Bissiges


Publiziert von rojosuiza , 19. Oktober 2017 um 16:21.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Unterwallis
Tour Datum: 1 Oktober 2017
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Sitten
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Siders
Unterkunftmöglichkeiten:Sitten, Siders,

 

Die Schwester hat Zeitung gelesen. Da ist ein Artikel aufgefallen und den hat sie ausgeschnitten. Jetzt sind wir losgezottelt, Schwestermann, Schwester und rojosuiza.

 

rojosuiza liebt die Schwester – aber ganz und gar traut er ihrer Führung nicht. Deshalb hat er sich am Vorabend noch schnell eine Karte des Gebiets auf sein treues Kompüterlein geladen. Man weiss ja nie, wozu das nützlich sein kann.

 

Die Schwester schwenkt den Zeitungsausschnitt! Damit führt sie die gefügige Wanderergruppe an. Dank der heimlichen Vorbereitung kann rojosuiza jetzt den Einstig in Sitten leicht finden. Aber weiter hat er auch nicht aufgepasst, unter dem Motto, das wird sich unterwegs von alleine zeigen. Das führt später zu  einiger Verwirrung bei dem armen Tropf, etwa als es vom ersten Stock in den zweiten Stock geht…

 

Also, die Wanderung entbehrt durchaus nicht der Spannung. Kein Platz für Kinder, Kleingeistige und Schwindelanfällige. Zwar hebt sie ganz gemächlich an, aber Oho! die Spannung kommt zum Schluss. Da wird die Sache plötzlich bissig. Zum Auftakt wechselt dort leise die Farbe, vom Gelb der Raute kommt man plötzlich zu rot-weiss-rot.

 

Was verspricht denn nun der Artikel der Schwester: einen finsteren Tunnel verspricht er, eine ausgesetzte, hohe und schröckliche Passage verspricht er. Verspricht er zuviel? – Nein, das tut er nicht.

 

In der Innenstadt nimmt man die Rue du Grand Pont, und darauf geht man immer nach Norden. Nach dem Kreisel am Ende geht es gerade nach Norden weiter, auf der Rue du Rawil. Bei der Rue de Platta darf man rechts ab gehen, und gleich darauf wieder links einschwenken in die Rue du Vieux Moulin. Man geht um die Milchfabrik, oder durch sie hindurch, wenn’s gerade Sonntag sein sollte; dahinter beginnt der poetische Steg, der Chemin de Grimsuat. Der Steg ist ‚Vieux Valais‘ und verläuft hoch über der neuen Strasse für die voitures. Unterhalb von Le Mont geht er nahtlos über in den Weg entlang der Bisse de Clavau.

 

Beisst es hier schon, am Anfang der Bisse? Es beisst, dass es Sonntag ist, und alle feinen Degustationen geschlossen sind bis nach elf Uhr. Ach, man ist zu früh! – Den Schwager wurmt’s; er weiss noch nicht, dass es etwas weiter auf der Strecke am Sonntag auch nach elf Uhr geschlossen ist. Man wandelt entspannt der Suone nach, immer geradeaus, erfreut sich der Farben und Formen, sieht dann und wann rätselhafte technische Anlagen, hört das Wasser plätschern, und wärmt sich in der Sonne. In einer Zwerg-Hütte, beschattet von Weinranken, gibt es einen süssen Halt. Tolle Wanderung, gar nicht bissig.

 

Wir wollen Biss(e)! Dieses Gedudel über Weinranken, wer braucht das? Wo bleibt die versprochene Spannung? – Nun ja, es geht nach der Rast halt weiter der ‚bisse‘ entlang, nichts keine Aufregung. Eine Wasserleite muss dem Gelände folgen, und nach Les Granges geht’s immer ein bisschen hinein in einen Graben und wieder daraus heraus. In der Ferne kann man eine steile Felswand ausmachen, durch deren Mitte eine alte, aufgelassene Suone führt… So steil ist es dort, dass eine ‚bisse‘ Wanderung dort eindeutig für manchen zu viel Biss hätte… Zum Glück ist diese Suone ausser Betrieb.

 

Endlich schwenkt man aus dem heissen Rhonetal weg in kühleres Gebiet, es ist sofort an der Flora abzulesen. Oberhalb des Kraftwerks St.Léonard verliert man die Suone, die sich irgendwo versteckt. Man wandert ins Tal der La Liène hinein. Jetzt kommt er, der Höhepunkt: der Tunnel! Schon von weitem sieht man den Knopf der Beleuchtung. Von Nahem stellt man fest: Knopf ist da, aber Beleuchtung funktioniert nicht. Zum Glück ist die Stirnlampe dabei, dem klugen rojosuiza sei Dank. Man braucht sie wirklich. Der Tunnel ist zu schmal und zu lang, Licht von der gegenüberliegenden Seite kann nicht helfen. Ausserdem ist der Durchschlupf gewunden, also einfach Geradeausgehen führt direkt in die Wand! Ja, das Irrlaufen im Halbfinsteren ist spannend, da hat der Zeitungsartikel ganz recht. Aber jetzt ist der Tunnel zu Ende, man ist in der Schlucht der La Liène und blickt blöd um sich. Wie soll es denn jetzt auf die Gegenseite gehen? – Der Tunnel gibt noch schnell eine spassige Einlage. Von der anderen Seite sind zwei Kerle auf Rädern angelangt, eher lange Modelle, mit eher hoher Sattelposition. Der eine, kleinere, verschwindet im dunklen Loch – wie es ihm lichtlos darin ergangen sein mag? – der grössere müht sich ab, überhaupt hineinzukommen. Wenn der eine Maus gewesen wär‘, hätt‘ ihn die Katz‘ erwischt!

 

Langweilig ist’s hier. War das alles? Man stolpert ein bisschen dahin, aber die Brücke zur anderen Seite kommt nicht. Doch noch einmal nachschauen? – Man ist gewiss auf dem rechten Weg. Ein Kartenbild sehen und es kapieren sind aber doch zwei verschiedene Dinge. Die Brücke am Bach befriedigt rojosuiza nicht, er hat sich ganz anderes vorgestellt. Und am anderen Ende beginnt eine Forststrasse – und eine Forststrasse hat rojosuiza sich auch nicht vorgestellt hier, sondern einen dramatischen Aufstieg. Natürlich ist im Nachhinein alles richtig, aber die Vernunft setzt wie immer erst nach der Tat ein.

 

So jodelt man halt etwas verstimmt diese Forststrasse hinauf, es ist ein langweiliger Tann, es geht in grossen Kehren immer weiter hinauf. Alles was man ins Tal der La Liène hineingegangen ist, jetzt geht man es wieder hinaus. Man hält eine zweite Rast, natürlich kurz vor einem wunderschönen Platz, der zum Rasten geschaffen gewesen wäre. Irgendwo muss doch jetzt die zweite Suone kommen, von dem der Artikel gesprochen hat?

 

Plötzlich kommt alles zugleich: Bergweg! ruft das Schild; Wasser stürzen sich von oben herab; es öffnet sich der Wald und der Blick in den Abgrund wird frei. In steilen Stufen geht’s hinunter in die Wand. Da unten läuft ein gemauertes Band – die ‚bisse‘, zugedeckt gegen den Schutt aus dem Hang! – und darauf verläuft der Weg. Erinnert man sich noch an die aufgelassene Suone, ganz, ganz luftig an der steilen Felsmauer? – Nun, die Berghelden stehen jetzt darauf und tasten sich vorsichtig vorwärts. 250 Meter Fallhöhe unter einem für den, der einen Fehltritt tut! Keine Kinder! Keine Hunde! Keine Feiglinge, möchte rojosuiza hinzufügen…

 

Prachtvoll! Schrecklich ausgesetzt! Riskant! Seilgesichert an jeder Stelle! Faszinierender Tiefblick! Wenn dieses Stücklein jetzt abbräche? – eine schnelle Himmelfahrt zugesichert. Das Stück ist etwa einen halben Kilometer Nervenkitzel, danach ist man zurück in mildem Gelände. Die Suone öffnet sich, ab hier verläuft sie wieder ohne Deckel, und das Wasser plätschert und gurgelt wieder neben einem. Die zweite ‚bisse‘, die Bisse de Sillonin, sie führt uns bis nach Chelin. Dort suchen die Berghelden eine Kneipe, aber die finden sie nicht. Der Dorfladen ist auch zu, da ja Sonntag. Im Wallis sein, zwischen lauter Reben sein, und verdursten, seufzt der Schwestermann. Ja, das Leben ist hart.

 

Es wird noch härter. Ohne Labung wird schliesslich kreuz und quer wild durch die Weinberge abgestiegen, eine wilde Einlage muss es mit rojosuiza immer sein. Bei La Millière hofft die Gesellschaft doch sehr auf einen Stadtbus von Sierre, der aber an Sonntagen nicht kommt, und sonst auch nicht oft. Also tippelt man weiter und immer weiter, bis man in Siders Bahnhof anlandet.

 

Wer das Flachland-gehen nicht gewöhnt ist, der muss auf dem letzten Stück viel leiden. rojosuiza ist nach über 40 Jahren Tiefland selber fast ein richtiger Flachländer geworden, er kann meilenweit gehen, immer geradeaus.  Das macht er heiter und zufrieden. Wanderung ein voller Erfolg, alle drei Teile: süss und mild zu Anfang, spannend und hart in der Mitte, abmattend und einschläfernd zum Schluss. Alle Teile zusammen sind Grund zu lauter Zufriedenheit!


Tourengänger: rojosuiza


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