10 mal 4.000: die klassische Spaghetti-Runde


Publiziert von Manu81 , 3. Januar 2024 um 18:02.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum: 6 Juli 2023
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 5 Tage
Aufstieg: 4600 m
Abstieg: 4900 m
Strecke:55,0
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem Auto bis Täsch, dann mit dem Zug nach Zermatt. Seilbahn bis Trockener Steg.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Ab Rotenboden mit der Zahnradbahn runter bis Zermatt und mit dem Zug zurück nach Täsch.

Eigentlich war die Spaghetti-Runde schon fest für das Jahr 2022 geplant. Aufgrund des schneearmen Winters und des heißen Frühjahrs waren die Verhältnisse am Gletscher jedoch sehr schlecht. Der überwiegende Teil der Gletscher war bereits im Juli komplett ausgeapert und die Hänge entsprechend instabil. Aufgrund des hohen Steinschlagrisikos und der unklaren Routenführung durch die offenen Spalten wurde die Tour dann leider – aber völlig zu Recht – abgesagt. Damals war das eine riesen Enttäuschung -  aus heutiger Sicht aber ein Glück! Denn: 2023 war alles anders J

 

Donnerstag 06.07.23

Wir fahren gegen 5 Uhr früh im Schwäbischen los. In Hörbranz treffen wir den Rest unserer Gruppe und fahren dann über Andermatt, Realp und den Furkapass ins Wallis. Wie immer ist für mich am Furka der erste Blick aufs Finsteraarhorn ein erhebender Moment. Ich kann es nicht erklären – aber das Finsteraarhorn ist für mich ein perfekter Berg. Dominant, wuchtig, dunkel und unnahbar.

Wir parken wie üblich in Täsch und fahren mit dem Zug nach Zermatt rein. Mit unseren vollgepackten Rucksäcken laufen wir durch die von Touris bevölkerte Innenstadt zur Talstation der Seilbahn und fahren mit der Gondel zum Trockenen Steg (2.939 m) hoch. Über Geröll und Eis geht es durch das hässliche Skigebiet hoch zur Testa Grigia. Dort übernachten wir im kleinen, aber sehr gemütlichen und sympathischen Refugio Guide Cervino (3.454 m). Der Essensraum ist auch der Trockenraum – geschlafen wird in Mini-Mehrbettzimmern mit Stockbetten. Das Abendessen ist wirklich grandios (Pasta, pollo fino, Pudding / mouse au chocolat) – Wahnsinn, welch kulinarische Meisterleistungen in dieser Höhe mit diesen Möglichkeiten doch machbar sind – wenn man will…

 

Freitag, 07.07.2023

Nachts gefriert dann leider die Wasserleitung der Hütte, so dass es morgens weder Kaffee gibt, noch fließend Wasser. Dennoch ist das Frühstück im Refugio für italienische Verhältnisse wirklich sehr reichhaltig und gut! Nach dem Frühstück seilen wir direkt vor der Hütte an und laufen gemächlich durch das Skigebiet in Richtung Kleinmatterhorn los. Das monotone Steigen über gewalzte Pisten hat noch nichts von dem uns bevorstehenden Abendteuer… Nach einer kurzen Trink- und Pinkelpause in der Nähe der Liftanlagen am Kleinmatterhorn steigen wir bei perfekten Verhältnissen, in einem weiten Bogen zum Breithorn (4.164 m) hoch. Mein erster Viertausender J. Und was für ein traumhafter Morgen – mit tollen Nahblicken zum Matterhorn und Monte Rosa. Wir rasten am Gipfel kurz und überschreiten das Breithorn dann.

Wieder unten, machen wir uns dann an die lange, flache Querung zum Zwillingsjoch. Am Pollux vorbei geht es dann an die Gipfelflanke des Castors. Am kurzen Seil steigen wir steil, in Serpentinen den Hang hoch – die letzten, steilsten Meter dann von oben gesichert. Dann drehen wir uns voller Staunen nach rechts um und betrachten den atemberaubend schmalen Nordgrat des Castors. Wir warten bis die ganze Gruppe oben am Grat ist, und steigen dann langsam und konzentriert am kurzen Seil los. Während des Tanzes auf Messers Schneide ziehen plötzlich die Wolken rein. Einerseits wirkt die ganze Atmosphäre dadurch ernster, andererseits ist zumindest rechts der gähnende Abgrund nicht zu sehen… Schritt für Schritt, den Blick immer auf den Vordermann und die eigenen Füße gerichtet, schaffen wir es sehr gemächlich zum Gipfel des Castor (4.234 m). Nun haben wir uns eine Pause verdient!

Ich genieße eine meiner Gipfel-Schokis – welche mir selten so gut geschmeckt haben! Vor diesem kurzen Stück Grat hatte ich in der Vorbereitung auf die Tour schon einen gewissen Respekt. Um das aufrechte Gehen am Grat zu simulieren und zu trainieren, habe ich in den Monaten davor die Ruinen einer alten Bergwerksseilbahn genutzt und bin dort immer wieder auf einer mehrere Meter hohen Mauer einige Schritte balanciert. Von mal zu mal immer einen halben Meter weiter – sodass ich nach zig Trainingseinheiten tatsächlich deutlich besser mit dem Gefühl der absoluten Ausgesetztheit zurechtgekommen bin. Dies war im Nachhinein sehr wichtig, da ich nun am Grat das Bewusstsein hatte, diese Passage problemlos meistern zu können. Diese Art der Vorbereitung ist aber nicht zur gedankenlosen Nachahmung empfohlen!

Nachdem wir etwas gegessen und getrunken haben, steigen wir den schmalen – aber insgesamt deutlich gutmütigeren Südostgrat des Castor ab. Absolutes Genussgelände! Über das Felikhorn (4.087 m) steigen wir dann über den Felikgletscher runter zum Refugio Quintino Sella (3.585 m). Das Refugio ist sehr schön, sauber und groß. Ich schlafe vor dem Abendessen erst mal noch ein paar Stunden. Nach dem Essen gehe ich noch den Sonnenuntergang fotografieren und dann früh zu Bett.

 

Samstag, 08.07.2023

Wir stehen früh auf, frühstücken, packen und schauen dann vor die Hütte: Nebel, Schneeregen, whiteout! Nicht ganz optimal für die Etappe über die Naso in Richtung Lysgletscher… Daher warten wir noch einige Zeit auf Wetterbesserung. Irgendwann laufen wir mal los, drehen dann aber nach kurzer Zeit wieder um, da die Sicht nur wenige Meter reicht. zurück in der Hütte, machen wir es uns nochmals einige Zeit im Schuhraum gemütlich. Nach einer ganzen Weile lässt der Regen nach und die Sicht wird minimal besser – wir starten den zweiten Versuch. Wir tun uns immer noch etwas schwer mit der Wegfindung, aber nach und nach  finden wir die richtige Route über den Felikgletscher in Richtung Naso. Der Weg zieht sich und durch den Nebel ist alles mystisch aber eintönig. Vor dem Aufstieg zur Naso machen wir noch Pause. Die untere Flanke gehen wir am kurzen Seil, den Mittelteil sichert unser Tourenleiter mit mehreren Eisschrauben und an 2 vorhandenen Stangen, da die Flanke dort blank ist. Im kombinierten Fels – Eis – Firn-Gelände erreichen wir dann irgendwann die Il Naso (4.272 m). Technisch gesehen unser sicherlich schwierigster Gipfel.

Nach einer kurzen Pause steigen wir über die steile Ostflanke, bei immer besser werdendem Wetter runter. Die folgende Querung zum Colle Vincent zieht sich etwas. Vom Colle steigen wir in einigen Serpentinen – sehr einfach – hoch zur Vincentpyramide (4.215 m). Wir genießen die Nahblicke auf die höchsten Gipfel des Monte Rosa. Nach einer Pause geht es dann durch tiefen, weichen Schnee runter zur Capanna Gnifetti (3.647 m), welche mittlerweile nur noch über einen kurzen Klettersteig zu erreichen ist. Die Hütte ist quasi ein „Sammelsurium“ aus zusammengebauten Hütten und Erweiterungsbauten – dementsprechend verwinkelt ist sie auch. Am späten Nachmittag gibt es noch einen Helieinsatz, da wohl 2 Personen Anzeichen von Höhenkrankheit hatten und dringend runter ins Tal gebracht werden mussten. Abends genieße ich einen weiteren spektakulären Sonnenuntergang, der die Vincentpyramide in goldenes Licht taucht. Nach diesem wunderschönen Tagesausklang geht es früh ins Bett – schließlich erwartet uns morgen die Königsetappe…

 

Sonntag, 09.07.2023

Sehr früh stehen wir auf, heute haben wir einiges vor uns. Einige Seilschaften sind tatsächlich schon unterwegs, sodass sich die ersten Lichterketten und Glühwürmchen bereits von der Mantova-Hütte und auch von der Gnifetti-Hütte aus aufgemacht haben. Wir kraxeln dann auch den kleinen Klettersteig nach unten, legen unten unsere Eisen an und reihen uns ein in die Lichterkette. Es geht zunächst äußerst  gemächlich los. Viele Seilschaften ziehen mit deutlich höherem Tempo an uns vorbei. Da wir aber ungeachtet der Steigung mit sehr konstanter Geschwindigkeit unterwegs sind, haben wir die allermeisten Seilschaften bis zum Colle Vincent wieder ein- und überholt. Der Firn ist noch sehr gut durchgefroren sodass wir (noch) nicht so sehr auf Spalten achten müssen. Am Colle Vincent machen wir eine kurze Pause und können erstmals etwas durchschnaufen. Danach nehmen wir die paar Meter bis zum Balmenhorn unter die Hufe und können dann nach ein paar wenigen Minuten Wartezeit über den kleinen Klettersteig zur Christusstatue auf dem Balmenhorn (4.167 m) aufsteigen. Im Allgäu würde sowas ja nicht mal unter „Gratschulter“ laufen, da wäre das einfach ein kleiner Fels – aber sicher kein „Gipfel“ J. Daher geht’s schnell wieder runter, denn wir haben heute ja noch was vor… Nach einem kurzen Abstieg geht es gegenüber den Schneehang – völlig unschwierig – hoch zur Ludwigshöhe (4.344 m). Den Corno Nero lassen wir aus Zeitgründen aus.

Danach steigen wir über den Col de Lys in Richtung der Parrotspitze. Der Zugang zum Westgrat ist etwas steiler und ein wenig knifflig. Am Grat angekommen, sehen wir was uns erwartet: ein wunderschön geschwungener, schmaler Firngrat. Nicht ganz so schmal wie am Castor, dafür aber mit mehr Steigung. Nach wenigen, fast zu wenigen, Minuten erreichen wir dann schon den Gipfel der Parrotspitze (4.432 m) und genießen die Blicke ins italienische Vorland. Ein toller Gipfel! Der Abstieg über den Ost-Nordost-Grat ist kurz etwas steiler, aber ansonsten vergleichsweise einfach.

Nun folgt dann quasi als Sahnehäubchen noch der äußerst kräftezehrende Aufstieg zum Colle Gnifetti und weiter zur Signalkuppe (4.554 m). Dort kommen wir nach einigen Überholmanövern  überglücklich an der Capanna Regina Margherita an. Was für eine Lage! Und was für ein Balkon! Und was für ein gigantischer 3 km-Tiefblick! Hier oben gönnen wir uns dann eine längere Pause sowie ein Stück traditionelle Pizza Margherita mit Cappuccino. Auf über 4.500 m Höhe – Völlig irre! Vor dem Abmarsch teste ich dann noch das höchste Plumpsklo Europas und genieße den Blick aus den höchstwahrscheinlich geilsten Klofenster Europas J.

Danach nehmen wir uns noch unseren letzten Gipfel des Tages vor. Eigentlich ist es schon spät. Eventuell auch zu spät – wir hoffen aber, dass  der Abstieg zur Monte Rosa-Hütte dennoch gut vertretbar zu gehen ist. Der Anstieg zur Zumsteinspitze ist dann zunächst sehr einfach – ein breiter, einfacher Firnrücken. Kurz vor dem Gipfel jedoch zieht sich der Grat kräftig zusammen und wird äußerst schmal. An einer ausgesetzten, abdrängenden Stelle muss man sich dann noch um einen Fels herumhangeln. Tatsächlich gar nicht so einfach, wie ich es erwartet hätte. Dennoch kommen  wir gut am Gipfel der Zumsteinspitze (4.563 m) an und schauen staunen zur Dufourspitze rüber. So nah und doch so fern – der direkte Übergang sieht wirklich kriminell aus…

Der Blick auf die Uhr lässt uns jedoch bereits erahnen, dass uns der Abstieg zur Monte Rosa-Hütte noch einiges an Kraft und Nerven kosten wird. Wir sind tatsächlich mittlerweile einfach spät dran. Der Grenzgletscher ist im mittleren und unteren Teil äußerst aufgeweicht, sodass wir sehr häufig mit dem Pickel sondieren, ob wir uns grade nicht auf einer instabilen Schneebrücke befinden. Der eine oder andere aus der Seilschaft bricht auch immer wieder mal teils bis zur Hüfte in verdeckte Spalten ein. Aber unser Tourenleiter führt uns vorsichtig und  äußerst souverän durchs Spaltengewirr. Eine Randkluft seilen wir an Eisschrauben gesichert ab, und nach einer schieren Unendlichkeit mit deutlich mehr Nervenkitzel als erwartet, erreichen wir dann die Moräne und wenig später auch die Monte Rosa-Hütte (2.883 m). Nach fast 13 Stunden – aber auch nach 5 Viertausendern! Ein verrückter Tag! Ich gönne mir vor dem Abendessen noch eine 3-minütige warme Dusche für 5 CHF und nach dem Essen geht es direkt in die Heia… Man bin ich platt. Man bin ich glücklich J.

 

Montag, 10.07.2023

Heute starten wir etwas später – wir müssen ja „nur noch“ bis zum Rotenboden laufen.  Nach dem Frühstück queren wir lange über Moränen und Gletscherschliff-Gelände, bis wir zum Gornergletscher absteigen. Dort legen wir ein letztes mal das ganze Hochtourengeraffel an und queren den komplett ausgeaperten Gornergletscher. Einige offene Spalten müssen dabei auch übersprungen werde. Ohne Eisen würde ich die Gletscherquerung als zu riskant empfinden. Angekommen an der Moräne gelangen wir schnell zum Panoramaweg und erreichen dann auch zügig die Station Rotenboden (2.800 m) in der Nähe des Riffelhorns. Nach kurzer Wartezeit lassen wir uns runter nach Zermatt kutschieren und finden uns mit einem Schlag in der Zivilisation wieder! Was für ein unglaublicher Kontrast! Eben noch Bergsteigerromantik, nun mitten im Massentourismus… Wir nehmen den ersten Zug von Zermatt nach Täsch und verabschieden uns von den Zermatter Bergen.
 

Ein bisschen fehlen mir immer noch die richtigen Worte für diese, meine erste, richtige, Hochtourenwoche. Es war fantastisch, es war entrückend, es war in der Retrospektive irgendwie unwirklich. Und doch bot diese Tour viele Momente, die mir in den Tagen, Wochen und Monaten danach immer wieder spontan etwas Abstand zum stressigen Hier und Jetzt gebracht haben.






 


Tourengänger: Manu81


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