Kurzer Streifzug im Valle di Gorduno (P.509)


Publiziert von mong , 18. November 2012 um 17:08.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum:19 April 2011
Wandern Schwierigkeit: T5- - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Cima dell'Uomo 
Zeitbedarf: 3:30
Aufstieg: 324 m
Abstieg: 308 m
Strecke:Carasso(Lusanico) → Semiano → Gordola → Valle di Gorduno (P.509) → Ramezzano → Gorduno
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Bus: Bellinzona (Piazzale Stazione) ➙ Carasso (Lusanico)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Bus: Gorduno (Burgaio) ➙ Bellinzona (Piazzale Stazione)
Kartennummer:1313 Bellinzona

Dienstag, 19. April, 2011

 

Eigentlich hatte ich vor, von Carasso nach Lasagno und an Pastura Grande vorbei ins Valle di Gorduno hinein nach Morenzano zu laufen, verpasste aber eine Abkürzung und lief kurz darauf an ein paar Häusern vorbei: Ich war unbeabsichtigt in Gordola angekommen. Oberhalb dieser Siedlung biegt die asphaltierte Waldstrasse in einer Haarnadelkurve nach Süden ab.

 

Ich machte eine Pause, ärgerte mich über den Umweg, vertrat mir die Füsse, ass einen Salametto di Cinghiale, schaute mich in der Gegend um und bemerkte einen Weg, der in den Wald hinein führte. Ich schaute auf der Karte nach. Tatsächlich, da war ein Weg eingezeichnet. Der Weg beschreibt eine Art Schleife, hinein ins Valle di Gorduno, hinunter zu P.509 beim Ri di Gorduno (ich nenne den Talbach einfach Ri di Gorduno, weil ich auf der Karte keinen Namen gefunden habe) und auf der anderen Seite wieder zum Tal hinaus nach Ramezzano. Der Höhenunterschied von Gordola (wo ich mich befand) bis hinunter nach P.509 im Valle di Gorduno beträgt ca. 50m.

 

Sehr gut! Ein Schnäppchen! Zuschlagen! Nach dem Umweg bin ich sowieso schlecht gelaunt - Lasagno kann warten. Ich mache mich parat, besprühe mich mit einem Antizeckenmittel und folge dem Weg. Schon nach 20 Metern verbessert sich meine Stimmung. Der Weg windet sich, zuerst mit Gefälle und in abschüssigem Terrain, unter einem Felsen entlang ins Tal hinein. Ein Genuss! Ich bin gespannt, das könnte interessant werden. Ich komme um einen Felsvorsprung herum zu einer Schlucht und auf dessen Grund zu einem alten, morschen, aus drei Stämmen gebauten Steg, der früher eine Spalte im Terrain überbrückt haben muss. Die Spalte ist aber durch Rutschungen mit Geröll aufgefüllt. Deshalb kann ich den morschen Steg links umgehen.

 

Ich setze mich und atme tief ein. Es riecht nach Vergangenheit, Vorzeit und Verfall. Es ist eine wilde, schöne, traumhafte Gegend, wie geschaffen für Trolle, Gnomen und Elfen. Und tatsächlich, ich glaube ich träume, da stehen sie urplötzlich und wie aus dem Boden gewachsen in einem Halbkreis um mich herum, gören- und flegelhaft. Etwa ein Dutzend. Zwei Elfen sind auch dabei. Einer von den Trollen, er muss der Chef sein, fragt mich, ob ich hier etwas verloren hätte. Ich bin überrumpelt und antworte (etwas blöd): "Nein, eigentlich nicht." Ja wenn ich hier nichts verloren hätte, dann hätte ich hier auch nichts zu suchen, antwortet der Troll, und ich solle mich aus dem Staub machen, am Besten sofort, das Gebiet hier gehöre ihnen, sie hätten die Kontrolle übernommen, seit hier niemand mehr vorbei komme. Die andern Gnomen und Trolle grinsen, sie finden das eine extrem schlagfertige Antwort von ihrem Chef. Nur die beiden Elfen grinsen nicht, es scheint ihnen nicht ganz wohl zu sein bei der Sache. Ich glaube, sie schämen sich ein bisschen.

 

Das ist ja der Gipfel! Für diesen Troll bin ich also niemand..!!! Ich bin beleidigt und bin drauf und dran, dem anmassenden Troll zu sagen, ich sei nicht niemand, ich sei jemand. Denn wenn ich niemand wäre, könnte er mich ja gar nicht sehen - und überhaupt, ich hätte allen Grund anzunehmen, dass er und die anderen Trolle und auch die Gnomen und Elfen um ihn herum sowieso nur in meiner Phantasie existierten, er müsse also gar nicht so grossspurig und selbstsicher auftreten. Aber ich sage nichts, ich lasse mich auf keine Diskussionen ein, lasse die Trolle, Gnomen und Elfen stehen, wo sie sind, stehe auf und verziehe mich, etwas verunsichert und benommen und komme kurz darauf über einen gewundenen, mit Laub bedeckten Pfad zu einem zweiten Steg, der mit Schutt überlagert ist und eine steil ins Tal hinab fallende Rinne überquert. Auf dem Steg liegt ein Felsbrocken, den mir die Natur in den Weg gelegt hat, aber ich nehme es nicht persönlich und überwinde das Hindernis, indem ich den Stein links gegen den Hang hin umgehe.

 

Ich gehe weiter. Der Pfad ist zum Teil nicht mehr gut erkennbar und mit trügerischen Laubschichten zugedeckt. Das Terrain ist abschüssig und zerklüftet und durchsetzt mit Rinnen, Furchen und Gräben. Ich komme zu einer weiteren, steil abfallenden Rinne, es ist eher eine enge Schlucht.

Der Felsen ist brüchig, ich muss aufpassen und mit den Händen einen Halt suchen, um die Rinne zu queren. Der Pfad windet sich weiter dem steilen Hang entlang und bald sehe ich vor mir einen Geländerücken, der bei sanftem Gefälle nach rechts abfällt und zum Ri di Gorduno hinab führen muss, wie ich vermute.

 

Der bisherige Weg führt aber einfach um den Geländerücken herum und weiter der Talflanke entlang ins Tal hinauf, ungefähr in Richtung Pastura Grande. Ich folge ihm, aber die schlecht erkennbare Pfadspur verliert sich schon bald im Gelände. Zwar glaube ich, Spuren eines Zickzackweges zu erkennen, der steil nach links und über den Hang hinauf abbiegt, aber eventuell ist das nur ein Spiel der Natur, die mir einen Weg vorgaukelt, wo es gar keinen gibt.

 

Ich habe genug gesehen, das ist ein Irrweg, definitiv, also retour zum Geländerücken. Er ist schmal und schwach bewaldet und weglos und bildet die Grenze zwischen zwei Tälchen, die beide zum Ri di Gorduno hinunter führen müssen. Weiter unten, ich höre bereits den Bach rauschen, verengt sich der Geländerücken zu einer auf der rechten Seite brutal abgebrochenen Rippe, die aussieht, als ob ein Bergriese reingebissen und die Hälfte davon weggerissen hätte, einfach so, aus purer Freude am Leben. (Mindestens einen Bergriesen gibt es in dieser verzauberten Gegend, vielleicht sogar mehrere, da bin ich überzeugt). Die durch den Biss des Bergriesen ans Tageslicht beförderten Steinbrocken scheinen nur darauf zu warten, eine Ausrede zu finden, um ins Tal zu rollen. 

 

Vor dieser abgebrochenen Rippe bemerke ich aber einen Pfad, der nach links ins Tälchen hinein führt, sich aber nach 10m schon wieder verzweigt. Die eine Pfadspur führt geradeaus weiter, die andere biegt nach rechts ab. Beide Pfade führen zum Ziel (wie ich später herausfand). Ich entscheide mich für die Abbiegung nach rechts, und schon nach zwei Kehren sehe ich vor mir die Bachverbauung beim Ri di Gorduno: Ich bin bei P. 509 angelangt. Ich bin stolz!
 

Ich schaffe es sogar, den Bach zu überqueren, ohne nass zu werden, setze mich auf einen Stein und esse einen Tessiner Salametto di Cervo, mit Brot, und trinke dazu kalten Kaffee. Ein Festmahl! Ich geniesse es!

 

Eigentlich wollte ich eine angemessene Beschreibung dieses wunderschönen Ortes liefern, aber das ist schwieriger, als ich dachte. Es ist nichts Schlaues dabei herausgekommen. Ich verzichte also darauf und lasse den Ort so bleiben, wie er ist: einfach schön.

 

Als ich das letzte Mal dort war, am 09.10.2012, bot sich mir ein Schauspiel auf höchstem Niveau, und ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, weil ich keinen Eintritt bezahlt hatte. Die Blätter fielen von den Bäumen, als ob sie dafür im Akkord bezahlt würden, sie tanzten und wirbelten in der Luft herum wie die Ballerinas. Die zaghafteren Blätter liessen sich in die Rinnsale fallen und versteckten sich hinter den Steinen oder sie stauten und versammelten sich in Gruppen, um das weiter Vorgehen  zu besprechen: Es war ja das erste Mal in ihrem Leben, dass sie den Boden berührten. Die mutigeren liessen sich vom Winde direkt in den Wasserfall hinein wehen,  als ob das ihre übliche Landezone  und nicht das erste Mal wäre, und als ob sie das schon  immer gemacht hätten und als ob es nichts Schöneres gäbe.

 

Der Rest des Weges führt in etwa 20 Minuten durch zwei Stollen (mit Felsenfenstern) nach Ramezzano und weiter auf Abkürzungen nach Gorduno hinunter.  Auch diese kurze, aber reizvolle  Strecke hätte eine Beschreibung verdient. Aber für den Moment lasse ich es gut sein.

 

Anmerkung:

Weil es so schön war, habe ich diese Wanderung am 13.09.2012 und am 09.10.2012 wiederholt und war am 03.10.2012 noch einmal in der Gegend, um meinen kurzen Irrlauf bei der ersten Wanderung weiter zu erkunden (hat aber nichts gebracht).

Das ist der Grund, warum die hochgeladenen Fotos verschieden Daten haben.



 

Schwierigkeitsgrad:

Der Weg von Gordola bis zum P.509 wäre im Prinzip nicht schwierig. Aber er ist am Zerfallen und nicht markiert. Trügerische Laubschichten bedecken die Pfade. Das Gelände ist abschüssig. Deshalb würde ich sagen: EB (Erfahrener Bergwanderer).

Man lasse sich durch den eher langen Bericht nicht täuschen. Die Zeit, die man braucht, um von Gordola bis zum P.509 zu kommen, beträgt nur etwa eine Stunde.
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Anmerkung:

Ich hatte Probleme mit 'Fotos verkleinern'.
Die Leute von Meta: Community über Hikr haben mir dabei weiter geholfen.

Vielen Dank an alle:

Vor allem an xaendi, der mir den für mich geeigneten Tipp gegeben hat.

An schimi, für die nützlichen Empfehlungen und Erklärungen.

An Rhenus Alpinus , alpinbachi, Winterbaer, Axi, laponia41, 83_Stefan, Henrik, Alpinist, für die vielen guten Tipps.

Thanks a lot
mong

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Tourengänger: mong


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Kommentare (4)


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Seeger hat gesagt: Elfen, Trolle, Gnomen
Gesendet am 2. Dezember 2012 um 10:04
Ciao Mong
In 1 Stunde tausend Erlebnisse: Das ist zum Einen das wilde Tessin, zum Andern die Fähigkeit zu beobachten und zu beschreiben. Absolutes Highlight.
Gruss
Andreas

mong hat gesagt: RE:Elfen, Trolle, Gnomen
Gesendet am 2. Dezember 2012 um 21:57
Ciao Andreas

Herzlichen Dank für dein grosszügiges Feedback! Das freut mich natürlich - umso mehr, weil es von jemandem kommt, der weiss, wovon er redet, wenn es um das wilde Tessin geht.

Lieber Gruss
mong

Falke hat gesagt: RE:Elfen, Trolle, Gnomen
Gesendet am 24. Dezember 2012 um 23:04
Ciao mong und Andreas
Es gab Zeiten, da habt ihr beiden für eine Einstundenwanderung nicht soviel Text zusammen gebracht?! Sei's drum, wer genauere Eindrücke bekommen will, ist mit euren Expertenberichten gut bedient. Man muss es nicht einmal kontrollieren :-)
Macht weiter so!

Seeger hat gesagt: RE:Elfen, Trolle, Gnomen
Gesendet am 25. Dezember 2012 um 11:15
Was für eine Weihnachtsüberraschung!
Es ist nicht Eitelkeit, es ist Hingabe und Inneres Feuer, welche uns zu geistigen Eskapaden hinreissen lässt.
Für mich bedeuten die Berichte eine Aufgabe. Denn ein Mensch ohne Aufgabe gibt sich auf.
Mit diesen Worten möchte ich allen Lesern ein Gutes 2013 mit möglichst vielen Einfällen wünschen.
Gruss
Andreas


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