Einmal im Leben: Mont Blanc


Publiziert von wf42 , 11. September 2022 um 16:13.

Region: Welt » Frankreich » Haute-Savoie » Massif du Mont Blanc
Tour Datum:14 August 1988
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: F 
Zeitbedarf: 2 Tage

Viele Bergsteiger, auch solche der gemäßigten Richtung, träumen davon, einmal auf dem höchsten Gipfel der Alpen zu stehen. Für meine Lebensgefährtin und mich wurde dieser Traum im Sommer 1988 wahr.

Da wir in den vergangenen Jahren etliche Hochtouren unternommen hatten, fühlten wir uns den Anforderungen gewachsen; Erfahrung im Begehen von Gletschern war vorhanden. Auch hinsichtlich der Höhe wussten wir, worauf wir uns einließen; zwei Jahre zuvor war uns die Besteigung des Chimborazo gelungen (mit Bergführer in der Gruppe). Jetzt ging es darum, genügend Kondition aufzubauen und möglichst viele rote Blutkörperchen zu sammeln. Das Training dauerte knapp zwei Wochen und umfasste schöne Wanderungen im Höhenbereich bis 3500 m in der Gran-Paradiso-Gruppe und rund um das Aostatal (unter anderem Mont Taout Blanc und Monte Emilius). Abschluss dieser Trainingsphase war die Besteigung von Liskamm-Westgipfel und Castor, wobei das hochgelegene Rifugio Quintino Sella als Stützpunkt diente. Erst nach Beendigung dieser Vorbereitungstouren brachen wir nach Chamonix auf.

Eine Online-Reservierung für die geplante Übernachtung in der Goûter-Hütte war nicht möglich, weil das WWW erst noch erfunden werden musste. Daher führte uns der erste Weg ins Büro des französischen Alpenclubs (CAF). Im gedruckten Führer hieß es damals, man solle sich ein bis zwei Tage vor der Tour in diesem Büro anmelden - eine völlig unrealistische Angabe. Ich hatte den Eindruck, dass die freundliche Angestellte im Büro nur mit Mühe ein lautes Lachen unterdrücken konnte. Sie erklärte uns, dass die nächsten freien Übernachtungsplätze erst Ende September verfügbar sein würden. Von einer Sekunde auf die andere war unser Traum geplatzt. Adieu, Mont Blanc! Wir waren schon dabei, das Büro zu verlassen, da drehte ich noch einmal um und fragte, wie es mit einer Übernachtung in der Grands-Mulets-Hütte aussehen würde. Erfreulicherweise wurde uns mitgeteilt, dass wir am folgenden Tag aufsteigen könnten. Wir machten die Reservierung perfekt, auch wenn uns klar war, dass damit am Gipfeltag anstrengende 1800 Höhenmeter in dünner Luft fällig sein würden. Andererseits könnte die Nächtigung in 3050 m Höhe vielleicht etwas angenehmer sein als in 3800 m.

Am Tag des Hüttenaufstiegs nahmen wir die Seilbahn, die von Chamonix auf die Aiguille du Midi führt, und fuhren bis zur Mittelstation Plan de l'Aiguille. Von hier aus ging es in südwestlicher Richtung aufwärts.  Bald war der apere Teil des Bossons-Gletschers erreicht. Richtig spannend wurde es im Bereich La Jonction, einem beeindruckenden Labyrinth von Seracs und Spalten. Gleich am Anfang dieser Passage machte uns das Krachen eines zusammenstürzenden kleinen Eisturms die Gefahren bewusst. Es gab eine klar erkennbare Spur, aber bis kurz vor der Hütte waren immer wieder kleinere und größere Gletscherspalten zu überqueren, manchmal auf nicht besonders stabil aussehenden Schneebrücken. Der kurze Schlussaufstieg zum Refuge Grands Mulets, das spektakulär auf einem Felssporn inmitten des Gletschers liegt, hatte dann eher den Charakter eines einfachen Klettersteigs.

Kurz vor dem Abendessen kam noch ein junger, in Hamburg lebender Bergsteiger an der Hütte an, der allein über den zerklüfteten Gletscher aufgestiegen war. Er erzählte, dass er mit seinem Vater nach Chamonix gefahren war, um über die Goûter-Route den Mont Blanc zu versuchen. Allerdings war dieser Plan aufgrund unzureichender Höhenanpassung gescheitert. Da für unsere Zweierseilschaft (mit ziemlich unausgeglichener Massenverteilung) und erst recht für einen Alleingänger das Risiko eines Spaltenunfalls nicht zu vernachlässigen war, machte ich das Angebot, eine Dreierseilschaft zu bilden. Diese Entscheidung, einen Unbekannten mitzunehmen, war natürlich nicht ganz problemlos, konnte aber für beide Seiten die Sicherheit erhöhen. Nach einem - angesichts der Lage der Hütte - hervorragenden Vier-Gänge-Menü war schon um 21.00 Uhr Hüttenruhe angesagt, was auch recht gut funktionierte. Vier Stunden Schlaf sind nicht viel, aber immerhin.

Der nächste Tag begann mit extrem frühem Aufstehen um 1.00 Uhr. Ziemlich schnell stopften wir unser Frühstück hinein. Schon eine halbe Stunde später kraxelten wir zum Gletscherboden hinunter, wo wir zusammen mit den anderen Mont-Blanc-Aspiranten die Steigeisen anlegten und uns anseilten. Der Aufstieg war insgesamt wesentlich einfacher als der gestrige Hüttenaufstieg. In diesem Bereich gab es relativ wenige Spalten, und die Spur war trotz der Dunkelheit nicht zu verfehlen. Als es nach Stunden des etwas eintönigen Stirnlampen-Aufstiegs endlich zu dämmern begann, waren wir nicht mehr weit vom Col du Dôme entfernt, wo die Anstiege von der Goûter-Hütte, der Grands-Mulets-Hütte und von der italienischen Seite zusammentreffen. Jetzt hieß es, sich in die Schlange der schätzungsweise 400 Personen einzureihen, die an diesem Tag den Gipfel erreichen wollten.

Bald kamen wir am Bivouac Vallot vorbei. Einen Aufenthalt in dieser Biwakschachtel wollten wir uns lieber nicht so genau vorstellen. Im weiteren Verlauf wird das Gelände deutlich anspruchsvoller. Der Bosses-Grat ist nicht besonders schwierig, aber stellenweise recht schmal und ausgesetzt. Sicheres Gehen mit Steigeisen ist hier ein absolutes Muss. Nach etwa zwei Stunden am Grat (mit etlichen staubedingten Pausen) war es kurz nach 9.00 Uhr so weit: Wir hatten den langen Aufstieg geschafft und standen auf dem Mont Blanc. Die gute Vorbereitung hatte sich ausgezahlt. Die Aussicht auf unzählige unbekannte und einige bekannte Gipfel war eindrucksvoll, auch wenn die weiter entfernten Berge teilweise im Dunst verschwanden.

Während der ersten 500 Höhenmeter des Abstiegs (mit recht viel Gegenverkehr) hatte unser Seilpartner ein wenig Probleme mit der dünnen Luft, war aber durchaus noch in der Lage, die schwierigeren Passagen des Grats zu meistern. Als wir in Richtung Grands Mulets abbogen, war wieder alles in Ordnung. Für mich wurde noch ein kurzer Zusatzausflug fällig, da ich beim Aufbruch vergessen hatte, meinen in der Hütte hinterlegten Ausweis mitzunehmen. Der weitere Abstieg erforderte - wie am Vortag - nochmal höchste Konzentration wegen der gefährlichen Spalten. Glücklich, wenn auch etwas erledigt, trafen wir in der Seilbahnstation ein.

Viele Einzelheiten dieses Berichts (1988) weichen deutlich von den aktuellen Gegebenheiten (2022) ab. Ein Vergleich mit neuen Berichten und Fotos zeigt, wie dramatisch sich die Gletscher verändert haben. Der Hüttenaufstieg zum Refuge Grands Mulets ist inzwischen im Sommer kaum mehr möglich. Was bleibt, sind die starken Eindrücke, die wir bei unserer Mont-Blanc-Tour sammeln konnten.

Tourengänger: wf42


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