(K)ein Siete Hermanos (4800m) und der Sturm


Publiziert von Kris , 29. Dezember 2023 um 18:05.

Region: Welt » Chile » Atacama
Tour Datum:14 November 2023
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: RCH 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 1000 m
Abstieg: 1000 m

Nach unserer kurzen Einlauftour geht es nun noch weitere 2 Stunden weiter mit den Fahrzeugen tiefer in die Atacama, weiter weg von der Zivilsation. Ziel ist die Laguna Santa Rosa auf knapp 3800 Meter über Normalnull, eine große, flache Salzlagune als Fremdkörper in der kargen Landschaft. Die Fahrt geht durch canyonartige Täler und gewinnt dann immer weiter an Höhe bis auf ca. 4500m. Hier öffnet sich der Blick und zeigt erstmals die unendlichen Weiten dieser Region - von Salzlagune bis zum fünfhöchsten Gipfel Südamerikas - den Tres Cruces (6749m). Nach einer kurzen Fahrt bergab, erreichen wir die Lagune. 

Überrascht nehme ich die Hütten wahr. Eigentlich hatte ich mich innerlich bereits von jeglichen menschengemachten Bauten verabschiedet. Doch es gibt hier tatsächlich (laut eigener Angabe) die einzige Hütte im Altiplano de Atacama. Und das auch noch mit Massage-Dusche(!) und WLAN(!). Hier schlagen wir wieder unsere Zelte auf, theoretisch kann man aber auch im Mehrbettzimmer (das nehmen unsere Guides) oder aber in privaten kleinen Hütten hausen. Das Refugio scheint eine Art Mischung aus Übernachtungsgelegenheit und Nationalpark / Naturschutzhütte zu sein. So ganz genau konnte ich das die ganze Zeit nicht herauslesen, ist aber meine eigene Interpretation. Davon zeugen auch zahlreiche Abgrenzungen und Hinweisschilder, die die Besucher vom Verlassen der vorgezeichneten Pfade abhalten sollen. Geschützt werden hierbei vor allen die Tiere, die es hier - erstaunlicherweise - zahlreich gibt. Kleine Vögel, Flamingos, Guanako-Herden.. 

Für unsere Zelte sind bereits Windschutzmauern aus Steinen erbaut, wir müssen "nur" noch weitere Felsen sammeln um die Zelte zu befestigen. Das Sammeln und Aufbauen wird gedämpft von der neuen Höhe und dem fortlaufenden Wind. Nur mit gemeinsamer Kraft schaffen wir es, die Zelte vernünftig und sturmsicher zu errichten. Nun hat ein jeder wieder "me-time" im Zelt bis zum gemeinsamen Abendessen. Ich kann am Ende nicht widerstehen und erstehe für 5 Dollar WLAN Zugang und funke nach Hause. Dabei ist die Reise eigentlich ja noch gar nicht richtig losgegangen. Für die Mahlzeiten steht uns ein Raum im Refugio zur Verfügung. Das gilt auch für deren Zubereitung. Und so nutzen die Guides die guten Ausgangsbedingungen um chilenische Gerichte zu kredenzen, allen voran ein Maisbrei, der in Maisblättern gegart wurde und mit Zwiebeln und Tomaten serviert wird. 

Man gewöhnt sich an so ziemlich alles, und so auch an die Zeltnächte. So schlafe ich bereits besser und bin bereit für die morgige, erste längere geplante Tour auf den mehr oder minder nahegelegenen Siete Hermanos (4800m). Ganze 1000 Höhenmeter gilt es also zu nehmen. Die Wetterprognosen sind dabei eher ernüchternd, da wir mit starkem Sturm rechnen müssen. Los geht es direkt am Refugio. Von hier ziehen wir weglos einen seichten, langgezogenen Kamm hinauf. Das Gelände zu beschreiben erübrigt sich dabei. Es ist quasi unisono. Leichter Sand, Schutt. Anfangs noch kleine Grasbüschel. Innerhalb der Gruppe macht sich bereits bemerkbar, wer eher Typ Vorläufer und wer eher Typ gemächlich ist. Ich ordne mich irgendwo in der Mitte ein. 

Sobald wir auf dem Kamm mehr dem Wind ausgesetzt sind, wird es durch den Windchill bitterkalt. Es rächt sich, dass ich nur meine mittleren Handschuhe mitgenommen habe. Am liebsten würde ich bereits jetzt die dicken Fäustlinge überstreifen. Meine kalten Hände sind dann auch meine gedankliche Hauptbeschäftigung, während wir uns langsam weiter den Hang hocharbeiten. Immer wieder muss ich beide Trekkingstöcke in eine der beiden Hände nehmen, damit sich die andere Hand in einer Jacken- oder Hosentasche erholen kann. Unser Gruppenfeld zieht sich immer weiter auseinander. Mittlerweile kann auch von gemächlich nicht mehr die Rede sein. Es gibt scheinbar klare Unterschiede in Höhenanpassung und/oder Ausgangskondition. In den rar gesäten Pausen warten wir immer wieder auf die Nachzügler. 

Nun nimmt der Sturm immer weiter zu, die Böen treffen uns immer wieder hart von der Seite. Ich schaue auf meine Uhr, wir sind auf etwa 4600m. Vorsichtig setze ich die Füße voreinander um nicht im Moment eines Ungleichgewichts vom Sturm erwischt zu werden. In völliger Gesichtsvermummung kommen wir auf etwa 4700m zum Stehen und nehmen schützend hinter ein paar Felsen Position ein. Nachdem wiederum die letzten Teilnehmer eingetroffen sind, ist die Entscheidung schnell gefallen, dass wir die letzten rund 90 Höhenmeter nicht mehr in Angriff nehmen. Technisch zwar weiterhin komplett unschwierig aber noch mehr windexponiert, würden die Böen dort oben vielleicht 120-130 Stundenkilometer erreichen. Die bisher erlebten über 100 km/h schnellen Windstöße haben uns allen gereicht. Disclaimer: ich habe den Siete Hermanos dennoch als Gipfel in den Bericht als Wegpunkt aufgenommen, da es sich um den ersten Bericht zu diesem Berg handelt und ggf. etwas Information bietet für Nachahmer. Ohne Wind wäre der Gipfel eine reine Formalität gewesen. (hätte, hätte, Fahrradkette)

Mit nicht allzu langen Gesichtern wenden wir uns zum Abstieg, der einen leicht anderem Wegverlauf folgt.  Wir versuchen, den Kamm rechterhand aus unserer Sicht als direktere Variante nach unten bis direkt ans Camp zu verfolgen. Schnell wird klar, dass das quasi nicht machbar ist. Die Windstöße sind zu stark und sie zwingen uns ein ums andere Mal zum Stehen bleiben und Ausbalancieren. Teils werden wir fast vom Kamm geblasen. Wir gehen nun daher links hinunter über eine steile Schuttflanke, die deutlich windgeschützter ist. Schlagartig wird es ruhiger. Wir pausieren hier noch einmal kurz und dann verteilt sich die Mannschaft weit voneinander. Jeder geht in seinem eigenen Tempo und auf eigenem Wege nun die Flanke hinunter in ein schwach ausgeprägtes Tal. Diesem folgen wir schier endlos zurück Kilometer für Kilometer an die Laguna. Durch die nötige Wegfindung und teils versteckte Erdlöcher im feinen Sand ist es mühsamer, als es ausschaut. Ich bin in jedem Falle froh, am Zelt angekommen zu sein. Die letzten Teilnehmer kommen dann knapp eine Stunde später am Refugio an. 

Abends genießen wir einen schönen Sonnenuntergang und das gemeinsame Essen in der Hütte. Dazu gibt es ein Mundharmonika-Konzert + Beat-Box von Miguel und der Leiterin des Refugios. Ebenso genießen wir das letzte Mal das richtige WC und die Internetkonnektivität, bevor wir am nächsten Tag nochmals weiter hinein fahren in die Atacama..



KONDITION 3.5/5
ORIENTIERUNG 3/5
TECHNIK 1.5/5
EXPONIERTHEIT 1.5/5

Tourengänger: Kris


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Kommentare (1)


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Vielhygler hat gesagt:
Gesendet am 30. Dezember 2023 um 12:46
Sehr interessant, danke! Bin schon gespannt, wie es weitergeht...


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