Überschreitung Piz Palü von West nach Ost


Publiziert von Michael26 , 28. August 2019 um 19:35.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum:23 August 2019
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Palü-Gruppe   Bernina-Gruppe   I 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 2000 m
Strecke:ca. 20 km

Neuer Anlauf in der Bernina nach der Palü-Besteigung vor drei Jahren, und natürlich soll es diesmal der höchste Gipfel, die Piz Bernina, werden. Aber reicht die Kondition ? Zwar habe ich eine längere Tour im Gesäuse gemacht (siehe meinen Eintrag vom Rossschweifgrat) und mehrere Einheiten im Fitness-Studio mit Höhensimulation (sogar auf einer Höhe von 5.000 MüNN) absolviert, aber dann erwischt mich wieder einmal eine Woche vor Tourenstart ein grippaler Infekt. Es ist wie verhext, trotzdem will ich es versuchen.
 
Zum Eingehen geht es am Mittwoch trotzt Grippe-Hangover ganz entspannt über Ostgrat und Nordwandsteig auf die Alpspitze, dann mache ich mich am Donnerstag 22.8. auf den Weg ins Engadin. Statt des langwierigen Aufstiegs aus dem Tal genehmige ich mir die Gondel auf das Diavolezzahaus und nutze die verbleibende Tageszeit, um den Weg zum Fortezzagrat zu erkunden. Dass ein direkter Abstieg hinunter auf den Persgletscher nicht so einfach zu finden ist, haben wir schon vor drei Jahren (allerdings in der anderen Richtung) erlebt. Und tatsächlich komme ich diesmal zwar bis hinunter zur Seitenmoräne, aber für die letzten 50 Hm hinunter zum Gletscher finde ich auch diesmal im näheren Umkreis keinen Steig. Egal, es wird auch so gehen. Ich drehe um, kehre zum Diavolezzahaus zurück und gegen Abend trudeln auch meine drei Bergkameraden ein. Unsere beiden Juniors (Alter unter 40) kommen praktisch ohne Höhenakklimatisierung und meine Zweifel steigen, ob wir den weiten Weg und die reichlichen Höhenmeter bis über den Spallagrat auf den Piz Bernina bewältigen werden.
 
Kurz nach 5h starten wir am Freitag morgen unsere Tour. Draussen ist es noch dunkel, es ist nebelig und schneit anscheinend schon länger, denn am Weg liegen 5 cm Neuschnee. Da der Wetterbericht deutliche Besserung verspricht, lassen wir uns nicht abhalten und gehen los. Wie schon am Vortag festgestellt, führt der Steig nicht bis hinunter auf den Gletscher und uns bleibt nichts anderes übrig, als den steilen unteren Teil Freestyle durch Schutt und Blockgeröll nach unten abzufahren.
Etwas linkshaltend überqueren wir den Persgletscher, da wir erst gar nicht auf die Isla Pers steigen, sondern weiter links durch einen Durchschlupf direkt auf den unteren Fortezzagrat gelangen wollen. 
Zuerst verlieren wir etwas Zeit, da uns größere Gletscherspalten zu einigen Ausweichmanövern zwingen (was man von oben von der Diavolezza aus nicht unbedingt erkennt), doch dann finden wir eine Spur zum Durchschlupf und erreichen direkt den unteren Abschnitt des Fortezzagrates. Über einige steile Firnhänge gelangen wir zum felsigen Teil des Grates.
Bis hierher ist es bei mir gut gelaufen und ich bin problemlos aufgestiegen. Leider sind jedoch unsere beiden nicht akklimatisierten Juniors noch nicht auf Betriebstemperatur und unser Tempo daher schon jetzt sehr langsam. Ein zäher Start.
 
Der felsige Abschnitt des Grates bewegt sich im SG II-III und ist teilweise richtig steil, lässt sich bei guten Verhältnissen jedoch von erfahrenen Bergsteigern mit gutem Gewissen seilfrei ersteigen. Jetzt liegen jedoch 5 cm Schnee auf den Felsen und die Abschnitte auf der Westseite, auf die noch keine Sonne fällt, sind vereist. Sicherheitshalber beschließen wir daher den Aufstieg durchgängig zu versichern (ca. 5 SL mit einem 50m Seil).
Da wir zu viert sind und nur ein Seil dabei haben wählen wir folgende Taktik: Der Erste steigt vor, die beiden Folgenden prusiken am Seil hoch (wie an einem Fixseil) und der Letzte steigt nach. Grundsätzlich ist dies eine effizient Methode für den Aufstieg, trotzdem brauchen wir eine ganze Weile, bis wir den obersten Felsturm erstiegen haben (2-3h ?).
Oben wird gerastet und die Steigeisen werden angelegt. Bis wir den restlichen Aufstieg auf die Bellavistaterasse beginnen, ist es schon fast Mittag.
 
Der Weiterweg zur Marco-e-Rosa Hütte ist ein Gletscherhatscher und bis auf den Abstieg von der Bellavistaterasse technisch unschwierig, nur einmal geht es richtig steil zwischen Gletscherspalten hinunter (45 Grad, wir gehen teilweise mit Frontalzacken !). Aber es sind nochmals 500-600 Hm und mehrere Kilometer Entfernung zu bewältigen und auf dieser Etappe, ich gebe es zu, breche ich etwas ein. Während unsere Juniors jetzt immer schneller werden, werde ich immer langsamer und wir bremsen uns wieder gegenseitig aus. Bis wir endlich die Marco-e-Rosa Hütte erreichen ist der Nachmittag schon halb vorbei. Grundsätzlich ist das kein Problem, aber wie wird es uns am nächsten Tag ergehen ? Ist es realistisch bei dieser Form darauf zu hoffen, an einem Tag auf die Piz Bernina und zurück über den Piz Palü (oder den Fortezzagrat) zum Diavolezzhaus zu gelangen ? Hätten wir noch einen weiteren Tag für die Tour zur Verfügung, würde es wohl reichen, haben wir aber nicht. Also entscheiden wir uns schweren Herzens den Spallagrat auszulassen und am nächsten Morgen direkt den Rückweg über den Piz Palü zur Diavolezza anzutreten.
Trotzt der Enttäuschung bin ich ehrlich gesagt auch über diese Entscheidung erleichtert, denn es geht mir nicht sehr gut und schon alleine die Überschreitung des Piz Palü erscheint mir herausfordernd genug.  
 
Ein kleiner Exkurs über die Errungenschaften der Marco-e-Rosa Hütte sei mir an dieser Stelle erlaubt. Wichtig zu wissen ist, dass es sich um die höchste Hütte der Ostalpen (3.600 MüNN) und um eine italienische, nicht schweizer, Hütte handelt. Das hat Vor- und Nachteile. Zu letzteren zählen leider die äußerst spartanischen sanitären Verhältnisse (keine Dusche weit und breit, Waschgelegenheiten mager, ein Sitzklo plus zwei Stehklos), die italienisch inspirierte Verpflegung dafür zu ersteren. Wir finden unser Quartier im Winterlager, was ein wenig an die Nachkriegszeit erinnert. Als ob die rauen Verhältnisse in dieser Höhe nicht schon genug wären, tatsächlich geht mir jedesmal beim Weg vom Winterlager ins Haupthaus die Puste aus.
Aber trotzt aller Widrigkeiten wohnt dieser Hütte ein besonderer Zauber inne. Neben dem absolut authentischen alpinen Flair (was für ein Kontrast zu dem an ein Berghotel heran reichenden Diavolezzahaus) ist dieser vor allem durch die Sage von der Diavolezza inspiriert. Diese betörend schöne Teufelin lockt bekanntlich leichtsinnige Bergsteiger ins Verderben. Wie in der Hütte deren Erscheinung inszeniert wird, will ich hier nicht verraten. Ich rate aber jedem neugierigen Bergsteiger, es selbst durch einen Hüttenbesuch heraus zu finden. Zumindest ich fand es überraschend und lohnend.
 
Am nächsten Morgen geht es so weiter wie am Vortag. Wir starten gegen 6 h und machen uns auf den Weg zum Piz Palü, wobei wir zunächst den Weg vom Vortag zurück laufen. Das Wetter ist klar mit guter Sicht, allerdings weht ein eiskalter Wind mit einzelnen Sturmböen. Zwischen riesigen Gletscherspalten klettern wir auf die Bellavistaterasse und queren oberhalb des Fortezzagrates zum Einstieg des Spinasgrates. Der Sturm hat eine Menge Schnee verfrachtet und auf dem letzten steilen Hang vor dem Spinasgrat liegt eine Menge Triebschnee. Für ein ernsthaftes Lawinenrisiko ist es aber wohl zu wenig. Beim Einstieg in den Spinasgrat begleiten uns weiterhin eisige Sturmböen und mich befällt ein leichtes Unbehagen bei der Vorstellung, bei diesen Strumböen über den reichlich schmalen und exponierten Ostgrat vom Piz Palü abzusteigen. Aber noch ist es nicht soweit.
 
Der Spinasgrat ist schneefrei und da die Schwierigkeiten den SG II nicht übersteigen, gehen wir seilfrei, was es uns erlaubt zügig voran zu kommen (tatsächlich der einzige Abschnitt auf der gesamten Tour, den wir mit einem vernünftigen Tempo absolvieren). Problemlos überschreiten wir den Grat, erreichen den Piz Spina und gehen weiter zum Anstieg auf den zentralen Gipfel des Piz Palü. Dieser ist als Firnhang wieder technisch problemlos, aber doch so steil, dass mich meine schlechte Verfassung wieder ausbremst. Schließlich bin ich froh, als wir am Gipfel stehen. Ein Gutes hat unsere Langsamkeit aber, den bis wir den Gipfel erreichen, sind die Sturmböen eingeschlafen.
 
Den weiteren Weg kenne ich schon von der Palü-Besteigung vor drei Jahren, trotzdem bin ich vom Übergang zum Ostgipfel überrascht. So schmal und steil hatte ich diesen nicht in Erinnerung, vielleicht ändert er sich auch tatsächlich von Jahr zu Jahr, jedenfalls ist der Übergang spannend, aber in seiner Exponiertheit auch sehr genussvoll. Das Gleiche kann ich vom weiteren Abstieg über den Ostgrat sagen, den wir stellenweise sogar mit den Frontalzacken absteigen, da der Firn hier von anderen Bergsteigern abgetragen wurde und vereiste Passagen zum Vorschein kommen (Steiheit ca. 40 Grad). Ab der Ostschulter sind die Schwierigkeiten dann vorbei und wir laufen die Ostflanke hinunter, teilweise mit wilden Manövern durch die Gletscherspalten.

Leider werde ich nun immer müder, obwohl wir deutlich an Höhe verlieren, und als wir den Wandfuß erreichen, schicke ich meine Bergkameraden mit deutlichen Worten voraus, um selbst alleine und ungestört in unfaßbarer Langsamkeit zum Diavolezzahaus über die noch zu bewältigenden 200 Hm zurück zu schleichen. Mich weiter zu quälen habe ich nun einfach keine Lust mehr, immerhin haben wir zweimal über 10 km Wegstrecke in gut 3.500 m Höhe zurück gelegt und dabei laut Bergsteiger-App deutlich über 2.000 Hm bewältigt. Kann sich trotzt aller Langsamkeit doch sehen lassen. 

Tourengänger: Michael26


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (3)


Kommentar hinzufügen

Linard03 hat gesagt:
Gesendet am 1. September 2019 um 12:27
> keine Dusche weit und breit
echt jetzt?? - eine Dusche ist auf einer 2-3 tägigen Hochtour komplett überflüssig; "Katzenwäsche" ist da völlig ausreichend.
Eine Dusche hätte zudem höchstens dann eine (theoretische) Berechtigung, wenn ausreichend Wasser vorhanden ist.
Aber grundsätzlich ist eine Dusche auf Berghütten generell überflüssig; es sei denn, es sei eine Hütte, welche für Familien gut zugänglich ist. Alpinisten hingegen suchen keine Duschen ...

Beim Klo hingegen gehe ich einig mit Dir; die Einrichtung empfand ich damals (2011) auch als äusserst dürftig ...

Michael26 hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. September 2019 um 16:28
Als ´Ostälpler´ ist man halt verwöhnt. Viele Hütten haben in den Ostalpen heute Duschen, auch die ´Hohen´, Stüdlhütte, Amberger, Dolomiten sowieso, sogar das Rifugio Casati auf knapp 3300 MüNN. Das will man dann nicht mehr missen ...

Linard03 hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. September 2019 um 18:07
Ich kenne die "Ost-Hütten" nicht so gut - aber man liest oft, dass die Hütten in Italien & Österreich teilweise recht luxuriös sind.
Die Stüdlhütte kenne ich, das ist für mich aber schon eher ein Hotel ... Auch die Casati sieht eher aus wie ein Hotel.
Ich hab's auch gerne bequem, v.a. wenn man älter wird ... Trotzdem wäre mir noch nie in den Sinn gekommen, in einer Berghütte nach einer Dusche zu fragen - das ist überflüssiger Luxus (persönliche Meinung ...) Ich kenne auch keinen einzigen Alpinisten, der je nach einer Duschmöglichkeit in einer Berghütte gefragt hätte ...


Kommentar hinzufügen»