Ein schöner Tag in einem mir bisher unbekannten Teil Uris, der viel zu bieten hat: Ein ziemlich direkter Aufstieg auf einem wohl selten begangenen Pfad auf die Spitzen. Ein fast surreales Auftauchen aus der dicken Nebelsuppe an die Sonne. Eine abwechslungsreiche Überschreitung fast aller Gipfel – mal auf markierten Bergwegen, mal weglos, mal auf breiten Gratrücken, mal auf schmalen Felszacken – bis zum Bälmeten. Ein fast schon beängstigendes Umherirren im Nebel. Wiedersehensfreude mit der Sonne auf der Burg. Ein muskelkatererzeugender Abstieg bis nach Bürglen.
Zehn Minuten vor dem fahrplanmässigen Eintreffen des Busses warte ich bei der Haltestelle
Brügg (Bürglen UR), so wie dies an der Hinweistafel vermerkt ist. Der erste Bus rauscht an mir vorbei, biegt dann aber gleich rechts ab und lässt seine Passagier bei der Endstation
Brügg (Bürglen UR) KlBBK aussteigen. Geduldig warte ich weiter und schaue dem nächsten Bus zu, wie er von Spirigen her kommend ebenfalls die andere Haltestelle „Brügg“ ansteuert und nach einigen Minuten Wartezeit wieder losfährt. Erst dann realisiere ich, dass dies mein Bus wäre. Doch ein kurzer Sprint und heftiges Winken genügen, und der freundliche Chauffeur lässt mich doch noch einsteigen. Er erklärt mir während der Fahrt ausführlich, wieso der 07:28-Kurs eben die einzige Ausnahme sei, welche nicht an der vermerkten Haltestelle stoppt.
Der nette Busfahrer entlässt mich bei der Haltestelle
Spiringen, Rütti leicht erstaunt in die frische Morgendämmerung: er meint, ich sei der erste Fahrgast, der von hier aus die Spitzen besteigen möchte. Doch ich lasse mich davon nicht beirren und bin frohen Mutes, dass ich mein gewünschtes Ziel erreichen werde. Doch schon bald erlebe ich meinen ersten Dämpfer: Der auf der Karte eingezeichnete Weg hinunter zur Schächen ist im Gelände nicht auszumachen. So marschiere ich zunächst der Hauptstrasse entlang Richtung Unterschächen. Nach 100m kommt die Erlösung in Form einer nicht zu übersehenden, steilen Gasse (notabene nicht in der Karte eingezeichnet) hinunter zum Fluss. Da am orographisch rechten Ufer kein Pfad zu entdecken ist, wechsle ich die Seite. Hier stimmt dann endlich die Karte mit dem Gelände (oder umgekehrt) überein. Der Weg wird zwar immer schmaler, bleibt aber gut erkennbar.
Bei Stöck (1004m) ist es vorbei mit gemütlich, steil schlängelt sich der Pfad im kurzen Zick-Zack in die Höhe. Überraschenderweise ist der Weg gut unterhalten, das Gras und Gestrüpp zu beiden Seiten scheint frisch gemäht zu sein. Ein richtiger Jägerpfad, der allerdings anhand der Spuren wohl viel eher vom gejagten Wild als vom Jagenden begangen wird. Bei Bärenfadegg wird die Wegfindung etwas schwieriger, unzählige Spuren sind auszumachen. Auch der Einstieg in den Tritt ist nicht einfach zu finden, doch ist die Querung durch dieses Felsband an mehreren Stellen möglich (T4-T5). Im folgenden Erlengebüsch findet man den richtigen Pfad bald wieder, die herausgehauene Schneise ist nicht zu übersehen. Doch nach dem überqueren des Viehzauns bin ich wieder orientierungslos. Da es allgemein nach oben aus dem Nebel in die Sonne gehen soll, steige ich direkt in der Falllinie empor. Auf ca. 1650m stosse ich auf einen weiteren Weg, der vom Steinboden zur Alp Obersaum führt. Ich folge diesem bis kurz vor die Alp, um dann wieder in direkter Linie an Höhe zu gewinnen. Mittlerweile befinde ich mich im dichten Nebel, doch kurz vor dem Erreichen der ersten Felsbänder tauche ich auf ca. 1860m endlich aus der Suppe aus. Mit klarer Sicht ist die Route durch die hart gefrorene Flanke hinauf zur Morengspur schnell gefunden. Hier überrasche ich unzählige Gämsen.
Nach einer kurzen Pause geht es dem Grat entlang weiter nach oben zum ersten Gipfel. Pfadspuren werden immer deutlicher erkennbar und führen in schönem T5-Gelände hoch zum Chli Spitzen (2296m).
Weglos hinunter in den Sattel zwischen Chli und Gross Spitzen, wo ich auf den blau-weiss markierten Bergweg treffe. Diesem folge ich nun und verpasse so den Direktaufstieg über den Ostgrat auf den nächsten Gipfel. Über den Umweg auf dem markierten Pfad geniesse ich aber bald auf dem Gross Spitzen (2400m) den Blick übers Nebelmeer.
Schon aus dieser Perspektive sieht der direkte Aufstieg über den Nordostgrat auf den Blinzi nicht sehr einladend aus, noch weniger von nah. So folge ich weiter dem alpinen Bergweg in die Westflanke des Blinzi. Etwa 300m nach Passieren von Pt 2212 steige ich direkt über ein schuttig-rutschiges Geröllfeld zum Südgrat auf und erreiche über diesen den Gipfel des Blinzi (2473m).
Nach einem kurzen Abstecher auf den nördlichen Vorgipfel, um den Nordostgrat von der anderen Seite zu begutachten, steige ich wieder über den Südgrat ab (T4-T5). Immer auf dem Grat bleibend, ist der nächste Schächentaler-Gipfel Sittliser (2445m) bald erreicht. Auf diesem Schutthügel geniesse ich eine längere Mittagspause vor einer atemberaubenden Urner Bergkulisse.
Die ersten Meter auf dem flachen und breiten Schuttrücken Richtung Osten verlaufen unspektakulär, dies ändert sich aber abrupt bei Pt 2413. Hier zeigt sich der Plattigrat von seiner wilden Seite: zwei etwa 7m hohe Abbrüche müssen im II-III Grat abgeklettert werden. Zum Glück bietet der Felsen genügend solide Griffe und Tritte. Nach dieser Schlüsselstelle ist der folgende Gratabschnitt aber Genuss pur (T5), den man beliebig variieren kann: allen Felszacken könnte linkshaltend in der Südflanke ausgewichen werden.
Der Grat wird leider viel zu schnell wieder ruhiger, und bald stosse ich auf den rot-weiss markierten Bergweg. Auf diesem erreiche ich kurze Zeit später das Gipfelkreuz des Hoch Fulen (2506m). Die ausholende Schlaufe für den Abstieg nach Südwesten möchte ich mir eigentlich schenken. So steige ich ziemlich direkt in der Falllinie ab, verpasse dadurch aber die erst im Nachhinein auf der Karte entdeckte Abzweigung der Abkürzung. Allerdings befinde ich mich auch so auf dieser und erreiche dadurch den roten Markierungen folgend bald wieder den offiziellen Bergweg. Auf diesem vernichte ich die restlichen Höhenmeter.
Auf etwa 2250m verlasse ich den Weg und steige direkt in der grasigen Ostflanke (ca. T4) hoch zum Chli Fulen (2335m). Aufgrund der Karte habe ich mir diesen Gipfel und den Aufstieg felsiger vorgestellt. Der Abstieg über den Westgrat ist dann allerdings etwas anspruchsvoller (ca. T5) und bietet auch einige Kletterzüge (II) im Fels.
Vom Sattel des Grättli (2252m) aus folge ich dem Pfad über den Bälmeter Grat und erreiche so den letzten markanten Gipfel meiner bisherigen Gratwanderung: den Bälmeten (2416m). Bei herrlichem Sonnenschein überlege ich mir meine Optionen. Es ist noch nicht mal drei Uhr, es bleiben also noch ein paar Stunden. Ich könnte über den Nordgrat absteigen und dann über den Schwarz Grat noch den Griggeler besuchen. Allerdings kündigt sich auf dem Nebelmeer die Flut an, es steigt immer höher. In einigen Minuten wird wohl der grüne Rücken des Schwarz Grat auch im Nebel ertrinken. So beschliesse ich, meinen Wandertag mit der Besteigung von Burg und Wängihorn ausklingen zu lassen.
Auf der Aufstiegsroute wandere ich wieder hinunter, nach knapp einem Kilometer kann ich links Richtung Bödmer abzweigen. Geplant ist, dass ich auf etwa 2000m weglos den Kessel des Butzenboden ohne grossen Höhenverlust quere, um dann über den Plattistäge nach Platti aufzusteigen. Doch die Wogen des Nebelmeeres schwappen immer höher und so stehe ich schon bei 2050m mit beiden Füssen in der Suppe. Als der Kopf noch eintauchen muss, ist’s vorbei mit der Orientierung. Das weglose Queren ist somit ins (Nebelmeer-)Wasser gefallen.
Ich folge notgedrungen weiter dem Wanderweg und zweige nach den ersten beiden Kurven rechts ab, im Glauben nun dem Weg Richtung Plattistäge zu folgen. Doch der Pfad führt mich nur hoch zum Gebäude auf dem Butzenboden. Von dort wage ich es, direkt und weglos Richtung Plattistäge zu queren. Doch nach viertelstündigem Irren im Nebel ohne Erfolgsaussichten breche ich diese Übung ab. Wenigstens funktioniert mein innerer Kompass tadellos, jedenfalls finde ich die Hütte auf dem Butzenboden auf Anhieb wieder. Etwas frustriert steige ich auf dem gleichen Pfad wieder zurück zum Bergweg. Nachdem ich diesem etwa dreissig Meter gefolgt bin, stehe ich vor einem Wanderwegweiser, der mir den richtigen Weg weist. Die Wegfindung ist nun kein Problem mehr, die Plattistäge bald gefunden. Doch auch nach Passieren der in den Fels gehauenen Stufen (T3) kann ich meinen Kopf noch nicht aus der Nebeldecke strecken. Erst kurz vor Pt 2135 bei Platti reisst der Nebel endlich auf und die Sonne wärmt mich wieder.
Wie die Sonne mit dem Nebel um jeden Höhenmeter kämpft, kämpfe ich mich zur nächsten Erhebung hoch. Von den beiden Gipfel-Bergseen aus ist der höchste Punkt der Burg (2286m) schnell erobert. Nach einem kurzen Besuch beim tiefer gelegenen Gipfelkreuz suche ich auf der Nordseite nach einem Abstieg. Zum Glück sind die Markierungen schnell gefunden, denn unterdessen hat der Nebel die 2200m-Marke geknackt. Ich hangle mich von Markierung zu Markierung den Wegspuren entlang durch den Nebel und befinde mich so bald wieder auf dem Bergweg Richtung Wängichulm.
Umringt vom Nebel muss ich aufpassen, den Abzweiger zum Wängihorn nicht zu verpassen. Doch der Sattel ist deutlich zu erkennen, und ich folge sofort dem Grat. Bald merke ich, dass das etwa zehn Meter tiefer gelegene Weglein das gleiche Ziel hat wie ich, und ich mir das Kraxeln über die Felsblöcke sparen kann. Auf dem schönen Pfad ist der Gipfel des Wängihorn (2149m) schnell erstürmt, die Aussicht von einer Nebelwand zur nächsten löst aber keine Begeisterungsstürme aus.
Auf dem schmalen Weglein geht es wieder zurück zum Bergweg und auf diesem schmierig zum Wängichulm (1927m). Bei der Alp Unter Wängi tauche ich endliche wieder aus der Nebeldecke auf – leider auf der falschen (unteren) Seite. Fast verlaufe ich mich nochmals, finde aber dann doch noch den richtigen Weg zur Bergstation der Seilbahn Eggenbergli. Leider habe ich gerade keinen für die Fahrt benötigten Jeton zur Hand, so steige ich weiter zum Bauernhof Eggenbergli ab. Hier könnte man einen Jeton lösen, doch dann müsste ich wieder zur Bergstation hochlaufen. Ausserdem macht das Gehöft keinen bewohnten Eindruck mehr. Wahrscheinlich ist die Bauernfamilie ob des drohenden Schnees schon in tiefere Lagen geflohen. So wandere ich gleich durch und steige direkt zur Kapelle Riedertal ab. Der Bergweg durch den Wald ist sehr idyllisch, wenn da nicht diese aggressiven Rehe wären. So muss ich eine Zwangspause machen, da diese bösen Wildtiere einen kleineren Steinschlag auf den Wanderweg niederprasseln lassen. Doch bald erreiche ich die sichere Fahrstrasse, welche mich aus dem Riedertal nach Bürglen führt. Nach kurzem Asphaltkontakt erreiche ich ziemlich genau elf Stunden nach dem Start mein Auto beim Parkplatz bei der Haltestelle
Brügg (Bürglen UR) KlBBK.
Fazit: Ich durfte eine neue, mir bisher unbekannte Ecke im Urnerland kennenlernen und mir vertraute Berge aus einer anderen Perspektive bestaunen. Das Irren im Nebel war eine interessante Erfahrung, auf die ich aber gerne verzichtet hätte. Kaum zu glauben, dass die besuchten Gipfel mit all ihren Blümchen schon am nächsten Tag unter einer zentimeterdicken Schneeschicht begraben wurden.
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