Zinalrothorn SW-N Überschreitung


Publiziert von Leander , 6. Oktober 2014 um 12:14.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Mittelwallis
Tour Datum:14 September 2014
Hochtouren Schwierigkeit: ZS+
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 21:00
Aufstieg: 1335 m
Abstieg: 1335 m

Eine Traumtour, doch irgendwann möchte jeder Traum ausgeträumt sein. Unser Traum dauerte sehr lange: einen ganzen Tag und eine halbe Nacht und schlussendlich waren wir froh, dass er sich nicht zum Albtraum entwickelt hatte. Doch fangen wir vielleicht von vorne an.

Samstag morgen geht's los. Der alte Volvo steuert, wie immer per Autopilot, zielsicher nach Zinal. Von dort bei strahlend, schönem Wetter zu Fuss hinauf zur Cabanne de Mountet. Von Anfang an ist man gebannt von der Präsenz der Viertausender. Das Weisshorn mit dem mächtigen Gendarme grüsst gleich zu Beginn des Aufstiegs. Kurz sieht man über die Schulter und Arête du Blanc auf unseren Traumberg. Bald folgen zur Rechten Grand Cornier und Dent Blanche mit ihren gewaltigen Nordabstürzen. Ehe man erst kurz vor der Hütte mit der imposanten Felsgestalt des Obergabelhorns konfrontiert wird. Und zu Füssen all dieser Majestäten duckt sich der Glacier de Zinal in seine Talmulde, dünn geworden und mit grauem Staub bedeckt, das Spaltengerippe offen, siecht er seinem baldigen Ende entgegen.

Die Hütte liegt noch in der Sonne, als wir ankommen. Wir genissen die letzten wärmenden Strahlen, schon bald stärken wir uns bei Suppe und Nudelauflauf. Wir beschliessen am Morgen um 4 Uhr aufzubrechen. Laut Führerliteratur 5-7 Stunden über den SW Grat und 5-6 Stunden über den Nordgrat, da sollten wir bis 17 uhr abends zurück sein...

Es geht los in mondheller Nacht. Die Silhouettten der Gipfel leuchten fahl unter einem sternenklaren Himmel. Gemächlich steigen wir über den Moränenrücken, nach einer Stunde erreichen wir den Gletscher und seilen an. Eine weitere Stunde traversieren wir im Angesicht der Westflanke hinüber zum SW-Grat. Nun wird es steil, der Bergschrund ist gut zu überwinden, doch das Firncouloir pickelhart gefroren. Auf Frontzacken geht es in die Höhe, der Abschnitt is länger und steiler als gedacht. Schon brennen die Waden und fast übersehen wir die purpurrote Morgenvorstellung des Viertausenderensembles. Noch fünfzig Meter und wir haben den Grat erreicht. Wir sind bereits eine ganze Stunde hinter dem Zeitplan, doch auch am "point of no return", also weiter..
Wir teilen uns in zwei Zweierseilschaften und gehen die ersten Grattürme an. Es geht anfangs gut voran, doch schon bald kommen wir an die schwierigen Stellen. Ausgesetzte Kletterpassagen im vierten Grat, da geht viel Zeit drauf mit Standplatzsicherung und Materialtausch. Der letzte grosse Turm vor der Gabel braucht nochmals höchste Aufmerksamkeit, wir haben mittlerweile wieder Steigeisen angelegt, da schon reichlich Schnee im Grat liegt. Ein Abseilmanöver und eine kurze Hangeltraverse und wir stehen an der Gabel, schon ist Mittag durch, doch von hier sollte es nicht mehr weit zum Gipfel sein.
In einfacher Kletterei geht es zum Fuss der Binerplatten, die ersten Bohrhaken der ganzen Tour glänzen in der Sonne, doch weiter oben liegt viel Schnee. Ein langer Runout bis zu den Sicherungstangen wird mittels Friends entschärft, doch leider verharkt sich das Seil der ersten Seilschaft im Spalt. Wieder Abseilen, Seil befreien, nachsichern. Dann kommen wir, wieder verklemmt sich das Seil, doch das Restseil ist zu kurz, ich muss mit Prusiksicherung nachkommen und das Seil befreien. Hier geht viel Zeit verloren. Endlich der Gipfelgrat, da bleibt das Seil hinter der Wächte hängen und schneidet sich in den Schnee, wieder verlieren wir Zeit und Kraft das Seil zu befreien. Die Kollegen warten schon eine Stunde am Gipfel, als wir um 17 Uhr oben stehen. Glücklich und erschöpft fühlt man sich ein bisschen wie die Protagonisten gewisser Gipfeldramen, die ihre 8000er im Abendlicht erreichen und die der Abstieg nicht mehr interessiert.  Wo ist nur die Zeit geblieben??

Nach kurzer Kräftigung und viel zu kurzer, im Geiste abwesender Rundumschau, beginnt der Abstieg über den Nordgrat. Nebelfetzen schiessen aus der senkrechten Ostwand empor. Das Abendlicht wirft unsere Schatten in die Wassertröpfchen. Ein Zwilling, der in der Luft über dem Abgrund schwebt. Langsam arbeiten wir uns Schritt für Schritt im Mixedgelände nach unten. Psychisch anspruchsvoll ist dieser Teil, da absolut keine Sicherungsmöglichkeiten und links und rechts gähnende Leere droht.
Endlich erreichen wir wieder Klettergelände. Von der Bosse wird  abgeseilt. Zu unserem Ärger verheddert sich das Seil, alle vier lassen sich ab, eine weitere Stunde in Luft aufgelöst. Dann der Sonnenuntergang an der Sphinx, mystische Abendstimmung, schon kriecht bedrohlich die Dunkelheit die Ostwand empor. Ein letztes Abseilmanöver, dann überkommt uns die Nacht. Im Stirnlampenlicht geht es über das Rasoir, die Steigeisen kratzen am Fels entlang, die Hände klammern sich an die messerscharfe Kante, luftig ist es hier oben. Unvermittelt kommen wir vom Felsgelände auf einen Schneepfad, der am rechten Rand des Grates entlangführt. Wir glauben die Schwierigkeiten überwunden zu haben. Beschwingt marschieren wir auf die Schulter zu.
Wieder verengt sich der Grat und von vorne tönen missmutig Rufe herüber. Es wird wieder steiler und wir gehen wieder in den rückwärtigen Abstiegsmodus über. Die Arête du Blanc fordert nochmals unsere ganze Aufmerksamkeit. Ich weiss nicht mehr wieviele Tritte wir gehen mussten, doch es müssen Hunderte gewesen sein. Den Blick stier auf die Füsse, dann Pickel setzen, dann wieder Tritte, Pickel und so weiter und so fort. Ab und zu der Blick nach unten, die erste Seilschaft weit voraus, doch immer noch am Grat. Der Blick auf die Seite verliert sich nach fünf Metern in pechschwarzer Leere, hier geht es mehrere Hundert Meter tief auf den Mominggletscher.
Erst um 23 Uhr erreichen wir auf 3700 Metern den Fuss des Grates. Erschöpft ruhen wir uns kurz aus. Bis zur Hütte sind es noch 800 Höhenmeter. Nach zwei wortkargen Stunden erreichen wir sie um 1 Uhr morgens. Doch eine Überraschung steht uns noch bevor. Wir öffnen die Tür und vor uns steht ein reichlich gedeckter Tisch, heisser Tee und heisse Suppe, Brot, Wurst und Schocki, dazu ein Briefchen des Hüttenwartes, dass unser Zimmer wieder bezugsbereit sei. Das nenn ich Fürsorge vom Feinsten. Unser Dank gilt den Hüttenwirtspaar, das uns den ganzen Tag über mit dem Feldstecher im Auge behalten hatte und hätten wir nicht Ruhe bewahren müssen, hätten wir eine Lobeshymne angestimmt.

FAZIT: Tolle, eindrückliche Traumtour in bestem, tadellosen Granit. Hätte in dieser Form der Überschreitung und bei Schnee sicher auch ein D verdient. Persönlich gesehen, verlief die Tour natürlich viel zu lange und hat dadurch leider das Risiko erhöht, bei Dunkelheit oder durch Konzentrationsschwächen ernsthafte Fehler zu machen. Man hätte durch ein striktes Trennen der beiden Seilschaften und eine bessere Materialaufteilung, sowie effizientere Seilhandhabung sicher viel Zeit sparen können. Dennoch hat es über grosse Strecken Spass gemacht und auch das viele Warten hatte sein Gutes, da man sich immer wieder gut erholen und fokussieren, sowie in vollen Zügen die Aussicht geniessen konnte.

Tourengänger: Leander


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Kommentare (1)


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xaendi hat gesagt:
Gesendet am 6. Oktober 2014 um 18:41
Auch wenn ihr ziemlich durchbeissen musstet - eine solche Tour bleibt sicher für immer in Erinnerung! Danke für's Teilen.


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