Bergbauhistorische Rundtour bei Haje (Zwittermühl)


Publiziert von lainari , 12. Oktober 2018 um 22:02.

Region: Welt » Tschechien » Krušné hory
Tour Datum: 5 Oktober 2018
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 650 m
Abstieg: 650 m
Strecke:21 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Haje
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 4 Krušné hory Karlovarsko

Oktobersonne im Erzgebirge
 
Prächtiges Herbstwetter lässt mich meine Arbeit mitten in der Woche unterbrechen und zu einer lange geplanten bergbauhistorischen Rundtour in das Böhmische Erzgebirge starten. Das heute zu besuchende Areal schließt sich an diese Tour von vorigem Jahr an. Zum Schluss einsame Nebenstraßen benutzend, fahre ich das idyllische und stellenweise frostige Tal der Černá (Schwarzwasser) hinunter. Ich parke an einer Wegkreuzung mit einer Schutzhütte. An der Einmündung des Weges befand sich einst das Zentrum des abgetragenen Ortes Zwittermühl/Haje. Vor dem II. Weltkrieg waren 35 Häuser mit 265 Einwohnern vorhanden. Der Ort gründete sich einst um ein Pochwerk zur Verarbeitung von Zinnerz, was den deutschen Namen erklärt. Die Region war einst sächsischer Besitz und kam erst 1546 zu Böhmen.
 
Ich starte meine Rundtour und laufe leicht steigend einen Flurweg hinauf. Dabei passiere ich am Waldrand die Halden der einstigen Dreifaltigkeitszeche. Außerhalb des Tales liegt die Temperatur knapp über null Grad. Später im Wald kreuzt der Weg einige Pingen der Segen-Gottes-Zeche. Nach einer Weile komme ich zu einer Lichtung, wo sich die Wüstung des einstigen Ortes Schwimmiger/Pískovec befindet. Der Vorkriegsbestand wird mit 5 Häusern und 20 Einwohnern angegeben. Die Fundamentreste der nach dem Krieg abgerissenen Häuser sind heute von Wald überwuchert und schwer zugänglich. Im hiesigen Bereich wurden bereits 1380 zwei Zinnbergwerke urkundlich erwähnt. Eines davon wird gar als bergfrei bezeichnet, es handelte sich also um eine alte aufgegebene Anlage. Dies ist damit die älteste Erwähnung eines untertägigen Bergbaues auf dem Kamm des zentralen Erzgebirges. Das ArchaeoMontan-Projekt hat bei Schwimmiger zudem Spuren einer mittelalterlichen Bergbausiedlung ausgegraben. Der Name Schwimmiger wird in diversen Beschreibungen auf das Wort „schwemmen“ als Ausdruck für eine Seifentätigkeit zurückgeführt. Diese Erklärung für eine Siedlung auf dem nahezu wasserlosen Gebirgskamm überzeugt mich nicht wirklich. Als weitere Schreibformen des Ortsnamens sind nämlich auch Schwymenth oder Schwimmendes nachgewiesen. Ich bin der Ansicht, dass der Ortsname die Lage des Erzvorkommens beschreibt, entweder die oberflächennahe Anreicherung des Erzgehaltes oder die Lage eines Erzganges im Sinne von „schwebend“. Die Hauptaktivitäten des Bergbaues entfalteten sich am Berghang hinunter ins Schwarzwassertal. Die alten Schächte wurden in eine maximale Tiefe von 40 Metern abgeteuft. Später versuchte man vom Talboden über den Streitpinger-Erbwasserstolln das Abbaugebiet zu unterfahren. Durch den Höhenunterschied bis Schwimmiger hätte man ein Berggebäude bis 130 m Tiefe erhalten. Da aber der Erzgehalt mit zunehmender Tiefe überraschend schnell abnahm, gab man dieses Unterfangen auf, ohne an irgendeiner Stelle durchschlägig worden zu sein. Ich schaue unterhalb der Lichtung zur Pinge der Frischglück-Zeche, weiter unterhalb anschließend zu den Pingen der Fischzug-Zeche und dem Bruchgraben des Fischzügnerstollnganges. Eine Besichtigung der noch weiter talwärts liegenden Streitpinge mit ihren 30 m hohen Felskanten bleibt aus Zeitgründen einer separaten Tour vorbehalten.
 
Ich gehe wieder hinauf zur Lichtung, überquere sie diagonal und nehme an der Waldkante den rechten Weg entlang der bewaldeten Flanke des Písková skála/Streitberg/Sandfels. Zum Schluss stärker fallend komme ich nach Podlesí/Streitseifen. Der Vorkriegsbestand wird mit 5 Häusern und 29 Einwohnern angegeben. Heute dominiert hier das Hotel/Gasthaus Červená liška (Roter Fuchs). Der deutsche Ortsname gibt unzweifelhaft Auskunft über die Beschäftigungen der einstigen Bewohner, Streiten und (Zinn) Seifen. Die heute noch entlang des Baches zu sehenden Raithalden stammen aus dem 14. Jh. Später ging man in der Umgebung zu Festgesteinsabbau über. Auf dem Radweg 2002 laufe ich auf den Kamm hinauf und treffe dort auf die Wüstung einstigen Ortes Halbmeil/Mílov/Rozhraní. Der Vorkriegsbestand wird mit 9 Häusern und 38 Einwohnern angegeben. Im Ort wurden früher Teile der in der Umgebung gewonnenen Erze verarbeitet, so gab es eine Farbenfabrikation (Kobalt) und ein Vitriolwerk (sulfidische Erze). Ich erkunde die zwischen Wiesenflächen verstreut liegenden alten Siedlungsplätze des vollständig abgetragenen Ortes und lege an der wieder aufgebauten Kapelle eine kleine Pause ein. Am deutschen Himmel ist es etwas lärmig, Uschis derzeit einsatzbereite Düsenflieger, mehr als drei sollten es also nicht sein, nutzen das Bombenwetter für einen Brigadeausflug. Nun folge ich der Forststraße Mílovska silnice. Nach dem Gröger-Gedenkstein, der an einen im I. Weltkrieg gefallenen Förster erinnert, nehme ich die dritte Abzweigmöglichkeit nach links. Der geschotterte Forstweg mit einem Grasstreifen zwischen den Fahrspuren wird in der Karte (mapy.cz) als Blátíva cesta bezeichnet. Der Hauptweg biegt im Verlauf nach links weg und ich gehe geradeaus einen verwachseneren Waldweg weiter. Dieser fällt nach einer Weile steil ins Tal hinunter ab. Das rechts davon im Tal des Hrazený potok liegende, sehenswerte Bergbaugebiet bleibt aus Zeitgründen ebenfalls einer separaten Tour vorbehalten.
 
Am Talboden angekommen, treffe ich in Zlatý Kopec/Goldenhöhe ein. Der Ortsname sieht auf den ersten Blick auch nach Betrug aus, denn das Örtchen liegt im Tal. Aber sowohl der angrenzende Mückenberg als auch der Kaffenberg wiesen reiche Erzvorkommen auf, was die Höhe für Manche golden erscheinen ließ. Der Vorkriegsbestand wird mit 41 Häusern und 360 Einwohnern angegeben. Heute dienen die wenigen verbliebenen Häuser als Wochenend-/Urlaubsdomizile. Ich laufe das Fahrsträßchen aufwärts und verlasse den Ort. Nach einer Weile komme ich zur Abzweigung zum Johannes-Stolln. Hier wurde einst am Berghang eine Skarn-Lagerstätte entdeckt. Neben klassischen Erzen wie Kassiterit, Magnetit, Pyrit, Pyrrhotin, Chalkopyrit und Sphalerit kommen hier auch seltene Verbindungen wie Wickmanit, Schoenfliesit, Natanit, Hulsit, Ludwigit, Vonsenit, Inderit, Szaibelyit und Helvin vor. Es handelt sich somit um eine mineralogische Lokalität internationaler Bedeutung. An dieser Stelle wurde ausgehend vom 16. Jh. bis ca. 1840 fast ununterbrochen Erz gefördert. Das reichhaltige Vorkommen diverser Erzverbindungen war für die alten Bergleute Segen und Fluch zugleich, da man mit den damaligen Verarbeitungsmethoden (nassmechanisch und rösten) gewisse komplizierte chemische Verbindungen nicht auflösen konnte. Das aus dem vorhandenen Magnetit erzeugte Eisen war z. B. durch Beimengungen von Zink und Kupfer nicht schmiedbar. So beschränkte sich das Ausbringen mehrheitlich auf Kupfer, Silber und Zinn. Mitte des 18. Jh. wurden in diesem Bergwerk jährlich durchschnittlich 400 kg Kupfer und 1700 kg Zinn gewonnen. Das Bergwerk wird heute als Besucherbergwerk betrieben. Die reguläre Saisondauer konnte ich bisher nicht sicher eruieren, die nächste Saison startet offenbar Ostern 2019. Ich drehe eine Runde über den von Bergbauspuren gezeichneten Berghang und kehre zur Straße zurück.
 
Ich wandere noch ein Stück talaufwärts und biege nach einer kleinen Bachbrücke nach rechts auf einen Waldweg ein. Vor dem Aufstieg lasse ich mich auf einem Holzstapel zur Mittagspause nieder. Der Waldweg vermeidet dann den Marsch auf der Straße und kürzt einige Kurven ab, zum Schluss ist er wenig begangen und recht steil. Auf dem Kamm wende ich mich nach links, gehe bis zur Straße und folge ihr bis zum Abzweig der asphaltierten Forststraße Mílovska silnice, auf die ich nach rechts einbiege. Nach einer Weile nehme ich einen verwachsenen Waldweg nach links, kürze damit etwas ab und komme auf den Forstweg Pechrova stezka. Dieser führt über die kaum wahrnehmbare Anhöhe Tokaniště. Dahinter fällt der Weg ins Tal der Černá ab und trifft auf die Fahrstraße. Auf ihr lege ich die letzten Meter nach Zwittermühl zurück. Zufrieden trete ich mit vielfältigen Eindrücken und neuen Erkundungsabsichten für das nächste Jahr meine Rückfahrt an.
Für heute wär nun Feieromd (Anton Günther, 1929, Schellack).
 
Die pausenbereinigte Erkundungszeit betrug 5 h 30 min. Die Tour ist größtenteils als T1 zu bewerten, die Begehung der gezeigten Bergbaurelikte als T2.

Tourengänger: lainari


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