Kor 2437m - Vorhang auf und Vorhang zu

Die Wolken verhängen das Pustertal und auch die webcams versprechen keinen Sonnenschein. Wir ziehen trotzdem los zur Geige, sie ist ein klassisches Schlechtwetterziel und als schnelle Bergtour geeignet. Unter einem dichten Wolkenvorhang stapfen wir durch den Wald, meine Laune wird mit jedem Meter schlechter, wäre ich doch lieber zuhause geblieben!?
Zwei besser gelaunte junge Gleitschirmflieger huschen an uns vorbei und reden etwas von Hochnebel, der sich auflöst. Was wissen denn schon diese Knaben, ihnen fehlt eben die jahrzehntelange Erfahrung der reiferen Berggeher! An der Geige treffen wir sie wieder, sie richten ihre Gleitschirme und nebenan lichtet sich der Vorhang, die Sonne bricht durch die Wolken, wir stehen über dem Nebelmeer. Die "unerfahrenen" Kollegen haben genau richtig prophezeit und ich schäme mich für meine alterspessimistische Fehleinschätzung.
Ich liebe es, über dem Nebel zu stehen und meine Kamera läuft heiß. Während die Gleitschirmflieger noch zögern, weil sie nicht im Blindflug im Nebel landen möchten, bin ich nicht mehr zu halten und steige weiter dem Kor entgegen. Bei diesem Wetter wäre es eine Schande, zu früh abzusteigen.
Kaum gedacht zieht der Vorhang wieder zu und ich schleiche im Blindflug an den Markierungen entlang höher. Schon befällt mich die nächste Depression, das Panorama ist verschwunden und ich friere im Nebel, was für ein verlorener Tag!
Zum Gipfelkreuz will ich es wenigstens schaffen und dann nichts wie nach Hause. Irgendjemand noch weiter oben scheint sich meiner zu erbarmen und unvermittelt lösen sich die Nebelschwaden auf. Die Sonne scheint aus blauem Himmel und ich stehe über dem Wolkenmeer im Pustertal, atemberaubend. Ich kann mein Glück kaum fassen und in diesem Moment taucht nebenan ein Gamskitz auf, Danke für diesen Tag!
Am Kor sitze ich in der Sonne und staune in die Landschaft, Vorhang auf für spektakuläre Blicke. Bei der Gelegenheit will ich natürlich auch die Sextener Dolomiten bewundern und steige noch ein Stück an bis ich freie Sicht nach Osten habe. An einer unbenannten Anhöhe werde ich den Höhepunkt des Tages genießen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon das herrliche Panorama mit den Drei Zinnen über den Wolken und prompt zieht der himmlische Vorhang zu! Werde ich etwa von oben beobachtet und jemand treibt sein Spiel mit mir!?
Ich stapfe durch den Tiefschnee bis zu einem Steinmann am höchsten Punkt und schaue zu wie der Nebel sich verdichtet, habe ich zu viel gewollt? Der Vorhang ist endgültig geschlossen und ich ziehe mich zurück, ich hatte heute schon das Meinige. Zur Sicherheit folge ich meiner Aufstiegsspur, wie schnell hat sich schon mancher ohne Sicht auf der Hochfläche verlaufen. Einmal weiche ich kurz von der Linie ab und als ich meine Spur wiederfinde sind es plötzlich zwei? Das macht mich stutzig und ich zücke das GPS. Ich fasse es nicht, ich bin im Kreis gegangen und wieder auf dem Weg zur Korspitze!!! Bin ich zu blöd, in meiner eigenen Aufstiegsspur zurückzufinden, kaum zu glauben?
Sehr aufmerksam bleibe ich jetzt immer in der Nähe meiner Fußtritte bis zum riesigen Kreuz an der Geige. Von dort finde ich auch im Nebel zurück zum Parkplatz, Ende der Vorstellung, Vorhang zu ;-)