Cresta dei Corni - Traumhafte Gratüberschreitung beim Campo Tencia


Publiziert von Chrichen , 10. September 2017 um 08:26.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum:19 August 2017
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Pizzo Campo Tencia   Gruppo Pizzo Campolungo 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 2250 m
Abstieg: 2250 m
Strecke:ca. 27 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem Zug bis Ambrì-Piotta, Postauto bis Dalpe, Villaggio (wir konnten ab Ambrì-Piotta im PW mitfahren)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Gleicher Weg umgekehrt, da wir spät dran waren, fuhr kein Postauto. Deshalb nochmals PW.

Die Cresta dei Corni ist eine abwechslungsreiche und landschaftlich überwältigende Gratroute über den Pizzo Canà, die Tre Corni und den Pizzo Croslina bis zur Bochetta di Croslina und (optional) weiter zum Pizzo Campo Tencia. Gestartet wird in der Capanna Campo Tencia. Dort liegt ein Faltblatt auf mit wertvollen Informationen zur Route und schönen Fotos.

Die Schwierigkeiten bewegen sich mit Seilsicherung im Bereich WS oder ohne Seil bei T6, mit Kletterstellen II-III. Besonders anspruchsvolle Stellen sind klettersteigartig mit Trittbügeln und Drahseilen ausgerüstet. Schwierigere Passagen können meist recht gut abgesichert werden, d.h. das T6 ist optional. Bohrhaken sind jedoch nur sporadisch vorhanden. Oft kommt man in den Genuss von griffigem kompakten Fels, wobei auch einige Blocksteinfelder und schuttige Passagen aufwarten. Gletscherpassagen gibt es keine, im Frühsommer ist aber mit Altschneefeldern zu rechnen. Die Route ist durchgehend markiert mit blauen Punkten.

Die Zeitangaben variieren je nach Quelle zwischen 6-10 Stunden für die komplette Runde inkl. Pizzo Campo Tencia. Wir haben grosszügig abgesichert und ca. 12 Stunden gebraucht, wobei wir den Pizzo Campo Tencia ausgelassen haben. Dieser Abstecher hätte eine zusätzliche Stunde gekostet. Eingespielte und erfahrene Seilschaften können die Zeitvorgabe sicherlich problemlos einhalten. T6-Gänger werden sich eher am unteren Bereich der Angabe bewegen oder schneller sein.

Erstaunlicherweise wurde die Gratrunde auf Hikr bis anhin nur zweimal in Italienisch beschrieben von stellino *hier und *hier. Vorgeschlagen und geplant wurde unsere Tour von Andreas. Losgezogen sind wir zu fünft (Andreas, Andreas, David, Edita und ich). Welcher Andreas wann welcher ist, wird bei diesem Beschrieb bis zum Schluss ein Rätsel bleiben... :-)


Tag 1: Zustieg Capanna Campo Tencia und Reko
(ca. 10.5 km / 1100m Aufstieg / 150m Abstieg, inkl Abstecher zum See)

Dalpe - Piumogna - Brücklein Sgnòi - Alpe Croslina - Capanna Campo Tencia (T2)
Morgens kurz nach halb 10 Uhr starten wir beim Parkplatz im Dorf Dalpe. Der Hüttenweg zur Capanna Campo Tencia ist gut angeschrieben und hat meist den Charakter einer einfachen Talwanderung. Wir sind etwas schneller als die auf dem Wegweiser angegebenen 3 Stunden.

Der Einstieg befindet sich direkt beim Parkplatz und ist ausgeschildert. Durch Wald geht es an einer Kapelle vorbei auf eine Naturstrasse, der man via P.1365 bis Piumogna folgen kann. Dort zweigt nach einer Ansammlung von Gebäuden sogleich wieder ein Wanderweg ab. Über Wiesen und Wald geht es stets ansteigend dem P.1650 bei Sgnòi entgegen. Einmal scheint sich der Weg ohne Wegweiser zu gabeln. Hier ist es egal, welchen Pfad man wählt, denn sie werden bald wieder zusammenlaufen. Wir nehmen den oberen.

Beim P.1650 hilft eine kleine Brücke über den Bach hinweg. Gleich darauf geht es in Serpentinen effizient eine licht bewaldete Flanke hoch bis zum Talabschnittt, der auf der Karte mit Alp di Croslina bezeichnet ist. Bald endet der lichte Wald und die Sicht zum Talende eröffnet sich. Einige Wasserfälle zieren die Landschaft. Bei einer Weggabelung wird der linke Pfad genommen (angeschrieben). Nach einem Weilchen wird ein Steg erreicht, über den man nochmals einen Bach überquert. Danach rückt die schon sichtbare Capanna Campo Tencia definitiv in die Nähe.

Capanna Campo Tencia - Lago Morghirolo - Capanna Campo Tencia (ca. T3)
Auf der Hütte gönnen Andreas und ich uns eine köstliche Portion Gnocchi. Danach erkunden wir zu fünft ein wenig das Gelände und vor allem den inoffiziell markierten Pfad, der zum Einstieg der geplanten Tour führt (in der Karte als angedeutete Wegspur eingezeichnet). Wir folgen ihm bis zum Lago di Morghirolo, wo wir im Sonnenschein die müssige Seite des Lebens geniessen. Zurück zur Hütte laufen wir auf dem wrw-markierten Wanderweg, der sich durch etwas mehr Auf- und Ab auszeichnet. Auf der vollständig ausgebuchten Hütte ist mittlerweile einiges los. Entsprechend heiter geht es beim Abendessen zu.


Tag 2: Cresta dei Corni
(ca. 16.5 km / 1150m Aufstieg / 2100m Abstieg / 14h30m)

Capanna Campo Tencia - P.2561 (ca. T4+)
Noch im Dunkeln starten wir ca. um 04:45 unter prächtigem Sternenhimmel. Eigentlich wollten wir den weniger effizienten aber leichter zu findenden wrw-markierten Weg bis zum See nehmen. Aus ungeklärten Gründen landen wir jedoch auf dem Weg in Richtung Pizzo Campo Tencia und kurz später einer Spur folgend im Blockstein und nochmals ein wenig später auf der inoffiziell markierten Pfadspur, die der eigentlichen Route entspricht. Dass diese im Dunkeln etwas schwieriger zu finden ist, beweisen wir mit einem erneuten Ausflug in den Blockstein. Auch bestätigt sich für mich persönlich, dass es keine schlechte Idee wäre, die Batterien der Stirnlampe einmal zu wechseln. Das alles klingt schlimmer als es ist, denn insgesamt sind wir recht zügig vorangekommen. In der Umgebung vom P.2402 setzt bald schon die Dämmerung ein, was das Gehen um einiges erleichtert.

Das schmale Couloir zum P.2561 hoch wird zuletzt über eher schlecht gestuftes Gras und erstaunlich stabiles Geröll erreicht. Am Vortag aus der Distanz sah das Couloir nach einer veritablen T5-Geschichte aus. Wie so oft ist es in Tat und Wahrheit weniger steil als erwartet. Im oberen Bereich bewegen wir uns am linken Rand, wobei wir darauf achten, keine Steine auszulösen. Ganz vermeiden lässt sich Steinschlag kaum. Den Helm haben wir glücklicherweise schon weiter unten aufgesetzt. Zuletzt wird die Scharte mittels einiger einfachen Kraxelzügen erreicht.

P.2561 - Pizzo Canà (WS, II-III)
In der Scharte beim P.2561 ziehen wir bei etwas engen Platzverhältnissen den Klettergurt an und seilen uns an. Wir bilden eine 2er Seilschaft (Andreas und ich) und eine 3er Seilschaft (Andreas, Edita und David). Gleich geht es los mit abwechlungsreicher Kraxelei, die wir von Beginn an am gleitenden Seil gut absichern. Andreas und ich gehen voran und wechseln uns jeweils im Vorstieg ab. Als 2er Seilschaft sind wir schneller als unsere Nachfolger, so dass wir hie und da kurze Pausen einlegen und auf unsere Kollegen warten. Der Himmel ist heute ein wenig trüb, dennoch ist der Sonnenaufgang ein herrlicher Moment. Dem Blog von MeteoSchweiz zufolge waren Waldbrände in Kanada die vermutete Ursache für den fahlen Himmel. Ansonsten sind Wetter und Fernsicht schlichtweg grandios, und es ist herbstlich kühl.

Zu Beginn wird kurz in die westseitige Flanke ausgewichen. Danach geht es abwechslungsreich mal leicht in der einen Flanke, mal direkt auf der Schneide über den Grat. Dank der Markierungen ist die Routenfindung meist völlig unproblematisch. Da wir eher gemütlich unterwegs sind, überholen uns bald schon einige Seilschaften und ein sympathischer high-speed Einzelgänger mit dem wir einige Worte wechseln.  An einer spektakulären Stelle helfen Fixseile, an 2-3 Stellen gibt es kurze Passagen mit einigen Klammern im Fels. Nach einem flachen Abschnitt im Gehgelände wartet der steile über weitere Strecken nicht allzu schwierige Schlussaufstieg zum Pizzo Canà. Hier werden rasch Höhenmeter gewonnen. 

Schon der erste Gratabschnitt bis zum Pizzo Canà weist viele Kraxel- und Kletterstellen im II.Grad auf. Abgesehen von einigen längeren Abschnitten im einfachen Gehgelände sind die anspruchsvolleren Stellen relativ homogen über die gesamte Route verteilt. Wer sich bis zum Pizzo Canà wohl fühlt, sollte also bis am Schluss auf keine grösseren Probleme stossen.

Auf dem Gipfel warten wir ein Weilchen auf unsere Kollegen, während wir die Aussicht auf die bevorstehenden Graterhebungen der Tre Corni, den Pizzo Croslina und den Pizzo Campo Tencia geniessen. Spektakulär zeigt sich der bereits begangene Grat, und die Weitsicht reicht bis zu den Walliser Hochalpen.

Pizzo Canà - Tre Corni - Bocchetta Tre Corni - P.2940 - P.2956 - Pizzo Croslina (WS, II-III)
Das Gelände wird nun zunächst einfacher und rechtsseitig nur wenig ausgesetzt. Wir folgen meist den Markierungen nahe der Gratschneide und überschreiten mehr oder weniger genau die Tre Corni. Der letzte (P.2953) stellt eine markante Graterhebung dar und wird mithilfe einiger Klammern erklommen. Danach geht es wieder einfacher in die Bocchetta Tre Corni hinab. Weiter geht es hinauf zum P.2940 und einfach zum P.2956. Insgesamt zeichnet sich der Abschnitt zwischen Pizzo Canà und Pizzo Croslina durch einige längere Passagen im Gehgelände ab, verglichen zum ersten Teil bis zum Pizzo Canà.

Kurz nach dem P.2956 folgt eine Klettersteigpassage in eine Scharte querend und über eine Felswand hoch aus dieser heraus. Diese Stelle könnte man aufgrund der Ausgesetztheit vielleicht als Schlüsselstelle der Tour bezeichnen. Sie ist aber dank Drahtseil und Bügeln gut absicherbar, und es sind luxuriöse Tritte vorhanden. Insbesondere der Aufstieg über die Felswand ist dank der schönen Felsbänder ein Genuss. Danach liegt der abweisend erscheindende Pizzo Croslina in greifbarer Nähe. Nach einem Stück Gehgelände wird die Kraxelei wieder anspruchsvoller und lässt sich ausnahmsweise nicht ganz so gut absichern. Dennoch erreichen wir ziemlich rasch den mit einer Gipfelblume und Gipfelbuch ausgestatteten Croslina. Hier legen wir nochmals zu fünft eine kurze Pause ein. Zeitlich sieht es so aus, als würde der Pizzo Campo Tencia noch gut drinliegen.

Pizzo Croslina - Bocchetta di Croslina (WS, II-III)
Der Abstieg vom Pizzo Croslina verläuft nicht mehr dem Hauptgrat entlang, denn dieser würde später in grosse fast senkrecht nach unten geschichtete Felsplatten abbrechen. Stattdessen folgt man dem Ostgrat. Dank der zahlreichen blauen Punkte kann man den Einstieg fast nicht verpassen. Die Kraxelei ist teilweise etwas anspruchsvoller als erwartet. An der Stelle, wo man den kleinen Felsgrat überklettert und auf die andere Seite wechselt, werden wir kurz von einem Steinmann fehlgeleitet. Hier lohnt es sich, die blauen Punkte weiterzuverfolgen und nach dem Weg zu suchen, auch wenn dieser zunächst wagemutig erscheinen mag. Es folgen noch einige Kletterstellen, danach bewegt man sich vorwiegend im Schrofengelände.

Wir brauchen länger als erwartet für diesen Abstieg, und unsere 3er Seilschaft nochmals länger. Deshalb verzichten wir schliesslich auf den Pizzo Campo Tencia. Bei der Bocchetta di Croslina seilen wir los und versorgen unser Material, denn ab hier geht es auf Alpinwanderwegen weiter.

Bocchetta di Croslina - Capanna Campo Tencia (ca. T4+)
Von der Bocchetta di Croslina gehen wir nun also direkt den Normalweg hinunter. Anfangs dominieren Geröll und Schutt. Einige wenige steile Stellen sind mit Trittbügeln entschärft. Landschaftlich ist dieser Teil der Tour nochmals sehr schön. Auf dem namenlosen See unterhalb vom Ghiacciaio Grande di Croslina schwimmen zahlreiche Eisschollen. Dahinter zieht sich die Fortsetzung des Grates bis zum Pizzo Forno weiter. Der Abstieg oberhalb vom Seelein weist viel Feinsplitt und einige glatt geschliffene Felsplatten auf. Danach geht es auf gutem Weglein weiter - manchmal wrw manchmal wbw markiert. Andreas und ich machen noch einige Fotos und lassen uns von den anderen abhängen. Nach einer Passage mit Drahtseilen dreht der Weg nach Westen zurück, und es folgt eine exponierte Traverse und ein steiler Abstieg hinab zum Bachlauf mit kleinem Wasserfall. Hier kann man entweder zuerst unter den Felsen hindurch auf die andere Seite wechseln oder auf derselben Seite bleiben und über steile Schrofen absteigen. Ich entscheide mich für die erste Variante, was dank wenig Wasser im Bach recht gut geht. Rasch ist flaches Gelände erreicht, und einfach geht es zurück zur Hütte.

Capanna Campo Tencia - Dalpe (T2)
Trotz dem Verzicht auf den Pizzo Campo Tencia ist die Zeit schon fortgeschritten. Deshalb packen wir bei der Hütte die deponierten Sachen ein und machen uns sogleich auf den Weiterweg. Wir laufen recht zügig. Der Abstieg über gut 900 Höhenmeter auf meist nicht allzu steilen Wegen zieht sich dennoch in die Länge.


Eine schöne Kraxel-/Klettertour in bezaubernder Landschaft, die uneingeschränkt weiterempfohlen werden kann, und die ich jederzeit gerne wiederholen würde. Die zahlreichen Graterhebungen sorgen für Abwechslung und schöne Ausblicke. Wir sind stets in Wechselführung am gleitenden Seil gegangen und haben Zwischensicherungen gelegt. Hie und da haben wir direkt mit dem Seil an Zacken gesichert. Damit haben wir uns sehr wohl gefühlt. Standplatzsicherung war nach unserem Ermessen nie notwendig. Je nach Begehungsstil ist die Tour als WS oder als T6 einzustufen. Eine seilfreie Begehung wäre mir persönlich zu heikel, T6-Cracks werden das aber vermutlich anders sehen. Berichten zufolge könnte die Runde nach dem Campo Tencia über den Pizzo Penca und Pizzo Forno fortgeführt werden. Die Schwiergkeiten sind scheinbar sehr ähnlich.

Tourengänger: Chrichen


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Kommentare (4)


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Bombo hat gesagt:
Gesendet am 10. September 2017 um 18:07
Eine sehr schöne und gelungene Tour - gratuliere! Diese ist ab sofort auf meiner Pending-Liste vermerkt, das hört sich mal wieder nach einer bombostischen Schlumpfentour an! :-)

Weiter so und beste Grüsse
Bombo

Chrichen hat gesagt: RE:
Gesendet am 12. September 2017 um 08:00
Vielen Dank! Über einen weiteren bombostischen Schlumpfenbericht würde ich mich natürlich freuen! :-)

Schöne Grüsse, Christian

Stevo47 hat gesagt: "Kraxel-/Klettertour...
Gesendet am 11. September 2017 um 21:39
...die ich jederzeit gerne wiederholen würde." Da würde ich dich gern begleiten ;-). Tolle Bilder, mega Tour...alles richtig gemacht ;-). Viele Grüsse, Steve

Chrichen hat gesagt: RE:"Kraxel-/Klettertour...
Gesendet am 12. September 2017 um 08:04
Gerne!! Der Weiterweg zum Pizzo Penca und Pizzo Forno würde mich sonst auch noch interessieren.


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