Eintauchen in frühere Zeiten: Vom Wynental ins Ruedertal


Publiziert von ABoehlen , 22. Dezember 2023 um 20:24.

Region: Welt » Schweiz » Aargau
Tour Datum:28 September 2023
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-AG 
Zeitbedarf: 4:30
Aufstieg: 300 m
Abstieg: 300 m
Strecke:Oberkulm – Pfaffenberg – Rüedihof – Ruine Alt Rued – Schlossrued – Schöftland
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Oberkulm
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Schöftland
Kartennummer:LK1109 Schöftland

«Von Kulm im Aargau führt ein schmaler, steiniger Weg über den Berg nach dem Ruedertale.»

So beginnt die Erzählung «Der Statthalter» des von mir sehr geschätzten Autors Jakob Frey, dessen Geburtstag sich 2024 zum 200. Male jähren wird. Diese und andere Werke des im Wynental gebürtigen Autors sind im Sammelband «Aus schlimmen Tagen» von 1927 enthalten, welche zu lesen sich gerade in der heutigen Zeit besonders lohnt. Zwar ist der Krieg vor bald 2 Jahren wieder etwas näher an unsere Landesgrenzen herangerückt, dennoch ist den allermeisten Schweizern die Vorstellung, direkt davon betroffen zu sein, völlig fremd. Wie ganz anders war dies an der Schwelle zum 19. Jahrhundert, jener Zeit also, in der viele Werke Freys zeitlich eingeordnet sind! In weiten Teilen der heutigen Schweiz war das Leben gefährlich und es galt das Recht des Stärkeren. Mag heute auch nicht alles perfekt sein, so blickt man nach dieser Lektüre doch ein wenig demütiger auf Dinge wie Rechtsstaat, Menschenrechte und Minderheitenschutz. Von alledem war in jenen «schlimmen Tagen» keine Spur vorhanden.

So geht es heute zum einen darum, ein wenig auf den Spuren Jakob Freys zu wandeln, zum andern ist es für mich auch ein Stück Kindheitserinnerung. Meine Grossmutter lebte in Schöftland, wo auch meine Mutter aufgewachsen ist, und zahlreiche Male habe ich in den 1980er Jahren die Frühlings- oder Herbstferien beim «Grosi» verbracht. Daher ist mir Schöftland und seine Umgebung, vor allem das unterste Ruedertal, noch bestens in Erinnerung. Dort soll heute der Endpunkt sein. Starten aber wollen wir – wie erwähnt – in «Kulm im Aargau». Der Begriff Kulm ist noch heute auf verschiedenen Strassenschildern zu finden, obwohl es keinen Ort und keine Gemeinde mit diesem Namen mehr gibt, nur einen Bezirk. Tatsächlich teilt sich der grosse Ort im mittleren Wynental in die Gemeinden Unterkulm (das frühere Kulm) und Oberkulm. In letzterem Ort beginnt unsere Wanderung; genauer, am alten Bahnhof Oberkulm, der inzwischen auch Geschichte ist, da unterfähr halbwegs zwischen den Haltestellen Oberkulm Post und Oberkulm ein neuer Bahnhof namens Oberkulm in Betrieb genommen wurde, der die zuvor genannten abgelöst hat. In diese Gegend gelangen wir von Aarau aus mit der Schmalspurbahn, die ich noch in oranger Farbe unter dem Namen WSB (Wynental- und Suhrentalbahn) kenne. Heute wird die Bezeichnung AV verwendet, was für AargauVerkehr steht. Die «alte» WSB wurde in den 1980er Jahren von Jakob Heer in einem liebevoll gestalteten Buch porträtiert (siehe Literaturverzeichnis) und dort ist auch die wechselvolle Geschichte dieser Talbahnen nachzulesen.

Den schmalen Weg, von dem Jakob Frey schreibt, finden wir bald – natürlich nicht wissend, ob wirklich dieser gemeint ist. Das einzige verfügbare Kartenmaterial aus der Zeit um 1800 ist der Atlas Suisse von Johann Rudolf Meyer und Johann Heinrich Weiss, der aber zwischen Kulm und Rued keine Verbindung zeigt. Aber so ähnlich könnte er ausgesehen haben: ein reizvoller Hohlweg, der sich über einem der zahlreichen Seitentäler in die Höhe zieht. 100 Meter weiter oben schweift der Blick beim Rüeggerhof bereits weit nach Norden, bis hin zum fernen Schwarzwald. Dabei sind wir noch gar nicht oben auf dem «Berg» von dem bei Frey die Rede ist. Dieser heisst Hohliebi und auf unserem Weg durch den Junkerenwald nähern wir uns dem höchsten Punkt bis auf ca. 15 Höhenmeter. Beim Abstieg zum Passübergang Pfaffenberg stossen wir am Waldrand auf einen schönen Rastplatz; gerade richtig für eine Pause. Für die, welche gerne länger an diesem schönen Ort verweilen möchten und ein wenig Unterhaltung schätzen, wurde von der Gemeinde- und Schulbibliothek Schöftland eine wasserdichte Kiste bereitgestellt, die mit Büchern verschiedenster Art gefüllt ist.

Wir folgen indessen dem Wanderweg über den breiten Höhenrücken. Beim Hof Wüestmatt stossen wir dabei auf eine interessante Beerenkultur, die sich erst nach einer Recherche zuhause als Aroniabeere, bzw. Schwarze Apfelbeere (Aronia melanocarpa) zuordnen lässt. Sie sind roh geniessbar (ich musste natürlich probieren) und schmecken nicht schlecht, werden aber zu Säften und Marmelade verarbeitet.

Nach Süden hin erstreckt sich nun das Ruedertal (wird genau so ausgesprochen; ue nicht als ü interpretiert), welches auch das «Aargauer Emmental» genannt wird. Dieser Vergleich ist absolut gerechtfertigt, nicht nur wegen der kleinräumigen Topographie, sondern auch wegen den verstreut in den Hängen und auf den Höhen liegenden Einzelhöfen. Das Tal ist vor allem im mittleren Teil schmal und steil, sodass man meist nicht bis ganz hinunter sehen kann. An einer Stelle ist aber der Kirchturm von Rued (Ortsteil Kirchrued) deutlich auszumachen, und auch diese Stelle hat Jakob Frey beschrieben:

«Gerade gegenüber in der Tiefe steht die Kirche und erscheint mit ihrer Umgebung von der Höhe herabgesehen so nahe, dass ein scharfes Auge die kleinen Leichensteine und Rosensträucher auf dem Kirchhofe zählen kann.»

Nun, dazu ist selbst mein nunmehr wieder schärferer Blick nicht in der Lage, aber der Ausblick ist nichtsdestoweniger ungemein reizvoll. Im Wanderbuch Seetal-Freiamt-Wynental wird diese Stelle als Bändlipaß bezeichnet; es ist ein weiterer der zahlreichen Übergänge zwischen Wynen- und Ruedertal. Vom Pass steigen wir anschliessend zum nächsten Hügel hinauf, wo wir mit 643 m die höchste Stelle der heutigen Wanderung erreichen. Vorbei am Rüedihof mit seinen Pferden und Kaninchen geht es nun steil hinunter nach Kirchrued, wo die erwähnte Kirche steht; direkt neben dem Talflüsschen Ruederchen und inmitten einer üppigen Vegetation gelegen. Ein Stück weiter vorne, beim Pt. 508 trennen sich dann unsere Wege.

Stini folgt der Ruederchen direkt ins Dorf Schlossrued und ich schlage den Weg ein, der steil den Berg hinauf führt, einem sehr markanten, bewaldeten Gipfel entgegen. «Wau-wau» erklingt es, als ich den einsam im Steilhang gelegenen Hof Weibelrain passiere, danach nimmt mich der Wald auf und beim Pt. 566 biege ich rechts ab und halte auf den genannten Hügel zu. Steil geht es erst hinunter, einer eingezäunten Weide entlang, und ich frage mich, ob ich so überhaupt zum Gipfel hinaufkomme. Aber am Waldrand biegt tatsächlich ein Pfad ab, der sogar mit einer blauen Markierung gekennzeichnet ist. Später werde ich erfahren, dass dies einer der 4 Wege des «Schlossrueder Erlebnisweges» ist. Problemlos gelange ich zum höchsten Punkt auf 572 m, wo sich die Ruine der Burg Alt Rued befindet. Vom Wohnturm sind noch deutliche Mauerreste sichtbar, vom Kapellentrakt noch wenige, undeutliche; ansonsten ist auch anhand des nicht mehr sehr ausgeprägten Burggrabens erkennbar, dass sich hier einst eine Burganlage befunden hat. Sie wurde bereits im Spätmittelalter aufgegeben, steht in dem Faltblatt, welches ich später unten in Schlossrued aufspüren werde, und worin diese Themenwege dokumentiert sind.

Der Weg ins Dorf hinunter ist nass, steil und überwachsen. Unweit der Postautohaltestelle treffe ich Stini wieder, die sich schon im Schatten häuslich niedergelassen hat. Zeit für die Mittagspause.

Weiter geht es auf dem Talweg, der nicht markiert ist, aber eine ideale Verbindung für Spaziergänger und Wanderer mit dem Nachbarort Schöftland bildet. Beim früheren Kugelfang der ehemaligen Schützengesellschaft Schlossrued stossen wir überraschend auf einen grosszügigen Rastplatz; genau wie der heute früh besuchte mit einer Bücherkiste ausgestattet. Der Weg folgt anschliessend ein Stück der Ruederchen und später, nach der Sandplatte einem kleinen Wasserlauf am Waldrand, der auf der heutigen Karte namenlos ist, aber von den Einheimischen Hermebächli genannt wird. Ich bin nun in jenem Teil angekommen, den ich von früher kenne – unzählige Male bin ich mit meiner Grossmutter diesem munteren Gewässer entlang spaziert. Von ihrem damaligen Haus an der Ruederstrasse war es nur ein kurzer Weg bis hierhin. Während in der freien Natur noch alles ungefähr so aussieht, wie ich es in Erinnerung habe, sind die Veränderungen an der Ruederstrasse und in der Ortsmitte schon offensichtlicher: Zahlreiche Bauten sind neu hinzugekommen – Schöftland zeigt hier dieselbe Entwicklung wie wohl fast jeder Ort im dicht besiedelten Schweizer Mittelland.

Bei inzwischen schweisstreibenden Temperaturen erreichen wir gegen 15:00 Uhr den Bahnhof, welcher der eine Endpunkt der AV Bahn (ex WSB wie erwähnt) bildet. Mit dem nächsten Zug (früher sagte man «Tram», weil grosse Teile der Strecke auf der Strasse verliefen) geht es in gemächlichem Tempo nordwärts, Aarau entgegen. Spannend wird es in Oberentfelden: Zum einen verläuft das «Tram» dort noch immer auf der Strasse, weil die beengten Platzverhältnisse keine andere Lösung zulassen, zum andern erfolgt eine niveaugleiche Kreuzung mit der SBB-Linie Zofingen – Lenzburg. Dieses einzigartige Normal- / Schmalspur-Kreuz war selbst der Berner Traditionszeitung «Der Bund» mal einen Bericht wert, nämlich am Mo. 19. August 1991. Damals gab es in Suhr noch eine zweite derartige Konstruktion, aber diese ist längst durch eine Unterführung entschäft worden.

Von Aarau gelangen wir mit der nächst verfügbaren Verbindung nach Olten, wo wieder mal ein Besuch im legendären Bahnhofbuffet fällig ist. Es ist immer noch geräumig und gemütlich wie einst und beidseitig lässt sich beim Essen der rege Bahnbetrieb mitverfolgen. Das Gericht, das aufgetischt wird, ist auch legendär: Riz Casimir – vor Zeiten ein Klassiker, heute weit gehend in Vergessenheit geraten. Nach diesem Besuch in einem Stück alter Heimat, mit vielen Spuren sowie Erinnerungen an frühere Zeiten, ist das aber genau das Richtige!

Literatur
  • Frey, Jakob. Aus schlimmen Tagen – Erzählungen aus den Tagen des Untergangs der alten Eidgenossenschaft. Verlag H.R. Sauerländer & Co. Aarau 1927
  • Heer, Jakob. WSB Wynental- und Suhrentalbahn. AT Verlag, Aarau 1984, ISBN 3-85502-196-1
  • Bernasconi, Hans Ulrich. Schweizer Wanderbuch 18 – Seetal-Freiamt-Wynental. Kümmerly+Frey, Bern 1957
  • Übersichten – 150 Jahre Bank Leerau. Kirchleerau 1987

Tourengänger: ABoehlen, Stini


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