Zurück am Hartmannsweilerkopf


Publiziert von Nik Brückner , 22. Oktober 2018 um 20:46. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Frankreich » Vogesen
Tour Datum: 6 Oktober 2018
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: F 
Zeitbedarf: 4:00
Aufstieg: 380 m
Abstieg: 380 m
Strecke:7km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Cernay herauf, oder über die Route des Crêtes.
Unterkunftmöglichkeiten:Im Tal

Der Vieil Armand, elsässisch Hartmannswillerkopf, deutsch Hartmannsweilerkopf, ist eine Bergkuppe in den Südvogesen, die auf Grund ihrer exponierten und strategisch günstigen Lage mit Ausblick in die elsässische und Oberrhein-Ebene im Ersten Weltkrieg zwischen Deutschen und Franzosen erbittert umkämpft war.

Ein Besuch dort ist jedes Mal wieder tief beeindruckend, wenn man um das Leid und den Schmerz derer weiß, die dort gelitten haben und gestorben sind - für nichts. Denn obwohl um die Gipfelkuppe erbittert gekämpft wurde, ging die Frontlinie immer nur um wenige Meter hin und her. Am Ende hatten hier 30.000 französische und deutsche Soldaten den Tod gefunden, etwa doppelt so viele waren verletzt worden. Ein Umstand, der dem Berg die Namen "Menschenfresser“ und "Berg des Todes“ einbrachte - doch der Berg hat diesen Menschen nichts getan. Menschen waren es, die diese Menschen für sich sterben ließen.

Die Kämpfe am Hartmannsweilerkopf stehen heute beispielhaft für die Sinnlosigkeit des Krieges.
Sie führten für keine Seite zu einem Ergebnis.

Die vier Kriegsjahre haben auf dem Vieil Armand bis heute sichtbare Narben und Relikte hinterlassen. Ein gut erhaltenes und mühevoll gepflegtes System von ungefähr sechstausend Stollen und Unterständen und 90 Kilometern Schützengräben, dazu zahllose Drahtverhaue und Granattrichter zeugen von dem Stellungskrieg. Die ursprünglich bewaldete Bergkuppe wurde während der Kämpfe vollkommen kahl geholzt und -geschossen. Lange Zeit blieb sie nur spärlich bewachsen. Heute holt sich der Wald den Berg zurück.

Bereits im Frühjahr 2018 waren die Waldelfe und ich hier oben gewesen, um uns das anzusehen (Tourenbericht hier), nun, nur wenige Monate später, kehrten wir zum Berg zurück.

Unsere Idee war noch einmal dieselbe: Wir wollten am Vieil Armand starten, ein Jahrhundert zurück, auf den Hartmannsweilerkopf wandern, und dabei so viel wie möglich sehen, und so viel wie möglich lernen. Aber unsere Route war diesmal eine andere. Während wir beim ersten Mal vornehmlich in der Südflanke des Bergs unterwegs waren, wollten wir dieses Mal die Nordseite erkunden.


Es gibt am Vieil Armand einen historischen Lehrpfad, auf dem dem Besucher anhand 45 Tafeln die schreckliche Geschichte des Gebirgskriegs nahegebracht wird. Das sollte man beim ersten Besuch auch tun, die Tafeln sind sämtlich sehr informativ und führen durch einen durchwegs gut restaurierten Bereich. Wer aber wie wir die Bergkuppe auf eigene Faust erkunden möchte, dem empfehlen wir, sich vorab im 2017 von Bundespräsident Steinmeier und Staatspräsident Macron eingeweihten deutsch-französischen Museum die Karte "Hartmannswillerkopf/Vieil Armand - Carte touristique/Wanderkarte" des Club Vosgien zu besorgen. Das Museum ist gedacht als Symbol für die Aussöhnung beider Länder, bietet darüber hinaus aber auch viele historische Informationen und ganz praktische Hinweise und Hilfsmittel: Bücher vor allem, aber eben auch diese Karte.

Das Museum liegt, wie die benachbarte nationale Gedenkstätte, direkt an der Route des Crêtes. Diese Straße war ursprünglich eine Militärstraße, die von den Franzosen während des Ersten Weltkriegs zur Versorgung der Armee bei der Eroberung des 1871 ans Deutsche Reich gefallenen Elsass gebaut wurde. Sie verläuft fast ununterbrochen auf westlicher Seite etwas unterhalb des Gipfelkamms und damit in Deckung vor deutschem Beschuss. Sie führt hier durch einen Bergsattel namens Col du Silberloch (906m), der den Vieil Armand von der höheren Bergkuppe Molkenrain trennt. Dort am Col befinden sich das Museum und die Gedenkstätte - mit ca. 250.000 Besuchern pro Jahr eine der meistbesuchten Destinationen des Elsass.



Ab in Auto, "N. 3" von Mamma Non Piangere eingelegt, und hinauf ging's. Am Monument National (905m) starteten wir unsere Tour. Die Gedenkstätte, die an die hier oben gefallenen Soldaten erinnert, besteht aus einer Krypta mit einem katholischen, einem evangelischen und einem jüdischen Altar und dem französischen Nationalfriedhof Nécropole Nationale du Silberloch-Hartmannswillerkopf. Beides wurde nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 errichtet. Wir wanderten durch den Cimitière National, dann verließen wir den Friedhof und begaben uns in den wiedererstandenen Wald.

Wir folgten zunächst kurz dem Lehrpfad. Es geht entlang dem Boyau 0 zur Eierstellung.

Ein Boyau ist ein Verbindungsgraben zwischen zwei Linien von Schützengräben. Durch solche Gräben rückten Soldaten in die vordersten Linien vor, Verwundete wurden auf diesem Weg hinter die Linien gebracht. Gleich links befindet sich die Eierstellung, die das weiteste Vordringen der Deutschen am Hartmannsweilerkopf markiert (sie hielten sie vom 9. Januar bis zum 5. März 1915).

Hier wandten wir uns nach links, und stiegen, dem blauen Kreis folgend, nordseitig den Berg hinunter zur französischen Stellung Mégard (845m). Sie und das nur wenige Meter weiter unten (kurz blauer Punkt) befindliche Observatoire sous Mégard (820m) liegen nicht mehr am Lehrpfad.

Während Mégard ein richtiges Steingebäude ist, in den sich auch noch Reste von Metallgegenständen finden, ist das Observatoire sous Mégard lediglich ein kleiner Beobachtungsstand des Typs "taupinière" (Maulwurfshügel), eine Art metallener Ein-Mann-Bunker mit kleiner Kuppel, durch deren Schlitze man hinaussehen konnte. Schwer nachzuvollziehen, wie man sich darin gefühlt haben muss.

Wir stiegen wieder hinauf zur Stellung Mégard (845m), und wanderten von dort aus dem blauen Kreis folgend hinüber zum Felsen von Sermet (905m), zu dem ebenfalls französische Schützengräben führen. Er wurde während der Kämpfe zu einer wahren Festung ausgebaut, und war nur kurz in deutschem Besitz.

Die herrliche Aussicht nach Norden zum Grand Ballon steht in seltsamem Gegensatz zu den Schützengräben, den unterirdischen Stollen und den rostigen Stacheldrahtverhauen, die heute das Gesicht des Felsens prägen.

Wir stiegen nun, dem gelben Dreieck folgend, zur deutschen Befestigung "Doppelkopf" (850m) ab. Hier ist ein kurzer Gang zu sehen, der in einer Gewehrstellung endet.

Von hier aus konnte man große Teile der Nordflanke des Bergs übersehen. Folgt man dem gelben Dreieck bergab, gelangt man an eine Linie ähnlicher Befestigungen, die die Namen Veilchenstein, Adlerhorst (na klar), Beskid und Felseneck tragen. All diese Stellungen, auch Mégard und Observatoire sous Mégard, liegen auf und in Felsrippen verborgen, die sich in mehr oder weniger gerader Linie aus dem Gipfelbereich ins Tal hinunter ziehen, wo sie sich dann irgendwann im steilen Wald verlieren. Uns interessierten die wie an einer Kette übereinander aufgereihten Stellungen Veilchenstein, Adlerhorst, Beskid und Felseneck, die sämtlich über alte Schützengräben erreicht werden können - heute der mit einem gelben Dreieck markierte Wanderweg.

Zuerst erreicht man die Ruine der Stellung Veilchenstein (815m).

Hier kann man noch gut sehen, wie die eigens für diese Arbeit auf den Hartmannsweilerkopf geschafften Bergleute die unterirdischen Stollen errichteten: Holzkonstruktionen stützten den Tunnel nach oben und zu Seite gegen den hier offenbar recht brüchigen Fels ab. Dennoch waren diese Tunnel nicht mehr als Maulwurfslöcher, kalt, feucht, und immer wieder unter Beschuss.

Wer sich vom Weg wegbewegt, sollte aufmerksam nach unten schauen. Überall befinden sich Zugänge zur Stellung Veilchenstein. Nicht jeder ist gut zu sehen.


Die Markierung führt dann weiter hinunter. Die nächste Station trägt den martialischen Namen Adlerhorst (790m)

Nur einer von vielen klischeehaften, kriegerisch klingen Namen. Wir sollten unter anderem noch der Karlsfeste und der Wartburg begegnen. Andere Namen sind nicht so leicht einzuordnen. "Veilchenstein" zum Beispiel ist einer jener Namen, die nicht eine martialische Kriegergebärde zum Ausdruck bringen, sondern vielleicht eher die Sehnsucht nach etwas Schönem. Andere Namen wie "Schwabenheim", "Bremer Ratskeller" oder "Neckar" mögen die Sehnsucht nach der Heimat ausdrücken. Der Name "Friedensengel" spricht für sich.

Der Adlerhorst ist eine der aufwändigsten Stellungen hier auf der Nordseite. Zahlreiche Stollen und Gänge führen auf mehreren Ebenen durch die Felsen, Fenster lassen in alle Richtungen blicken - und schießen. Zur Erkundung solcher Gänge lohnt sich die Mitnahme einer Stirnlampe - und eines Helms.

An der kleineren Stellung Beskid (760m) vorbei steigt man durch den Schützengraben weiter hinunter zum Felseneck (730m).

Diese Stellung besteht in einer Kombination aus oberirdischen Betongebäuden und unterirdischen Gängen, die noch weiter verzweigt sind, als die des Adlerhorsts. Hier wie in allen anderen Stollen heißt es vorsichtig sein. An vielen Stellen ist die Decke eingebrochen, oder eine Wand, nicht alles hier ist stabil.

Wir wanderten wieder zurück Richtung Beskid (760m), wo ein Weg abzweigt, der auf mehr oder weniger gleichbleibender Höhe ostwärts durch den Nordhang des Vieil Armand führt (Kreuzotterpfad/Klippenweg). Bald gelangten wir an den Felsen Schlummerklippe (752m), der ebenfalls von Stollen durchzogen ist.

Vor allem aber führen hier lange Treppenläufe über und durch den Fels, unterhalb ist ein veritables Betondörfchen zu besichtigen, mit Unterkünften, Latrinen, und Resten von Installationen.

Je weiter man nun gen Osten wandert, umso weniger sieht man Stellungen. Bedingt durch die günstige Geländebeschaffenheit am hier sehr steilen Berghang, konnte man hier die Infrastruktur unterbringen: Küchen, Kantinen, Kasernen, die Deutschen bauten im Frühjahr 1915  sogar eine Straße und drei Seilbahnen in die Ostflanke des Hartmannsweilerkopfs, um Material, Waffen und Versorgungsgüter auf den Berg zu schaffen.

Und so passierten wir auf dem Kreuzotterpfad als nächstes die Küche des Landwehr-Infanterie-Regiments Nr. 56 (L. I. R. 56, 755m), die Kantine L. I. R. 124 (745m) und eine weitere Küche (755m).

Gruselig, diese Einrichtungen. Heute sind es kahle Betonbauten, und mehr Charme dürften sie in Kriegszeiten auch nicht ausgestrahlt haben. Ein beklemmendes Gefühl beschleicht den Besucher, wenn er sich vorstellt, wie die ausgemergelten Männer hier - was auch immer - zu essen bekamen, bevor sie wieder den Berg hinauf an die Front geschickt wurden.

Wir wanderten auf dem Kreuzotterpfad weiter in Richtung der Versorgungsstraße, die die Deutschen in den Osthang gebaut hatten. Dabei passierten wir weitere Einrichtungen, wie den Klippenstollen (760m), und zwei besonders aufwändige Anlagen: Einen Munitionsstollen (770m), von dem heute vor allem noch ein mehrstöckiges Gebäude zu sehen ist, und den noch einmal aufwändigeren Dewitzstollen (760m), ein Gebäudekomplex mit mehreren Zu- und Ausgängen auf verschiedenen Ebenen. Dann gelangten wir an Kurve 5 (755m) an die Versorgungsstraße. Hier befindet sich auch gleich die Station Sprösser (757m), eine Station einer der Materialseilbahnen.

Wir wanderten hinauf zur Kurve 6 (795m), an der sich weitere große Komplexe befinden: eine Kaserne (795m) und die Kette der Dewitz-Unterstände (800m), die sich weiter hinauf entlang der Straße befinden. Wir verließen hier jedoch die Straße und stiegen der rot-weiß-roten Markierung folgend die Ostkante hinauf zum schon 1915 eingerichteten Jägerdenkmal (825m), wo zahlreiche Gedenktafeln angebracht sind. Von dort aus wählten wir den rechten Weg (also nicht mehr der rot-weiß-roten Markierung folgend), um zunächst wieder in die Ostflanke des Bergs zu gelangen.

Bedingt durch die Geländebeschaffenheit, am steilen Hang durch Felsen und Blockwerk vor Artilleriebeschuss geschützt, befinden sich auch hier oben zahlreiche technische Einrichtungen. In der  Wartburg (860m) und um sie herum, geschützt von der nach Leutnant Mühe benannten Müheburg, sieht man unter anderem eine Kompressorstation, und hier befand sich auch die Endstation der Materialseilbahn.

Ein Stück weiter kann man die Karlsfeste (927m) besichtigen, die einst von fünf übereinanderliegenden Schichten von Baumstämmen gedeckt war. Als diese verrotteten, stürzten die betonierten Seitenstützen ein. Hier befand sich in Kriegszeiten ein Minenwerfer.

Von hier aus stiegen wir hinauf zum Mémorial du 152e RI (930m), dem 1921 von Victor Antoine geschaffenen Denkmal für das 152. Régiment d'Infanterie. Es wurde 1940 von den Nazis gesprengt, 1954 aber von Antoine in leicht veränderter Form wieder aufgebaut.

Wir wechselten zum roten Kreis und wanderten vorbei an der Feste Großherzog, durch Schützengräben, hinüber zum Bremer Ratskeller (928m). Weiter ging es durch den St. Gotthard Tunnel (930m), dessen Name auf den von 1872 bis 1881 gebauten Eisenbahntunnel in der Schweiz anspielt. Er führt zum Krottenloch und zum Blindsack (940m), kurz vor der Gipfelkuppe, die zu den ersten umkämpften Objekten am Berg zählen.

Auf dem Gipfel des Vieil Armand (956m) befindet sich heute ein 20 Meter hohes Kreuz, das "Kreuz des Friedens in Europa", das ein Symbol der deutsch-französischen Versöhnung ist. Es wurde 1936 hier errichtet. Das Kreuz steht auch für die zahlreichen Toten, deren Überreste nie gefunden wurden, und die bis heute auf dem Berg ihre letzte Ruhestätte haben.

Die Waldelfe und ich kehrten zurück vom Hartmannsweiler Kopf in die Gegenwart des Vieil Armand. Am Col du Silberloch (906m) endete unsere Tour, wo sie begonnen hatte.


Auch dieser Besuch am Vieil Armand hat uns wieder tief beeindruckt. So schön der Bergwald hier heute auch sein mag - der beklemmenden Atmosphäre dieses Kriegsschauplatzes kann man sich nicht entziehen.

Tourengänger: Nik Brückner, Waldelfe


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