Zwei-Tages-Tour Lauterbrunnental - Schilthorn und retour


Publiziert von Fluffy , 20. August 2011 um 10:34.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Jungfraugebiet
Tour Datum:13 August 2011
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Zeitbedarf: 2 Tage 10:30
Aufstieg: 2100 m
Strecke:Stechelberg - Schilthorn - Stechelberg
Unterkunftmöglichkeiten:Campingplatz Stechelberg

Seit zwei Jahren träumen wir davon, das Schilthorn von Lauterbrunnen aus zu erwandern. Nachdem es mit dieser Tour, wohlgemerkt einschließlich Rückweg, bisher nicht geklappt hatte, machten wir kurzfristig Nägel mit Köpfen: Vernünftige Rucksäcke gekauft, ein Zelt, unserem 13jährigen Malinois-Mix Fluffy schon mal beigebracht, dass sie nicht drin, sondern draußen schlafen wird, die Wettervorhersage gecheckt, Freitag nach der Arbeit die Rucksäcke gepackt, Samstag früh halb fünf von Nordbaden nach Stechelberg gefahren.
 

10 Uhr gehen wir los, wie erwartet erstmal rauf, rauf, noch raufer. Der Routenführer sagt uns 2.100 Höhenmeter für den Hinweg voraus. Strahlender Sonnenschein, ein sich mit jedem Meter und Blickwinkel änderndes immer wieder begeisterndes Panorama, alles ist bestens. Nur sehr vereinzelt treffen wir Wanderer. Der Weg ist abwechslungsreich, die Flora ebenfalls, die Fauna zieht es vor, sich im Hintergrund zu halten. Immer wieder kreuzen Bäche den Weg, die Abkühlung bringen – herrlich! Sehr praktisch auch, da wir unsere Wasserflaschen nicht ständig auffüllen müssen, Fluffy bedient sich ohnehin aus Pfützen und Bächen.
 

Unsere einzige Rast an der Rotstockhütte ist wirklich nötig. Es ist gut warm geworden, das letzte Stück will kein Ende nehmen – irgendwie scheint die Hütte ständig rückwärts zu wandern. Sehr motivierend allerdings ist schon länger der Blick auf unser Ziel, das Schilthorn. Ein bisschen einschüchternd sieht es aus, denn sehr gemütlich präsentiert sich dieser Schuttberg mit seinen steilen Hängen nicht .
 

Erstmal Rucksack runter – 13 kg für jeden! Das Packen müssen wir noch üben. Immerhin, wir sind 48 und 52 Lenze und tragen die Last stoisch wie die Maultiere, da darf man schon ein bisschen stolz sein.

Wir setzen uns etwas abseits und mümmeln unseren Proviant, als eine sehr nette, unglaublich fitte ältere Dame auf uns zukommt, um sich über unsere zugegebenermaßen etwas ungewöhnlichen Schuhe zu informieren. Offiziell heißen sie Vibram Five Fingers, Barfußschuhe oder Zehenschuhe. Wir nennen sie Affenschuhe. Meine jahrelange Begeisterung fürs Barfußlaufen auch im Hochgebirge hält bis heute an, allerdings sind die ultradünnen, aber sehr „steinchenundurchlässigen“ Sohlen doch eine echte Hilfe. Jede Zehe hat ihre eigene Box, so dass der ganze Fuß läuft, jeder Muskel, jede Sehne und alle Bänder in die Bewegung einbezogen sind. Damit die Füße nicht heißlaufen, marschiert man direkt durch die Bachläufe, das lästige Ausziehen schwerer Wanderschuhe und klammer Socken entfällt.

 

Einen Gruß im Nachhinein an die sympathische Dame, die ein Modell der Affenschuhe bereits kannte und schätzte: Auch nach dem Abstieg hatten wir keinerlei Blasen, die Schuhsohlen haben auch diesmal nicht gelitten, der Sitz im trockenen und nassen Zustand blieb perfekt.
 

Weiter geht’s. Rucksack auf den Buckel und los, dem Ziel entgegen. Erst eine Alm mit weidenden Rindern queren – das macht immer ein bisschen Magendrücken, da viele Kühe unseren armen Hund anscheinend auf dem Kieker haben, warum auch immer. Wir sind schon so manches Mal geflüchtet, sogar ein Maultier ist ihr mal hinterher. Dazu muss man sagen, dass Fluffy nicht mal einem Hasen hinterher guckt. Sie liegt eher mit Katzen im Körbchen und streitet sich höchstens mit den Kaninchen und Meerschweinchen um ein Möhrchen. Als Jagd- oder Wachhund wäre sie eine Katastrophe. Aber diese Rindviecher waren sehr lieb und ließen uns unbehelligt durch.


Die Vegetation wird langsam spärlicher. Bisher besteht unsere Wegzehrung aus vielen Wildkräutern, ist ja gerade Saison: Löwenzahn, Miere, Wegerich etc. wachsen einem bei der Steigung fast von allein zwischen die Zähne. Der Mineralstoff-Kick hilft immer wieder sehr.

 

Immer weiter geht es bergauf, immer wieder liegen Felsblöcke malerisch, aber schwer passierbar durcheinander. Für Wanderer mit wenig Gepäck und ohne Hund sicher keine größere Herausforderung. Für einen zwar fitten, aber immerhin 13jährigen Wuff schon. Einige Male sind Bein und Pfote in einer Spalte, weil die Auftrittfläche zu steil ist. Fluffy beruhigen und ihr Schritt für Schritt vorgeben, wo sie hintappen darf, dauert. Ein 22-kg-Fellbündel tragen ist hier unmöglich.
 

Es wird immer steiler. Die Alpendohlen geben aus gehörigem Abstand ihren Senf zu unseren Anstrengungen. Viele Moose und Flechten und niedrig wachsende Pflanzen herrschen jetzt vor. Was also futtern? Ich habe dauernd Hunger. Ob das an der Höhenluft liegt? Von Nordbaden in Deutschland mit 110 m über dem Meer bis in über 2.000 Meter in einigen Stunden ist schon was! Außerdem bin ich ein Vielfraß. An die Pilze, die hier oben wachsen, traue ich mich nicht. Sie sehen aus wie sehr feste Champignons, aber ich kenne mich mit Pilzen nicht aus. Außerdem gibt es nicht viele, also stehen lassen - Ehrensache.
 

Weiter rauf, einige Felsblöcke und waghalsige Hundetapser später sieht man den Aufstieg zum eigentlichen Grat. Hmmm. Den Brienzer Grat waren wir vor wenigen Wochen zu ¾ gewandert und das sah schon übel aus. Übel für jemanden, der eigentlich Höhenangst hat und im Wohnzimmer bleiben sollte. Also für mich. Aber ich hatte mir ja vorgenommen, tapfer zu sein. Der Grat ist denn auch gut mit Seilen gesichert, wo es nötig ist. Runtergucken? – ich nicht! Aber Fluffy läuft grundsätzlich auf der äußersten Kante, ich kann es kaum mit ansehen. Muss sie eben doch mal an die Leine. Die Metalltreppe auf dem letzten Stück ist sehr steil, dazu geriffelt, also nichts für Hundedackelpfoten. Mit Geduld und viel Ermutigung klappt es dann doch. Oben!!! Nur noch wenige Meter bis zum Salatteller im berühmten 007-Dreh-Restaurant. Noch immer ist das Wetter schön, die Sicht bis auf wenige Wolken phantastisch!
 

Alles tut weh. Am liebsten möchten wir hier sitzen bleiben, die Füße auf den Tisch legen und Rucksack Rucksack sein lassen. Geht aber nicht, wir hatten uns vorgenommen, einige Hundert Meter abzusteigen, um einen geeigneten Zeltplatz für die Nacht zu suchen. Der Abstieg beginnt abenteuerlich mit einer Metalltreppe, die nicht halb so wild ist wie die beim Aufstieg auf der anderen Seite. Aber Fluffy hat sich gemerkt, dass die Dinger grundsätzlich weh tun können, also muss Peter sie dann doch tragen. Der Geräuschkulisse nach gegen ihren Willen…
 

Der Abstieg ist nicht schön. Viel Technik um das Schilthorn herum und Abraumhalden-Flair. Wenn wir aber daran denken, dass hier in einer Woche der Inferno-Halbmarathon raufpustet und –stolpert, erblassen wir vor Ehrfurcht. Wie machen die das??? Allein, was jeder an Geröll auf dieser Strecke lostritt, muss schon eine Herausforderung sein – für den folgenden Läufer zumindest. Was, wenn es regnet und alles nass und rutschig ist??? Es scheint ja zu gehen, aber wir sind sicher, dass das nur echte Cracks schaffen. Chapeau!
 

Bis zum Grauseeli kommen wir. Ein Blick nach unten sagt uns, dass wir bleiben sollten. Der Platz ist einigermaßen eben, das Zelt steht schnell, Fluffy sieht ein, dass ihr Platz unter dem hervorgebauten Zeltdach sein wird. Peter schnurchelt, Fluffy schnarcht. Ich bin wach. Glockengeläut. Was?!? Es wird gerade dunkel, da werden wir noch von einer Herde Rindviecher überrannt??? Als ich nach draußen sehe, ist klar, dass wir bleiben können. Ungefähr 30 Schafe haben sich am anderen Ufer des kleinen Sees eingefunden und denken nicht dran, sich mal hinzulegen und den Schnuffel zu halten. Es bimmelt und mäht in einer Tour. Das Mähen lässt nachts nach, das Bimmeln nicht. Unruhige Biester. Ob sie wissen, wie gut sie es haben?
 

Raus muss man ja immer mal, und in dem Fall ist das auch gut so: Wir hatten den Vollmond gar nicht auf der Rechnung! Der Himmel ist absolut klar, entsprechend hell die Umgebung: Direkt über das Lauterbrunnental auf die 4.000er zu schauen, diese Ruhe (ausgenommen die Schafe), diese Ursprünglichkeit, machen eine durchwachte Nacht mehr als wett!
 

Wie allerdings der Mountainbike-Fahrer noch im Dunkeln frühmorgens da rauf gekommen ist und wohin er weiter wollte, erschließt sich uns nicht. Aber sicher gibt es dort einige bekannte Routen für Routiniers. Wir sind keine und wundern uns mächtig. Die Radl-Spuren in der feuchten Erde zeigen uns, dass wir nicht geträumt haben.
 

Gemeinsam mit den Schafen werden wir wieder mobil. 7 Uhr, wir packen gerade das Zelt zusammen, schon stehen zwei Wanderer vor uns, die 4 Uhr in Stechelberg losmarschiert und nach drei Stunden bereits am Grauseeli sind. Klasse Leistung!
 

Wir gehen bergab. Auch klasse Leistung. Die Knochen könnte ich mittlerweile durchnummerieren, sie melden sich alle! Es ist etwas feucht; so gut die Schuhe sind, ein bisschen rutscht man auf nassem Gras auch mit ihnen. Unser alter Dackel lacht uns aus und freut sich, wenn sie wie ein Steinböckchen im Schuss den steilen Abstieg herunter rasen kann. Wann wird dieser Hund alt??? Sie macht viel mit uns mit, das wird es sein, das hält auch Fellbündel in Form. Hinterm Ofen lebt es sich zwar kommod, aber eben nicht sehr gesund.
 

Der Abstieg ist schön, keine Frage. Die Bergwelt begeistert zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch jetzt, aber wir sind doch einigermaßen geschafft vom Aufstieg und der Nacht. So viel haben wir aus dem Rucksack nicht herausgefuttert, dass er nennenswert leichter geworden wäre. Aber wir arbeiten dran: noch ein Apfel weg, noch einer…
 

Mürren kommt langsam, sehr langsam in Sicht, dann Gimmelwald, von da aus kommt ein letzter steiler Abstieg, den wir schon kennen. Immer denken wir, gleich da zu sein. Aber denkste! Er zieht und zieht sich und unten, vis-à-vis der Weißen Lütschine, geht es erstmal wieder den Buckel rauf. Die Muskeln protestieren, sie sind jetzt auf Abstieg eingestellt und zeigen sich wenig flexibel. Aber für große Verhandlungen mit unserer Hardware haben wir keinen Sinn mehr. Der steht uns vielmehr nach einer herrlichen Dusche. Die bekommen wir am Campingplatz in Stechelberg, den wir schon bei mehreren Touren schätzen gelernt hatten. In Lauterbrunnen noch zwei Tassen Kaffee und etwas zwischen die Zähne und ab nach Hause.
 

Fluffy ist wach und fit, Muskelkater scheint sie nicht zu kennen. Peter ist wieder mal begeistert von unseren Affenschuhen, er hat keinerlei Blasen (die er mit normalen Schuhen grundsätzlich hat), die Waden zwicken ein bisschen. Mehr nicht. Und ich? Ich bin ein Weichei!!! Hilfe! Alles eine einzige Muskelkatze! Jetzt ist Dienstag Abend und ich kann immer noch nur mit einem gar schaurigen Geheule aufstehen. Nach ein paar Metern bin ich so weit eingelaufen, dass ich vom 90-Grad-Winkel in die Senkrechte komme. Geht doch.
 

Es war eine wunderschöne, unglaublich anstrengende Tour mit der schönsten Stimmung nachts bei Vollmond, die wir je erlebt haben. Das GPS verrät uns unsere Leistung: 16 km in 6,5 Stunden (inkl. Pausen, inkl. Teilabstieg) am Samstag, 7 km in 4,0 Stunden (inkl. Pausen) Abstieg am Sonntag. Knapp 3.000 kumulierte Höhenmeter. Und die eben auch wieder runter!!!


Tourengänger: Fluffy


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Kommentare (5)


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fuemm63 hat gesagt: Schilthorn
Gesendet am 21. August 2011 um 07:43
mit Five Fingers - finde ich toll! Habe die Dinger auch und bin rundum zufrieden. Ein ganz anderes "Fahrgefühl" :-) Danke für den schönen Bericht.

Gruss
Fümm

Fluffy hat gesagt: RE:Schilthorn
Gesendet am 21. August 2011 um 20:32
Hallo Fümm,

ja, die Affenfüße - Primaten erobern die Alpen, es waren gar nicht die Elefanten... Ernsthaft, mit Achilles- und Plantarsehnenentzündung seit einem Jahr, joggen nicht möglich, normale Schuhe schon auf kürzesten Strecken eine Qual, sind diese Dinger die einzig verbliebene Alternative. Und dann solche Strecken (wir sind viel in den Bergen unterwegs), das spricht für diese Schuhchen. Freut mich, wenn unser Bericht gefallen hat, vielen Dank!

Deine Touren scheinen vom feinsten, klasse! Nicht nur die Leistung, sondern die detaillierte, dabei knappe Beschreibung. Vielleicht nehmen wir uns mit einem Deiner Berichte als Motivation die eine oder andere (nicht ganz so anspruchsvolle) Tour ja mal vor?

Herzliche Füße (äh), Grüße

Irene Greiner




fuemm63 hat gesagt: RE:Schilthorn
Gesendet am 21. August 2011 um 21:29
Danke für die Blumen :-) Ich laufe (renne) mit dem Bikila-Modell der Five Fingers und finde es ein super Laufgefühl. Meinen Hausberg hier habe ich schon damit probiert. In nächster Zeit will ich sie mal anlässlich einer Alpentour ausprobieren. Euer Bericht motiviert mich!
Liebe Grüsse
Fümm

fuemm63 hat gesagt: RE:Schilthorn
Gesendet am 21. August 2011 um 21:33
PS: Es gibt immer wieder Diskussionen, auch hier auf hikr, über leichtes und schweres Schuhwerk. Schaut da mal rein, falls mal Rückfragen kommen. Ich bin übigens ein überzeugter Anhänger des leichten Schuhwerks :-)
LG Fümm

Fluffy hat gesagt: RE:Schilthorn
Gesendet am 22. August 2011 um 09:27
...ja, ja, so facettenreich wie die menschliche Artenvielfalt ist auch die Vielfalt im nächsten Intersport. Vielleicht liegen ja auch die Sherpas und Tarahumara nicht ganz falsch?

Danke für den Link! Da geht es ja hoch her!

Naja, jeder probiert am besten selbst, lässt vielleicht mal Unübliches zu, kehrt vielleicht auch mal zum Bewährten zurück - Leben und Leben lassen.

Ich lebe auch sehr gut, trittsicher, munter und blasenfrei in leichtem Schuhwerk - macht wirklich Spaß!

Viel Spaß bei der Alpentour auf weichen Sohlen! Ich habe meist noch "richtige" Schuhe im Rucksack - für alle Fälle, habe sie aber noch nicht gebraucht.

Liebe Grüße

Irene Greiner




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