Versuch Schibengütsch oder Ein Hoch auf unseren ÖV

Kurz vor Jahresende sind noch Freitage abzubauen. So entlässt mich mein Scheef für heute in die freie Natur. Gestern Abend prophezeite der beste Schweizer Wetterdienst (staatlich geprüft!) für heute Mittag Aufhellungen in der Zentralschweiz. Heute Morgen hatte er dann seine Meinung geändert. Ich setzte alles auf eine Karte und bleibe bei meinem Entschluss, die Schrattenfluh zu besuchen.

Zeitlich und räumlich abseits von den grossen Pendlerströmen lasse ich mich mit viermaligem Umsteigen von fünf verschiedenen Transportunternehmen nach Flühli, Hirsegg transportieren. Es ist immer wieder ein Erlebnis, zu erleben, wie alle diese Relaisstationen mit wenigen Minuten Aufenthalt ineinander verzahnt sind. Ich fühle mich beinahe wie der Kurier des Zaren, der in winterlicher Kälte nur schnell die Pferde wechselt und dann weiter zieht. Zur melancholischen Musik von Züri West im Ohr ziehen Stationen mit klangvollen Namen wie Wolhusen Weid (Halt auf Verlangen!) Usser-Lamm oder Krutacher im Schneegestöber an mir vorbei. Ich stelle unter anderem fest, dass im Rahmen der Liberalisierung des Bahnverkehrs die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn die Linie Willisau - Wolhusen betreibt  oder dass die Bahnunternehmen bei der Definition des Standards "Zweite-Klasse" offensichtlich Interpretationsspielraum haben.

In weniger als zwei Stunden habe ich den Ausgangspunkt meiner heutigen Unternehmung erreicht. Leider hat sich meine Hoffnung auf ein Aufklaren des Wetters nicht erfüllt und so ist die Schrattenfluh in mehr oder weniger dichten Nebel gehüllt. Schon früh schnalle ich meine Schneeschuhe an und steige problemlos auf. Ich geniesse die Stille und das Dahinschreiten im frischen Pulverschnee. Wo immer möglich suche ich mir eine eigene Spur, gelegentlich folge ich aber einer älteren Skispur. Momentan liegt noch wenig Schnee und überall gucken noch vorwitzige Gräser oder Steine hervor. Die bestätigt auch der einzige Skitourenfahrer dem ich begegne. er ist bis kurz vor den Hengst aufgestiegen und dann wieder umgekehrt, weil es mit all den Steinen noch nicht sehr angenehm zum Aufsteigen war.

Bei der (geschlossenen) Alpwirtschaft Schlund lege ich eine kurze Rast ein. Über dem Hengst bemerke ich eine kleine blaue Störung. Das nährt in mir die Hoffnung, dass es trotzdem noch aufreissen könnte und so setze ich meinen Aufstieg fort.

Es geht weiter entlang des Schrattentrails Nr. 1. Die Route führt angenehm ansteigend durch ein Tal am Fuss des Böli. Bei einem Zwischenhalt habe ich das Gefühl beobachtet zu werden. Auf einer Flanke in der Schrattenfluh bemerke ich einen verdächtigen Fleck. Ein Blick durch den Feldstecher bestätigt mir, dass eine Gämse mich mit wachem Auge fixiert. Wie lange sie mich wohl schon beobachtet?

Ich steige noch auf bis Chlus. Da der Schibengütsch mittlerweile dicht umwölkt ist, beschliesse ich, wenigstens das/den Böli zu besteigen. Plötzlich zischt es vor mir. Von rechts quert eine Gämse meinen Weg. Sie stösst laufend Zischlaute aus, verharrt immer wieder kurz, und flieht dann in grossen Sprüngen - ausgerechnet Richtung Böli! Da ich sie nicht noch mehr ärgern will und es hier oben nicht mehr sehr viel Einladendes gibt, entschliesse ich mich, den Heimweg anzutreten. Auf der Alp Schlund verzehre ich in der Gesellschaft eines kleinen Schnüggels mein Sandwich. Ich kann seinen braunen Augen nicht widerstehen und so wird halt geteilt.

Der weitere Abstieg verläuft sehr zügig und kurz vor 1500 Uhr bin ich wieder an der Bushaltestelle. Die Rückreise verläuft genauso toll wie die Anreise und kurz nach 1700 Uhr bin ich unter der heissen Dusche. Auch wenn es mit dem Wetter nicht geklappt hat, war's doch ein toller Tag!