Doppelexpedition ALPAMAYO 5947m und HUASCARAN 6768m


Publiziert von jungend , 25. September 2019 um 17:32.

Region: Welt » Peru
Tour Datum: 8 Juli 2019
Hochtouren Schwierigkeit: S+
Wegpunkte:
Geo-Tags: PE 
Zeitbedarf: 21 Tage
Aufstieg: 3268 m
Abstieg: 3268 m
Strecke:Cashapampa
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Huaraz - Huascarán National Park
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Huaraz

Anmeldung - März 2019

 

Mit klopfendem Herzen und nervösen Händen schiebe ich den Mauszeiger auf ‘Senden’.

Auf dem Bildschirm vor mir leuchtet die Anmeldung zur Alpamayo und Huascaran Expedition auf.

In den letzten Wochen und Monaten habe ich immer wieder mit dieser Entscheidung gerungen, mit mir debattiert und argumentiert. Habe ich genug Bergsteigerfahrung für eine solche Tour? Bin ich mental stark genug? Wie wird mein Körper auf diese Höhen reagieren? Ist mir die Expedition eine solche Summe Geld wert?

Letzten Endes musste ich mir aber eingestehen: eine gewisse Unsicherheit und ein Restrisiko wird immer bestehen bleiben, ganz egal wie oft ich alles durchdenke und abzuschätzen versuche. 

Doch eines konnte ich mit Sicherheit sagen: Ich würde es eines Tages bereuen, wenn ich es nicht wagen würde.

Mit zumindest dieser Gewissheit im Herzen atme ich ein letztes Mal tief durch. *Klick*.

 

Tag 1 - 08. Juli 2019

 

Es ist sechs Uhr in der Früh und wir sind soeben am Flughafen in Lima, Peru angekommen. Hinter uns liegt eine 15 stündige Flugreise, vor uns eine achtstündige Busfahrt nach Huaraz.

Soweit hat alles reibungslos geklappt und unser Chauffeur vor Ort erwartete uns bereits. Mit einem Mini-Bus werden wir vom Flughafen zum Busterminal gebracht, wo eine zweieinhalbstündige Wartezeit auf den Reisebus meine Stimmung allerdings etwas dämpft.

Die Busfahrt nach Huaraz ist dann jedoch äusserst angenehm und der Reisebus sehr komfortabel. Einzig die bestialisch stinkende Bustoilette hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack bei den zu nahe sitzenden Reisegefährten.

 

In Huaraz angekommen werden wir direkt zu unserem Hotel gebracht, welches meine Erwartungen übertrifft. Anstelle einer billigen Absteige erwartet uns ein geräumiges, ordentliches Zimmer westlichen Standards. Die Betten sind grosszügig und bequem, der Stil gemütlich-rustikal mit viel Holz und die Toilette und Dusche erfüllen problemlos europäische Standards.

Gefrühstückt wird im obersten Stock mit herrlicher Aussicht auf die Berge der Cordillera Blanca, allen voran dem Huascaran, also quasi mit unserem höchsten Ziel vor Augen.

 

Für das Abendessen wird all abendlich ein westlich angehauchtes Restaurant in Huaraz ausgewählt, wo wir à la Carte speisen dürfen, freie Menüwahl, 3 Gänge, alles im Preis inbegriffen. Wir Teilnehmer haben dies sehr geschätzt, ist es doch ein wohliges Gefühl, nach Herzenslust von der Karte auswählen zu dürfen.

 

Tag 5 - 12. Juli 2019

 

Nach drei Tagen gefüllt mit diversen Ausbildungssegmenten, zwei Akklimatisierungsausflügen und der Erkundung von Huaraz ist es nun an der Zeit, das eigentlich Ziel unserer Reise in Angriff zu nehmen. Nevado Alpamayo.

Wir lassen das uns lieb gewordene Huaraz mit all seinen Andersartigkeiten hinter uns und werden in einem abermals bequemen Reisebus nach Cashapampa chauffiert.

 

Die erste Hälfte der dreistündigen Fahrt verläuft ruhig. Danach geht es auf einer gewundenen, unbefestigten Strasse an steilen Berghängen hoch. Diese ist zwar in einem guten Zustand, auf manchen Abschnitten aber eng, ohne Leitplanken und auf einer Seite geht es steil ins Tal hinunter. An gewissen Stellen wird einem durchaus etwas mulmig und man betet insgeheim, dass der Busfahrer einen ebenso starken Lebenswillen wie man selbst hat. Dieser führt den Bus dann auch sicher die Kurven hoch und bald stehen wir am Dorfeingang vom Cashapampa.

Kurz vor dem Parkplatz hält der Busfahrer noch einmal an, zückt unter unseren verwunderten Blicken eine Machete, steigt aus dem Bus, hackt einige in die Strasse hängende Äste ab, steigt wieder ein und chauffiert seine belustigten Passagiere die letzten Meter zum Ziel.

 

Während unser Gepäck aus dem Bus auf die Maulesel geladen wird, stellen sich uns die lokalen Führer und Träger vor. Leider spricht nur der Chefbergführer Englisch und da mein Spanisch nicht-existent ist, wird die Kommunikation für den Rest der Reise hauptsächlich aus Handzeichen und Mimik bestehen. 

Nachdem die Vorstellungsrunde beendet, unsere Rucksäcke marschbereit und die Zwischenverpflegung eingepackt ist, geht die Reise los. Unsere Gruppe wandert frohen Mutes auf dem langsam ansteigenden Trekkingpfad immer tiefer ins Santa Cruze Tal hinein. Bald ist auch der letzte Strich Mobiltelefonempfang verschwunden und wir sehen nur noch die zwei Hügelketten links und rechts vor uns.

 

Nach circa zweieinhalb Stunden wird ein Mittagshalt einberufen. Wie bei uns in Europa üblich erwarten wir ein belegtes Brot und Snacks als Mahlzeit - doch als wir um die nächste Kurve biegen, stehen wir vor einer gedeckten Tafel, Stühle und Tischtuch inklusive. Erstaunen mischt sich mit Begeisterung. Wir können es kaum fassen, dass uns hier, irgendwo im hohen nirgendwo, eine warme Mahlzeit auf Tellern serviert wird, zu verspeisen mit Messer und Gabel, im Schatten eines Baumes gleich neben einem lauschigen Bach.

Ein vorlauter Teilnehmer beschreibt die Erfahrung im Spass wie folgt: “Ich habe gedacht, wir besteigen Alpamayo im Alpinstil, jetzt aber stellt es sich als Kolonialstil heraus.”

 

Gestärkt an Körper und Geist marschieren wir weiter. Das Tal weitet sich nun immer mehr aus und bald darauf erreichen wir unser erstes Camp ‘Ichicoccha’ auf 3900 Meter. Unsere Zelte sind bereits aufgebaut, unser Gepäck liegt ordentlich aufgeschichtet in der Mitte des Camps und ein Toiletten-Zelt steht etwas ausserhalb für grössere und kleine Bedürfnisse bereit.

Als uns dann noch ein kunstvoll zubereiteter Drei-Gänger zum Nachtessen in einem extra dafür aufgebauten Speisezelt serviert wird, dämmert es auch dem letzten Teilnehmer: diese Expedition ist kein Überlebenscamp, sondern Luxus-Camping.

 

Tag 6 - 13. Juli 2019

 

Nach einer weiteren gemütlichen vierstündigen Wanderung kommen wir am frühen Nachmittag im Alpamayo Basecamp auf 4200 Metern an. Uns erwartet der gleiche Luxus wie am Tag zuvor: Die Zelte sind bereits aufgebaut, wir werden mit herrlichem Essen verwöhnt und um Punkt 16:00 gibt es sogar eine Tea-Time mit hausgemachten Snacks. Es fehlt uns wahrlich an nichts.

Unsere einzige Sorge ist unser Bergführer Franz, welcher seit gestern durch Magen-Darm Probleme schwer angeschlagen ist und einen Teil des Aufstiegs sogar auf dem Esel zurückgelegt hat.

 

Der angebrochene Nachmittag wird dann noch für eine kurze Ausbildungssequenz genutzt und die Bergführer nehmen sich nochmals Zeit, die technisch benötigten Fähigkeiten für den Alpamayo Gipfeltag genau zu erklären und mit uns einzuüben.

 

Tag 7 - 14. Juli 2019

 

Für heute steht die Akklimatisationstour ins Moränen-Camp auf 4900 Meter auf dem Programm. Der schneefreie Auf- und Abstieg ist technisch einfach, doch die Höhe macht sich nun langsam aber sicher bemerkbar. Das Atmen fällt schwerer, die Reservekräfte schwinden und Exploits werden zum puren Kraftakt. Leider bleibt einigen Teilnehmern die Tour wegen Magen-Darm Beschwerden, die sie wohl noch von Huaraz mitgeschleppt hatten, verwehrt.

 

Tag 9 - 16. Juli 2019

 

Seit gestern Mittag sind wir nun im Moränen Camp. Da die Maulesel nur bis zum Basecamp gehen konnten, mussten wir diesen Abschnitt mit deutlich mehr Gepäck bewältigen. All unser persönliches Material wie Schlafsack, Isomatte, Pickel und Steigeisen durften wir auf unseren eigenen Schultern schweisstreibend hochtragen.

Doch spätestens als wir sahen, was für schwere Lasten unsere Träger da hochgeschleppt hatten (z.B. eine 30kg Gasflasche und mehrere Zelte) wagte sich keiner mehr, auch nur ansatzweise über schwere Rücksäcke zu klagen.

 

Für den heutigen Tag wäre eigentlich der weitere Aufstieg über den Gletscher ins Hochlager vorgesehen. Jedoch haben sich bei diversen Expeditionsteilnehmer erste Anzeichen von Höhenkopfschmerzen und Übelkeit eingestellt, weshalb unser Bergführer Franz nach Konsultation der neusten Wetterkarten entscheidet, den Reservetag für eine weitere Akklimatisationsnacht hier im Moränen Camp zu verwenden.

Nachdem ich den aufsteigenden Frust über diese Entscheidung verarbeitet hatte, kam uns die Idee, auf dem nahegelegenen Gletscher ein Eisklettertraining mit unseren Bergführern durchzuführen. Eine gute Entscheidung. Endlich zeigte mir einmal jemand die richtige Technik und Körperhaltung beim Eisklettern. Und der Begriff ‘die Banane machen’ (Hüfte bei aufrechter Haltung Richtung Eis gedrückt halten) wurde seit jenem Nachmittag zum Running-Gag auf unserer Expedition.

 

Tag 10 - 17. Juli 2019

 

Endlich ist es soweit. Der Aufstieg zum High Camp auf 5400 Meter kann in Angriff genommen werden. Die schweren Rucksäcke sind abermals gepackt, Steigeisen und Klettergurt angeschnallt und Seilschaften gebildet. 

Unter der Leitung der Bergführer kämpfen wir uns den Gletscher hoch. Schritt für Schritt, Höhenmeter für Höhenmeter, Atemzug um Atemzug. Die Aussicht wird mit jedem Schritt schöner und es fühlt sich gut an, endlich Schnee und Eis unter den Füssen zu haben. Bye bye Trekking, endlich beginnt das Bergsteigen.

Nach einigen Stunden und einer kurzen aber steilen, mit Fixseilen versehenen Eiskletterstelle haben wir es endlich geschafft. Wir stehen auf dem Sattel zwischen Quitaraju und Alpamayo. Und hier sehen wir sie endlich, die wunderschöne und bezaubernde Südwestwand des Alpamayo; der Grund für all unsere Strapazen, der Grund für unsere Reise um die halbe Welt.

 

Zu unserer grossen Freude reisst just in jenem Moment der bis anhin verhangene Himmel auf und die untergehende Abendsonne lässt die Eiswand in glänzendem Licht erstrahlen. Verzückt schiessen wir Fotos, posieren und halten diesen eindrücklichen Moment mit unseren Herzen und Mobiltelefonen fest.

 

Leider kriege ich kurze Zeit später starke Höhenkopfschmerzen und muss mich hinlegen. Ich zwinge mich, noch etwas Nahrung zu mir zu nehmen, werfe eine Kopfschmerztablette ein und  lege mich gleich nach Sonnenuntergang schlafen. 

 

Tag 11 - Gipfeltag - 18.07.2019

 

Um Mitternacht reisst mich der Wecker aus dem Schlaf. Zu meinem Erstaunen und meiner grossen Freude haben sich meine Kopfschmerzen vollständig verflüchtigt. Mein Zeltmitbewohner und ich ziehen uns Schicht für Schicht an, zuerst im Schlafsack, dann im Zelt und zum Schluss draussen vor dem Zelt. Zu unserer Überraschung haben sich die Wolken vollständig verzogen und wir werden von einem strahlenden Sternenhimmel begrüsst. Nevado Alpamayo leuchtet hell im Lichte des Vollmondes und lässt unsere Vorfreude auf die kommenden Stunden nochmals ansteigen.

 

Um 01:00, nach einem kurzen Frühstück und mit frisch gefüllten Thermosflaschen, machen wir uns auf den einstündigen Marsch über den Gletscher zum Bergschrund des Alpamayo. In der Wand sehen wir bereits die Lichter unserer lokalen Bergführer, welche damit beschäftigt sind, Fixseile in die Wand zu hängen.

 

Am Bergschrund angekommen hängen wir uns in die Fixseile ein und beginnen mit dem Aufstieg. Gleich zu Beginn gilt es die schwierigste Stelle zu überwinden. Der Bergschrund eine steile Stufe in die Wand gerissen hat, welche aus pulverigem Schnee besteht, weshalb sich unsere Eispickel daran als beinahe nutzlose erweisen. Mit vereinten Kräften und der Hilfe des Fixseils schafft es dann doch Einer nach dem Anderen, die Stelle zu überwinden.

Da ich das Schlusslicht unserer Truppe bilde, heisst diese Schlüsselstelle für mich erst einmal 45 Minuten Wartezeit. Meine Zehen werden kalt und ich friere ein wenig und bin froh, als dann auch ich endlich an der Reihe bin.

 

Nach der Überwindung der Stufe am Bergschrunds kommt eine weitere, unerwartete Schwierigkeit hinzu. Durch die voraussteigenden Kollegen prasselt konstanter Eis- und Schneeschlag auf uns nieder. Aufschauen verboten, sonst kriegst du was auf die Nase (zwei Teilnehmer haben sich dann auch blutige Nasen geholt). Immer wieder treffen uns tennisballgrosse Eisstücke an Armen und Helm. Doch wir lassen uns nicht beirren und steigen Meter für Meter auf, Eispickel in der einen, Steigklemme in der anderen Hand.

 

Von Zeit zu Zeit kommt es zu kleineren Staus und Wartezeiten. Doch angesichts der erhöhten Anstrengung und des knapper werdenden Sauerstoffs sind diese meist ganz erträglich und manchmal sogar erwünscht. Und ebenfalls positiv: Durch die Kletterei sind meine Zehen wieder aufgetaut, worüber ich ausserordentlich dankbar bin.

 

Um circa 06:00, im ersten Licht der aufgehenden Sonne, erreiche auch ich als Letzter den Gipfel. Leider bleibt uns der zehn Meter hohe Eispilz auf dem Gipfel des Alpamayo, also der absolut höchste Punkt des Berges, verwehrt, da dieser stark abbruchgefährdet ist (zwei Tage nach uns ist dann auch ein Teil davon abgebrochen und hat aufsteigende Bergsteiger mittelschwer verletzt).

Doch die Sicht hier oben ist fantastisch, die Morgenröte hat die Bergspitzen rund um uns in sanfte Orangetöne getaucht und wir geniessen jeden Augenblick an diesem einzigartigen Ort.

Zu unserer Enttäuschung dürfen wir nur ein paar Minuten verweilen, bevor wir uns einer nach dem anderen wieder in die Tiefe abseilen müssen.

 

Nach dem überstandenen Abseilmarathon gratulieren wir uns alle am Fusse der Eiswand mit strahlenden Gesichtern zu unserem geglückten Gipfelsturm. Anschliessend marschieren wir zusammen über den Gletscher ins High Camp zurück, wo wir heissen Tee und ein wohlverdientes Frühstück geniessen.

 

Tag 13 - 19.07.2019

 

Schlaftrunken schlage ich die Augen auf, ziehe die Decke bis zum Kinn hoch und geniesse das Gefühl der komfortablen Matratze unter meinen Rücken. Die Nacht im Hotel nach sieben Tagen in der Wildnis fühlt sich an wie Himmel auf Erden. Ganz bewusst sauge ich das wohlige Gefühl in mich auf und geniesse jeden Augenblick davon.

 

Zwei Tage ist es her, seit wir auf dem Gipfel des Alpamayo gestanden haben. Nach dem Gipfeltag, der anschliessend letzten Nacht im Alpamayo Basecamp und dem entspannten aber langen Abstieg am darauffolgenden Tag zurück nach Cashapampa (inklusive einem herrlich erfrischenden Bad im Bergbach - unserer ersten „Dusche“ seit sieben Tagen) sind wir gestern um 19:00 Uhr zurück nach Huaraz gekommen.

 

O wie wir uns gefreut haben, uns endlich aus den verschwitzten, stinkenden Klamotten zu befreien und unsere Körper unter dem Strahl einer herrlich warmen Dusche zu reinigen. Eine Wohltat wie ich sie noch selten erlebt habe. Die kurzzeitigen Entbehrungen am Berg führen einem den Luxus des westlichen Lebens nochmals deutlich vor Augen und lassen einem diesen bewusster und dankbar geniessen.

 

Und endlich haben auch unsere Mobiltelefone wieder Empfang und wir können mit unseren Liebsten und Followers voller Stolz die eindrücklichen Fotos unserer erfolgreichen Gipfelbesteigung teilen.

Da viele meiner Freunde und Kollegen äusserst interessiert am Verlauf unseres Abenteuers sind, verbringe ich einen Grossteil des heutigen freien Tages mit dem kreieren einer Instagram - Story.

(Einige Posts hiervon sind auf meinem Instagram zu finden: IG-Name: jungendanny - Einträge vom Juli 2019).

 

Tag 14 - 20.07.2019

 

Nach zwei erholsamen Nächten im Hotel geht es heute wieder ‚zu Berge‘. Huascaran Sur, also der  höhere der beiden Huascaran Gipfel, erwartet uns. Da diesmal keine Maultiere zum Einsatz kommen und wir den grössten Teil unserer persönlichen Ausrüstung selber hochtragen müssen, überlegen wir zweimal, bevor wir etwas in unsere Rücksäcke packen.

Da am Huascaran grundsätzlich alpin geführt wird, lassen wir auch die Steigklemme und das Abseilgerät im Hotel zurück.

 

Eine erste freudige Überraschung erleben wir bereits bei der Anfahrt zum Berg, als wir feststellen, dass uns der Bus nicht nur wie im Tourenbeschrieb festgehalten bis auf 3020m hochbringt, sondern eher bis auf 3300m oder 3400m, was unseren Aufstieg zur Don-Bosco Hütte erheblich erleichtert. Den lokalen Bergführern und ihren Kenntnissen sei Dank.

 

Nach mehrstündigem, schweisstreibendem Aufstieg erreichen wir eine äusserst komfortable Berghütte und werden in einem grosszügigen Mehrbettzimmer einquartiert. Breite Matratzen, fliessendes Wasser, Elektrizität und ein italienisches Hüttenwart-Paar, dass uns nach italienischer Art mit Spaghetti und anderen Köstlichkeiten im wohlig beheizten Speisesaal verwöhnt.

Und ja, hier oben gibt es sogar 4G Empfang.

 

Tag 16 - 22.07.2019

 

Gestern sind wir von der Hütte zum Hochlager I hochgestiegen. Wie kleine Jungs in der Sandgrube ebneten wir dort mit Eispickeln unsere Zeltstandplätze, jeder darauf bedacht, denn ebensten Platz zu graben. Darauf hin genossen wir ein gemütliches Abendessen, untermalt von einem spektakulären Sonnenuntergang, und schlüpften anschliessend in unsere Schlafsäcke für eine entspannte Nacht auf dem Gletscher.

 

Um 04:00 werden wir aus dem Schlaf gerissen. Tagwache. Wir packen unsere Habseligkeiten zusammen, geniessen heissen Tee und etwas Brot zum Frühstück und machen uns in unseren Seilschaften an den weiteren Aufstieg. Da die Normalroute über die rechte Seite des Gletschers unterhalb des Huascaran Sur (Gargantua Falls) zur Zeit besonders eisschlaggefährdet ist, beschliessen unsere Bergführer, eine Alternativroute zu begehen. Wir haben das grosse Glück, dass zur Zeit eine US-Forschungsexpedition am Hochlager II verweilt. Da deren Träger auch durch den Tag Versorgungsauf- und abstiege zur Forschungsstation machen müssen, wurden auf der linken Seite des Gletschers unterhalb des Nordgipfels Fixseilstrecken inklusive Lastenaufzügen installiert.

 

Die verantwortlichen Bergführer waren so freundlich, uns die Benutzung ihrer Route und Fixseile anzubieten, was wir mit einem angemessenen Trinkgeld zu honorieren wussten. Dies ermöglicht uns einen sicheren Auf- und Abstieg zu jeder Tag- und Nachtzeit. Um ihren Trägern aber nicht in die Quere zu kommen, beschlossen wir, früh morgens aufzubrechen.

 

An den Fixseilen angekommen, bereue ich, meine Steigklemme im Tal zurückgelassen zu haben, wäre diese hier doch sehr nützlich. So aber muss die Prusikschnur deren Aufgabe übernehmen. Auf halber Höhe, als der Aufstieg ausgesetzter und das Kraxeln in Eiskletterei übergeht, erreichen wir dann aber ein Depot mit einem Dutzend bereitgelegten Steigklemmen, mit welchen wir auf Geheiss der Bergführer die Prusikschnüre ersetzen und unseren Aufstieg so bequemer vorsetzen können.

 

Nachdem diese spannende Passage mit ihren wilden, skurrilen Eisformationen überwunden ist, erreichen wir nach kurzem, aber anstrengendem Aufstieg unser Hochlager II. Es liegt majestätisch inmitten des Gletschers, gut 30 Minuten unter dem Sattel zwischen Nord- und Südgipfel, direkt unterhalb einer circa zehn Meter hohen Eiswand auf 5800 Metern. Von hier geniesst man einen herrlichen Blick hinab ins Tal und über die Cordillera Negra. Und yup, auch hier erfreut sich mein Mobiltelefon am 3G Empfang, was einem trotz Abgeschiedenheit in wilder Natur ein wenig das Gefühl vermittelt, doch mit dem Rest der Welt verbunden zu sein.

 

Tag 17 - Gipfeltag - 23.07.2019

 

Reges Treiben macht sich im Camp breit. Schläfrig schaue ich auf die Uhr: Es ist Mitternacht. Zeit, aufzustehen und mich marschbereit zu machen. Ich ziehe meine wärmsten Kleider an, stecke eine zusätzliche Jacke in meinen Rucksack und lasse meine Flaschen mit frischem Heisswasser auffüllen.

Um 00:30 gibt es ein Beutelfrühstück (Travel Food) und um 01:00 Uhr marschieren wir los. 

Auf dem Gletscher kommen wir zügig vorwärts, da durch das Auf und Ab der Forschungsexpedition ein klar ausgetretener Pfad erkennbar ist.

Der wolkenlose Himmel gibt den Blick auf ein glitzerndes Sternenzelt frei und der Gletscher reflektiert das helle Mondlicht. Perfekte Bedingungen für den Aufstieg.

Circa eine Stunde nach Abmarsch haben wir den Sattel zwischen den beiden Gipfeln überquert und stehen am Fusse des Huascaran Sur, wo unserer eigentlicher Aufstieg beginnt.

 

Während der Tourenvorbereitung für den Huascaran war hauptsächlich von steilem Gehgelände aus Eis und Schnee die Rede gewesen. Dementsprechend habe ich mich mental auf solche Konditionen eingestellt. Doch die Firnwand, die sich jetzt im Dunklen vor uns erhebt, fällt definitiv nicht mehr in die Kategorie ‚steiles Gehgelände‘. Trotzdem steigen unsere Bergführer ohne grosses Zögern in die Wand ein und sichern ihre nachkommenden Seilschaften (jeweils 1 Bergführer und 2 Teilnehmer) immer wieder mit Firnankern. 

 

Nach 50 Metern in der Wand wird uns jedoch klar, dass der teilweise unkoordinierte Einstieg von  fünf aufeinanderfolgenden Seilschaften in die 150-200 Meter hohe Wand ziemlich chaotisch verlaufen ist. Es ist keine klare Reihenfolge erkennbar, Seilschaften überholen sich und es kommt sogar zu Kreuzungen.

Auf Kommando der Bergführer kommt die ganze Expedition zu einem Halt. Es ist 02:30 und wir stecken im Dunklen der Nacht in mitten einer Firnwand. Was nun? Kurzzeitig ist von umdrehen die Rede, von abbrechen und umkehren. Machen wir so weiter, ist die Situation zu riskant. Doch die Bergführer koordinieren sich noch einmal untereinander, bestimmen eine eindeutige Reihenfolge, verständigen sich darauf nicht weiter zu kreuzen und bestimmen einen Sammelpunkt weiter oben unter einer großen Spalte.

Und so kämpft sich eine Seilschaft nach der anderen, immer mal wieder durch einen Firnanker gesichert, die Wand hoch, bis wir nach circa 200 Meter beinahe flaches Gehgelände erreichen.

 

Von dort folgen wir der langsam ansteigenden Wegspur, wobei es immer mal wieder kurze, steilere Passagen zu überwinden gilt. Zunehmend macht uns auch die Höhe zu schaffen. Ich merke, wie mein Körper keine Sauerstoffreserven mehr hat und ich deshalb ein gewisses Tempo nicht länger als ein paar Sekunden überschreiten kann.

 

Bald liegen die schwierigeren Passagen hinter uns und wir gelangen auf ein steiles, endloses langes Schneefeld, welches uns über die letzten 300 Höhenmeter auf den Gipfel führen wird.

300 Höhenmeter klingt nach wenig. Doch das Gegenteil ist der Fall, gilt es doch zu bedenken, dass nun jeder Meter hart erkämpft werden muss. Je höher wir steigen, desto anstrengender wird der Aufstieg für unsere Körper und wir werden langsamer und langsamer. Einige der Teilnehmer bleiben alle paar Minuten erschöpft stehen und ringen tief vornübergebeugt nach Luft (und die anderen sind froh darüber, da auch sie die Verschnaufpausen gut gebrauchen können).

 

Auch ist durch die konkave Form des Berges der Gipfel lange Zeit nicht sichtbar. Nach jeder überwundenen Anhöhe taucht eine weitere auf. Ist ein solcher Gipfelanstieg schon auf alpinen Höhen eine Tortur, wird er hier erst recht zur Qual.

Doch niemand mag jetzt, so kurz vor dem Ziel,  ans Aufgeben denken. Schliesslich sind wir für diese paar Stunden, für diese letzten Meter, hierhergekommen.

Und dann, wir trauen unseren Augen kaum, sehen wir ihn, den höchsten Punkt, den Gipfel. Eine flache, fussballfeldgrosse Ebene erstreckt sich vor uns. Mit einem dicken Grinsen im Gesicht marschiere ich die letzten paar Meter zum höchsten Punkt und stosse dabei einen lauten Jubelschrei aus.

Wir haben es geschafft. Wir stehen auf dem höchsten Berg Perus und auf einem der höchsten in ganz Südamerika. Und das in herrlichem Sonnenschein und mit gigantischem Panoramablick auf die umliegenden 5000 und 6000er der Cordillera Blanca.

Wir umarmen uns gegenseitig, schlagen High-Fives und schiessen unzählige Gipfelfotos.

We did it. Been there, done that.

 

Da einigen Teilnehmern die Höhe und Kälte zu schaffen macht, treten wir nach 30 fantastischen Minuten auf dem Gipfel den Abstieg an. An den steilen Stellen richten unsere Bergführer Fixseile ein, an denen wir uns mit Hilfe unserer Prusikschnüre ablassen. 

Gegen Mittag kommen wir alle wieder heil im High Camp II an, wo wir uns zuerst einmal stärken und hinlegen.

Danach beschliessen wir im Kollektiv, gelockt vom Gedanken an Spaghetti und einem warmen Bett, den Abstieg bis zur Don Bosco Hütte fortzuführen (der Gletscher kann dank der Fixseile auf der Alternativroute ausnahmsweise auch am Nachmittag überquert werden).

 

Und so kommen wir nach Sonnenuntergang um circa 20:00 bei der Don Bosco Hütte an, wo wir einmal mehr gastfreundlich empfangen und herrlich bekocht werden, bevor wir anschliessend erschöpft zu Bett fallen. Was für ein fantastischer Tag.

 

Tag 19 - 25.07.2019

 

Nach dem Abstieg ins Tal und der anschliessenden Busfahrt zurück nach Huaraz sind wir gestern alle wohlbehalten in die Zivilisation zurückgekehrt. Da wir den Reservetag am Berg nicht benötigt haben, haben wir heute einen Tag zur freien Verfügung. Dies heisst zwar, dass wir die zusätzliche Nacht im Hotel aus der eigenen Tasche berappen müssen, dafür aber eine Nacht weniger im Zelt verbringen mussten. Alles in allem ein willkommener Deal für alle Expeditionsteilnehmer. Den freien Tag nutzt die ganze Gruppe für einen Ausflug zu nahegelegenen heissen Quellen, wo wir das warme Wasser nach den Tagen im Eis und Schnee in vollen Zügen geniessen.

 

Tag 21 - 27.07.2019

 

Soeben hat uns die Reisebegleiterin des Nachtbusses geweckt. Nach einer bequemen Fahrt im fast flachen Liegesitz sind wir wieder zurück in Lima. An der Busstation ist nun die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen. Einige von uns bleiben noch etwas länger in Peru, andere fliegen zu verschiedenen Zeiten zurück nach Europa.

Der letzte Lapsus unterläuft uns dann allerdings beim Aussteigen aus dem Nachtbus, als wir nach 45 Minuten Wartezeit auf den Transferbus zum Flughafen bemerken, dass wir an der falschen Station ausgestiegen sind. Tja, nach drei super Wochen mit optimalen Bedingungen stecken wir das alle mit einem Lächeln weg.

Wir umarmen uns, wünschen uns das Beste für die Zukunft und sagen ‘Leb Wohl’ während Einer nach dem Anderen seiner Wege geht. Gut wars mit euch. Zusammen haben wir gelitten, zusammen haben wir überwunden - zu den höchsten Gipfeln Perus und zurück.



Die Expedition wurde organisiert und geleitet vom DAV Summit Club Deutschland


Tourengänger: jungens, ehlebr8, jungend


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Kommentare (5)


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jungens hat gesagt: Cooler Bericht
Gesendet am 25. September 2019 um 18:09
Danke für den Bericht! Liest sich super!

mannvetter hat gesagt:
Gesendet am 27. September 2019 um 18:00
Wow, das macht große Lust!

jungend hat gesagt: RE:
Gesendet am 29. September 2019 um 23:14
:-) da gehts dir ja gleich wie uns. Am Anfang war man irgendwie froh, dass es vorbei ist und man all die Strapazen hinter sich hat, doch je länger das Abendteuer hinter einem liegt, desto mehr Lust hat man, wieder zu gehen.

Cubemaster hat gesagt: Der Hammer!!!
Gesendet am 3. Februar 2020 um 18:10
Super Bericht und tolle Bilder. Und meinen herzlichen Glückwunsch, dass das direkt beim ersten Mal hingehauen hat, da braucht's neben einem unbedingten Willen auch eine ordentliche Portion Glück!
Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich das irgendwann mal versuchen soll... Dein Bericht macht aber wirklich große Lust darauf! Für mich ist es ein sehr schöner Einblick, weil ich es ebenfalls mit dem Summit Club probieren würde.

Und ich habe es auch immer genauso erlebt wie du: Je länger so eine Expedition hinter einem liegt, desto mehr verblassen die unangenehmen Seiten und die schönen Erlebnisse bleiben präsent. Dann will man natürlich wieder los...

Noch viele schöne Touren!

Cubemaster

jungend hat gesagt: RE:Der Hammer!!!
Gesendet am 17. Februar 2020 um 10:52
Besten Dank für das freundliche Feedback :-)
Ja, da kannst du echt von Glück reden, an den beiden Gipfeltagen hat einfach alles perfekt gepasst. Sind auch alle Teilnehmer bei beiden Gipfeln hochgekommen.

Und das mit den unangenehmen Seiten kann ich nur bestätigen. Die sind so ziemlich verblasst :-D.

Hoffe, du schaffst es auch eines Tages dahin, war echt ein tolles Erlebnis.

Weiterhin gutes Bergsteigen dir

Jungend


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