Der höchste Vulkan des Planeten - Ojos del Salado (6893m)


Publiziert von Kris , 19. Mai 2024 um 20:22.

Region: Welt » Chile » Atacama
Tour Datum:22 November 2023
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: RCH   RA 
Zeitbedarf: 14:00
Aufstieg: 1100 m
Abstieg: 1100 m

Erstaunlich gut geschlafen, das sind die ersten Gedanken hier um kurz nach halb drei Uhr nachts auf Kilimanjaro-Höhe. Mein Zeltnachbar hat sich als Arzt etwas Schlaftabletten-Doping gegönnt, bei mir ging es ohne. Natürlich bleibt es aber eine Überwindung, aus dem kuschlig warmen Schlafsack zu steigen und rüber in den Tejos Container zu gehen. Wir sollen gleich unsere warmen Schuhe anziehen, damit die Füße auf keinen Fall auskühlen. Gestaltet sich aber gar nicht so einfach, aufgrund der vielen Schichten an Unterwäsche und Hosen. Ich bekomme den Reißverschluss nicht zu und benötige Hilfe.. währenddessen gibt es ein Update bzgl. der nicht aufgetauchten Chilenen..

..Diese sind dann erst gegen 21-22 Uhr komplett erschöpft am Container wieder aufgetaucht, wollten dann aber die freigehaltenen Schlafplätze nicht wahrnehmen sondern doch tatsächlich noch die 2-3 Std. runter ins Atacama Camp laufen um dann direkt die 8-stündige Fahrt zum Flughafen in Pazifiknähe anzugehen, da sie ebendort einen gebuchten Inlandsflug hatten.. Teufelskerle oder Wahnsinn - man weiß es nicht. Aufgrund der extrem langen Tourenzeit wohl eher letzteres. Ob es uns besser ergehen würde? Ein leichtes, karges Frühstück später warten wir auf den Start. Die Schuhe sind jetzt zu, das Gepäck nochmal kontrolliert. Wir haben zwar nun schon bald 4 Uhr, aber die kältesten Stunden vorm Sonnenaufgang erwarten uns noch. 

Die Ausrüstung der Teilnehmenden variiert dabei sehr stark. Von kaum 6000er Schuh bis zum Olympus für den Everest ist alles dabei. Bei der Kleidung ebenso. Eine Frau startet im 8000er Ganzkörper-Suit von North Face. Ich setze nach meiner Erfahrung am Mera Peak im letzten Jahr mit wochenlangem Kribbeln in den Fingern auf 8000er Handschuhe und 8000er Schuh für den perfekten Schutz der Extremitäten, dazwischen dann etwas weniger. Wohl nicht die schlechteste Kombi wenn auch die Schuhe sicherlich etwas überkandidelt sind im Allg. und ob des Terrains auch etwas leiden. 

Sehr langsam setzen wir uns im Schein der Stirnlampen in Bewegung. In den ersten ein- bis anderthalb Stunden quäle ich mich dabei da mir mein Rucksack sehr schwer und auch unbequem vorkommt. Hätte ich statt vollem Fokus auf Ausdauer vielleicht auch etwas mehr Augenmerk auf Schulter und Rücken gesetzt.. unabhängig davon geht es aber gut voran und nach einer kleinen Adjustierung der Schulterriemen in der ersten Pause wird es dann auch besser und ich fühle mich gut. Nicht ganz so gut gestartet ist hingegen die Teilnehmerin im Everest-Suit. Wahrscheinlich viel zu warm und verschwitzt muss sie erschöpft aufgeben, hat aber kurz darauf in ebenjenem Suit einen Erfolg am Aconcagua.

So wurden aus 12 Teilnehmenden nun mehr 8, nachdem 2 im Atacama Camp geblieben und einer aufgrund Magens den Aufstieg nicht angetreten ist. Ich habe Podcast auf den Ohren, man sieht nichts und der Aufstieg wird steiler und ist monoton. Sobald bei einer kurzen Pause die (guten!) Handschuhe ausgezogen werden, sind die Hände kaum mehr warm zu bekommen. So kreisen die Gedanken um Anstrengung, Kälte. Irgendwann ziehen erste helle Streifen am Horizont auf. Wärme und Helligkeit warten allerdings eine ganze Weile auf sich da diese es erstmal hinter dem El Muerto hervorschaffen muss. Die Pausen werden zahlreicher und ich bin mittlerweile im vorderen Teil der Gruppe, mir geht es ziemlich gut. Ich schaue auf den Höhenmesser und sehe das wir bereits auf ca 6500m sind, mein persönlicher Höhenrekord ist damit eingestellt. 

So ganz kann ich es nicht mehr zuordnen, da man doch etwas benebelt wandelt aber irgendwann verstehe ich, dass noch einer der Teilnehmer abgedreht ist zurück zum Tejos. 7 von 12. Weiter geht es, nun im Hellen aber immer noch in bitterkalter Umgebung, es will noch nicht richtig aufwärmen. Wir kommen nun bald an die Querung des steilen Schneefelds. Je nach Verhältnissen müssen hier die Steigeisen ran. Rückblickend würde ich sagen hatten wir mittlere bis gute Verhältnisse. Zwar mussten die Steigeisen raus, es gab aber auch keine hohen Penitentes. Allerdings bereitet mir die Technik heute irgendwie Probleme. Nachdem schon die Schuhe nicht richtig zugingen, wollen die Steigeisen heute einfach nicht wie ich mag. So dick eingepackt komme ich kaum an die Bindung heran, das kostet Kraft. Letzten Endes brauche ich auch hier kurze Hilfe. Die eigentliche Querung gehen wir dann ungesichert, abrauschen will man hier nicht es ist aber auch nicht allzu schwierig. Die Querung selbst ist sicher nicht länger als 50-100m. Inklusive An- und Ausziehen der Steigeisen plus Pause hier auf 6600m kostet dies aber Zeit und Kraft. 

Ab jetzt geht es mit der Power deutlich bergab. Das Gelände bleibt durchgängig steil und unangenehm - Stichwort Vulkansand. Und nun kommt fast die ganze Gruppe quälend langsam voran. Alle paar Schritte bleibe ich stehen. Neben dem Podcast lenkt mich die Einsicht ab, dass man es erstmal nur zum Vulkankrater schaffen muss, dann geht man sicherlich auch den Rest. Einfacher gesagt als getan. Für die 100-150 Höhenmeter brauchen wir gefühlt unendlich lang. Spürbar geschafft rafft es die meisten dann erstmal am Kraterrand dahin. Gott sei Dank Pause. Die Gruppe hat sich auch bereits weit auseinander gezogen. Der Ausblick und die Weite hier oben ist unbeschreiblich. Drohend dagegen wartet über dem Kraterrand der dunkle Gipfelfelsen auf uns. Die Passage zwischen dem Chilener- und Argentiner Gipfel sieht natürlich auch erstmal abweisender aus, als gedacht. 

Unser Expeditionsleiter geht nun alle übriggebliebenen ab und redet nochmal ins Gewissen, ob man sich wirklich noch in der Lage fühlt, die letzten ca. 150 Höhenmeter anzugehen. Obwohl die Erschöpfung fast allen ins Gesicht geschrieben ist, will jetzt niemand vorschnell aufgeben. Wir lassen einen Großteil des Gepäcks am Kraterrand liegen. Andere Gruppen gibt es hier ohnehin keine. Der Gipfel wird wohl nur ca. von 100-150 Personen pro Jahr erfolgreich bestiegen, auch wenn die Tendenz steigend ist. Wir sollen aber unbedingt unsere Stöcke mitnehmen. Ich lasse den Rucksack nicht komplett zurück, um noch etwas zu trinken dabei zu haben. Recht flach geht es erstmal los in einem breiten Bogen und dann sieht man den Schlussaufstieg der erstmal wirklich steil ausschaut. Puh, es liegt auch ordentlich Schnee in der Rinne. Diesen erreichen wir auch irgendwann und nun sollen die Steigeisen wieder an und die Stöcke benutzt werden. Die Eispickel liegen unten im Camp Atacama, 1600 Meter unter uns. Leider haben nicht alle die Anweisung mitbekommen, die Stöcke liegen noch am Kraterrand. Leicht fluchend wendet sich der Expeditionsleiter ab und holt die fehlenden Stöcke, was uns wiederum ordentlich Zeit kostet, aber auch nochmal eine ordentliche Pause vor dem letzten steilen Schlussstück. 

Die restlichen Guides legen schon einmal ein Seil in die Kletterpartie am Gipfel.
Die Steigeisen sind angelegt und alle Stöcke sind da. Es geht nun in Zeitlupe das steile Schneefeld nach oben, wiederum ungesichert. Nicht abrauschen hier, auch wenn es kein voller Absturz ist. Beinbruch willst du hier oben nicht. Das steile Geröllfeld erklimmen wir dann auch in Zeitlupe. Bisher gesegnet mit (fast) Windstille legt hier nun ein zünftiges Lüftchen los. Hier heißt es nun warten. Einer nach dem anderen soll am Seil in 3 Mini Seillängen nach oben auf den Gipfel. Ich stehe relativ weit hinten. Wir sind nun schon fast an der oberen Zeitgrenze wo es eigentlich heißen würde: umdrehen. Aber hier oben denkt keiner mehr an Umkehr. Die Stöcke sollen wir logischerweise unten lassen, was der erste Geher vergisst und mit Stöcken nach oben will. Die Guides hört er nicht, es wird irgendwie hektisch. Am Ende aber alles kein Problem. Warten, warten, warten und irgendwann ist man doch dran. Die GoPro zurechtgerückt. Doch es kommt wie es heute wohl kommen musste - Technikprobleme. Mein Magnetverschluss am Helm hält nicht mehr und so knallt mir erstmal der Helm inkl. GoPro nach unten. 


Aufgehoben und provisorisch wieder aufgesetzt, wacklig. Naja, weiter gehts. Die erste Mini Seillänge geht über große Blöcke nach oben in das kleine Joch zw. Argentiner und Chilener-Gipfel. Umgeseilt in die zweite "Schlüssel"länge. Hier ist die ausgesetzteste Stelle über einen eingeschnittenen Fels, der nach oben in den dunkelblauen Himmel führt. Schwerer als gedacht. Das könnte auch eine UIAA 3- gewesen sein, mangels Beweisen schließe ich mich mal der Mehrheit an und bleibe bei einer 2+. Geht doch, die letzte Länge ist dann quasi ausgesetztes Gehgelände. Ich muss aber erstmal durchschnaufen, ich bin die Sache zu schnell angegangen, wir sind hier doch auf fast 7000m. Ich brauche 2 Minuten bis ich wieder normal atme und die letzten Meter nehme um doch tatsächlich auf dem höchsten Vulkan dieser Erde zu stehen. OBEN! 
Wir fallen uns in die Arme und schreiben uns dann auch in das Gipfelbuch, welches in einer schweren Stahlkassette verstaut ist. Genießen, Fotos. Aber ist auch arg windig hier oben und aufgrund der fortgeschrittenen Zeit (und weil ich in der Schlange recht weit hinten war) bleiben nicht länger als 15 Minuten hier. Dennoch werde ich es nicht vergessen und gehe als letzter wieder herunter. Mit eiskalten Händen von all den Fotos und Panoramas auf dem Dach der Anden. So viele 6000er gilt es hier rundherum zu besteigen.


Das Abklettern geht dann relativ leicht von der Hand. Anstrengend ist dann eher nach dem vorsichtigen Abstieg des Geröllfelds das erneute Steigeisen an- und später ausziehen. Ebenfalls vorsichtig und im Cowboyschritt geht es das steile Schneefeld bergab. Das restliche Stück zurück zum Kraterrand ist dann einfach. Hier werden alle Habseligkeiten zusammengesammelt und es wird nochmal eine ausgiebigere Pause gemacht. Wie immer ist es herunter deutlich angenehmer als aufwärts und so steht man schnell wieder an der Querung des Schneefelds auf ca. 6600m. Und nochmal Steigeisen an- und ab. Puh. Alles danach wird dann doch wohl ein Kinderspiel? Naja, wenn man auf Abrutschen steiler Schutt/Sandhänge steht, dann ja. Ich gehöre nicht dazu. So falle ich zurück und setze mich immer wieder auf den Hosenboden. Mehr als einmal mit einem Fluch auf den Lippen. Endlos zieht sich diese Abrutschpartie hin, auf bis ca. 6000m üNN. Mittlerweile bin ich Letzter. Das macht wohl einem unserer Guides etwas Sorgen. Ich bin zwar KO, aber Sorgen machen muss man sich nicht.

Es ist mittlerweile schon später Nachmittag und der restliche Weg zurück nach Tejos zieht sich wie ein Kaugummi. Da das Gelände nun wieder eher meinem Gusto entspricht, habe ich dann doch wieder 1-2 andere überholt und laufe nun den Tejos im Blick langsam wackelnd über einen letzten Bach und dann die letzten Meter eine Straße hinab. Endlich. Insgesamt 14 Stunden waren wir unterwegs. Nicht so lange wie die Chilenen am Tag zuvor, aber eine kurze Tour war es sicherlich nicht. Ich brauche 30 Minuten um erstmal wieder zu Kräften zu kommen, bevor es heißt wieder die Zelte abzubrechen. Ich bin froh, dass wir mit dem Jeep zurück nach Camp Atacama können und nicht noch die 2-3 Std. zurücklaufen müssen. Dort erwarten uns die Zurückgebliebenen und beglückwünschen uns. Auch die Teilnehmerin im North Face Suit, die aufgrund blauer Lippen von demjenigen mit Magenproblemen zurück ins Camp Atacama gebracht wurde im Laufe des Tages.

Alle sind wohlauf wieder da und 7 von 12 standen oben, eine gute Quote. Das feiern wir mit einem Glas Wein im Gemeinschaftszelt und gehen stolz und mit vielen Eindrücken dann ein letztes Mal ins Zelt. Nach all den Nächten dann doch fast wehmütig, morgen wieder zurück in die Zivilisation zu fahren, an die Pazifikküste. Endlich wieder andere Farben, als braun und rot und gelb. Kontrastprogramm pur..



KONDITION 5/5
ORIENTIERUNG 2.5/5
TECHNIK 3/5
EXPONIERTHEIT 3/5

Tourengänger: Kris


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Kommentare (6)


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georgb hat gesagt:
Gesendet am 19. Mai 2024 um 22:32
Gratuliere Kris, der bleibt dir ein Leben lang!

Kris hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. Mai 2024 um 23:23
Definitiv! Danke! VG Kris

Nyn hat gesagt: Toller Bericht
Gesendet am 20. Mai 2024 um 14:08
Herzlichen Glückwunsch zum guten Gelingen.

Vielhygler hat gesagt: RE:Toller Bericht
Gesendet am 24. Mai 2024 um 10:20
Sehr eindrucksvolle Unternehmung, auch sehr anschaulich beschrieben!
VG Andreas

Kris hat gesagt: RE:Toller Bericht
Gesendet am 24. Mai 2024 um 21:29
Vielen Dank, Andreas! VG Kris

Kris hat gesagt: RE:Toller Bericht
Gesendet am 24. Mai 2024 um 21:28
Danke! VG Kris


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