Kurzbericht 

Schlafwandelnd über den Panoramagrat


Publiziert von lorenzo , 11. Juli 2022 um 15:35.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum: 9 Juli 2022
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 15:00
Aufstieg: 3205 m
Abstieg: 2525 m
Strecke:17,5km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo St. Niklaus
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Saas Fee, Busterminal
Unterkunftmöglichkeiten:Heimatlodge in St. Niklaus, Bordierhütte SAC, Mischabelhütte AACZ
Kartennummer:LK 1308 St. Niklaus, 1328 Randa; M. Brandt, Guide des Alpes Valaisannes 5, CAS 1991, M. Waeber, Walliser Alpen, Rother 1993

Angeregt durch eine verlockende Beschreibung des Panoramagrats wollte ich diesen auch einmal unter die Füsse nehmen, und zwar direkt von St. Niklaus nach Saas Fee. Da ich mir bei gutem Vorankommen als i-Pünktchen oder Zückerchen noch das Nadelhorn zum allenfalls krönenden Abschluss vorbehielt, entschied ich mich schliesslich statt für die erste für die letzte öV-Verbindung. Nach einem Arbeitstag mit nur wenigen Stunden Schlaf (nicht während der Arbeit...) bestieg ich um halb zehn den Zug nach Visp und erreichte schliesslich, bei schon untergehendem Mond über dem Weisshornkamm und immer noch vor mich hindösend, um 23 Uhr St. Niklaus. Dort hätte ich zwar in das kurz danach abfahrende Postauto nach Grächen einsteigen und bis Riedacker unterhalb Gasenried fahren können, was mir mein Grind ("vo da Berga, vo da Puura") aber natürlich nicht zugab...

So folgte ich mehr schlechten als rechten gelben Markierungen durch das Dorf und über die Matter Vispa bis Bord. Hier begann der Wanderweg, der mich durch Wald und über Tennjen nach Hellena führte, wo Schwarznasenschafe weideten, und mir Pferde mit gespenstisch funkelnden Augen in einer Koppel bei der weiteren Wegsuche Gesellschaft leisteten. Schliesslich fand ich den eingezeichneten, aber unmarkierten Pfad, der mich hinauf zum Beginn des markierten Bergwegs Richtung Bordierhütte führte. Die nun folgenden 1000 weiss-roten Höhenmeter, die ich auf Alpja nur kurz für eine Kalorienzufuhr unterbrach, hatten es durchaus in sich, und im oberen Teil gingen mir nicht einmal weitere Schwarznasenschafe, die ich in ihrer Nachtruhe gestört hatte, aus dem Weg. Als ich den obersten, weiss-blau markierten Wegabschnitt erreicht hatte, blinkten mir etliche Stirnlampen von NadelgratanwärterInnen entgegen. Gegenüber sah ich zwar schon die erleuchteten Fenster der Bordierhütte, brauchte aber, wie auf dem Wegweiser angegeben, noch eine weitere Stunde, um über den geröllübersäten Riedgletscher und den Klettersteig dorthin zu gelangen. 

Die Hüttenwartin erklärte mir den Weg zum Klein Bigerhorn, zu dem ich mich über sperrige Blöcke durchkämpfte. Inzwischen war es hell geworden, und das einzigartige Panorama begann sich zu entfalten. Im Sattel begegnete ich einem Führer mit einem Paar, das auch den Panoramagrat begehen wollte. Beim "Geröllstich" zum Gross Bigerhorn konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten, wäre fast stehend eingenickt und wurde zusehends langsamer, die kurze Pause am Gipfel auf einer windgeschützten "Felsbank" - eine merkliche Bise war inzwischen aufgekommen - wirkte aber Wunder, so dass ich für das Herzstück der Tour, den Verbindungsgrat zum Balfrin, wieder bei vollen Kräften war. Über leichte Felsen und Firn, und umgeben von einem tatsächlich einmaligen Nah- und Fernpanorama schwebte ich zum NW- und weiter zum Hauptgipfel, und auch der Abstieg zum Riedpass war leicht. Nach einer weiteren Pause stieg ich bei nun starker Bise, die mich zu immer mehr Kleidungsschichten zwang, entlang alter Spuren vorsichtig über den Gletscherrücken zum Ulrichshorn auf. Halb elf - trotz Verhauern, Wegsuche und vorübergehendem "Schlafwandel" lag ich gut in der Zeit, auch genügend Energie und Motivation waren noch da, und so freute ich mich auf das Nadelhorn, von dem immer noch Seilschaften über den NE-Grat abstiegen.

Das Windjoch machte seinem Namen alle Ehre - heute hätte es sogar den Zusatztitel "Bisenjoch" verdient. Letzte Seilschaften kreuzend, stieg ich, geschüttelt von bissigen Böen, auf einer zunächst guten Spur über den NE-Grat. Die erste Felspassage war noch leicht, bei der zweiten auf ca. 4200m war die rechte Umgehungsspur vereist, so dass ich versuchte, die Felsen direkt zu überklettern. Wegen dem starken Wind (von wegen "bläst noch schwach, villeicht mässig ganz im Westen") fühlte ich mich aber unsicher und bekam nicht nur im eigentlichen Sinne kalte Füsse, und als zudem vom Stecknadeljoch eine Führerseilschaft auf dünnem Firn hinüberquerte, entschied ich mich, nur noch 100 Hm vom Gipfel entfernt, halt auf das Zückerchen zu verzichten und das i ohne Pünktchen zu schreiben. Hinter den beiden stieg ich zurück zum Windjoch und auf einer guten Spur über den Hohbalmgletscher zum Schwarzhorn und hinunter zur Mischabelhütte, wo inzwischen bereits die drei anderen eingetroffen waren.

Wie vereinbart, gab ich der Bordierhütte Entwarnung, verabschiedete mich, und machte mich an den langen Abstieg nach Saas Fee. Dabei kreuzte ich zahlreiche zur Hütte aufsteigende Gruppen aus allen Ländern, aber für einmal empfand ich das Rauschen der Bäche nicht als beruhigend, sondern als bedrohlich, indem sie - wie z.B. die vollen Abflüsse unter dem Feegletscher - direkt aus dem Abschmelzen der Gletscher entstehen. Erschreckend auch die Ansichten von den beiden Viertausendern gegenüber, dem aperen Lagginhorn und dem nur noch mit einem Miniaturgletscherchen geschmückten Weissmies, das zunehmend zum "Braunmies" verblüht. In Visp tauschte ich mich noch mit zwei Alpinisten aus, die auf dem Galenjoch übernachtet und von dort den Nadelgrat überschritten hatten, bevor uns der übervolle Zug durch den Lötschberg zurück in unseren Alltag brachte, wo wir uns wieder mit "Biz meh Berg für dahai" über Wasser halten...

Bordierhütte

Aufstieg von St. Niklaus: vom Bahnhof St. Niklaus (1123m) gelb durch das Dorf zur Matter Vispa (ca. 1100m) hinunter, und über Tennjen (1360m) nach Hellenen (1325m). Kurz gelb, dann auf dem unmarkierten Weg bis P. 1740, weiss-rot über Alpja (2089m) zur Abzweigung 2707 und weiss-blau zuerst über den Riedgletscher (Geröll, Katzenaugen) bis P. 2750, dann über den Klettersteig zur Bordierhütte (2886m), 4h 45min, T4.

Überschreitung Klein Bigerhorn-Ulrichshorn
Von der Bordierhütte (2886m) nach SE auf einem markierten Pfad (Katzenaugen) bis ca. 2935m, nach N über sperrige grosse Blöcke auf den WSW-Rücken und diesem entlang (I-II) auf das Klein Bigerhorn (3182m), 1h, WS-. Auf Geröll und leichten Felsen (Steinmänner, Pfadspuren, I), Hindernissen rechts oder links ausweichend über den Sattel 3148, und den WSW-Grat auf das Gross Bigerhorn (3626m), und entlang dem Verbindungsgrat über das Balfrinjoch (3593m), den Balfrin NW-Gipfel (3782m, Firnrücken bis 35 Grad) und den Sattel ca. 3730m zum Hauptgipfel (3795m), 2h 45, WS-. Gleichartiger Abstieg über den S-Grat sowie P. 3642 zum Riedpass (3552m), 45min, WS-. Über den obersten Riedgletscher und den N-Rücken (bis 35 Grad, Spalten) auf das Ulrichshorn (3924m), 1h, L. Abstieg über den SW-Grat (Firn) zum Windjoch (3847m). Spalten ausweichend nach E und S (bis 35 Grad) hinunter zum Hohbalmgletscher, über diesen nach S und E zum Schwarzhorn E-Rücken bis ca. 3570m, und auf dem dem eingezeichneten Pfad zur Mischabelhütte (3336m), 1h, WS. Insgesamt 6h 30min.

Mischabelhütte
Abstieg nach Saas-Fee: weiss-blau auf dem Mischabelweg (Klettersteig) bis P. 2418, weiss-rot über Schönegge bis P. 1897, und gelb durch den Stafelwald und den Dorfkern von Saas Fee zum Busterminal (1803m), 2h 30min, T4.

Ganze Tour 13h 45min-15h.

Verhältnisse: bei auffrischender Bise sonnig mit Schleierwolken, nachts, morgens und über 3000m kühl, sonst warm und heiss. Firnauflage allgemein dünn, an den Graten und auf den Gletschern N-seitig gefroren, S-seitig aufgeweicht. Bei allen Firnpassagen alte und frische Spuren, Gletscherpassagen mit nur wenig Spalten (trotzdem oder gerade deshalb Vorsicht!).

Material: übliche Hochtourenausrüstung mit Leichthelm, -pickel, und  -steigeisen sowie 30m 6m Reepschnur, 1 Schlinge, 1 Express und 1 Eischraube für alle Fälle (nicht gebraucht).

Fahrplan: 23.15 Start, 1.45 Alpja, 4 Uhr Bordierhütte, 5.30 Klein Bigerhorn, 6.45 Gross Bigerhorn, 8.30 Balfrin, 9.15 Riedpass, 10.30 Ulrichshorn-Windjoch, 10.30-12 Uhr Versuch Nadelhorn, 13 Uhr Mischabelhütte, 15.45 Saas Fee.

Tourengänger: lorenzo


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