraucht habe, will ich die Tour nicht komplett abhaken und suche nach Alternativen: Der einzige (einfache) Ausweg aus dem durch die steilen Wände des Leistchamm-Ausläufers eingekesselten Talendes ist der Aufstieg über die nur mässig steilen Hänge unterhalb des zwischen First und Flügenspitz verlaufenden Kamms. Dies hatte ich mir bereits vor der Tour als Plan B bzw. als "Notanker" vorgemerkt.
 
Mit zunehmender Höhe wird der Schnee weniger feucht und bald steige ich durch frischen Pulver in einer märchenhaft verschneiten Winterlandschaft zu P. 1663 auf (ein steiler Absatz). Und das Mitte April!!
 
Da ich aufgrund des Geländes keine Möglichkeit mehr habe, von hier direkt zur Alp Hüeberlis zu queren, nehme ich halt wohl oder übel den Aufstieg auf den Leistchamm in Angriff - obwohl ich da ja gerade erst vor 2 Wochen war. Allerdings wurde ich damals auf dem Gipfel ziemlich eingenebelt, so dass mir sowohl Aussicht als auch Tiefblick verwehrt geblieben waren. Ob ich heute mehr Glück haben werde? Noch ziehen permanent Wolken- und Nebelfetzen um den Gipfel herum - wie auch die Churfirsten scheinen die viele Hundert Meter senkrecht zum Walensee abfallenden Wände den Nebel förmlich anzuziehen!
 
Wenigstens sind die Schneeverhältnisse im steilen Leistchamm-Rücken für einen Aufstieg mit Schneeschuhen deutlich angenehmer als zuletzt am Karfreitag. Eine gefrorene und meist tragende Deckschicht, durchmischt mit Presspulver, lassen mich sehr zügig vorankommen. Als ich das mit Schnee und Eis überzogene Gipfelkreuz auf dem Leistchamm erreiche, befinde ich mich dann aber tatsächlich wieder im dichten Nebel. Einzig der faszinierende Blick zu Mittler- und Vorder Leistchamm bzw. dem dort bugartig aufsitzenden Glattchamm wird immer wieder frei und ein neuer Plan wächst heran: Bereits im Aufstieg habe ich mich immer wieder nach Möglichkeiten umgesehen, die beeindruckende, teils etliche Meter über die steile Ostflanke des Leistchamms hängende Wächte zu durchbrechen, um allenfalls in die Geländekammer zwischen den Leistchämmen abzusteigen und von dort -entweder via Vorder Leistchamm-Gocht (falls die Kraftreserven hierfür reichen) oder nördlich um den Glattchamm herum auf dem Toggenburger Höhenweg die Alpterrasse unter Schären und Nägeliberg zu erreichen.
 
Nachdem ich noch einige Worte mit einem einzelnen Skitourengänger gewechselt hatte, der kurz nach mir auf den Gipfel des Leistchamm gestürmt war, beginne ich mit dem Abstieg entlang der überwächteten Gratkante - bereits mit aufgebundenen Schneeschuhen, da diese für den geplanten Abstieg über die steile Ostflanke ohnehin nicht geeignet wären. Die von Felsriegeln und senkrechten Abbrüchen durchzogene Flanke lässt sich im Winter eigentlich nur in einem beschränkten Korridor begehen bzw. befahren. Glücklicherweise ist die Wächte genau oberhalb dieses Bereichs, wo die Flanke ohne Abbrüche gleichmässig nach unten zieht, nur sehr schwach ausgeprägt und lässt sich relativ leicht überwinden. Der etwas abenteuerliche Abstieg über die hier ca. 40 ° steile Flanke erfolgt dann in sehr angenehmem Trittfirn, von der Sonne oberflächlich bereits leicht aufgesulzt - ohne Rutschen, ohne Durchbrüche.
 
Unten angekommen, schätze ich meine Möglichkeiten ab: Der Aufstieg von hier zum Vorder Leistchamm/Glattchamm sieht verlockend aus - doch ich muss mir eingestehen, dass meine Kräfte hierfür wohl kaum mehr reichen. Ausserdem ist es bereits 11.30 Uhr, trotz der vielen Wolken, die für noch immer perfekte (pulvrige!) Schneeverhältnisse auf dieser Höhe gesorgt haben, muss ich auch den Rückweg im Auge behalten - schliesslich will ich im Abstieg nach Starkenbach nicht komplett im Sumpf versinken…
 
Also steige ich durch die Mulde zum Hüttchen auf ca. 1730 m ab, von wo eine Querung der Abbrüche nördlich des Glattchamms möglich ist. Ich halte mich deutlich unterhalb des Wegverlaufs des Toggenburger Höhenwegs, da dieser durch ein im Winter schwierig zu begehendes, felsiges Gelände führt. So muss ich halt am Ende der Querung wieder gut 100 Hm zu P. 1830 aufsteigen, wo ich froh bin, den Wegweiser zu erblicken, der mir sagt, dass ich noch richtig bin. In totaler Einsamkeit geniesse ich die anschliessende, gemütliche Wanderung entlang des Toggenburger Höhenwegs, der herrliche Ausblicke in den Alpstein und auf die "falschen Churfirsten" gewährt.
 
Nach einer ausgiebigen Pause oberhalb der Alp Bleien nehme ich noch den altbekannten Abstieg über die Alpstrasse durch den Seluner Wald nach Starkenbach unter meine Schneeschuhe. Hier ist der Schnee nun sehr weich, entsprechend angenehm gestaltet sich der Abstieg - im Aufstieg wären solche Verhältnisse weit weniger angenehm.
 
In Starkenbach empfängt mich dann doch noch der Frühling, der während der gesamten Tour in noch hochwinterlicher Landschaft so unendlich weit entfernt schien.
 
Fazit:
 
Auch wenn ich keinen einzigen der Gipfel erreicht habe, die ich eigentlich hatte besteigen wollen, war es doch eine sehr eindrückliche, ja zeitweise abenteuerliche Tour durch eine im Winter völlig verlassene und einsame Gegend. Wer die Traverse vom Leistchamm zu den Seluner Alpen oder umgekehrt plant, tut sicher gut daran, alpine Ausrüstung mitzuführen. Auch wenn ich diese heute nicht gebraucht habe, hat es doch die Nerven beruhigt, sie dabei zu wissen - zumal ich nicht genau wusste, ob und wie der Abschnitt zwischen Leistchamm und P. 1830 im Winter begehbar ist            

Tourengänger: marmotta


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